Wandern ist die intensivste Art sich fortzubewegen, intensiver ist nur denken, aber auch gefährlicher

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Eintrag vom 10.06.2023 


Die Ostseetour
Früher oder später musste es sein.
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Das Wichtigste gleich zuerst: Fischbrötchen.
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.........ich hatte sie alle!
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Dafür könnte ich sterben ... oder töten (darüber muss ich noch nachdenken). Überall steht der Spruch: Alle zehn Sekunden verliebt sich eine Möwe in ein Fischbrötchen, aber da kenne ich keinen Spaß, von mir haben die nix bekommen. Vielleicht hatten die Möwen auch ein Einsehen, wenn ein Bayer schon einmal so hoch in den Norden kommt, dann darf man ihm/ihr das nicht wegnehmen. Ich mag Möwen!
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Kiel, erster Eindruck: Verdammt viele Möwen, die Autos sind ziemlich verschießen, also öfters nach oben schauen, vielleicht hilft es. Es windet. Meine Unterkunft liegt am Stadtrand, gar nicht so leicht zu finden. Es ist kein richtiges Hotel, es sind Zimmer bei einer Bildungseinrichtung, schlicht gehalten, das wusste ich aber.
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Tag 1
Diesen Urlaub lasse ich ganz entspannt angehen, dazu muss ich mich immer zwingen. Erste Voraussetzung: kein Wecker. Ich habe hervorragend geschlafen, besser als zu Hause. Sonderbar.
Mit dem Deutschlandticket kann ich es dem Zufall überlassen, wo ich den Tag verbringe. Busse von meiner Unterkunft fahren regelmäßig zum Bahnhof und dort habe ich zwei Möglichkeiten: Schienenersatzverkehr nach Flensburg oder mit der Bahn nach Lübeck. Ich entscheide mich für Letzteres.
Ich lies es ganz locker angehen, alles scheint möglich zu sein. In den Zug steigen, in Lübeck sofort Neptun von seiner besten Seite gesehen, Stadtführung mitgemacht, Fischbrötchen gegessen.
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Zurück am Bahnhof, gibt es eine Verbindung nach Puttgarden/Fehmarn. Ich muss mich erst schlaumachen, wo und was das ist, ich bin nordisch unqualifiziert. Als ich es wusste, will ich unbedingt hin. Nur den Bus zu finden, ist nicht leicht. Zum Schluss sind wir zu viert auf der Suche, es war also nicht ich zu blöd dafür. Den Fahrer frage ich sofort, ob für so einen edlen Bus mein Deutschlandticket gilt und war enttäuscht als er NEIN sagt. Ich nehme es ernst, hake aber nach, dann rückt er endlich heraus, dass das ein Scherz war und ich natürlich mitfahren darf. Wusste gar nicht, dass diese Nordlichter so einen schwarzen Humor haben.
Über viel flaches Land geht es bis ganz hinauf an die äußerste Spitze der Insel, wo nur noch die Fähren nach Dänemark ablegen. Dort setze ich mich auf einen Felsen am Strand und sehe den Wellen zu, immer wieder gut zum Seele-baumeln-Lassen.
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Tag 2
Dank der Bahn und des nicht funktionierendem Schienenersatzverkehrs lande ich statt in Flensburg in St. Peter Ording. Ich weiß, das ist schon Nordsee, aber weil es so nah ist und der Zug dort hinfährt, nehme ich es mit. An den Strand darf ich nur gegen Eintritt und das will ich nicht. Das Fischbrötchen esse ich auf der Promenade, habe ich schon erwähnt, dass ich Fischbrötchen liebe?
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Dann finde ich doch noch einen passenden Zug und über viel sehr flachem Land (schon wieder, tritt hier gehäuft auf) und dem coolsten Bahnhof in Schleswig geht es hinauf nach Flensburg. Eigentlich wollte ich überprüfen, ob die auch gut auf meine Punkte aufpassen, aber da war heute niemand. Ein Bier ist Pflicht. Ich hätte auch noch ein zweites kostenlos bekommen, weil ich eines in der Flasche haben wollte und die Wirtin mir dringend das vom Fass empfohlen hat, und zum Testen hätte sie mir anschließend noch eines in der Flasche gegeben, aber ich muss den Weg zurück nach Kiel finden.
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In Eckernförde darf ich unentgeltlich an den Strand.
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Tag 3
In Rostock frage ich in der Touristeninfo nach, was man gesehen haben muss, wenn man nur drei Stunden zur Verfügung hat. Ich bekomme eine kleine Liste. Als ich wieder auf den Marktplatz hinaustrete und mich umsehe, wird mir klar, dass ich sie gar nicht brauche. Der Baustil fasziniert mich völlig: der neue, der alte und auch die Plattenbauten, die können auch gut aussehen. Ich bin noch einmal zurück in die Info zu den beiden jungen Leuten, vermutlich Studenten und lasse mir versichern, dass das wirklich Plattenbauten sind.
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Natürlich gibt es ein Fischbrötchen und im ersten Moment ärgere ich mich in Warnemünde, dass ich es schon in Rostock gegessen habe, denn am Kanal reiht sich Bude an Bude mit einer unglaublichen Auswahl. Beim näheren Hinsehen bemerke ich die Preise, es gibt sogar welche für über vierzehn Euro, das liegt dann vermutlich auf einem Teller - üblicherweise bekommt man es auf einer Serviette auf die Hand - mit zwei Salatblättern extra. Es ist der volle Touristenort und den Japanern kommt es vermutlich billig vor.
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Tag 4a
Die Ostsee und die Lechtaleralpen haben eine große Gemeinsamkeit. Das eine flach und wässrig, das andere steil und steinig. Ihr findet, das ist keine Gemeinsamkeit? Dann könnt ihr jetzt etwas lernen: Sie sind beide nicht leicht zu nehmen.
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Der Plan war mit einer ausgefeilten Bahnverbindung in fünf Stunden auf Rügen anzukommen. Dafür bin ich um vier Uhr morgens aufgestanden, mit Wecker. Ich wollte einmal in meinem Leben die Kreidefelsen sehen. Ich weiß nicht, ob ich das jemals schaffen werde.
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Startpunkt ist wie jeden Tag Kiel. Der Zug fährt mit zwanzig Minuten Verspätung ab und nach nur einem Kilometer steigert er sich auf vierzig. Da kann selbst die cleverste Verbindung nicht mehr mithalten. Als ich endlich in Lübeck ankomme, ist mein Anschluss natürlich weg, aber es steht ein Zug nach Hamburg am Gleis gegenüber. Dort wollte ich eigentlich überhaupt nicht hin, aber .... mit einem Deutschlandticket ist es möglich.
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Hamburg bei Kälte und dicken Wolken macht gar keinen Spaß. Also schnell zum Jungfernstieg und Rathaus, weiter über die Jan-Fedder-Promenade – ja, die gibt es jetzt - zu den Landungsstegen und dem Fischmarkt. Markt ist nicht, aber Fischbrötchen gibt es. Ein Großstadtrevier-Fan weiß, dass man/frau in dieser Stadt ein Krabbenbrötchen isst.
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Schnell wieder zurück nach Kiel und schlafen, damit ich morgen wieder um vier Uhr aufstehen kann, für den zweiten Versuch.
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Tag 4b
Ratet einmal, wo ich heute gelandet bin. Ihr dürft auch zwei Mal raten. Richtig! Nicht bei den Kreidefelsen auf Rügen. Aber heute habe ich den Anschlusszug in Lübeck lediglich um zwei Minuten verpasst, gestern waren es dreißig. Das Ergebnis war dasselbe: Zweiter Versuch misslungen. Ziel nicht erreicht. Gehe zurück auf Los, ziehe nicht viertausend Euro ein.
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Aber, da steht ein Zug nach Schwerin und Schande über mich, wenn ich diese Stadt verpasst hätte. Das Schloss ist fantastisch und es ist kaum zu glauben: Es ist Markttag und dort gibt es Fischbrötchen, obwohl hier nicht mehr Ostsee ist.
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Danach geht es weiter nach Wismar auf den Spuren der gleichnamigen Soko. Schau ich immer und ein paar Schauplätze erkenne ich wieder. Dann komme ich zum Meer und es war weg!!! Eine schrecklich nette Einheimische klärt mich auf, es ist abwindig, sprich: Der Wind hat es vertrieben. Geschieht hier selten, sagt sie, darum musste sie auch ein Foto machen. Wir sitzen beide auf einer Bank, betrachten das nicht vorhandene Wasser und unterhalten uns vorzüglich. Sie durfte noch im Schloss Schwerin studieren. Anschließend bringt sie mich noch zum Bahnhof. Sind nett die Wismeraner.
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Tag 5
Lasse es heute etwas ruhiger angehen: Kein Wecker um vier Uhr morgens, keine lange Zugfahrt. Dafür chillen in Laboe und Kiel, aber nicht ohne Fischbrötchen.
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Das Highlight des Tages ist die Slam-Lesung, die ich zusammen mit fusseln.im.kopf (= Nicole Schöning, Autorin, zu finden auf Instagram) besucht habe. Danke, war echt toll, dass wir uns einmal in echt getroffen haben.
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Tag 6
Ich könnte ihn auch Tag 4c nennen, weil es der dritte Versuch ist, aber ich will positiv denken.

Die Bahn tat das Übliche, ich habe alles gegeben. Vier Uhr morgens aufgestanden, trotz verpassten Anschlusszugs in eisiger (ja, morgens war es kalt) Kälte ausgeharrt und auf den nächsten Zug gewartet. Damit rechnete die Bahn nicht! Völlig aus dem Konzept gebracht, kommen die restlichen Züge pünktlich, aber es ist eben nicht mehr die geniale Verbindung. Nach sieben Stunden und mittels grandiosem Durchhaltevermögens erreiche ich Stralsund und hisse die weiße Flagge, ich habe genug - die Bahn setzt sich mit überheblichem Siegergehabe zurück in den Sessel.
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Ich gebe mir wirklich Mühe, nun meine Aufmerksamkeit ungeteilt Stralsund zu widmen, doch selbst das Fischbrötchen reißt mich nicht mehr aus der Erschöpfungslethargie. Der Gedanke, dass ich auch wieder sieben Stunden zurück brauche, treibt mich durch die Straßen. Diese Stadt hätte mehr verdient.
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Auf dem Rückweg gönne ich mir noch einen Schlenker nach Barth, einem kleinen Badeort. An maxsy_multerer (Schriftstellerin, auf Instagram zu finden): Weiter konnte ich den Spuren deiner Protagonistin Anina nicht folgen, aber ich habe es versucht. Wäre ich nicht so geschwächt gewesen, wäre ich zu Fuß nach Darß hinaus gelaufen.
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Da die Bahn nicht mit meinem Durchhaltevermögen gerechnet hat, kann sie keine Verspätungen mehr bieten. In nur viereinhalb Stunden bin ich wieder in Kiel.
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Dies war der dritte und letzte Versuch, die Kreidefelsen zu sehen. Keiner kann behaupten, ich hätte es nicht versucht. Caspar David Friedrich ist sicherlich nicht mit der Bahn dort hin, sonst würde es sein beeindruckendes Werk nicht geben. Da ich am Sonntag für die Rückreise neun Stunden in vollen Zügen genießen darf, werde ich morgen nicht mehr ganz so voller Elan losziehen. Schau ma mal.
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Tag 6
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this is the end
my only friend
the end
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Nach der gestrigen Langstrecke ist es ein Katzensprung nach Sylt. Von den angeblich massenhaften Punks habe ich nichts gesehen, vermutlich hat sich die versnobte Gemeinschaft hier, über eine Dreiergruppe aufgeregt, mich nerven die Unmengen von röhrenden ruhestörenden Harleyfahrer.
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Ich zwinge mich, eine halbe Stunde lang die Wellen zu beobachten, damit ich wieder von dem Trip herunterkomme, noch mehr und noch mehr sehen zu müssen. Es funktioniert und so kann ich morgen völlig gechillt nach Hause fahren. Thank you for travelling with Deutsche Bahn.



Eintrag vom 14.04.2023 

Wandern in der Sächsische Schweiz

5 Tage: 1 Tag bewölkt, 3 Tage Sonne, 1 Tag Regen - war voll in Ordnung
Standort in Königstein und von da sternförmig auf dem Malerweg gelaufen
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Eintrag vom 14.01.2023 


La Palma

 

Samstag, 24. Dezember

Beim Abflug zeigt sich, dass La Palma nicht nur die Insel der Wanderer ist, da man/frau Wanderschuhe trägt, sie passten scheinbar nicht mehr in den Koffer, sondern anscheinend auch die Insel der Alt- Hippies.

Während des Flugs sehe ich zwischen den Wolken etwas, was der Schwarzwald sein müsste. Das nächste was im Wolkenmeer durchscheint sind wohl die Pyrenäen und – schwups - sind wir am Mittelmeer. Ich wusste gar nicht, dass Spanien so trocken ist, zumindest zeigt das Land von oben viel staubige, rote Erde und es gibt erstaunlich viele Berge. Dann kommt Gibraltar und die Küste Afrikas, jetzt kann es nicht mehr so weit sein.

Da tauchen sie unter uns auf: Lanzarote, Fuerteventura, Gran Canaria und über Teneriffa biegen wir nach La Palma ab. Beim Anflug sehe ich schon den bewaldeten Norden, dort werde ich bald sein.
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Am Flughafen steht eine Mitarbeiterin von Tui. Sie fragt mich, ob mir klar ist, dass mein Hotel sehr abgelegen, also wirklich sehr, sehr abgelegen liegt. Ich bejahe, das war Absicht. Sechs Leute werden mit dem Tui-Bus zu ihren Hotels gebracht, den anderen sagt sie, wann die Bespaßung anfängt, also sie hat es anders genannt. Mir gibt sie mit einem mitleidigen Blick ihre Telefonnummer, weil so weit abseits, ist eine Betreuung nicht möglich. Da bin ich aber froh. Die Hotels der anderen liegen direkt in der Einflugschneise des Flughafens, war denen das bewusst? Aber sie sind näher an der Zivilisation.

 

Am Hotel ist nichts möglich und niemand da. Ach stimmt, wir sind ja in Spanien und es ist Siesta. Eigentlich habe ich am Flughafen schon den Plan gestrichen, mir noch Wein für die Feiertage zu besorgen, weil die Geschäft auch hier am Heilig Abend nur bis zwei Uhr offen haben, aber nun habe ich noch eine halbe Stunde. Ich stürme den Fußweg ins Dorf hinunter und da man es hier mit den Schließzeiten nicht ganz so genau nimmt, bekomme ich noch meinen Wein und auch noch Bananen, schließlich bin ich auf dem Weg hinauf in den Norden nur an Bananenplantagen vorbeigefahren. Nachdem ich einchecken konnte - man spricht deutsch - und mich über mein großzügiges Zimmer gefreut habe, gieße ich mir auf dem Balkon in der Abendsonne einen Rioja ein. Dazu hatte ich, sicher verpackt, ein edles Weinglas im Koffer.
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Sonntag, 25. Dezember
Am Morgen bin ich die Erste beim Frühstücken. Er fragt mich gleich, ob ich jeden Tag so früh kommen werde. Ich nicke schuldbewusst. Als die Sonne aufgeht bin ich schon auf dem Weg hinauf zum Pico de la Cruz: 12 km, 1800 Höhenmeter, 5 Stunden und dann wieder zurück.

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Montag, 26. Dezember

Heute regnet und stürmt es und ich befürchte ich bin schuld daran. Alles begann, als ich gestern an diesem Wächter vorbei bin. Seht ihr ihn dort oben sitzen? Auf dem Weg lagen zwei unbenutzte Papiertaschentücher. Ich habe mir nichts dabei gedacht und bin weiter, aber vielleicht ist der/die Besitzer/in der Taschentücher dort verschwunden, vielleicht bin auch ich dort vorübergehend aus dieser Welt verschwunden und ich habe es nur nicht bemerkt. Egal wie, von da an hat es gestürmt. 500 Meter vor dem Gipfel bin ich umgedreht, weil ich dann in feuchtkalten Nebel eintauchen hätte müssen und ein Blick in den Vulkan wäre ohnehin nicht möglich gewesen. Als ich wieder am Wächter vorbei kam, habe ich die beiden Papiertaschentücher, die einzigen Beweise menschlicher Zivilisation auf dem ganzen Weg, eingesteckt, aber auch dadurch hat sich der Wächter nicht mehr besänftigen lassen, die Wolken, der Sturm, der Regen folgten mir und haben mich kurz vor meinem Hotel eingeholt. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.
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Mittwoch, 28. Dezember

Die große Inselrundfahrt: nach 2 Tagen Sturm endlich einmal wieder raus. Mit 5 verschiedenen Linienbussen für 13€ einmal rund herum. Erschütternd war der Anblick der Region, wo vergangenes Jahr der Vulkan ausgebrochen ist. Wieder bei mir im hohen Norden ist mir klar, dass ich hier genau richtig bin. Die gesamte Insel ist bepflanzt und bebaut, nur im Norden sind ein paar Flächen zu senkrecht dafür und daher noch unberührt.
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Donnerstag, 29. Dezember

Heute nur eine kurze Wanderung, nach los Tilos. Von dem Lorbeerwald, der dort UNESCO Schutz bekommen hat, habe ich nichts gesehen. Ich kenne nur die getrockneten Lorbeerblätter im Supermarktregal, keine Ahnung, wie der Baum dazu aussieht, hab hin und da mal ein Blatt abgerissen und gerochen, aber ... nichts.
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An den beiden Sturmtagen habe ich wieder zum Schreiben angefangen: Chiara, Teil III. Wir schreiben das Jahr 1631, Luc und Chiara sind in London angekommen. Erst in einem Haus in Blackfriars, aber nach einem Jahr ist das Haus im neuem Wohnviertel am Convent Garden fertig. Und was die beiden noch nicht wissen, aber ich, Vlad kommt bald zu Besuch, doch seit dem zweiten Band wissen wir ja, das aus ihm ein ziemlich cooler Typ geworden ist.

 

Samstag, 31. Dezember

Auch heute nur eine kleine Wanderung durch tolle Schluchten von Barlovento nach Gallegos, dann noch etwas Schreiben. Ich werde heute einfach einmal früh ins Bett gehen und morgen werde ich vermutlich dem Hahn den Hals umdrehen, der mich die letzten 7 Nächte wach gehalten hat. Dem hat niemand beigebracht, wann gekräht wird.
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Sonntag, 1. Januar

Heute fahr ich mit dem Bus noch St. Cruz. Einmal will ich traditionell einheimisch Essen gehen, dazu gehören Eintöpfe, zum Beispiel mit Ziege oder Kaninchen. Bei mir im Norden ist aber fast alles geschlossen und sonst gibt es Döner und Currywurst. Aber auch in der Inselhauptstadt ist nicht viel los. Ist das nun Saison- oder Coronabedingt. Den Reiseführer habe ich mir aus der Bibliothek geholt, der wurde vor Corona herausgegeben. Das Restaurant mit den regionalen Spezialitäten gibt es gar nicht mehr. Ich war so enttäuscht, ich hab kein einziges Foto gemacht.

 

2. Januar

Letzter Tag, letzte Wanderung und wieder durch die Schluchten des Nordens. Auf die letzten Meter erwischt mich der Regen. Es ist Zeit zu geh’n.
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Eintrag vom 23.08.2022 


Min Weag  30 Etappen durch Vorarlberg

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Angefangen hat alles am 26. Mai, ein langes Wochenende.
Ich  habe 4 Tage, das Wetter ist genial und es sind 30 Etappen auf meiner Wanderapp abgespeichert. Den ersten Zug habe ich genommen, früh aufstehen ist nicht mein Problem, aber ein Zug, der nicht fährt, ist es schon. Die Bahn hat einen anderen Zug, nur der Zugführer kennt sich damit nicht aus, bringt ihn nicht zum Fahren. Mit einer Stunde Verspätung und einem anderen Kollegen, schafft er es. Aber noch bin ich frohgemut, auch mit der Aussicht auf zehn Kilometer breit planiertem Weg um Bregenz herum. Ich wusst es, kannte die Strecke, wollte später einsteigen, wenn die Wege schmaler und grüner werden, aber der Wunsch nach Vollständigkeit siegte und so fange ich ordnungsgemäß am Bregenzer Bahnhof zum Wandern an, die leichten Etappen nach Feldkirch sollen es vorerst sein.

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Das Wetter immer noch schön, die Beine schon müde durch die langen harten Wege, da beschließe ich nach eineinhhalb gelaufenen Etappen, eine Unterkunft zu suchen. Ich laufe Alberschwende ab, alles voll, ich laufe ins nächste Dorf, alles voll, ich nehme den Bus nach Dornbirn, alles voll, gut für 250€ ohne Frühstück gibt es etwas, will ich aber nicht. Ich setze mich in den Zug zurück nach Hause und gehe die restlichen Tage jeden Morgen zum Schwimmen und lege mich auf dem Balkon in die Sonne, hat aus was.

Der nächste Versuch kommt am 10. Juni, nur ein ganz normales, kurzes Wochenende.

Ich lasse es gaaanz anderes angehen, viel lässiger, ja, manchmal kann ich das. Ich reiße mich früh von der Arbeit los und nehme das Schiff von Konstanz nach Bregenz, gaaanz easy, gaaanz cool, vier Stunden lang.

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In Bregenz übernachten und dann gaaanz lässig mit der Bahn zum Pfänder (1062m) hinauf, nur der Fahrradtrupp, der auch mitfährt ist nervig, aber ich bleibe fast gelassen. Dieses Mal nehme ich von Bregenz aus die andere Richtung, schließlich ist der Min Weag ein Rundwanderweg. Zwei Tage habe ich, ich will bis zum Hochgrat kommen. Und wieder ist das Wetter genial.
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Ich hätte in Sulzberg (1013m) übernachten können, aber dort war mir das Gewühl aus Wanderern, Motorradfahrern und schicken Ausflüglern zu groß. Ich entfliehe - wieder hinunter und wieder hinauf - nach Riefensberg (781m). Kennt jemand Riefensberg? Ich kannte es nicht, ich vermute, dass nicht viele es kennen. Es gibt einen Gasthof, aber der ist zu. Ich rufe die Nummer an der Tür an, nur Mobilbox. Ich laufe weiter, ein Café. Ich frage dort, ob sie etwas zum Übernachten kennen. Dort ist gerade eine Geburtstagsfeier, das halbe Dorf ist dort. Ein älterer Herr meldet sich sofort, die Damen in der Runde starren ihn irritiert an: 'Seit wann hast du eine Übernachtungsmöglichkeit?' Er sinkt sofort zurück auf die Bank, schrumpft dort geradezu zusammen. Die Damen überlegen und beratschlagen, die Kellnerin ruft auch noch beim Gasthof an, aber da meldet sich wirklich niemand. Die Chefin kommt dazu. Sie hat eine Freundin in Hittisau, die hat einen Gasthof, schon ruft sie an, ja, da wäre noch ein Zimmer für mich, es gibt einen Bus dorthin, in einer Stunde. Nun trinke ich erst einmal einen Kaffee und einen Apfelstrudel gibt es auch noch. Bus gibt es dann doch keinen mehr, nicht am Wochenende. Ich sage noch schnell im Cafè bescheid, dass ich per Anhalter fahre. Die Chefin protestiert: 'Hier fährt doch kaum ein Auto, diese Ecke ist fast ausgestorben.' Sie besteht darauf, mich zu fahren, sie will Hallo zu ihrer Freundin sagen. Der Gasthof ist schön, neue Zimmer, gutes Frühstück und das zu einem günstigen Preis, was will man/frau mehr.
Am Morgen beratschlage ich mit der Wirtin und ihrer Mutter, wie ich von hier am besten zur Nadelfluhkette hoch komme. Es ist schon verdammt heiß am Morgen beim Aufsteigen, ich bekomme kaum Luft, ich komme nur sehr langsam hinauf. Oben am Grat gibt es einen genialen Ausblick, die Nadelfluhkette ist immer wieder schön.
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Um zwei Uhr nachmittags wird mir klar, ich bin kurz vor dem Hochgrat (1834m), dass ich jetzt runter ins Tal und zum Bahnhof muss, sonst komme ich heute nicht mehr nach Hause. An einer Alm fährt mir der Bus gerade vor der Nase weg, also weiter zur nächsten Bergbahn, unten sind es noch vier Kilometer nach Oberstaufen und es wird später und später. Ich versuche per Anhalter zum Bahnhof zu kommen, aber hier ist ein Golfplatz und da kann man sich vorstellen, wer hier vorbeifährt, die nehmen keinen Anhalter mit. Eine junge Frau hält an, sie war auch Wandern. Sie muss eine andere Strecke weiter, aber will mich schnell zum Bahnhof bringen, wo ich denn heute noch hin muss? Ich sage es, sie lacht: 'Ich fahr nach Überlingen, wenn du Lust hast, kannst du mitfahren.' Und so sitze ich zwei Stunden später frisch geduscht auf meinem Balkon. Das Beste ist, dass es am Bahnhof jetzt Augustiner zu kaufen gibt, dass gibt es sonst selten außerhalb von Bayern und ich habe es die letzten zehn Jahre hier vergeblich gesucht. Prost.
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Weiter geht es am 16. Juni, wieder ein langes Wochenende.
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Dieses Mal ist das Wetter nicht ganz so genial. Es soll heute regnen, aber die nächsten Tage besser werden. Am Abend zuvor fahre ich schon nach Oberstaufen und am Morgen mit dem Bus zur Hochgratbahn und damit hinauf (1834m). Oben regnent es, ich warte den ärgsten Schauer ab, aber dann Regenpocho überziehen und los. Offiziel würde die Tour gleich auf der anderen Seite wieder hinunterführen und dann im Tal entlang, bin ich schon mal gelaufen, ist langweilig. Ich bleibe oben, der Bogen, den ich dazu schlagen muss ist lang, aber lohnenswert.
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ich war schneller
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Unten im Tal erwischt mich noch einmal ein heftiger Regenschauer. Ich laufe nach Balderschwang hinein, aber es sieht mir gleich ziemlich versnoppt aus, die wollen keine schmuddeligen Wanderer. Ich finde nichts, aber mir kommt ein Bus Richtung Hittisau entgegen und mir fällt sofort der Gasthof von letztens ein, aber ich habe keine Telefonnummer und schon gar keinen Empfang. Am letzten Hotel, an dem ich nachfrage, ich glaube ihr, dass nichts mehr frei ist, sucht sie mir die Nummer heraus und lässt mich telefoniern. Ja, sie haben noch was für mich, sie erinnert sich an mich, wir klären sofort, ob ich vielleicht zwei Nächte bleiben kann, aber die morgige Tour bringt mich in ein anderes Tal, schade.

Am Morgen fahre ich mit den Bus nach Sibratsgfäll (929m), dann muss ich nicht mehr in diesen versnoppten Ort zurück und die Tour wird auch so lange genug.
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Es fängt lässig eben an, dann steil hinauf zu einem Grat mit Blick auf den eigentlichen Anstieg des Tages, den Hohen Ifen (2230m). Oben sitzen zwei Mädels, an den Rucksäcken erkenne ich, dass sie die ganze Zeit schon vor mir herlaufen, aber die beiden wollen nicht auf den Ifen, sondern ins nächste Dorf, weil es dort die leckersten Kässpatzen von Welt geben soll. Wir wünschen uns gegenseitig Spaß und ich laufe hinunter und auf den Ifen zu. Die 1200 Höhenmeter merke ich kaum, es geht langsam, aber beständig nach oben.
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und noch ein Stück weiter hoch
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und noch ein Stück
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und noch ein Stück
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Ich war noch nie im kleinen Walsertal, aber genau da komme ich nun runter, auf einem megabreiten Weg, der im Winter als Skipiste genutzt wird. Unten am Parkplatz bin ich genervt und will nun nicht auch noch die Teerstraße nach Hirschegg hinunterlaufen, ich versuche es per Anhalter und es klappt. Die wollen nicht nur nach Hirschegg, sondern bis Mittelberg (1215m) und das ist auch mein Endziel für den heutigen Tag. Wieder beginnt die Suche nach einer Unterkunft, es steht Hotel an Hotel, aber alle sind voll. In der alten Krone werde ich fündig und es ist eine schöne Unterkunft. Das Zimmer ist sehr klein, aber groß Auslauf brauche ich nach so einem Tag nicht mehr.

Letzter Tag und wieder zwei Etappen zusammengefasst. Über den Hochalppass (1938m) hinunter nach Hochtannbergpass (1676m).

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dann am Körbersee (1656m) vorbei, über den Auenfeldsattel (1710m) hinunter nach Lech (1450m).
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und von dort mit Bus und Bahn wieder nach Hause. Für die Etappen ab Lech brauche ich einmal länger Zeit, weil es nun hochalpin wird und da kommt man nicht so schnell wieder heraus.
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Am 6. August geht es weiter.
Schon am Abend zuvor, gleich nach der Arbeit fahre ich nach Lech. Beim Frühstück überfliege ich virtuell die Tagestour und stelle fest, dass ich nur einen großen Kreisbogen laufe und dort herauskomme, wo am Abend auch der Bus gehalten hat, also buche ich eine zweite Nacht, die Pension Schrofenstein gefällt mir. 
Ich gönne mir die Bergbahnfahrt hinauf auf den Rüfikopf (2362m). Von dort geht es  zur Stuttgarter Hütte (2310m), über den Robert-Bosch-Weg, ja, dieser Herr war Alpenvereinsmitglied und hat den Bau dieses Wegs finanziert, hinauf auf den Valuga (2811m), über einen von viel Geröll überschütteten Weg hinunter zur Ulmer Hütte (2285m) und dann nach St. Christoph (1765m) und mit dem Bus zurück nach Lech.

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man beachte den Proviant, denn jemand großzügig unter dem Wegweiser zurückgelassen hat (ein gelbes Gummibärchen) und - die Wege sind schmal dort oben
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Es war Regen angesagt, aber ich habe nur drei Tropfen abbekommen und ob das oben auf dem Valuga nicht Nebel ist, ist nicht so sicher. Blöd für die, die viel Geld für die Bahn hinauf bezahlt haben, die sehen nichts. Ich hatte wenigstens eine tolle Wanderung.

Am nächsten Tag geht es mit dem Bus und dieses mal mit vollem Gepäck hinauf nach Stuben (1407m). Die 600 Höhenmeter zur Kaltenberghütte (2089m) habe ich mir leichter vorgestellt und schon zieht eine Frau mit großen Rucksack frisch an mir vorbei, da wäre auch eine Bahn hochgefahren. Ich gönne mir erst einmal eine Johannisbeerschorle, bevor ich mich an den nächsten Anstieg mache.
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Oben auf der Krachelspitze (2686m) gibt es einen fantastischen Ausblick auf eine Eiswand am Berg gegenüber und zwei türkisfarbene Schmelzseen.
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Fröhlich pfeiffend an einem See entlang, bis mich die Erkenntnis trifft, dass es jetzt nicht einfach so ins Tal hinunter geht, sondern dass noch das Gstansjöchli (2573m) mit 200 steilen Höhenmetern zwischen mir und der Konstanzer Hütte (1688m) steht und die liegt wieder verdammt weit unten, viele Höhenmeter auf verdammt kurzer Strecke. Aber der Ausblick lohnt, bevor ich in die Nebeldecke eintauche.
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Die Konstanzer Hütte ist voll, da sie so weit unten liegt und auf breiten Straßen erreichbar ist, ist sie die ideale Unterkunft für Fahrradfahrer. Für mich gibt es noch einen Platz in einem Dreibettzimmer, das Pärchen dachte schon es wäre ihr Reich.

Am nächsten Tag geht es durch ein grünes, sanft ansteigendes Tal und an wildgewordenen jungen Highlandcattles hinauf zur Heilbronner Hütte (2320m) und nach einer Johannisbeerschorle  wieder etwas hinunter zum Zeinisjoch und dem Kops-Stausee (1809m). Unterwegs treffe ich die Mädels, die zum Spätzleessen wollten wieder.

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Im Berggasthof Zeinisjoch gibt es noch ein Zimmer für mich, ein sehr schönes Zimmer, fast schade, dass ich dort sofort eingeschlafen bin.
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Am nächsten Tag geht es, nach einem ausgezeichneten Frühstück, erst um den Stausee herum und dann hinauf, sehr lange hinauf zum Vallüla (2813m, ich muss nur auf den kleinen Vallüla mit 2643m Höhe). Um die Stimmung aufzuhellen singe ich ein Lied zum Vallülala, aber auch die vielen kleinen Tümpeln mit den vielen Fröschen, man beachte, Frösche auf 2500 Metern Höhe, heben die Stimmung. Bei einer Rast befreie ich die Bergwelt von hunderten dieser gefährlichen Blaubären, die Frösche sollten mir dankbar sein. Als dann zwei Mädels zu mir hochkommen, wische ich schnell die verräterischen blauen Spuren ab, aber die sind hartnäckig. Ich weise darauf hin, dass ich ein paar Bären übrig gelassen habe, aber die beiden sind viel zu geschafft, um darauf zu reagieren.

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hier lerne ich sie zum ersten Mal kennen, große Felsen mit tiefen Spalten dazwischen und der Weg führt darüber hinweg
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Auf der Bielerhöhe (2037m) am Silvretta-Stausee finde ich kein Zimmer, dafür gibt es einen Bus, der die über 30 Serpentinen hinunter nach Partenen (1051m) fährt, ich liebe es, mit großen Bussen über enge, kurvenreichen Passstraßen zu fahren und bewundere die Fahrer. 

Am nächsten Morgen fahre ich wieder hoch und es geht weiter über den Hochmaderer (2823m) zur Tübinger Hütte (2191m). Eigentlich wollte ich weiter nach Gargellen, aber ich bin schon vier Stunden gelaufen und das wären noch einmal fünf Stunden. Außerdem ist die Tübinger Hütte einer der schönsten Hütten auf der ich je war, wunderbar abgelegen am Ende eines Hochtals, ein nettes Team und neu renoviert. Leider habe ich den ganzen Tag kein einziges Foto gemacht, sonderbar.

Heute ist es eine ziemlich einfache Tour, kurz über das Mittelbergjoch (2415m) und das Vergaldner Joch (2515m) und dann ein langes Tal hinunter nach Gargellen (1423m), aber gestern war es ja auch schon kurz und bündig, tut auch einmal gut. Gleich am Morgen treffe ich drei Schäfer, denen 15 Schafe ausgebüchst sind, sie sind dafür wirklich auf jedes Joch und haben in alle Täler geschaut.

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natürlich wieder über viele Felsen und Spalten
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sie wollten sich verstecken, ich hab sie aber entdeckt
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Gestern auf der Hütte hat einer erzählt, dass er bei seinem letzten Netzkontakt über booking.com eine Unterkunft in Gargellen bekommen hat, es gab nur noch teuere und das billigste war für über 80€. Mit einem mulmigen Gefühl gehe ich auf die erste Pension zu. Dort jongliert eine Dame zwischen Bar, überfüllten Tischen und Küche hin und her. Ich versuche sie in einem günstigen Moment mit meinem Anliegen zu stoppen. Sie hält inne: 'Lassen Sie mich erst kurz die Dateien in meinem Gehirn neuordnen.' Kurze Pause: 'Ja, das sieht gut aus, gehen wir rein." Und ich habe ein Zimmer, das Zimmer hat im Bad eine Wanne, da kann ich nicht wiederstehen. Nebenbei erwähnt, ich habe seit zwei Jahren kein heißes Wasser mehr in meiner Wohnung, ich geniese jede heiße Dusche in vollen Zügen, aber ein heißes Bad, das ist besser als jedes Wellnesshotel.

Ein neuer Tag. Hinauf zum Sarotajoch (2389m), hinüber zum Plasseggenpass (2354m) und zur Tilisunahütte (2211m) vorbei an einen weißen Kieselstein in monstergröße, völlig deplaziert zwischen diesem ganzen grauen Schiefer und Granit. Es geht auch etwa 500 Meter durch die Schweiz. Nun wäre Etappenende, aber ich trinke nur kurz etwas und laufe weiter zur Lindauer Hütte (1744m), dazu geht es noch ein Stück hoch und dann 600 Höhenmeter über kurze Strecke steil nach unten.

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der Finger ist Absicht, der soll beweise, dass ich auch wirklich dabei war und nicht nur eine Drohne geschickt habe
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heißt Weißplatte, dieser monströse Kieselstein
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Wieder eine Hütte tief unten, aber es ist eine wirklich schöne Hütte und einen Platz haben sie auch noch für mich. Nach dem dritten Glas gespritzten Most bin ich bereit für die Spinatknödel, schmecken genial, dafür gibt es morgen kein Frühstück, dann kann ich wenigstens früh los.
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Und früh bin ich los, musste früh los, nicht wegen der Spinatknödeln, sondern wegen dem Typen neben mir, der die ganze Nacht geschnarcht hat und um 5:40 Uhr einen Handyalarm losgelassen hat, in einem Mehrbettzimmer!!!! Ich bin wütend aus dem Bett gesprungen, draußen auf dem Flur habe ich ihm gesagt, dass er kurz davor steht, gelyncht zu werden, schnarchen plus Alarm ist zu viel. 'Habe ich geschnarcht?' hat er gefragt. Nein, ich habe ihn nicht umgebracht, ich nicht.
Nun bin ich schon unterwegs und beruhige mich beim Anblick der Morgensonne auf den Bergen. Ich muss mich jetzt auch auf den Anstieg konzentrieren, es wird anstrengend zum Öfakopf (2374m) hinauf. Dann hinunter zum Schweizer Tor (2137m), der Blick dadurch wurde mir als sagenhaft beschrieben, aber ich finde, dass der Blick in die andere Richtung auch nicht schlecht ist.

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Schweiz
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Österreich
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Am Lünersee (1970m) bekomme ich endlich einmal eine Buttermilch und noch dazu frisch gezapft, also sozusagen frisch von der Kuh, auf einer Hochalm. Und unten in Brand (1037m) bekomme ich mein Wellnesshotel, nicht mit der Wimper gezuckt hat der junge Mann an der Rezeption, man bedenke, ich bin den achten Tag unterwegs und sehe alles andere als frisch aus. Na dann, ab in die Sauna, hat er extra für mich aufgedreht.

Ich laufe die Serpentinen den Berg (1524m) hinauf, obwohl alle anderen mit der Bergbahn heraufkommen, ist doch ein Klacks für mich. Dann geht es das Lorenzitäli (schon klar, dass die Schweiz nicht weit ist) weiter hinauf zum Amatschonjoch (2028m) (muss eine Mischung aus Apatschen und Schoschonen sein, ich wusste, die kommen aus den Alpen) und dann hinunter zum Nenziger Himmel (1370m).
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Das der Tag kommen wird, an dem ich keine Unterkunft finde und meinen Schlafsack unter einem Baum ausrolle, war mir klar, aber die überzeugte Aussage des Wirts im einzigen Gasthof im Nenzinger Himmel, hat meiner Wandertour ein plötzliches Ende bereitet, nur wenige Meter vor der Lichtensteiner Grenze, das ist schon gemein. 'Ich hab leider nix mehr für dich frei, aber im Tal findest du was. Um 15:30 Uhr geht ein Bus hinunter.' Frohgemut trinke ich noch ein Radler. Der Bus gehört zu einer privaten Busgesellschaft und ist etwa halb so groß wie ein normaler Bus, dafür kommen drei Stück davon. Es werden Namen aufgerufen, schnell wird mir klar, hier hätte man buchen müssen. Als sie mit ihrer Liste durch ist, frage ich, was ist, wenn man nicht gebucht hat. Sie sieht mich von oben bis unten an: 'Dann bist du die Frau in Orange, dann bekommst du den Notsitz im dritten Bus.' Der Wirt hat also für mich gebucht. Muss ich jetzt sagen, dass ich eine gelborange Hose und eine orange Bluse anhabe. Der Fahrer vom dritten Bus weiß bescheid: 'Die Frau in Orange'. Der Notsitz ist ein Kunststoffhocker mit einem Kissen drauf. Es geht 17 Kilometer über Serpetinen auf einer schmalen, nicht öffentlichen Straße ins Tal hinunter, nach Nenzingen (530m). Dort wird mir gesagt, dass es in dem Ort, der auf meiner Karte der größte seit acht Tagen ist, einen einzigen kleinen Gasthof gibt und der hat Sonntag Nachmittag zu. Bei der Nummer, die ich anrufe, geht die Mailbox ran, am Büro der Busgesellschaft ist keiner mehr, ich kann also auch nicht wieder hinauf zu einem Baum unter dem ich schlafen könnte. Was nun? Der Bahnhof ist nicht weit .... und zwei Stunden später bin ich Zuhause. So schnell kanns gehen. Am Bahnhof kaufe ich noch Augustiner.


 Eintrag vom 05.03.2022 


... endlich mal wieder wandern
ich habe die schönen Tage genutzt, den Schluchtensteig entlangzulaufen, einer der schönsten Wanderwege, die ich kenne. Am Ende der Wutachschlucht wollte ich eigentlich noch einen Tag länger laufen, aber nach dreieinhalb Tagen schmale Steige, durch schmale Schluchten, wurden mir die breiten Wege nach der letzten Schlucht einfach zu langweilig.
Kältebedingt wollte meine Muskulatur von Anfang an nicht so richtig mitmachen. Schon am ersten Tag hat sie sich völlig verspannt und jeder Schritt brachte mehr Schmerzen. Am zweiten Tag hat sie wohl eingsehen, dass sie aus der Nummer nicht mehr raus kommt und hat nachgegeben. Am dritten Tag bin ich, trotz größter Vorsicht, beim Abstieg durch die Lottenbachklamm auf den eisigen Wegen ausgerutscht. Der Rucksack hat den Aufprall auf den Rücken glücklicherweise abgefangen, der Ellenbogen hat etwas abbekommen, aber den braucht man ja nicht beim Wandern.
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 9:37
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13:28
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Dom von St. Blasien, immer wieder ein genialer Anblick
 
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Schluchsee, noch mit Eisdecke
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im Sommer kann man hier toll duschen, derzeit nicht zu empfehlen
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 Eintrag vom 18.02.2022 

Band 2 zu Chiara DeMontibus ist seit Mittwoch lieferbar
Untertitel: Die Ewigkkeit geht weiter
mehr dazu auf der Startseite

... und klar, die Sache geht weiter. Chiara und Luc haben Norenberg verlassen, weil der 30jährige Krieg 1632 letztendlich vor den Toren der Stadt stehen wird, in Form von Wallenstein mit einem Heer der katholischen Liga, wer will da schon in dieser Stadt sein, die beiden beschließen einen rechtzeitigen Ortswechel. Durch die Widrigkeiten des Krieges, der im ganzen deutschen Reich tobt, muss ich sie nun unbeschadet nach London bringen, sie verlassen sich auf mich, ich werde das schon schaffen.

England hat sich nicht an diesem Krieg beteiligt, es gab einen Versuch von Charles I., er musste mit den Wittelsbachern in der Pfalz mitmachen, weil die Schwester seines Vorgängers dort eingeheiratet hat. Es war aber ein grandioser Misserfolg. Dann hat Charles auch noch das Parlament für 11 Jahre aufgelöst, das waren die Einzigen, die Steuern beschließen durften, also gab es gar kein Geld für Krieg, reichte ja schon nicht für seinen aufwendigen Lebensstil. Und England hatte seit hunderten von Jahren ausreichend eigene Probleme, die Franzosen, die Schotten, die eigenen Bauern, ...

Aus den ganzen Kriegen und Bürgerkriegen hat sich vielleicht der britische Humor, der ja als eher trocken bekannt ist, gebildet. Shakespear und eine ganze Theaterszene wurde im 16. Jahrhundert geboren. Luc sagt bestimmt irgendwann: "Das wird lustig werden."



 Eintrag vom 27.10.2021 

Chiara und Luc sind weiter unterwegs

hier schon einmal ein paar Eindrücke aus den bisherigen Recherchen:

den Gotthardpass haben schon die Römer überquert,
im Mittelalter wurde er wieder entdeckt
und als die einfachste Art, die Alpen zu überqueren äußerst beliebt


Quelle: Lüönd/Iten: Unser Gotthard; Ringier Verlag, Zürich 1980

Chiara und Luc machen sich auf den Weg nach Norenberc,
der wichtigsten Metropole dieser Zeit nördlich der Alpen


Urheber: Paul Pfinzing (1554-1589)

... und diese Tarotkarten spielen auch eine Rolle





Eintrag vom 29.09.2021 

...ich weiß, jetzt werde ich nervig, denn da kommt das nächste

jetzt bin ich da gelandet, wo ich mich Zuhause fühle. Ich liebe guten Fantasy und gut ist er, wenn nicht alles so möglich ist, nur weil es jetzt gerade in die Geschichte passt. Und ich liebe historische Romane. Ich besuche auch regelmässig Geschichtsvorträge, immer und immer wieder, wenn das Gedächtnis nicht ganz so gut ist, kann man da immer und immer wieder hin, weil 90% vergisst man doch wieder. Ich habe mich auch in die Stadt Mailand verliebt, als ich dort war, aber da bin ich vermutlich nicht die Einzige. Ich habe diese Stadt zu meinem Handlungsort gemacht, aber natürlich nicht im Jetzt und Hier. Die Geschichte beginnt 1466 mit der Geburt von Chiara in der Gegend um Mailand und endet 1536 in Mailand damit, dass meine Protagonisten das Bedürfniss haben, sich ein neues Zuhause zu suchen, denn die freidenkende Kaufmannsstadt wurde durch die Übernahme durch die Spanier einfach zu katholisch und zu eng für sie. Dazwischen ist freidenken und -handeln erlaubt. Schon die Geschichten über die Viscontis und Sforzas hätten einen ganzen Fantasy gefüllt, aber ich habe natürlich meine eigenen Handlungsstränge mit der realen Geschichte verflochten. Dabei kommt man zu dieser Zeit nicht um die Bibel herum, die habe ich natürlich auch gelesen oder im Tiefflug überflogen. Einige Bücher dort sind selbst schon geniale Fantasy, besonders die Offenbarung des Johannes, ich liebe sie. Auch Dantes Komödie findet einen Platz und eine der wichtigsten Figuren dieser Zeit, aber das müsst ihr selbst herausfinden. Um es authentischer zu machen, habe ich auch ein bisschen Latein gelernt. Ihr solltet diese Bemühungen einem sprachunbegabtem Ingenieur hoch anrechnen.
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Eines war schon vorher klar: das ist nur der erste Teil dieser Reihe. Ich wollte eigentlich nun eine Schaffenspause einlegen, aber da habe ich die Rechnung ohne meine Figuen gemacht, die sind sofort los, um noch vor dem Herbst über die Alpen zu kommen und ich musste sofort einmal herausfinden, wie man zu dieser Zeit über die Berge gekommen ist. Meine Figuren haben sich in den Kopf gesetzt, dass sie jetzt nach Norenberc wollen ...und ich muss hinterher, kann sie doch nicht alleine lassen.
Eines weiß ich jetzt, wenn man eine Geschichte schreibt, dann hat man den ersten Satz noch im Griff, vielleicht noch die erste Seite, aber dann verselbstständigt sich das alles. Immer wenn ich mich mal gemütlich auf die Couch legen will, da geisterten meine Figuren weiter und ich muss aufspringen und alles aufschreiben. Ich habe für mich festgelegt, dass ein Taschenbuch nie mehr als 300 Seiten haben darf, da kommt der Techniker und Ordnungsfanatiker durch. Ich hasse Bücher, die irgendwann auf Grund der Schwerkraft, auseinanderfallen oder Geschichten, die nie ein Ende finden. Als ich bei dem o. g. Buch auf Seite 280 war, habe ich mich schon entspannt, denn es ging dem Ende zu. Doch da fällt es einer meiner Figuren ein, dass er jetzt unbedingt nach Rom muss, das war so nie geplant, alles sollte in Mailand ablaufen, aber schon war es zu spät. Einer zog los und alle anderen hinterher. Und ich hatte das Problem, dass ich die auf den 20 verbleibenden Seiten wieder nach Mailand zurück bringe, das war gar nicht so einfach, besonders weil Chiara gerne Unplanmässiges macht.
Da zitiere ich einfach einmal Leo: „Oh Luc, warum hast du dir damals nicht einen kleinen Jungen von der Straße geholt, der wäre bestimmt nicht so störrisch.“ Luc hebt abweisend die Arme: „Sie hat mir damals geschworen, dass sie ein Junge ist.“


Eintrag vom 06.04.2021 
...ich habs schon wieder getan

glaubt jetzt nur nicht, ich würde nun im Wochentakt Bücher schreiben. Das erste gab es ja schon zu 50% und dieses hier gab es schon komplett. Habe ich vor Jahren schon geschrieben. Voll depressiv, ich kann es nicht empfehlen, aber wegwerfen wollte ich es auch nicht. Als ich es, nach so langer Zeit durchgelesen habe, konnte ich nicht glauben, dass ich das geschrieben habe. Das war gut. In jeder Stimmung schreibt man anders, das lässt sich nicht willendlich beeinflussen, zumindest ich kann das nicht.
Als ich das schrieb, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich bringe mich um oder meine Protagonistin. War 'ne scheiß Zeit. - Ich lebe noch.
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Eintrag vom 22.03.2021
 


...nun ist es zu spät...
ich habs gemacht

Mann muss auch einfach einmal etwas anderes machen. Nein, ich weiß, so einfach ist das nicht. Es muss sich auch ergeben, es muss sich eine Möglichkeit auftun und da ging bei mir ein Scheunentor auf und der Wind blies so stark durch, dass ich sozusagen schon hinausgeweht wurde. Das Scheunentor war die plötzliche Aurtragsflaute bei meinem Arbeitgeber. Schon als es mit Kurzarbeit los ging, war mir klar, dass ich sofort etwas finden muss, um nach dem fordernden Job nicht in ein großes schwarzes Loch zu fallen. Ich habe sofort an die ganzen Geschichten gedacht, die ich bisher immer wieder mal geschrieben habe. Ein ganzer Haufen von Kurzgeschichten und ich habe lange überlegt, was man damit machen kann, ich werfe nie etwas weg, was vielleicht noch zu irgendetwas nütze sein kann und nein, ich bin kein Messie, ich würde mich als krankhaft ordentlich bezeichnen, aber das fällt nicht so auf, da Ordnung immer als possitiv angesehen wird. Also ich hatte da einen Haufen voller Kurzgeschichten und das Einzige was mir dazu einfiel, war ein Tagebuch. In Tagebücher schreibt man Kurzgeschichten, Gedanken und sonstigen geistigen Unrat. Und genau das habe ich gemacht. Ich habe alle Geschichten erst einmal chrolologisch geordnet. Dann habe ich auch noch meinen Cuba-Reisebericht dazugepackt, weil das die beste Reise meines Lebens war. Da das aber noch lange nicht buchfüllend war, habe ich noch einiges dazu geschrieben, fiktives, aber so hätte es passieren können und die Realität stand meistens Pate. Und ein paar meiner Gedichte gibt es auch noch.
Natürlich müsssen auch meine selbstgemalten Bilder als Cover her halten, auch wenn ich mit der Umwandlung in ein Cover noch nicht wirklich glücklich bin. Da ich mit einem uraltem Word arbeite, hat das mein tolles Foto vom Bild gnadenlos reduziert, auch wenn ich festlegte, dass es das nicht tun soll.
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jemand hat's gekauft!!!! wer war's???

ich glaube, mein Freund Ian war's.





Eintrag vom 22.12.2020 

mein neues Kaminzimmer
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... ich liebe es





Eintrag vom 01.12.2020 
Autumn Impressions
 

Some photos from some little autumn walks 'just arround the corner' and photos with my new mobilephone the galaxy note 20. It was a big jump from my old, eight years old, note 2 to the note 20.
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and today morning winter was here, a reason for more walks through the snow


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Eintrag vom 28.08.2020 


Der Adlerweg - die Königsetappen
 

Offiziel habe ich den Adlerweg ja schon als beendet erklärt, obwohl mir die Königsetappen durch die Lechtaler Alpen noch gefehlt haben, aber inzwischen habe ich die nun schon so oft versucht, dass es klar ist, dass die eine extra Herausforderung sind. Doch nun habe ich endlich auch die Lechtaler Alpen bezwungen. Seit drei Monaten verfolge ich den Wetterbericht, um ein schön-Wetter-Fenster von fünf Tagen zu haben. Letzten Sonntag war es endlich so weit und nun ist es vollbracht.
Am Sonntag bin ich los nach St. Anton und da die Auffahrt zum Valuga im Hotelpreis inclusive war und ich zum Valugasattel schon einmal aufgestiegen bin, geniese ich die Fahrt hinauf am Montag Morgen. Und das Wetter scheint zu halten, was der Wetterbericht versprochen hat, eine Woche Sonnenschein. Diese Mal will ich nix falsch machen und am Kaiserjochhaus aufhören. Da ich keine Reservierungen auf den Hütten habe, habe ich für den Notfall einen Biwaksack dabei, obwohl es dazu derzeit eigentlich schon zu kalt ist. Ich werde auf den Hütten auf jeden Fall immer fragen.
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am Valuga natürlich auch im August noch Schnee, schon klar

und der Weg steinig und steil, die Lechtaler halt

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und da waren sie wieder, meine kleinen Freunde, der Grund, warum ich immer wieder in die Lechtaler Alpen kommen werde, egal, wie anstrengend die Berge dort sind.
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Im Kaiserjochhaus gibt es noch einen Schlafplatz für mich, aber da derzeit keine Decken zur Verfügung gestellt werden, friert mich auch hier.
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Vor dieser kleinen Hütte dort unten habe ich das letzte Mal unfreiwillig übernachtet, weil mir die Kräfte ausgegangen sind, heute ziehe ich locker dran vorbei und winke nur den Murmeltieren zu, die sich auch hier tummeln.
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Auch auf der Ansbacher Hütte gibt es noch einen Schlafplatz für mich und der Wirt kann sich noch an mich erinnern. Wow. Heute hat der Junior die Hüttenleitung, damals war er auch da, aber das Zepter hatten noch seine Eltern in der Hand. Vor der Hütte hatte sich damals im Juni noch ein kleines Schneefeld gehalten. Ich habe mir die Schuhe wirklich abgestriffen, aber als ich an der Theke darauf gewartet habe, bis der Senior Zeit für mich hat, ist wohl noch ein Rest Schnee aus dem Profil geschmolzen. Seine Begrüßung war also: Geh sofort wieder naus und ziag deine Schuah aus, du trogst  mir den ganzen Dreck da nei. Und als ich mich beim Frühstück, dass ich noch bekommen habe mit einer Bergsteigerin über meine unfreiwillige Nacht draußen unterhalten habe und dass ich den Weg hier her schon für anspruchsvoll halte, hat sich die Seniorchefin eingemischt und mir erklärt, dass das doch ein total einfacher Weg ist, da gehn ja auch Kinder. Genau das, was man hören will, nach einer durchfrorenen Nacht. Der Junior hat mir dann erklärt, wie ich am einfachsten wieder  ins Tal komme, da mein Bedarf an Abendteuer damals gedeckt war. Das Verhalten seiner Eltern war ihm wohl doch etwas peinlich, wenn er sich jetzt noch an mich erinnert.
Ich komme ins Gespräch mit zwei Typen, die von der Memminger Hütte her gelaufen sind und mir Horrorgeschichten von der völlig überlaufenen Hütte erzählen, weil es ein Etappenziel für die organisierte Tour auf dem E5, 'in acht Tagen über die Alpen', ist. Dann werde ich dort wohl draußen übernachten müssen.
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unglaublich, aber über diese Spitzen bin ich gerade runter gekommen, dort wo links die Schatten beginnen, dort gibt es eine doch sehr imposante, seilverspannte Kletterpartie.
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am Ende einer Etappe noch einmal siebenhundert Höhenmeter, das liebe ich

auf der grünen Kante die Memminger Hütte, ein sehr willkommener Anblick

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Klar, die Hütte ist voll, sie darf niemanden mehr in den Lagern dazupacken. Ich sage ihr, dass meine Alternative mit dem Biwaksack draußen ist und dass ich über jedes Dach froh bin, dass sie mir bieten kann. Sie öffnet das Winterlager für mich, eine kleine Hütte neben dem Haupthaus und dass ist meine Chance, dem Trubel zu entkommen. Vor dem Winterlager stehen ein paar Bänke und das ist die Gelegenheit für einen besonderen ruhigen Moment, dafür schleppe ich das doch die ganze Zeit mit mir herum.
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was hier im Glas schimmert ist ein wunderbar rauchiger, dreizehnjähriger Gordon&Macphail, eine kleine Destillerie, abgefüllt von Caol Ila. So kann man den Abend stilvoll abrunden.
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In der früh ist Trubbel beim Frühstück, schon um sechs Uhr und ich starte mit dem ersten Trupp der E5ler. Alle Leute, die mir da gestern in der Hütte über den Weg liefen, kamen, gefühlt, fünfzig Kilometer nördlich von Hamburg. Es ist scheinbar so festgelegt, dass jeder Trupp mit ihren zugehörigen Guide, ja, die haben so was, im Abstand von einer halben Stude starten, damit es sich auf dem ersten Anstieg zum Sattel nicht staut. Oben am Sattel wird jeder fotographiert, wie er gerade hinaufklettert. Dann dürfen alle ein Foto von den Steinböcken machen, bevor sie wieder ins Tal nach Zams absteigen. Ich darf kurz nach dem Sattel die E5-Route verlassen und mich Richtung Würtemberger Haus abseilen. Nein ich seile mich nicht ab, nach einem gemütlichen Stück über ein Geröllfeld geht es über einen kräftezerrenden felsigen Grat, da sollte man unbedingt schwindelfrei sein, denn es geht auf beiden Seiten verdammt steil nach unten. Dort warten dann auch zwei Steinböcke extra für mich in fotogener Pose.
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Kurz davor wirft ein Steinbock einen ziemlich großen Stein nach mir, also er steht am Hang über mir und hat halt einen losgetreten. Ich konnte aber ausweichen und ich bin der Meinung er hat schuldbewusst geschaut. Es scheint so, als ob hier auch eine ganze Menge Steinböcke aus Zoos ausgesetzt wurden, denn natürlich gibt es die nicht mehr. Macht sich aber gut. Erinnern mich sofort an die Werbespots für Graubünden mit den beiden Steinböcken, die sich immer lustig machen über diese kletteruntalentierten Menschen.
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diesen unwegsamen Grat bin ich gerade herüber gelaufen, war schon anstrengend
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Vier Stunden hat es von der Memminger Hütte zum Würtemberger Haus gedauert, aber da ich um sieben Uhr los bin, bin ich schon um elf Uhr da. Viel zu früh. Dreieinhalb Stunden soll der Abstieg ins Tal dauern, den ich morgen erst machen wollte. Aber das versuche ich dann heute noch, es geht ja nur bergab.
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... und in Zams bekomme ich auch noch eine erträgliche Zugverbindung nach Hause, was will man mehr. War eine geniale Tour. Die Lechtaler Alpen sehen mich wieder.


Eintrag vom 01.08.2020 


Der Lechweg

Endlich einmal wieder ein richtiger Langstreckenwanderweg, das hat gut getan. Nur bei Langstrecken kann man sich so richtig aus dem Alltag beamen. Angesetzt ist der Weg inzwischen mit 15 Etappen. Leicht übertrieben, aber klar sollen die Wanderer so lange wie möglich im Tal bleiben und Geld ausgeben. Das Lechtal ist auch eine Skiregion, mit Skifahreren kann man natürlich bedeutend mehr Geld machen. Aber ich merke, dass viele ohne Gepäck unterwegs sind, da sie alles zusammen mit Gepäcktransport gebucht haben. Habe ich dieses Mal auch fast so gemacht. Ich wollte nicht jeden Abend eine Unterkunft suchen. Erstens bin ich in der Hochsaison unterwegs und die Auswirkung von Corona kann ich auch nicht so abschätzen. Am Samstag habe ich mich spontan entschieden, mich Sonntag auf den Weg zu machen, weil das Wetter, trotz angekündigter Gewitter passend erschien. Es schien mir auch passend, die ersten drei Nächte in Füssen zu verbringen und jeden Tag mit dem Wanderbus hin und zurück zu fahren. Im Nachhinein die falsche Entscheidung, da es, entgegen der Angaben zur Lechweg-Info, die Activ Card, mit der man den Bus kostnlos nutzen kann, in Füssen nicht als Gästekarte gibt. Und spontan eine Unterkunft in Füssen zu finden ist auch mit Corona nicht leicht. Das einzige vernünftig erschienene Hotel war das Luitpoldpark für 170 Euro die Nacht, es wäre vielleicht 50 Euro wert gewesen, aber so war es halt.
Füssen ist ein nettes Städtchen, aber Fotos habe ich nur bei meinem ersten Lechweg-Versuch vor zwei Jahren zu Ostern gemacht, als ich auf halbem Wege im Schnee stecken geblieben bin.
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Doch dieses Mal ist Sommer und das merkt man am Vergleich der Fotos.

und 2018:
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gut, dass der helle Fleck am Berg im Hintergrund Neuschwanstein ist, muss man wissen, aber königsblauer Himmel an den königlichen Seen.
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Auf dem Panoramaweg bei Elmen habe ich 2018 dann in einer der so typischen Schotterrinnen der Lechtaler Alpen eine kleine Lawine abgegen sehen, auf der anderen Talseite aber ich musste auch über und durch diese Altschnee gefüllte Rinnen. Klein, aber groß genug, um einem Wanderer in gewaltige Schwierigkeiten zu bringen. Da habe ich damals aufgehört. Dieses Mal geht es weiter.
Am ersten Tag fünfunddreißig Kilometer nach Weißenbach.
Am zweiten Tag zwanzig Kilometer nach Elmen. Da hätte ich noch weiter laufen können, aber um sechs Uhr abends fährt der letzte Bus von Reutte zurück nach Füssen und den sollte man nicht verpassen. Von Elmen dauert es aber schon eine ziemliche Zeit, mit dem Bus bis Reutte zu kommen. Ich habe viel Zeit in Bussen und an Bushaltestellen verbracht.
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Am dritten Tag fünfundzwanzig Kilometer nach Holzgau und da habe ich mir eine neue Unterkunft gesucht, um am nächsten Tag von oben, also vom Formarinsee, dem Quellsee des Lechs zu beginnen. Ich war sehr froh, dass ich da nur bergab musste, denn so ohne Bäume und ohne Schatten ist es schon brutal heiß geworden.
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Am vierten Tag geht es fünfundzwanzig Kilometer nach Warth und dort sehe ich den letzten Bus im Tal nur noch von hinten. Da habe ich nun endlich diese Activ Card, mit der ich Busse kostenlos nutzen kann und dann das. In einem Gasthof frage ich nach, ob es da noch irgendeine Möglichkeit gibt, hier weg zu kommen. Der Wirt meint, dass ihm das vor fünfzehn Jahren auch so gegangen sei, plötzlich war der letzte Bus weg und seit dem ist er hier. Aber er sagt mir auch, dass die Leute hier im Tal schon sehr freundlich sind und ich mich einfach mal mit dem Daumen gegen den Wind an die Straße stellen soll. Aber jetzt habe ich erst mal Zeit, um bei ihm noch gemütlich ein Radler zu trinken. Danach komme ich wirklich sehr zügig nach Holzgau, sind halt freundlich, die Leute im Lechtal.
Fünfter und letzter Tag, ja, man schafft die fünfzehn Etappen auch in fünf Tagen. Mir werden heute am Schluss noch fünf Kilometer fehlen, weil ich heute noch aus dem Tal und zurück nach Hause kommen möchte, das dauert. Und dann sind für heute Nachmittag auch Temperaturen von vierzig Grad angesagt worden, da sollte man sich nicht mehr draußen aufhalten und schon gar nicht zu aktiv sein. Am Morgen zogen ganz zügig dunkle Wolken auf, besser gesagt eine dunkle Wolke und mich haben zwei Regentropfen berührt.
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Eintrag vom 31.12.2019
 



Endlich mal London


Die Stadt steht jetzt schon so lange auf meiner ToDo-Liste, nun kann ich sie endlich abhaken. Nein, das sollte jetzt nicht so dramatisch klingen, man muss da schon mal gewesen sein und Frau natürlich auch. Doch ich war da schon mal. Einmal auf einem Tagesausflug, als ich in der Realschule einen Sprachkurs an der Südküste gemacht habe und dann noch einmal als ich von meiner gescheiterten Radtour von Schottland mit dem Zug ankam und mit einem funktionsunfähigen Fahrrad zum Flughafen hinaus musste. Dass war schon ziemlich dramatisch. Ich war naiv davon ausgegangen, dass ich mich einfach in die U-Bahn setze, musste aber feststellen, dass Fahrräder in der U-Bahn nicht zugelassen sind, heute wie damals, aber heute wüsste ich, dass es auch Züge hinaus nach Heathrow gibt. Damals habe ich aber versucht, auch aus Geldmangel, ich hatte noch ein Pfund oder so, per Anhalter mit Fahrrad und Gepäck zum Flughafen zu kommen, Zeit hatte ich dafür eigentlich gar keine. Ich kann mich erinnern, dass ich an einer stark befahrenen Straße stand und absolut keiner anhalten wollte oder konnte. Ich kann mich erinnern, dass mir ein Inder versucht hat zu helfen, aber er hatte auch kein Auto. Ich kann mich erinnern, dass ich irgendwann, also nicht irgendwann, sondern ungefähr eine Stunde vor Abflug an dieser stark befahrenen Straße, weit weg von Heathrow auf die Knie gefallen bin und die Haare gerauft habe, da war ich noch jung und konnte noch richtig verzweifelt sein. Plötzlich hielt ein Taxi neben mir, so ein typisches, großes, schwarzes. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht genügend Geld habe, um ein Taxi zu bezahlen, aber er hat nach dem er mein Story gehört hat, mein Fahrrad auf den Rücksitz gepackt, mich auf den Beifahrersitz gestopft und ist im Eiltempo zum Flughafen gefahren. Dort wollte ich ihm mein letztes Geld geben, aber er meinte, damit sollte ich mir noch zur Beruhigung einen Kaffee kaufen und bei meinem nächsten Besuch in London, dem Taxifahrer ein kräftiges Trinkgeld geben. An einen Kaffee zur Beruhigung war natürlich noch lange nicht zu denken. Ich habe gleich am Eingang eine Mitarbeiterin von British Airways angesprochen und ihr im Eiltempo mein Problem geschildert, in der Kürze: 10 Minuten bis Abflug. Im Eilschritt sind wir zum Sicherheitscheck gelaufen, das war noch vor 9/11, da war noch alles lässiger. Unterwegs hat sie schon Kontakt zum Flugpersonal aufgenommen. Vermutlich kam dann die Durchsage im Flugzeug: Wir warten noch auf Passagiere eines Anschlussfluges, kennt man. War halt dann nur ein Passagier, ich, aber ich bin nach Hause gekommen.

Dramatisches im Zusammenhang mit einem Taxi scheinen aber bei mir zu London Besuche zu gehören. Ich habe den ersten Zug des Tages von Singen zum Stuttgarter Flughafen gebucht, aber der war schon ziemlich knapp. Hätte aber geklappt, denn ich hatte nur Handgepäck und die Bordkarte schon in der Tasche.
Ich bin wie üblich überpünktlich am Bahnhof. Kurz vor Abfahrt des Zuges kommt die Durchsage, dass der Zug 30 Minuten Verspätung haben wird. Jetzt klappt das nicht mehr mit dem Flug, war mein erster Gedanke, bevor ich zur Taxizentrale laufe. Die ist natürlich noch geschlossen, aber ein Taxi fährt gerade vor. Ich frage ihn, was ein Taxi zum Stuttgarter Flughafen kosten würde. 350€. Da hat ja mein Flug nur ein Bruchteil gekostet. Aber die Bahn bezahlt doch das, wenn ich den Flug sonst nicht erreiche, ich soll mir einen Schein dafür holen. Schalter sind natürlich noch nicht offen, nur die Ein-Mann-Besetzung der Nachtschicht und da stehen jetzt schon gefühlte 2000 Leute. Normal bin ich ja immer so was von geduldig, aber Geduld war jetzt nicht mehr mein Thema. Ich brülle nach vorne, dass ich meinen Flug nicht mehr erreiche. Ich soll warten bis ich dran bin, meint er. Hätte ich an seiner Stelle auch gesagt. Als ich endlich dran bin und er meine Abflugzeit hört, knurrt er, ‚schon knapp‘. ‚Ich hätte noch eine Stunde gehabt, wenn der Zug rechtzeitig angekommen wäre‘. Er knurrt weiter und sucht nach einer noch möglichen Verbindung, findet keine und macht nun ein paar dramatische Schritte zu einem Regal, zieht dramatisch einen Ordner heraus, auf dem vermutlich stand ‚Achtung, nur im Notfall benutzen‘, füllt ein kleines Formular aus und meint dann etwas freundlicher: ‚Damit können Sie ein Taxi nehmen.‘ Der Taxifahrer von vorhin bringt mich zum Flughafen und wir kommen früher an, als der Zug angekommen wäre. In Singen habe ich mir noch gesagt: ‚Fängt ja gut an‘, aber eigentlich lief der Rest des Urlaubs unter dem Motto: ‚Aller Anfang ist schwer‘.
Ich bin noch nie geflogen, ohne irgendetwas, mich oder Gepäck, einzuchecken, kam mir irgendwie ungenügend vor, aber am Sicherheitsgate wurde meine selbst gedruckte Bordkarte akzeptiert und schon war ich am Gate, viel zu früh und mit einer Stunde Zeitverschiebung auch noch viel zu früh in London und trotz einstündiger Zugfahrt, stehend im völlig überfüllten Zug, umfallen konnte man nicht, viel, viel, viel zu früh am Hotel. Mein Zimmer war natürlich noch nicht fertig, ich kann meinen Koffer schon hier lassen und soll um 3 Uhr wieder kommen. Also schon mal ins Gewirr in Soho eintauchen. Seit ich ins Taxi gestiegen bin hat alles erstaunlich einfach geklappt. Erst der Abflug ohne Einchecken, dann am Bahnhof von Gatwick Airport ein Zugticket bis Victoria, mit dem ich für ein Pfund extra auch den gesamten öffentlichen Verkehr in London an diesem Tag nutzen konnte. Die Travel Card ab morgen für 7 Tage könne ich mir erst in London kaufen. Am Viktoria Bahnhof habe ich die dann auch bekommen und zu Hause auf dem U-Bahn-Plan habe ich mir schon herausgesucht, in welche U-Bahn ich einsteigen muss und wo ich umsteigen muss, alles Bestens Und das aller Beste ist, dass mein Fuß, den ich seit erst 2 Tagen wieder benützen darf, erstaunlich gelassen bei allem mit macht. An der Haltestelle Leicester Square bin ich auch gar nicht erst in die falsche Richtung der Caring Cross Street gelaufen und schon stand ich vor meinem Hotel. Das war allerdings so klein, also das Haus war so schmal, dass ich es erst gar nicht ernst genommen habe, aber beim abzählen der Hausnummern wurde es mir schon klar. Die Hotelfront war nur so breit, wie die Eingangstür, der Rest lag in der Höhe und nach hinten hinaus. 95 Zimmer stand in der Beschreibung, da müssen noch einige Hinterhäuser dazu gehören.
Ich stürze mich aber erst einmal in Soho hinein und von nun an wird ein jeder echter London Besucher sagen, ich war gar nicht in London, denn ich habe überall einmal vorbei geschaut, wo alle Touris hingehen, habe aber kein einziges der Touri-Dinge gemacht, ich habe Eindrücke gesammelt und davon reichlich.
Zuerst habe ich festgestellt, dass ich gleich neben Harry Potter wohnen werde, also dem Theater, das nun die Geschichte als Musical fortsetzt. Die Engländer lieben Musicals. Ein Theater neben dem anderen, ein Musical nach dem anderen und schaltet man den Fernseher an, gibt es zur Weihnachtszeit auch meistens nur Musicals. Dann wohne ich und Harry Potter gleich bei China Town, Dim Sam essen steht ganz oben auf der Liste und schon sehe ich, dass das überall angeboten wird. Sofort fällt mir auf, dass sich alle asiatischen Touristen scheinbar in China Town versammeln. Schweizer, Österreicher und Süddeutsche findet man weltweit auch auffallend oft in der Nähe von Bergen. Der Berg ruft, kann ich nachvollziehen. Und irgend so etwas ruft auch den Asiaten nach China Town.
Um 3 Uhr bin ich wieder im Hotel, aber mein Zimmer ist immer noch nicht fertig. Ich soll erst einmal im Café was auf Kosten des Hauses trinken. Ich trinke natürlich Tee. Dann ist mein Zimmer fertig und es ist genauso wie beschrieben: klein wie eine Schiffskabine. Die Zimmertiefe wird durch die Länge des Betts bestimmt, dass genau hinein passt. Daneben ist noch mal ein knapper Meter als Wendebereich, in dem auch ein kleiner Tisch und ein Würfel als Hocker stehen. Auf der andern Seite des Wendebereichs ist eine Glaswand zur Nasszelle, selbe Größe wie der Bettraum, mit Toilette, Dusche – bitte Duschen nur bei geschlossener Tür – und ein Miniwaschbecken. In der Nasszelle ist auch ein Fenster, natürlich mit Milchglasscheiben, denn dort draußen, also wirklich draußen, ist der Aufgang zu allen Zimmern. Der Hinterhof ist das Treppenhaus. Es gibt einen Aufzug und dann Treppen und Brücken zu den Zimmern, die auf einige andere Häuser verteilt sind. Erst habe ich überlegt, wo ich meine Kleidung verstaue, ohne buchstäblich aus dem Koffer leben zu müssen, der auch nur unter dem Bett Platz hat. Gut, dass mein Koffer nur Handgepäckgröße hat. Aber in minimalistischen Dingen bin ich ja voll im Element und so bin ich bald eingerichtet.
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Im Fernsehen gibt es gleich einmal einen Wetterbericht, von dem der Plan für die nächsten Tage abhängt und dann schau ich mir natürlich gleich ein Musical an, auf dem megabreiten Bildschirm ist das fast wie live: The Beauty and the beast.
Der erste Tag ist zum Ankommen, ein bisschen Rumschauen, ein bisschen Reinschnüffeln, ein bisschen Planen, ein bisschen Abhängen.

Am zweiten Tag, es ist Sonntag, geht es in die City, am Sonntag ist da nicht viel los. Ist schon klar, dass ich Frühaufsteher bin? Aber ich habe mir den Wecker auf 6 Uhr gestellt und mir fest vorgenommen nicht früher aufzustehen. Auf dem kleinen Tisch stehen ein Wasserkocher und ein Sortiment an Kaffees und Tees. Der Tag beginnt also erst einmal mit Tee trinken und dem aktuellen Wetterbericht. Im Frühstücksfernsehen gibt es auch immer einen aktuellen Bericht über die U-Bahn, welche Linien fahren, welche wo nicht und so. Habe ich aber am ersten Tag noch nicht richtig wahrgenommen. In der U-Bahn Richtung Tower, wurde irgendetwas durchgesagt von ‚… fährt nicht von … nach …‘ die Orte haben mir rein gar nichts gesagt, aber letztendlich war das genau meine Strecke. Ich stehe als einzige am Bahngleis und werde auch sofort vom Personal angesprochen, wo ich den hin will, Tower?, dann den Bus 15 von Strand. Ich weiß natürlich sofort, dass Strand die große Straße gleich um die Ecke ist, fühle mich schon voll zu Hause. Nur dass ich die Bushaltestelle natürlich erst einmal auf der falschen Straßenseite suche, Anfängerfehler, aber witzigerweise steht an allen Fußgängerübergängen ‚look left‘ oder ‚look right‘ mit fetten Pfeilen, schon blöd wenn man eines der wenigen Länder ist, wo alles anders herum läuft. Sie waren es wohl irgendwann leid, ewig den blutigen Matsch von den Touris von den Straßen zu wischen. Kurz überlege ich noch, ob er jetzt 15 oder 50 gesagt hat, aber es gibt nur eine Nummer 15. Dann fahre ich also gleich überraschend schnell mit einem dieser genialen roten Doppeldecker. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, wie ich es schaffe, das Bussystem schnell zu durchblicken, weil man so natürlich viel mehr von der Stadt sieht. Es ist noch dunkel und der Bus noch leer, mit meiner 7-Tage-Travel Card kann ich alles benutzen, so oft ich will.
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Am Tower suche ich erst einmal eine Möglichkeit zum Frühstücken und finde einen Starbucks, da gibt es weltweit immer guten Kaffee, also hinein und eine Toilette wäre jetzt auch schön, aber die ist out-of-order. Dann erst mal einen Kaffee und einen Schokomuffin bis die Sonne auf geht und ich durch die Glasfassade einen genialen Blick auf die Tower Bridge, die City und die aufkommenden Touristenströme habe.
Dann setze ich mich einfach wieder in den Bus Nummer 15, fahre zurück zum Hotel und meiner eigenen Toilette und beginne die Tour noch einmal von vorne. Jetzt bei Helligkeit sehe ich auch den Adler an der Grenze zwischen Westminster und City, dort wo sogar der König warten musste, bis er vom City Major die Erlaubnis bekam, die City zu betreten. Ich darf durchfahren, ich habe eine Travel Card. Die Sonne scheint, als ich am Tower die Themse entlang und an der London Bridge in die City laufe.
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Hier gibt es für mich natürlich nur einen Höhepunkt, den Leadenhall Market. Wer Harry Potter gesehen hat, also den Harry Potter, neben dem ich derzeit wohne, der weiß, dass man hier Zauberstäbe und so was kaufen kann. Leider haben die Geschäfte am Sonntag geschlossen.
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Natürlich bin ich auch noch zur St. Paul’s Cathedrale gelaufen und ein bisschen drum herum, aber um 2 Uhr war ich dann 7 Stunden auf den Beinen und mein noch nicht ganz intakter Fuß hat sich immer mehr verkrampft. Also setze ich mich wieder in meinen schon arg vertrauten Bus Nummer 15 und fahre zurück. Gestern hatte ich beim Hotel gleich um die Ecke die vermutlich beste Pizza Londons gegessen und die wollte ich nun auch wieder. Nur 5 Pfund und die Größe ist absolut ausreichend für mich. Mein Zimmer ist noch vom Service unberührt und als sie klopft, lasse ich mir nur wieder ausreichend Tee und Milch geben.


Der Wetterbericht für den zweiten Tag war schon im Voraus als der Beste angekündigt, also ist das der richtig Tag für Greenwich. Neben dem Leadenhall Market ist Greenwich auch einer der wenigen Punkte, die auf meiner ToDo-Liste stehen. Auch hier gibt es natürlich einen Starbucks, einen guten Kaffee, einen Schokomuffin und eine Toilette out-of-order. Heute verstimmt mich das etwas, weil die Anfahrt zwar auch erst einmal wieder mit dem Bus Nummer 15 ging, aber jetzt bis zur Endstation und dann noch weiter mit der Bahn. So leicht zurück zu meiner Toilette ist heute nicht, also durchhalten. Das Dorf ist wirklich zauberhaft und das mitten in London. Wenn ich in London wohnen würde, dann auf jeden Fall hier. Ich durchlaufe den Park und oben am Observatorium gibt es einen fantastischen Ausblick auf die City. Das Queen’s House möchte ich mir von innen ansehen. Am Eingang sieht mich ein älterer Herr erwartungsvoll an, so viel Aufmerksamkeit macht mich immer nervös. Was erwartet er jetzt von mir? ‚I would like to see the house of Queen, sage ich ihm dann. Sein Schlagwort war dabei, denn sofort erklärt er mir, wie und wo ich am besten anfange, entschuldigt sich für die wegen Renovierung geschlossenen Räume und wünscht mir einen schönen Aufenthalt. Ich bedanke mich höflich und beschließe, den Toilettenbesuch am Schluss anzuhängen. Der König hat dieses Haus für seine Frau als Entschuldigung bauen lassen, weil er einen ihrer Hunde bei der Jagd aus Versehen erschossen hat.
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Auf dem Rückweg ins Dorf treffe ich auf die üblichen Ströme von Touristen, aber mein Tag ist fast schon zu Ende. Am Morgen bin ich durch einen Fußgängertunnel unter der Themse hindurch gelaufen. Das fand ich schon beeindruckend, dass ich jetzt unter der Themse war. Zurück will ich einen Bus nehmen. Das Bussystem ist gar nicht so kompliziert. Zu wichtigen Punkten in der Stadt gibt es von überall her Busse und schon sehe ich einen Bus zum Trafalga Square, das ist 10 Minuten Fußweg von meinem Hotel entfernt. So sehe ich die gesamte Südseite der Themse und fahre an etlichen Fish Bars vorbei. Fish n‘ Chips stehen natürlich auch noch auf dem Plan, aber heute ist Dim Sam angesagt. Die Auswahl an Restaurants ist, wie schon erwähnt sehr groß, ich wähle eines vor dem die Schlange der Wartenden nicht zu lange ist, aber warten ist hier üblich. Sie haben einen großen Tisch, an den sie einzelne Gäste setzen. Ich habe schnell meine Dreier-Kombination ausgewählt. Gegenüber von mir setzt man einen älteren Herrn in Geschäftsoutfit. Die Rindfleischkugeln sind so schwer, dass mir eine davon von den Stäbchen in die Schüssel mit der Sojasoße fällt. Ich fühle die Soße auf meine Bluse klatschen, als ich den Blick etwas hebe, sehe ich, dass der Schaden größer ist. Kleine Seen Sojasoße über den Tisch verteilt. Ist mir jetzt sehr peinlich. Ich entschuldige mich bei dem älteren Herrn, er trägt es mit Fassung. Er hat den kleinen Fleck auf seinem schicken Hemd noch nicht gesehen.
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Da heute der letzte Tag ist, an dem noch die Geschäfte offen sind, ist heute die Oxford Street und ein Abstecher nach Chelsea und zu Harrods fällig. Nach Shoppen steht mir nicht der Sinn, aber man muss da schon mal gewesen sein. An der Oxford Street hat es mir natürlich das Gebäude von Liberty angetan. Natürlich hat das Kaufhaus so früh noch nicht offen, aber das Gebäude von außen muss man gesehen haben. Heute versuche ich es in einem Costa Café, aber der Kaffee ist hier einfach nicht so gut und der Muffin auch nicht und eine Toilette habe ich heute gar nicht gebraucht. In Chelsea laufe ich erst einmal die falsche Straße entlang, ich laufe sie lange entlang, bis mir klar wird, da kommt niemals mehr Harrods, aber ich habe nun eine ganze Menge dieser Victorianischen Nobelwohnsitze gesehen und bemerkt, wenn diese Leute morgens mal schnell zum Bäcker laufen, wenn sie es denn noch selbst tun, dann tun sie das nicht im Jogging Anzug, sondern im Nerz. Ich fahre die Strecke wieder mit dem Bus zurück, inzwischen mache ich das schon fast wie ein Einheimischer, also ich habe halte keinen Nerz an, und starte dann noch einmal in die richtige Richtung. So wie ich von den Bergen und die Asiaten von China Town angezogen werden, so werden Araber, also die zweibeinigen, nicht die vierbeinigen, von Chelsea und Harrods angezogen. Ich laufe völlig gelassen durch die Abteilungen und freue mich, dass ich nicht so viel Geld habe, dass ich diese idiotische und peinliche Designer Kleidung kaufen und dann auch noch tragen muss. Meine Armani Jeans ist da natürlich eine Ausnahme! Heute ist die letzte Chance für die Weihnachtsgeschenke und die nutzen verdammt viele noch, wie bei uns. Die Geschenke gibt’s aber hier erst am Morgen danach. Heute wird nur gegessen. Auf meinem Plan steht heute eine große Schüssel Nudelsuppe, die waren in Taiwan immer besonders lecker und ich wurde nicht enttäuscht. Sie weist mich extra darauf hin, dass das eine Suppe ist und keine gebratenen Nudeln, sonst essen Nicht-Asiaten scheinbar nur gebratene Nudeln, aber ich bestätige ihr, dass das genau das ist, was ich haben möchte.
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Heute ist der wichtigste Tag überhaupt. Heute mache ich mich auf den Weg nach Westminster. Gut, dass das nicht weit von meinem Hotel entfernt ist, denn heute geht gar nichts, aber auch wirklich nichts. Keine U-Bahn, keine Busse, nur die Touri-Sight-Seeing-Busse, die gehen immer. War mir jetzt nicht so klar. Ich frage den ersten, der mir über den Weg läuft, ob gar keine Busse fahren. Klar fahren Busse, meint er und da merke ich, dass er so zugedröhnt ist, dass er gar nicht weiß, was heute für ein Tag ist, außerdem fährt er Fahrrad, aber er lädt mich zu sich nach Hause ein, da hat er noch was zu rauchen. Voll nett. Ja, das kommt vor, wenn man zu Zeiten aufsteht, zu denen andere noch nicht mal zu Bett gehen. Ich finde es selbst heraus, es fährt gar nichts. Ich laufe zum Trafalgar Square, von dort in den Hyde Park und weiter zur Westminster Abbey. Die ist heute natürlich geschlossen, aber muss sie auch. Um 10:30 Uhr ist eine Messe und da will ich hin, nicht dass ich plötzlich religiös geworden wäre, aber…
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Auf der Westminster Bridge geht die Sonne auf und spiegelt sich im House of Parliament, beeindruckend. Auf der anderen Seite finde ich im Park Hotel ein offenes Café. Dann heute Kaffee von Illy, also ungarisch, und dazu ein Croissant mit Schinken und Käse. Und nun kann ich meinen Schüttelreim oder was immer es ist fortsetzen: Ich fühle mich von den Bergen, die Asiaten von China Town, die Araber von Chelsea angezogen, die US-Amerikaner von Westminster. Vielleicht ist es der militärisch angehauchte Trafalger Square oder Buckingham Palace, vielleicht hätten sie auch gern einen König, aber jetzt haben sie ja Trump, ist noch besser wie König.
Nach dem Frühstück ist es noch zu früh für die Messe, aber so nennen es die evangelischen gar nicht, da habe ich mich Weihnachten im Berliner Dom schon mal peinlich geoutet. Gut dass das hier service genannt wird. An der Westminster Abbey stehen schon Leute in der Schlange vor dem Sicherheitspersonal. Doch nicht zu früh. Es ist alles voll durchorganisiert, überall stehen Leute, die die Besucherströme lenken. Ich bekomme einen Platz zugewiesen. Kurz vor Beginn der Messe werden Leute noch nach vorne geholt, weil noch Plätze frei sind, ich auch, aber ich lehne ab, ich möchte gar nicht in der ersten Reihe sitzen. Jeder hat eine Broschüre bekommen, damit man die Gebete mitsprechen und die Lieder mitsingen kann. Das erste Lied, der übliche brummende Sing-Sang von Leuten, die eigentlich nicht singen können. Doch schon höre ich es, erst achte ich gar nicht darauf, doch es ist nicht lange zu ignorieren. Diese sehr hohe klare Stimme, die den Sing-Sang um mich herum übertönt. Darum bin ich hier. Ich habe eine CD vom Westminster Abbey Choir mit Gregorianischen Gesängen. Wunderbare Musik, wunderbar gesungen. Und nun höre ich sie live, es ist zum Heulen schön.
Auf dem Rückweg mache ich noch einen kleinen Schlenker nach Covent Garden hinüber, auch da ist es heute sehr, sehr ruhig. Eigentlich wollte ich in China Town etwas Essen. Chinesen haben doch nie Feiertag, aber auch hier ist fast alles geschlossen und vor den wenigen offenen Restaurants stehen ewig lange Schlangen. Ich beschließe mir eine Packung Schokokekse zu kaufen und mir im Hotel dazu einen Tee zu machen.
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Heute ist Regen angesagt und daran ist auch nicht zu zweifeln. Es schüttet schon am Morgen. Ich habe heute Museen eingeplant. Am British Museum finde ich auch einen Starbucks und die Toilette ist funktionsfähig. Als ich pünktlich um 10 Uhr zum Museum hinüber gehe, steht dort ein Schild, dass heute geschlossen ist. Was nun? Busse fahren heute wieder und auch die meisten U-Bahnen. Darum fahre ich in alle Himmelsrichtungen mit einer U-Bahn am meine Zonengrenze und suche mir dort einen Bus, mit dem ich wieder ins Zentrum zurück komme, so kann man auch bei Regen viel sehen. Zurück in Soho gibt es Chips, der Fish dazu wäre mir jetzt zu viel.
Heute Morgen fahre ich gleich zum Hyde Park hinüber. Das was ich vorgestern für den Buckingham Palace gehalten habe, war er wohl nicht, woher soll ich denn wissen, wie der aussieht? Jetzt stehe ich endlich vor ihm, eindeutig, da steht ein Schild mit ‚Buckingham Palace‘ drauf. Und heute hat das British Museum offen und wo der Starbuck ist, weiß ich ja auch schon. Nach 4 Stunden Museum streikt mein Fuß, für so ein Museum bräuchte man Wochen, um alles würdigen zu können.
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Heute lasse ich es ruhig ausklingen, es ist mein letzter Tag. Mein Rückflug ist zwar morgen erst am späten Nachmittag, aber da bin ich viel zu nervös, um noch irgendetwas zu besichtigen.
Zuerst muss ich zur Victoria Station um das Ticket zum Flughafen zu kaufen. Dann fahre ich hinaus zu Regent Park und spaziere etwas herum. Dort sehe ich wieder die Hörnchen, die man überall sieht, wo es einen Quadratmeter Grün gibt. Sie kommen sofort angelaufen, sobald man sie anspricht. Dann versuche ich es noch einmal in Covent Garden, aber für Straßenkünstler ist nicht das richtige Wetter und auch hungrige Künstler möchten Weihnachten feiern. Zurück in Soho entschließe ich mich spontan das Steak-Restaurant aufzusuchen, an dem ich die letzten Tage immer wieder vorbei gelaufen bin. Bisher habe ich auch hier oft eine Schlange davor stehen sehen, heute stehen zwei vom Restaurant davor, um Kunden zu fangen. Als ich gerade die erste Stufe hinauf will kommt er mir schon werbend entgegen und ich, nicht darauf vorbereitet, weiche erst mal wieder zurück. Da greift sie ein und kommt auch noch auf mich zu, meint zu ihrem Kollegen, dass er die Kunden nicht erschrecken soll. Und wieder diese geballte Aufmerksamkeit, aber ich fasse mich und folge ihr zu einem Tisch. Das Angus stammt aus Aberdeen, klingt nicht schlecht, war auch nicht schlecht, aber das Angus-Steak in meinem Lieblingsrestaurant in Budapest ist besser, viel besser.
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Letzter Tag. Ich bleibe lange in meinem Zimmer, aber um 10 Uhr halte ich es nicht mehr aus. Am Victoria Bahnhof bringe ich meine Travel Card zurück und bekomme dafür 5 Pfund zurück. Mein Bargeld habe ich verbraucht, das reicht jetzt noch einmal für einen Kaffee und einen Schokomuffin bei Starbucks. Am Flughafen bin ich viel zu früh, der Zug dorthin war heute nicht so voll, ich konnte sitzen. Bei der Landung in Stuttgart freue ich mich, dass ich überraschend früh dran bin und damit noch weit vor Mitternacht Zuhause sein werde, aber zu früh gefreut. Mein Telefon braucht etwas, bis es die Zeitverschiebung angepasst hat. In London war es immer zwischen 7 und 10 Grad warm. Im schwachen Licht aus dem Zugfenster sehe ich weiße Büsche und weißes Gras, kein Schnee, Frost und das heißt Kälte. Zuhause freue ich mich, dass ich dieses Mal nicht die Heizung zu weit herunter gedreht habe, die Betonwände würden 2 Tage brauchen, um wieder warm zu werden.
Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Einkaufszentrum wundere ich mich, dass an der Bushaltestelle kein roter Doppeldecker hält, aber sonst ist alles gut.
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... und dann noch etwas:
Reiseerinnerungen in Papierform klebe ich, seit ich die Wohnung habe, innen an die Eingangstür. Als ich die Broschüre zum christmas service in der Westminster Abbey an die Tür kleben wollte, hätte das nur noch ganz unten am Boden Platz gehabt. Das ging gar nicht. Ich habe alle bestehenden Erinnerungen in ein Album geklebt, um sie vermutlich irgendwann zu entsorgen, aber erst irgendwann, und habe mit London wieder oben begonnen.
Da ist mir ein Foto aus sehr alten Zeiten untergekommen. Über eine rein wissenschaftlich statistische Erhebung über Haribo Goldbären. Ich bin gleich noch mal in die Stadt und habe eine Packung gekauft, um eine neue rein wissenschaftliche Untersuchung über temporäre Unterschiede zu machen, die zu folgenden Erkenntnissen führte:
1. die Zeiten sind besser, die Packung ist größer
2. Gummibärchen haben jetzt Geschmack, darum muss es zwei Rottöne geben: Johannisbeere und Erdbeere
3. damaliger Gewinner war eindeutig Rot und Orange
4. Aktuelle Gewinner sind Dunkelrot und Grün, dicht gefolgt von Orange
5. Wichtigste Erkenntnis: Ich habe festgestellt, dass ich mich kaum geändert habe, für Blödsinn bin ich (fast) immer zu haben, irgendwie beruhigend
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Eintrag vom 12.06.2019


Costa Rica, du musst dich jeden Tag wieder zwingen

Man(n), wie die Zeit vergeht. Ich bin natürlich seit eineinhalb Wochen schon wieder zu Hause.

Es war alles gaaanz anders als geplant, aber genau so war es richtig.
Ich bin nicht wandern gegangen oder zumindest nur zweieinhalb Stunden, versucht habe ich es, aber die Luft dort konnte man mit dem Strohhalm trinken aber nicht einatmen, zumindest meinte das meine Lunge und nach einigen Überlegungen habe ich ihr nachgegeben. Habe mich in den nächsten Bus an die Karibikküste gesetzt und bin dort mehr oder weniger 3 Wochen in Puerto Viejo hängen geblieben. Eigentlich der volle Partyort, aber ab Ostern ist Schluss mit Party, die beginnt erst wieder im Dezember und übrig bleibt dann nur das Reggae Rasta Feeling und das war sooo gut. Ich habe mich jeden Tag wieder gezwungen, nichts zu tun und ich hab's geschafft. Tschakka.
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mein tägliches Frühstück

der Weg zu meinem Lieblingsstrand

mein Lieblingsstrand

klar hat es einmal am Tag geregnet, aber das war dann die Zeit um auf meiner Terasse in der Hängematte zu liegen und Eidechsen und Kolibris zu beobachten
ne, sieht man nicht, sind viel zu schnell
und einmal war's richtig stürmisch

und wenn ich mal Zeit hatte, bin ich Tieren hinterhergerannt, aber die sind schlau

die waren mindestens 12 cm lang, beeindruckend finde ich den King im Hintergrund

Pflanzen lassen sich einfacher fotografieren

meine Lieblingspalme oder Busch oder Baum oder was war das eigentlich?

am Playa Negra

in diesem Land wächst überall etwas, auch auf verrosteten Schiffen

und noch mal ein bischen Strand

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Eintrag vom 02.05.2019


... nun war ich auch mal auf Mallorca

16. April
meine erste Pauschalreise, aber alles war bestens, alle Transfers haben super geklappt, von Singen bis ins Hotel Eden in Port de Sóller.  Hotel super, und gleich mal ein kleiner Rundgang durch den Hafen, mehr als Promenade ist da auch nicht.

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totaler Sonnenschein


17. April
auch am nächsten Tag noch Sonnenschein und da ich wusste, dass sich das bald ändern soll, bin ich gleich los zur ersten Wanderung
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hätte nicht gedacht, dass es hier so alpin ist, nur 900m hoch, aber man fängt ja auf Meereshöhe an

18. April
es ist Regen angesagt, dass schau ich mir erst mal vom Hotelzimmer aus an. Ich will ja auch noch Spanisch lernen und den Costa Rica Reiseführer durchlesen.

19. April
schlechtes Wetter ist hier nicht so schlecht wie bei uns schlechtes Wetter ist, nur etwas bewölkt, also zieh ich gleich mal wieder los. Erst nach Sóller, die Stadt, und weiter in ein kleinnes Dorf in ein Seitental, aber der starke Wind, eigentlich schon Sturm, treibt mich bald wieder zum Hafen zurück und hier ist Ruhe erst später kommt auch hier Sturm auf
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20. April
heute will ich mal in das Städtchen Sóller, heute soll dort Markt sein

Der Markt war in einer Halle und bestand aus gefühlten 3 Ständen, die Stadt eher enttäuschend, aber die Kirche macht Eindruck.

21. April
da ist dann Wandern schon besser. Sóller ist wie Kufstein umrahmt von Bergen, da sollte doch eine Gradwnderung möglich sein. Erst verliere ich den Weg und schlage mich Steinterrasse um Steinterrasse nach oben (die wurden wegen der Olivenbäume angelegt, wie bei uns die Weinberge nur größer), dann finde ich einen Weg mit roten Farbpunkten und ich liebe diese roten Punkte, ein schöner Weg
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und dann steh ich voll im Nebel und will hier nur wieder runter

zwischen zerklüfteten Felsen verliere ich wieder den Weg und rutsche auch noch auf einem nassen Felsen aus, es hat nämlich auch noch zu regnen angefangen

22. April
jetzt habe ich mir erst mal wieder einen Ruhetag verdient, außerdem regnet es heute richtig. Beim Sturz von gestern hat mein linker Mittelfinger was abbekommen, er ist ganz dick und ums mittlere Gelenk ganz dunkel.

23. April
heute ist wieder tolles Wetter, da muss ich los. Der Mittelfinger wird zum Schutz mit den nächsten Finger zusammengeklebt. Mit dem Bus gehts zum Kloster Luc, von da sind es 30 km zurück nach Sóller, also eine richtige Tour.
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war echt ne tolle Tour

24. April
letzter Tag und darum nur noch ein bischen Strand, halt mal die Füsse ins kalte Wasser gesteckt


25. April
Rückflug und die Alpen sind noch erschrecken schneebedeckt, also nix mit bald mal Wandern in den Bergen

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Eintrag vom 17.03.2019


Budapest, ein Eldorado des Jugendstils
das Wetter war nicht so sonderlich gut
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beim nächsten mal unbedingt im Vier Jahreszeiten,
gleich rechts der Brücke, das schönste Gebäude der Stadt,
muss ich halt noch ein bischen sparen

der Dom


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die Markthalle


mein Hotel, in die Jahre gekommen, aber sie tragen es mit sehr viel Würde

die Burg


da war vor kurzen noch ein Museum drinnen, wollte ich unbedingt rein, nicht wegen der Sammlung, aber wegen den Innenräumen,
die sollen genial sein, da war aber kein Museum mehr, schade


Klosterkirche auf der Donauinsel. In dem Kloster musste die arme Tochter von König Stefan für die Sünden der Familie beten und die haben ganz schön gemetzelt, aber im Namen der Kirche und darum wurde er heilig gesprochen.Sie wurde erst kürzlich heilig gesprochen, war aber nur so ein beiläufiges Zugeständnis


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die alte Post, das schönste Jugendstilgebäude der Stadt, ist aber leider von allen Seiten gut verbaut


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die Synagoge und das geschäftigste Treiben der Stadt


das Parlament

hier war im Sissyfilm die Krönung zum ungarischen König

der weiße Stein der Fischerabtei kommt erst bei Sonne so richtig zur Geltung


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Eintrag vom 28.09.2018

 
der Adlerweg final

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ich bin älter geworden und scheinbar auch etwas reifer, was heißt cleverer, wie ich meine. Ich lasse es ruhiger angehen, altersgemäß. Als aller Erstes ist eines einmal klar, die vier ersten Etappen des Adlerwegs gelten schon, auch wenn ich die nun schon vor, ich glaube es nicht, zwei Jahren gelaufen bin. Man, wie die Zeit vergeht. Damals ging es durch das Kaisergebirge, entlang des Wilden Kaisers, dem Bergmassiv, dass es mir schon in meiner Kindheit angetan hat, diese Form, dieser mächtige Klotz, der da in der Landschaft steht, hat sich irgendwann im meiner Hirnfestplatte eingebrannt. Darum hier erst mal rückblickend der Bericht von damals:


Klappe die Erste
Der Adlerweg – Fortsetzung folgt

Tag 00
Sechs Stunden arbeiten, sechs Stunden fahren in völlig unterkühlten Zügen. Als ich mich zum Schluss auf eine wohltemperierte Regionalbahn freute, ist das die Unterkühlteste, gefühlte Minusgrade. Ab Rosenheim kommen die Berge auf mich zu. Bei Kufstein bin ich mittendrin und überzeugt, dass man so schroffe Berge gar nicht erklimmen kann. Ich bin halt eher an die sanften Hügel des Schwarzwalds gewöhnt. Kurz vor St. Johann fahre ich am mächtigen Wilden Kaiser vorüber und bin sehr froh, dass ich morgen nur über den zahmeren Teil muss. An der Rezeption der Pension ist keiner mehr, aber ich hatte doch geschrieben, dass ich so spät komme. Ich spreche andere Gäste an und eine fragt nach meinem Namen. Ja da liegt ein Brief für mich im Postkasten, alles drinnen, alles Bestens. Kurz habe ich den Gedanken noch einmal kurz durchs Zentrum zu bummeln, aber ich bin ja gerade auf dem Herweg etwas abgeschweift und gebummelt, viel war da ja nicht. Ich war heute schon um vier Uhr wach, das war ein langer Tag. Also: Frühstück um halb acht.

Tag 01
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Gleich nach St. Johann hat mich der super Schauer erwischt, da hat der Poncho nicht mehr gereicht, da brauchte ich sogar die Regenhose, aber es war halt noch warm und dann hab ich auch gleich ziemlich zu schwitzen angefangen. Der Schauer dauerte nur fünfzehn Minuten, aber es sah so bewölkt aus, das ich noch den halben Tag mit hochgeklapptem Poncho und Hose weitergelaufen bin, dann habe ich es gewagt, sie halbfeucht weg zu packen, ganz nach dem Motto: bei starkem Nebel regnet es nicht, aber der Wilde Kaiser lugt immer wieder mal durch.
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Auf der Gaudeamushütte habe ich auf eine Johannisbeerschorle Halt gemacht und den nächsten Regenschauer ausgesessen, bin ganz nett mit einem gemischten fränkisch-tirolerischen Trupp ins Quatschen gekommen. Hab mir die ganze Zeit die Wand hinter der Hütte angesehen und überlegt, wo nun das Klammerl ist, dass ich nun hoch muss. Da ist so ein überdimensioniertes, verdammt steiles, leeres Bachbett, das den Kaiser hinunter läuft. Das kann‘s ja wohl nicht sein. Das ist es dann doch, also nicht im Bachbett, weil näher betrachtet die Kiesel fast alle zwei Meter dick sind, aber daneben ist ein Pfad. Steil war’s ja heute schon mal vor der Regalm, dann wieder hinunter und dann gleich wieder hoch, immer so vierhundert Höhenmeter. Und nun wieder, mit Kletterpassagen, dort wo auch die ganzen richtigen Klettersteige sind.
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Der Wilde Kaiser ist berühmt bei Kletteren, habe auch zusammen mit fünf italienischen Profikletteren zu Abend gegessen, ja heute habe ich auch mal zu Abend gegessen. Dann rückten die achtunddreißig Leute aus Waging an, über die Hälfte Kinder, aber die haben sich geradezu anständig benommen. Die Gruttenhütte war eigentlich voll und es ist keine Schutzhütte, ich habe noch nicht herausgefunden, wie man DAV Schutzhütten erkennt, also die, die Bergsteiger zu jeder Zeit aufnehmen müssen. Die Wirtin hat erst gesagt, dass sie total voll ist, aber dann, dass eine Person schon noch gehen wird, ich soll mir in der Hütte zwei, die Lager sind in separaten Blockhütten, einen freien Platz suchen. Dort waren auch die achtunddreißig Waginger untergebracht. Um zehn Uhr haben sie im Haupthaus nichts mehr zu trinken bekommen. Neben mir sollten nur Kinder schlafen, aber plötzlich hat sich da der Daddy hingelegt. Dem Kleinen war das wohl nicht ganz geheuer, neben einer fremden Frau zu schlafen. Das die Waginger nicht viel Hüttenerfahrung hatten, ist auch klar, denn nichts von wegen Hüttenruhe um zehn. Da geht die Party erst ab. Links neben mir der Daddy, der in fünfzig Zentimeter Entfernung wie ein Sägewerk in mein Ohr schnarcht, rechts von mir das kleine Mädchen, dass mir im Schlaf andauernd ihre dürren Arme und Beine rüber schleudert. Draußen im Vorraum die Party und das alles übertönen die lautstarken Schreie des Buben im Schlaf, der neben seinen Daddy liegt. Um ein Uhr schau ich mal auf die Uhr und denke mir, dass es in drei Stunden hell wird und ich weg bin. Das ist Hüttenzauber. Daddy hat dann etwas rumgeräumt, schnarchte dann weniger, der Kleine schreit nicht mehr, sondern übernimmt das Schnarchen von Daddy und dieser hat sich mehr zu seinem Sohn rüber gelegt. Dann bin ich doch noch mal eingeschlafen und um fünf Uhr wach geworden. Frühstück würde es um sieben geben, aber nachdem ich gehört habe, wie der Kellner es gestern den Italiener beschrieben hat, habe ich daran kein Interesse.

Tag 02
Rücksichtsvoll raffe ich, wie gewohnt in Sekundenschnelle meine abends schon bereitgelegten Sachen und packe im Vorraum weiter. Die ersten sind schon oder vermutlich noch wach. Eine Wagingerin fragt mich: Wir waren hoffentlich gestern nicht zu laut. Falsche Frage. Meine Antwort ist: Doch. Für höfliche Floskeln hatte ich zu wenig Schlaf. Sie verzieht sich schnell. Und ich bin schnell weg.
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Die Sonne kommt noch lange nicht über den Berg, heute soll es heiß werden, aber die drückend Schwüle spürt man jetzt schon. Zwischen den wenigen Bäumen steht die Luft, wie dicke Brühe. Den Hintersteiner See sehe ich bald, aber es geht noch oft rauf und runter, bis er näher rückt. Ich bin noch weit über dem See, als da an einer Alm ein Schild mit der Ortsangabe Kufstein steht und ich könnte schwören, da war auch das Adlerzeichen daneben. Aber nur einige hundert Meter weiter, wird mir klar, dass ich doch irgendwie zum See runter müsste, aber mein Weg bleibt oben. Zum ersten Mal schalte ich das GPS an und stelle fest, dass ich mich auf dem Jägersteig befinde, der oben herum zur Walleralm führt. Der original Adlerweg sollte zum See hinunter, den umrunden und auf der anderen Seite wieder hoch zur Walleralm. Kurz setzte ich mich hin und überlege. Es ist Sonntag und am See tausende Sonnenhungrige, frisch geduscht, sauber gekleidet. Ich laufe seit Stunden durch tropenähnliche Schwüle und das auf fast zweitausend Meter Höhe. Frisch und sauber bin ich schon lange nicht mehr. Also weiter, es reicht der kühle Blick zwischen den Bäumen hindurch auf den grünen Bergsee.
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Natürlich hat auch mein Pfad genügend Ups und Downs. Nach einer Stunde habe ich das Gefühl, stundenlang gelaufen zu sein. Immer wieder mache ich Hitzepausen, um den Puls wieder nach unten zu bringen. Ich fühle mich wie ein Dampfkessel, der gleich platzt. Endlich das Schild: fünfzehn Minuten zur Walleralm und dort gibt es erst einmal ein Johannisbeerschorle. Hinter der Hütte geht es steil weiter hinauf zum Hochegg. Ich sehe die Kante schon und muss trotzdem alle hundert Schritte Halt machen. Ich bekomme keine Luft mehr. Andere Wanderer ziehen locker an mir vorbei, die wirken noch frisch geduscht, wo kommen die denn her? Das ist ja peinlich, was mach ich falsch.
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Auf der anderen Seite von Hochegg liegt die Kaindlhütte. Sie haben keine Buttermilch, aber Milch frisch heute Morgen von den Kühen nebenan gemolken und dazu ein Stück Pflaumenkuchen, sie nennt es Pflaumenkuchen und der Typ am Nachbartisch wird nicht müde ihr immer und immer wieder zu erklären, dass die Pflaumen dicht und aufgerichtet stehen müssen, da hätten sie ja ganz schön gespart, wenn die so spärlich auf dem Teig verteilt sind. Der Kuchen ist total lecker und der Typ hat keine Ahnung, dass der Teig dazwischen bedeutend teurer ist, als die Pflaumen. Münchner, wie auch sonst hier fast nur Oberbayern sind. Ich bin froh als sie abziehen. Noch fünfundvierzig Minuten bis zum Kaiserlift und der Gedanke, zu Fuß nach Kufstein runter zu gehen, ist längst vergessen. Auf dem Lift nicke ich ein paar Mal ein, die schlaflose Nacht macht sich bemerkbar und die Fahrt ist lang, aufgeteilt auf zwei Sessellifte. Unten in der Stadt geht’s erst mal zum Bahnhof und der liegt glücklicherweise gleich bei der Altstadt. Ich versuche es am Automaten, aber der kennt mein morgiges Ziel nicht. Es soll mit dem Zug nach Langkampfen hinaus gehen und dort geht es wieder hinauf. Ich stelle mich am Schalter an, doch vor mir ist ein älterer Herr, der nach Wien möchte und das scheint kompliziert zu sein. Ein junger Mann von der Security, der in der Halle wacht, spricht mich an, ob er mir vielleicht am Automaten weiterhelfen kann. Wir versuchen es noch einmal und ich bemerke, dass ich Langenkampfen eingegeben habe. Schon macht man‘s richtig, funktioniert es. Alle halbe Stunde fährt da morgen die S-Bahn hin, es sind nur zwei Stationen. Nun kann ich mich beruhigt auf Hotelsuche begeben. Klar werde ich erst von dem nostalgisch wirkenden Hotel am Innufer angezogen. Der Inn hat übrigens eine faszinierende hell blaugraue Farbe, die zeigt, dass in den Bergen noch viel Schnee liegt. Ich laufe einige Meter in die Gasse auf das Hotel zu und weiche erschrocken von den ganzen Souvenirläden zurück. Nein, dann doch nicht. Also wieder zurück in die kleine Altstadt, eigentlich nur eine kurze Straße. Am anderen Ende sind einige Hotels, darunter ein total neues ArtHotel. Sieht teuer aus, aber meine Instinkte lenken mich dort hin. Nicht ganz billig, aber voll korrekt. Die Klimaanlage drehe ich gleich mal auf fünfundzwanzig Grad noch oben, das ist auch noch kühl genug im Vergleich zu draußen. Geduscht geht es noch mal hinaus ins Städtchen auf ein Bier bei unfreundlicher Bedienung und einem Eis beim Italiener. Dann drängt es mich, den Schlaf von letzter Nacht nachzuholen. Den Whisky habe ich mir auf den Nachttisch gestellt, aber zum Trinken bin ich nicht mehr gekommen.

Tag 03
Um sieben Uhr gibt’s Frühstück und die Dame die mir den Kaffee bringt ist äußerst mitteilsam. Nun weiß ich, dass in Innsbruck irgendein wichtiges Einkaufszentrum überflutet wurde, obwohl der Inn weit weg ist. Dass für die nächsten drei Tage Gewitter angesagt sind, habe ich gestern schon in den Nachrichten gehört, aber heute soll es erst am späten Nachmittag kommen und die Wanderung sollte heute nur fünfeinhalb Stunden dauern. In der vergangenen Nacht hat es aber schon irgendwo Unwetter und Murrenabgänge gegeben und der Inn ist heute Morgen nicht mehr Taubengrau sondern Schlammbraun. Um viertel vor Acht fährt mein Zug los. Ich frage noch die anderen Fahrgäste, ob der in Langkampfen hält. Jaja, tut er. In Wörgl fange ich an zu überlegen, wie der Zug nun die Kurve nach Langkampfen bekommt. Es kommt mir auch schon viel zu weit vor. Wörgl ist auf meiner Etappenkarte gar nicht mehr oben. Ich stecke noch in meinen Überlegungen, als der Zug schon weiterfährt. Die nächste Station wird angesagt: Brixlegg. Also das kann ja jetzt nicht mehr sein. Ich laufe zur Grafik vor, die die Bahnverbindungen der Region aufzeigt. Mit Wörgl bin ich schon übers Ziel hinausgeschossen und Brixlegg ist noch weiter weg. Dieser Zug hält nur an den wichtigsten Stationen. Der Typ, der mir gerade noch im Brustton tiefster Überzeugung erzählte, dass ich mit diesem Zug nach Langkampfen komme, nuschelt nun so was wie: hab ich auch dann gemerkt. Aber gesagt hat er nichts, der hätte mich bis nach Italien fahren lassen. Also in Brixlegg raus und gleich wieder in den Zug gegenüber nach Kufstein gesprungen. Wieder frage ich eine Frau, ob der Zug auch wirklich überall, auch in Langkampfen hält, ich sei nämlich gerade an meinem Ziel vorbei geschossen. Sie nickt und sagt, dass sei sicher, der Zug hält. Ein gültiges Ticket habe ich schon lange nicht mehr. Endlich Langkampfen und der Berg liegt vor mir, gut ich muss noch ins Dorf hinein laufen und auf der anderen Seite wieder hinaus. Dann geht es aber hinauf und das ziemlich heftig. Ich habe mich irgendwie auf eine lockere Wanderung eingestellt, warum auch immer. Mit vielen Hitzepausen erreiche ich nach zwei, gefühlten zehn Stunden und achthundert Höhenmetern die Höhlensteinalm. Puh, bin ich fertig. Darum hier erst mal eine Johannisbeerschorle. Der Wirt meint, ja, von Langkampfen geht’s steil hoch. Aber das war‘s noch nicht. Vierhundert Höhenmeter sind es noch einmal zur Köglspitze. Es hätte auch einen sanfteren Weg außen herum gegeben, aber als ich das lese, habe ich mich schon längst geistig auf den Anstieg eingestellt. Ich folge dem Schild: Adlerweg anspruchsvoll. Die Aussicht von dort oben ist allerdings dann auch gigantisch.
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Es ist wahnsinnig schweißtreibend und ich brauche peinlich viele Hitzepausen. Von der Köglspitze geht es erst einmal wieder steil runter, um auch ja wieder viele Höhenmeter für das Hundsalmjoch zu haben, wäre ja sonst witzlos, könnte ja sonst jeder laufen. Plötzlich ist der Weg weg. Vor mir eine steil abfallende Felskante. Felsrutsch? Überflutung? Hat wer den Berg geklaut? Gerade wenn ich da rüber laufen möchte. Dann sehe ich vor meiner Fußspitze das kurze Stück Drahtseil und den kleinen Haken im Fels. Vorsichtig schau ich über die Kante und da verläuft das Drahtseil nach unten. Das ist der Weg. DAS IST DER WEG. Drei Sekunden Schock und ich schiebe mich über die Kante. Da sind vor mir schließlich schon andere runtergekommen. Bei solchen akrobatischen Akten stört mich das ungewohnte Gewicht meines Rucksacks am meisten. Keine sieben Kilo, aber schon so weit außerhalb des Körpers, dass er eine gewisse, ungewohnte Hebelwirkung hat. Aber dieses Mal sind mein Beine und Arme nicht zu kurz um immer die nächste Kante zu erreichen und bald ist es geschafft, und ich bin mit den Kräften am Ende. Viele Hitzepausen bringen mich aber doch noch zum nächsten Gipfel und dort fängt es an zu donnern. Das Gewitter steht aber hinter mir über den Bayrischen Bergen.
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Also mache ich am Gipfelkreuz noch eine kurze Pause bevor mich mein GPS an den verwirrenden Markierungen entlang ins Tal führt. Ich erreiche die Almhütten am Buchacker. Es sind mehr als ich erwartet habe, aber überall herrscht Totenstille. Nur mit Hilfe des GPS finde ich den Gasthof, auf dem man angeblich übernachten könnte, laut Webseite des Adlerwegs. Dort ist auch niemand zu sehen. Sofort fällt mir ein, dass es auf der Seite des Tirolerischen Tourismusverbandes eine Umleitung ins Tal gegeben hat mit Übernachtung dort und eine Zugfahrt zum neuen Einstieg. Nun weiß ich warum. Na, dann hinunter ins Tal. Es hatte schon die ganze Zeit leicht getröpfelt, nun wird der Regen heftiger und ich ziehe den Poncho über. Noch im Dunklen des Ponchos höre ich ein Auto neben mir halten. Als es wieder hell wird, kurbelt der Fahrer schon die Scheibe runter und sagt: Oh, jetzt habe ich sie verwechselt, ich dachte Sie sind die Sennerin von der Hundsalm. Nein, tut mir leid, ich bin nur eine Wanderin. Wollte hier im Gasthof übernachten, aber da ist ja keiner mehr. Nein, der kann Ihnen höchstens noch ein Bier hinstellen. – Fünf Sekunden Pause. – Aber Sie können trotzdem mit ins Tal fahren, wenn sie wollen. Na klar will ich, der Regen wird gerade heftiger und ich springe ins Auto. Der ältere Herr hatte heute die Führungen in der Eishöhle oben am Berg gemacht und jetzt ist Feierabend. Ich erzähle, dass ich gerade für diesen Wanderweg, der mit fünfeinhalb Stunden angegeben ist, acht Stunden gebraucht habe und er meint, dass für den Weg über den Grad fünfeinhalb Stunden schon extrem sportlich angesetzt sind. Da haben die sich also vertan, denn bis jetzt war ich immer schneller als die Angaben. Er fährt jede Serpentine sehr, sehr vorsichtig hinunter. Den Weg hat es vorgestern ziemlich ausgeschwemmt, erklärt er. Serpentine reiht sich an Serpentine. Man bin ich froh, dass ich die ganze Strecke nicht zu Fuß gehen muss. Sieben Kilometer sind es, meint er. Als wir unten sind regnet es sintflutartig. Er ruft beim Tourismusamt an, wo es eine Möglichkeit für mich gibt, zu übernachten. Ich sage ihm, dass ich in Anbetracht der Gewitter mit dem Zug nach Jenbach fahren werde, wo ich nun schon wieder unten im Tal bin und dann dort wieder in den Adlerweg einsteige. Der Gedanke hat sich im Augenblick des Aussprechens in mir gefestigt. Der nächste Bahnhof ist in Wörgl, er ruft seine Frau an, nach dem das Tourismusamt passen muss, um in einem Gasthof am Ortsrand anzufragen, von wo es nur zwanzig Minuten zu Fuß zum Bahnhof nach Wörgl sind. Dort ist dann auch noch was frei. Alle kennen sich hier und darum trinkt mein Fahrer hier erst mal ein Bierchen. Eine gute Gelegenheit mich anzuschließen und ihn zum Dank einzuladen. Ausgiebig berichtet er mir von seinen Fernreisen und dem Trend, jetzt im Alter, er ist dreiundsiebzig, lieber in der Heimat zu bleiben.

Tag 04
Trocken komme ich zum Bahnhof nach Wörgl und Jenbach ist eine der Haupthaltestellen nach Innsbruck. Schon alleine bei dem Namen werden Kindheitserinnerungen wach. In meiner frühsten Kindheit sind wir jahrelang jeden Sommer ins Zillertal gefahren und oft haben wir versucht am Achensee wandern zu gehen, aber immer sind wir von Gewitter oder mindestens heftigen Regenfällen davon abgehalten worden. Den Achensee scheint es nur bei Gewitter und Regen zu geben. Aber die mächtigsten Gewitter gibt es definitiv am Achensee. Zumindest sieht das so in meinen Kindheitserinnerungen aus. In Jenbach regnet es schon wieder. Es gibt hier die Zillertalbahn, eine Dampflock, die von hier bis nach Mayrhofen hinter fährt. Das wäre es jetzt, quer durchs Zillertal, aber der an der Info sagt mir, dass sie Montag und Dienstag nur mit einer normalen Lock fahren. Gerade will ich mich daran machen, die fünf Kilometer zum See hinter zu laufen, als ich das Schild der Achenseebahn sehe. Damit sind wir doch sicherlich auch einmal gefahren. Da muss ich jetzt unbedingt mit fahren. Eigentlich würde es auch einfacher durch ein Tal zum See gehen, aber da wollte man wohl technisch in den Himmel greifen, vor gut hundert Jahren, und verlegte die Schienen gewagt den Berg hinauf.
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Die Bahn quält sich über mehr Berge als nötig wären und ist wahnsinnig laut und hinterlässt völlig umweltunfreundliche Rußwolken. Nichts von wegen sauberer weißer Dampf. Die beiden Buben mir gegenüber waren am Bahnhof noch voll begeistert, als sie die Bahn im Modell betrachteten. Jetzt sehen sie gar nicht mehr so begeistert aus. Vermutlich habe ich die Fahrt deswegen aus meinen Erinnerungen gestrichen. Der See liegt unter tiefen Wolken, die Berggipfel sind kaum zu sehen. So kenne ich den Achensee, dann möchte ich heute Abend auch ein kräftiges Gewitter haben. Von einem gemütlichen Hotelzimmer aus, ist das sicherlich ein prächtiges Schauspiel. Ich laufe hinter nach Pertisau, der beste Ausgang für morgen in das Karwendelgebirge und finde dort das vermutlich einzige Drei-Sterne-Hotel. Ja, klar, irgendwo weiter hinten gibt es auch Pensionen, aber ansonsten nur Vier-Sterne-Bunker, einer nach dem anderen. Dafür ist es aber verdächtig ruhig im Ort, vermutlich sitzen die jetzt alle in der Sauna. Da wird’s eng sein. Meine Wirtin bietet mir auch den Besuch der Sauna an, aber da genieße ich doch noch schnell die Ruhe am See, bevor der nächste Regenguss kommt.
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Und der kommt, gerade als ich wieder im Hotel bin und ziemlich heftig. Aber davor kam auch einmal kurz die Sonne raus und färbte den schwarzen See sofort Türkis. Ich döse, denke nach, schau Fernsehen, auch das Fernsehsignal fällt unwetterbedingt einmal aus, döse, denke nach. Ein richtiges Gewitter gibt es keins.

Tag 05
Laut Wetterbericht von gestern, wird es am Wochenende vorübergehend sonnig. Gleichzeitig sagen sie, dass die Schneefallgrenze auf zweitausend Meter absinkt. Die Nachrichten waren voller Berichte über Murrenabgänge. Beim Aufwachen ist mir eines klar. Es hat nicht sollen sein. Es wäre idiotisch, einfach weiter zu laufen. Ich breche ab und komme wieder, wenn das Wetter vielleicht mal etwas beständiger ist. Gut, am Achensee scheint es immer zu regnen. Wenn im Schrank des Hotelzimmers schon ein Regenschirm hängt, sagt das doch alles. Aber auf den Etappen davor und danach sollte das Wetter schon etwas berechenbarer sein. Im Zug nach Innsbruck treffe ich eine Frau, die durch das Karwendel her gewandert ist und berichtet, das die Birkkarspitze, der höchste Berg im Karwendel, über die ich drüber hätte müssen, wegen zu viel Altschnee immer noch nicht begehbar ist. In Innsbruck habe ich noch Zeit für einen kurzen Stadtrundgang und natürlich war ich beim Dachl. Kurz vor dem Bahnhof sehe ich ein Büro des Alpenvereins und frage dort einfach mal dumm, wie man Alpenvereinshütten erkennt, die jemanden aufnehmen müssen, auch wenn sie voll sind. Seine Antwort: bei keiner Alpenvereinshütte wird jemand weggeschickt, a Platzl findet sich immer. Aber die Gruttenhütte ist doch eine Alpenvereinshütte, erwidere ich. Die Antwort: De Gruttenhütte is a Schand. - Na, bei dieser Antwort kann ich beruhigt wiederkommen. Auf der Zugfahrt von Innsbruck nach Bregenz sehe ich unzählige Schlammlawinen. Auch die, die nie ein Dorf erreicht haben, sondern höchsten ein paar Kaninchen überrollt haben. Von denen redet gar keiner. Ich fahre zumindest mit dem Zug durch St. Anton am Arlberg und sehe zum Arlberg hinauf. Ich krieg dich schon noch.

war ein netter Versuch, aber hat nicht sollen sein.



Im Herbst desselben Jahres versuche ich, für ein verlängertes Wochenende den Adlerweg von hinten aufzurollen. Es ist nur ein Versuch, aber das Wetter ist zu schön. Allerdings habe ich mir vor sechs Wochen bei einer Bergtour alles Verstaucht und gezerrt, was man sich zwischen Knie und großem Zeh verstauchen und zerren kann. Im Alltag geht es wieder, nach dem ich vier Wochen nur gehumpelt bin, aber in den Bergen?
Ich fahre nach St Anton und niste mich im Valuga Hotel ein, ein schönes modernes Hotel, hier kann man sich wohlfühlen. Am nächsten Morgen laufe ich Richtung St. Christoph los, natürlich geht man alles zu Fuß, aber die Straße hinauf ist öde. Auf halben Weg warte ich auf den Bus nach St. Christoph. Es geht auch so.
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Tolles Wetter, toller Weg, bis auf die Schotterstraße auf dem letzten Stück zur Ulmer Hütte. Ist ja eigentlich ein Schigebiet, da braucht man Bahnen von einer Hütte zur anderen. Zum Valuga Pass geht es über eine Schotterfeld und oben auf dem Arlberg überfällt mich ein Anblick, von dem ich noch immer nicht weiß, ob er schön oder hässlich ist, auf jeden Fall faszinierend. Schotter so weit das Auge reicht, wie eine Mondlandschaft.
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Weiter geht es unterhalb des Klettersteigs, ein schmaler Pfad über Schotter und durch Felsrinnen. An einer kurzen Kletterpassage sagt mein Bein ‚ohne mich‘. Ist natürlich nicht so einfach mit nur einem Bein und irgendwie gehören wir einfach zusammen. Ich überprüfe die Karte nach der nächsten Abstiegsmöglichkeit ins Tal. Ich und mein Bein hatten es zumindest über tausend Höhenmeter hinauf geschafft. Beim nächsten Pfad nach unten gibt es auch eine Seilbahn. Gut. Aber als ich hinkomme steht die Seilbahn still, dass riesige Gebäude daneben, mit langen Theken und unendlichen kahlen Tischreihen wirkt futuristisch ausgestorben. Wartet alles auf den nächsten Winter. Also weiter zu Fuß hinunter. Mein Bein erkennt den guten Willen und hält durch. Wieder in St. Anton nehme ich den nächsten Zug nach Hause.


Klappe die Zweite (irgendwann im Juni 2017)
Der Adlerweg – Fortsetzung folgt

Ein Jahr später versuche ich es noch einmal. Ich buche auf der Buchacker Alm für die erste Nacht. Die Alm, die ein Jahr zuvor noch geschlossen war, ist jetzt wieder geöffnet. Bin bei brütender Hitze vom Bahnhof Wörgl los, durch das ganze Tal und über eine Hügelkette hinüber nach Angerberg, von wo der Anstieg beginnt. Der Weg durch das Tal ist langweilig, aber da ist ja noch der Ehrgeiz, alles, aber auch alles zu Fuß zu schaffen. Bei den achthundert Höhenmetern hinauf zur Buchackeralm schnaufe ich ganz schön. Ein Vorgeschmack auf das was noch kommen sollte und was schon lange in mir anschwoll. Nach ungewöhnlich vielen Pausen komme ich endlich oben an. Dort sitzt noch ein Wanderer, der am nächsten Tag in meine Richtung, aber dann Richtung Bayern weiter will. Für Morgen ist etwas Regen angesagt, aber dann soll es wieder bessere werden und vielleicht regnet es ja gar nicht.
Am nächsten Tag ist es bewölkt aber noch trocken. Als ich zum ersten Anstieg komme, dem Plessenberg, der mir bei den Regenwolken ziemlich schroff vor kommt, fängt es zu nieseln an und bevor ich den Fuß auf die ersten Felsen setzen kann, fängt es leicht zu Regnen an. Ich entscheide mich, dass ich bei Regen nichts auf schroffen Felsen zu suchen habe. Zurück auf dem Forstweg, regnet es schon heftig und ich komme unten um den Berg herum nach nicht mal drei Stunden in Pinegg an. Es wäre noch genügend Zeit für die nächste Etappe, die sowieso nur eben verläuft, aber ich fühle mich trotz Regenponcho durchnässt und durchgefroren. Beim Gwercherwirt gibt es noch ein Zimmer und ich verbringe den restlichen Tag im warmen und trockenen Bett. Meine Sachen werden hier auch erst mal wieder trocken.
Am nächsten Tag regnet es schon als ich los laufe. Es geht langweilig über Forstwege und Teerstraßen. Déjà-vu, hier war ich schon mal, aber das kann nicht sein. Es sind nur die langweiligen Straßen, auf denen ich mich schon so oft genervt dahingeschleppt habe. Die Straße durch Steinberg im Rofan zieht sich gefühlte Jahrhunderte dahin. Das angeblich schönste Ende der Welt. Vielleicht stimmt es, denn als ich vor dem Waldhäusl stehe, kommt die Sonne raus und die haben auch noch ein Zimmer. Ein Doppelzimmer, nicht billig für eine Person, aber schön und stilvoll eingerichtet. Auf der Terrasse trinke ich in der Abendsonne noch ein Bier. Da kommt Hoffnung auf.
Der Typ auf der Buchackeralm ist diesen Teil des Adlerwegs schon einmal gelaufen und hat mich vor dem kommenden Teilstück gewarnt. Langweilige Teerstraße, die hatte ich doch gestern schon zu genüge. Ich finde am Abend noch einen Höhenweg auf der anderen Talseite, der wieder auf den Adlerweg trifft, bevor es zur Rofanspitze hinaufgeht. Die Sonne scheint auch noch am Morgen und der entdeckte Höhenweg ist genial, ein schmaler Pfad hoch über der Steinberger Ach. Das wilde Rauschen dringt noch zu mir hinauf. Ich bin bester Dinge. Ich finde wieder den Übergang zum Adlerweg und beginne den Anstieg zur Rofanspitze. Es wird sofort steil. Ich schnaufe. Ich pfeife geradezu aus dem letzten Loch. Der Himmel hat zugezogen und es fängt zu regnen an, noch nicht fest, aber ich treffe die Entscheidung wieder zurück zum Forstweg zu laufen und unten herum zum Achensee zu laufen. Der Regen wird heftiger, heftiger als die letzten beiden Tage. Dankbar kehre ich in einer kleinen Alm ein, die haben eigentlich bei diesem Wetter keinen Wanderer erwartet. Sie entschuldigt sich, dass sie nicht wirklich was zu essen bieten kann, aber von dem was sie selbst gerade essen, ist noch reichlich da. Aber ich habe gar keinen Hunger, nur was trinken und etwas trocken werden. Mein Regenponcho ist dicht, aber irgendwann ist man darunter fast genauso nass wie darüber. Auf Dauer ist das einfach nicht mehr angenehm. Ich laufe weiter und bin trotz heftigem Regen beeindruckt, als sich unter mir der Achensee ausbreitet, ein langes helles Band zwischen den dunklen Bergen und Wäldern. Ich komme im Ort Achensee, am hinteren Ende heraus. Jetzt gibt es nur noch eines: die nächste Bushaltestelle, der nächste Bahnhof und nach Hause, das hat so keinen Sinn mehr. Mir ist es so peinlich, so tropfnass in den Bus zu steigen. Hier sitzen Leute, mit erstklassiger Wanderausrüstung, die aber definitiv nie einen Regentropfen oder Dreckspritzer abbekommen hat. Aber die Ausrüstung sieht teuer aus, sehr teuer und modisch, Bogner oder so was, so was man halt nie zum wirklichen Wandern anzieht. Das Achensee Publikum halt. Unter der Kapuze meines Regenponchos gestehe ich mir ein Lächeln zu und die Pfütze unter mir kommt mir gar nicht mehr so schlimm vor.
Auf der Heimfahrt muss ich mir eingestehen, dass es nicht nur der Regen war, der mich von dieser Wanderung abgehalten hat. Ich hätte es auf keinen einzigen Berg geschafft. Ist das das Alter?
Drei Wochen später kippe ich in der Arbeit geradezu vom Stuhl. Meine Hausärztin sagt es ist alles ok, aber sie kann mich gern zu einem Psychiater vermitteln. Wenn ich die Kraft gehabt hätte, hätte ich ihr eine geknallt. Das hat sie wohl gemerkt und gesteht mir zwei Termine bei Fachärzten zu. Den Termin beim Kardiologen als Nottermin in drei Wochen, den Termin beim Lungenarzt in drei Monaten. Der Kardiologe hat das voll ernst genommen. Hat gut getan. So diffus sind bei Frauen Herzinfarkte, aber auch bei einer Herzkathederuntersuchung kann er nichts feststellen. Mit meinem Herz kann ich weiter Gipfel stürmen. Drei Monate später entdeckt der Lungenarzt eine schwere Entzündung in den Bronchen, ich bekomme einfach nicht mehr genügend Sauerstoff in den Körper, da geht nicht mehr viel. Das habe ich gemerkt. Drei Wochen Kortison und ich kann wieder atmen, drei Monate später ist auch die Dauererschöpfung wieder weg. Also auf ein Neues.



Ein Jahr danach habe ich an einem verlängerten Wochenende wieder den Versuch von hinten gestartet. Ich wollte gleich in St. Christoph übernachten, aber dort sind die Hotels, es gibt viele, nur im Winter geöffnet. Also wieder in St. Anton und dieses Mal weiß ich ja, dass ich gleich den Bus nehme. Aber am Abend im Hotel sagt sie mir, dass ich für den nächsten Tag eine Gästekarte bekomme, mit der ich jeden fahrenden Lift benützen kann. Natürlich fahren nicht viel Bahnen, eigentlich nur eine, die nach Kapall. Lustig, dort bin ich das letzte Mal abgestiegen und da fuhr keine Bahn. Als ich am Abend noch durch das Dorf laufe, um mir schon mal den Einstieg zu suchen, wächst der Gedanke in mir, dass diese Gästekarte ein Wink des Schicksals ist und dazu noch die Bahn nach Kapall.
Am Morgen fahre ich mit der Bahn hinauf nach Kapall. Die Anschlussbahn hat technische Probleme und ich muss warten. Erst bin ich alleine, dann kommen immer mehr Leute dazu. Ich komme mit einem Einheimischen ins Gespräch, der am Wochenende auch mal Wandern geht. Er gehört zu denen, die die Bergbahnen bauen, hängt also immer in den Bergen rum, läuft aber trotzdem auch in seiner Freizeit hinauf. Der Berg ruft halt! Warum ich denn hier alleine bin, wo denn mein Mann ist. Ich bin überzeugter Single, antworte ich. Er: Ja, ich auch. PAUSE. Wir laufen zusammen den Höhenweg zur Leutkircher Hütte entlang. Er: Aber ich bin ja noch jung, da kann das ja mit dem Partner noch was werden. Und ich denke, Sabine, jetzt solltest du Abstand gewinnen. Er bleibt auf der Leutkirchner Hütte ich bin noch guter Dinge und will gleich weiter zum Kaiserjochhaus. Geschafft, entkommen. Nun wird’s echt lustig. Die ganze Zeit wuseln Murmeltiere vor mir auf dem Weg entlang. Sie lugen hinter Felsvorsprüngen hervor und verfolgen mich mit Blicken. Wer beobachtet da nun wen? Gleich fallen mir die Werbespots für Graubünden mit den zwei Steinböcken ein, die sich immer lustig über die lahmen Bergsteiger und besonders über die imposanten Stürze der Biker machen. Ich glaube die Murmeltiere finden Bergsteiger auch ganz witzig. Sagt einer noch mal Erdmännchen sind cool. Murmeltiere sind viel cooler.
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Am Kaiserjochhaus angekommen ist es gerade mal ein Uhr. Dass sollte meine erste Etappe sein und was mach ich mit dem restlichen Tag. Ich frage, ob sie noch was frei haben, nein sagt sie. Nebenan steht ein Holzhaus mit der Aufschrift Selbstversorger/Notlager. Da wäre bestimmt noch was freigewesen, aber die nächste Etappe zur Ansbacher Hütte ist nur vier Stunden lang. Das schaffe ich doch heute noch locker. Ich trinke meine obligatorische Johannesbeerschorle (kurz JBS) für neue Energie und esse ein Stück Zwetschgendatschi und dann geht’s munter weiter. Über eine grüne Wiese geht’s hinauf zum nächsten Sattel und schon auf den nächsten hundert Metern danach wird mir klar, warum die Etappe nur vier Stunden lang ist. Schotterfelder, seilverspannte Kletterpassagen, Felsrinnen zum rein und raus klettern.
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Zwei Stunden halte ich mich ganz gut, bin voll in der Zeit. Dann sehe ich die ersten Altschneefelder, ich bin jetzt im Schatten der Nordseite angekommen. Ein professionell wirkender sportlicher Typ stampft langsam das Feld ab. Jeden Schritt drei Mal nachstampfend. Der tritt einen Pfad. Für mich!?! Am Rand des Schneefelds treffen wir aufeinander. Wie ist der Schnee, frage ich. Ich habe höllischen Respekt vor Altschnee. Noch gut stabil, sagt er, habe ihn eh grad für dich festgetreten. Danke. Ich laufe weiter, jetzt merke ich schon, dass die Beinmuskulatur schwächelt. Nach dem Schneefeld kommt ein Schotterfeld, und dann viele kleine Serpentinen hinauf zum nächsten Sattel. Am Ende jeder Serpentine, das sind immer nur zehn Meter oder so, halte ich an, verschnaufe auf die Stöcke gestützt, warte, bis die Knie zu zittern aufhören. An Ende der vorletzten Serpentine schau ich nach oben. Dort sehe ich mein Spiegelbild, auf die Stöcke aufgestützt, dass zu mir runter schaut. Ich muss voll loslachen. Mein Spiegelbild grinst. Also nicht ganz ein Spiegelbild, Typus Schilehrer. Braun gebrannt, lange, zum Zopf gebundene, leicht ergraute, blonde Haare. Sportlich gekleidet, locker drauf, als ob er hier oben seinen Sonntagsspaziergang macht. Ziemlich anstrengend hier hoch, grinst er. Ich laufe das Stück zu ihm hoch. Ja, anstrengend. Ich habe mich glaube ich übernommen, sage ich. Mir geht gerade die Kraft aus. Er erklärt mir, dass es die nächsten beiden Stunden zur Ansbacher Hütte genauso anstrengend weiter geht, aber dass es natürlich schon gut wäre, wenn ich hier oben in einer Hütte übernachten würde. Dort unten am See steht eine Hütte, aber die ist privat und vermutlich verschlossen, das wäre eine Möglichkeit zu Übernachten. Nach dem wir uns verabschiedet haben und ich von dem Sattel wieder absteige, rutsche ich auf dem Schotter aus, schlage mir im Sturz den Stock aufs Auge. Sch… jetzt komme ich auch noch mit einem blauen Auge nach Hause. Die Knie sind einfach zu weich. Als ich oberhalb der Hütte am See stehe, schaue ich auf die Wand, die ich die nächsten zwei Stunden noch entlang müsste. Die Knie zittern noch mehr bei dem Anblick.
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Nein, keine Chance. Aber was ist die Alternative. Eine Übernachtung im Freien und ich habe nur einen Seidenschlafsack dabei. Ich stehe mindestens noch eine halbe Stunde unschlüssig da, dann steige ich zu der Hütte ab. Natürlich ist sie verschlossen. Davor eine kleine Terrasse. Zumindest trocken von unten. Kaum setze ich mich hin, kühle ich aus. Ich ziehe die Jacke an, dann den Regenponcho darüber, der hält warm. Dann ziehe ich das schwarze Lederetui mit dem Single Malt heraus. Wenn nicht jetzt, wann dann. Ich habe den Rest aus der letzten Flasche dabei, die mir Ecki, mein mit nur vierzig Jahren verstorbener Whiskyhändler aus Jena noch persönlich in die Hand gedrückt hat. Seit zwei Jahren nehme ich mir vor, dass ich den auf irgendeinem bemerkenswerten Gipfel mal auf ihn trinke. Wenn nicht jetzt, wann dann. Stay same Ecki. Richte dort oben einen Whiskyladen ein und wenn ich dann auch dort bin, trinken wir einen zusammen. Der Anturasmor ist weg, mir wird kälter und kälter. Der Mond geht auf, die Sternlein funkeln. Ich krieche in meinen Seidenschlafsack, ziehe den Regenponcho bis zu den Knien. Versuche mich unter den Poncho zu falten. Die Kälte kriecht die Beine nach oben, ich zittere und zittere. Ich war mein ganzes Leben lang eine lebende Frostbeule, aber heute bekommt Frieren eine neue Dimension. Schlafen kann ich sowieso nicht. Ich überlege mir andauernd was passiert, wenn ich doch einschlafen sollte, wache ich wieder auf oder bin ich dann tot. Ich hoffe du hast den Whiskyladen inzwischen schon, Ecki. Zum Morgen hin schlafe ich kurz ein. Als ich wieder aufwache graut der Morgen, jetzt könnte ich los, aber irgendwie bin ich nicht fähig mich zu bewegen. Eine Stunde brauche ich, um in Bewegung zu kommen. Für die zweistündige Strecke zur Ansbacher Hütte brauche ich vier Stunden, die Knie zittern nicht mehr, aber die Kälte hat jegliche Energie aus mir gesaugt und das ohne Abendessen und ohne Frühstück.
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Leute, die frisch von der Ansbacher Hütte kommen, schauen mich sonderbar an. Wie kann man am frühen Morgen schon so fertig sein. Kurz vor der Hütte treffe ich wieder auf eine Gruppe, eine Frau daraus kehrt gerade wieder zur Hütte um. Sie hat Höhenangst und das ist ihr hier schon zu steil, erfahre ich. Wir treffen auf der Hütte ein. Als ich dort frage, ob ich noch ein Frühstück bekommen kann, bejaht der Wirt und fängt gleichzeitig zu wettern an, was ich denn den ganzen Schnee in die saubere Hütte trage, vor der Hütte sind extra Bürsten. Ich gehe zurück in den Gang und ziehe mir die Schuhe aus, ich fange voll zum Grinsen an, ich lebe noch.
Beim Frühstück komme ich mit der Höhenängstigen ins Gespräch, erzähle meine jüngsten Erlebnisse. Die Wirtin hört zu. Was schwere Etappe, sagt sie, da laufen doch auch Kinder. Genau das wollte ich jetzt hören. Egal. Beim Wirtssohn erkundige ich mich nach einem einfachen Abstieg ins Tal. Ich habe genug Abenteuer für ein Wochenende. Kurz nach der Hütte steht ein Schild, dass es noch fünftausend Meter ins Tal sind. Wegstrecke. Dass dazu auch elfhundert Höhenmeter gehören, schreiben sie nicht. Der Abstieg ist verdammt steil. Unten am Gasthof trinke ich ein Radler bis der Bus nach St. Anton kommt und dann zurück nach Hause. Die nächsten beiden Tage kann ich mich vor Muskelkater kaum bewegen.
Aber die Versuche von Hinten zähle ich jetzt nicht mit. Die gelten nicht. Denn alle guten Dinge sind drei, hätte ja noch keiner was davon gehört, dass das fünf wären.


Klappe die Dritte 
Der Adlerweg – final

Und wieder fange ich an der Buchackeralm an. Aber wie eingangs schon erwähnt, bin ich älter und gemäßigter geworden. Ich komme am Freitag nicht schon mit gepacktem Rucksack in die Arbeit, um von dort gleich weiter zu fahren. Ich mache aber trotzdem mittags schon Feierabend.

Samstag, der 8. September 2018
Am Morgen gehe ich noch zum Markt und kaufe mir meinen geliebten Samstagsmohnstreusel, aber diesem Mal nicht noch den gesamten Gemüsevorrat für die kommende Woche. Zu Hause esse ich dazu alles, was der Kühlschrank noch zu bieten hat, ist natürlich nicht mehr viel. Die Karotten schneide ich zu Sticks und packe sie ein.
Um halb zehn geht mein Zug. Ich hasse diesen blöden Umweg, aber die Zugverbindung ist tatsächlich schneller. Nach Zürich und dann mit einem Zug der österreichischen Bundesbahn, der bis nach Budapest fährt. Ich habe den Schaffner gefragt, um halb zehn Uhr abends wäre man in Budapest. Habe ich mir mal vorgemerkt, da wollte ich auch mal hin. Aber heute will ich ja nur nach Wörgl. Da bin ich schon um zwei, eine dreiviertel Stunde später fährt ein Bus nach Angerberg. In Wörgl ist gerade Stadtfest, am Bahnhof sitze ich nur am Rande davon und hier sind es mir schon zu viele Leute. Ich habe mich schon auf Bergeinsamkeit eingestellt, da kann ich mit geballter Stimmung überhaupt nichts anfangen. Endlich kommt der Bus. Als ich einsteigen will erklingt aus den Lautsprechern des Busses klassische Musik, ungewöhnlich, auch der Busfahrer sieht ungewöhnlich aus, eher wie ein Schauspieler auf Urlaub. Coole Musik, sage ich, er grinst. Der Weg nach Angerberg zieht sich auch mit dem Bus ewig dahin, gut der Bus fährt auch über jedes Dorf. Ich erkenne einige Plätze wieder, an denen ich vor eineinhalb Jahren vorbeigelaufen bin. Ich habe mir auf der Wanderkarte, auf der auch Bushaltestellen eingezeichnet sind, eine passende ausgesucht. Mein GPS sagt mir, als wir uns der Haltestelle nähern. Auch diese Stelle erkenne ich wieder, die Teerstraße, die den Berg hinaufführt, an einem Hotel vorbei, einem kleinen Wasserrad und dann zur Schotterstraße wird. Die Schotterstraße ist steil. Es ist eine nicht öffentliche Zufahrtsstraße für die ganzen Almen, die oben auf dem weitgedehnten Sattel liegen. Erst in den Neunzigern wieder neu angelegt, weil sie wie alles in dem Tal zwischen Kufstein und Bregenz gern ins Tal hinunter rutscht. Ich erkenne jede Stelle wieder, an der ich vor einem Jahr angehalten habe, um zu verschnaufen. Es ist genauso heiß wie damals, aber ich wundere mich, wie ich hier außer Atem kommen konnte. Es ist so toll, wieder richtig atmen zu können und jetzt habe ich den direkten Vergleich. Von weitem höre ich schon Stimmen einer lustigen Truppe Wanderer. Als sie näher kommen, alles Männer und gut angeheitert. Einer hält vor mir an und meint, dass ich jede Quelle nutzen sollte, die ich auf dem Weg nach oben finde. Warum, habt ihr mir alles weggetrunken? Nicht ganz, aber es könnte knapp werden.
Ich komme am Abzweig vorbei, wo es morgen für mich weiter geht und dann bin ich an der Buchacker Alm. So schnell kann das gehen. Und noch etwas ist anders als das letzte Mal. Geli heißt sie, sie ist die Juniorchefin und hat der Alm ihren ganz eigenen Stempel aufgedrückt. Ich weiß nicht ob mir dieses modern alpenländische gefällt, mit dieser abgeschleckten Rustikalität, aber hier hat es damit was zum Positiven geändert. Als ich das erste Mal hier vor verschlossener Tür stand, hat mir der Typ, der die Eishöhle betreut hat erzählt, dass der Besitzer nicht mehr weiter machen möchte, er ist zu alt. Als ich letztes Jahr hier war, hat der Juniorchef erzählt, dass die Auflagen zum Weiterführen der Alm idiotisch sind, sie bräuchten sogar eine Rampe für Rollstuhlfahrer. Klang wirklich idiotisch, da die Zufahrtsstraße steil ist und nur für Anlieger, wer kommt da schon mit einem Rollstuhl hoch. Die Rollstuhlrampe, fällt mir gleich auf, gibt es immer noch nicht, vielleicht wurden da die Auflagen korrigiert. Aber Geli hat mit kleinen Assessors aus einem nüchternen Höhengasthof, eine gemütlich Alm gemacht. Die Zimmer sind immer noch rudimentär, aber die untere Etage ist schon top saniert. Ich lass mir erst einmal ein Radler bringen, es ist heiß und ich habe den Einstieg zu feiern. Die Aussicht ist prächtig und die Wetterprognosen haben sich in den letzen Tagen von Regen auf endlose Sonnentage geändert. Was will man mehr.
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Als ich ankomme sitzt ein älterer Herr auf der Lounge vor der Alm, ja es gibt hier jetzt eine Lounge. Auf der Terrasse sitzen ein paar Einheimische, die sich über Solaranlagen unterhalten. Als ich mein Radler trinke kommt ein frisch geduschtes älteres Pärchen auf die Terrasse. Sie grüßen mich in Englisch und als ich entsprechend antworte, sprudelt sie gleich los, dass ihr Deutsch nicht so gut ist, aber sie werden gleich von Geli und der Speisekarte abgelenkt. Als ich geduscht bin, sitzen nur noch der ältere Herr und das Pärchen da. Er kommt aus Dänemark und sie aus den USA. Sie kennen sich schon seit zwei Etappen auf dem Adlerweg. Der Däne findet es gut, dass auf Wandertouren der Alltag so unwichtig wird. Dass er nicht immer erzählen muss, wer er ist. Ich habe den Eindruck, dass er uns das gleich zu gern erzählen möchte, aber keiner fragt nach. Das amerikanische Pärchen erzählt von den Langstreckenwanderwegen in ihrem Land. Ihre Tochter hat schon sechzig Prozent des Appalachian Trail, der seit dem Film mit Robert Redford auch bei mir auf der Liste steht, wenn ich mal in Rente bin, denn dazu braucht man ein halbes Jahr. Er hat seine Tochter einige Tage begleitet, weil er die Langstreckenerfahrung hat und sie hatte keine. Ich sehe nur die protzige goldene Uhr und seine geschniegelte Erscheinung, bin ich jetzt gemein? Sie hat die Tochter nach manchen Abschnitten getroffen, um sie zu bemuttern. Und er erzählt, dass es wichtig ist, sich auf diesem Trail einen anderen Namen zu geben, denn man möchte ja aussteigen aus dem Alltag. Dort bekommt man von den scheinbar unzähligen Wanderern eine Spitznamen verpasst. Man muss also vorsichtig sein, was man gleich am Anfang tut, sagt oder zeigt. Warum müssen die Amis eigentlich aus allem eine Show machen. Vor meinem geistigen Auge streiche ich den Trail so leicht mit Bleistift von der Liste und schreibe dazu den Vermerk: Abstand halten von den Amis, die wären dabei sicherlich auch mein größtes Problem, weil ich mit der Mentalität so überhaupt nicht klar komme. Ich stelle mir vor, dass ich nach einem halben Jahr den Trail geschafft habe und nach Hause zurück komme, mich auf mein Sofa setze und stolz darauf sein will, aber dann fällt mir ein, dass ja nicht ich den Trail geschafft habe, sondern Stunky das Eichhörnchen oder so. So ein Blödsinn. Ich halte es aber den ganzen Abend am Tisch aus, beobachte, wie sich alle ein riesiges Schnitzel hinein stopfen, erfahre, was alle so vor haben. Die Amis tendieren zum einfachen Außen rum, der Däne ist noch unschlüssig und Geli, die meine Pläne schon kennt meint mit Blick auf mich: Ich kenne eine, die auf jeden Fall oben rüber möchte. Ich hatte ihr erzählt, dass ich das letzte Mal wegen des Regens immer unten herum gelaufen bin und jetzt auf jeden Fall den Adlerweg richtig laufen möchte.

Sonntag, der 9. September
Abgemacht war, dass alle sich um sieben beim Frühstück treffen. Die Vorgabe kam von der Amerikanerin und ich war erfreut zu hören, dass es so früh Frühstück gibt. Als ich in die Gaststube komme, bin ich alleine, nur die Seniorchefin, die mir vom letzen Mal noch sehr sympathisch, weil bodenständig in Erinnerung ist. Sie wirft hier noch die Küche. Sie hat für mich auf einem Tisch angerichtet und für die Amis und den Dänen zusammen auf einen anderen. Ich bin froh darüber, meine Frühstückseinsamkeit noch weitgehend genießen zu können. Ja, ich weiß ich bin komisch. Erst kommt der Däne. Er setzt sich an seinen Tisch und schaut so über das dort angerichtete Angebot. Ich fand es reichlich, sogar ein Teller mit einem Apfel und einem Müsliriegel zum mitnehmen ist dabei. Er sitzt immer noch unschlüssig da, gießt sich Kaffee ein. Er frägt mich, ob es denn keine kalte Milch gibt. Ich deute auf das kleine Kännchen neben der Kaffeekanne. Als die Wirtin  hereinkommt frägt er noch heißer Milch. Ich habe schon öfter vier Sterne Hotel besucht und stand dort immer staunend vor dem meterlangen Buffet, auf dem alles steht, was man sich nur vorstellen kann, was ich mir vorstellen kann. Denn es kommt dann meistens einer, der immer noch etwas Extra haben möchte. Ich bin überzeugt, der Däne ist auch so einer, der sich immer überlegt, was er jetzt noch Extra fordern kann.
Ich bin schon fast fertig mit Frühstücken, als die Amis kommen. Sie fangen gerade an zu Essen, als ich den wie üblich schon fertig gepackten Rucksack schultere und mich verabschiede. Ihr werdet euch ja bald alle wieder sehen, meint Geli hinter der Theke laut zu allen als ich mich verabschiede. Sie will wohl alle immer zu einem Team zusammenschweißen. Ich erkläre, dass ich gestern den anderen schon gesagt habe, dass ich heute versuchen werde, zwei Etappen bis nach Steinberg zu laufen. Die Strecke von Pinegg nach Steinberg ist mir als ziemlich langweilig in Erinnerung und ich möchte von Pinegg auf der anderen Talseite weiter laufen, auf dem alten Adlerweg und die Strecke ist kürzer. Dann sag allen im Waldhäusl, sie rattert einige Namen herunter, von uns auf der Buchackeralm, sie rattert wieder Namen herunter, eine schönen Gruß. Ich nicke und weiß ganz genau, dass ich keinen der Namen widergeben kann.
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Erst geht es ganz lässig auf Forstwegen hinüber zu einem weiten Sattel mit einigen Almen. Ich finde sogar sofort wieder den schmalen Pfad, der neben dem Schotterweg hinauf führt, genauso steil und matschig wie letztes Jahr, aber heute strahlt die Sonne über mir. Und als der Plessenberg endlich vor mir steht, kommt er mir überhaupt nicht mehr schroff vor. Die menschliche Psyche ist schon eine erstaunliche Sache. Meine Erinnerung an diesen Anstieg war fast schon bedrohlich. Heute: steil ja, aber mit Latschen bis oben hin, nur ein paar Felsen dazwischen lassen mich ahnen, warum die Etappe schwarz gekennzeichnet ist. Ich setze mich erst noch einmal unten auf eine Bank, die Aussicht über das Tal ist grandios.
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Kurz danach schnauft ein Pärchen von unten hoch und gesellt sich zu mir. Der Anstieg aus dem Tal, den ich schon gestern locker über die Fahrstraße gemacht habe, ist hier über einen Steig bestimmt ziemlich steil. Ich bekomme Äpfel aus ihrem Proviant angeboten, aber ich bin noch gut gefüllt vom Frühstück. Wir wollen bald alle weiter, die beiden in eine andere Richtung. Ich mache mich an den Anstieg, kämpfe mich die Felsstufen hinauf, die eher für Riesen gemacht wurden. Auf halber Höhe überholt mich ein anderes Pärchen. Alle sind viel schneller wie ich. Ich muss immer wieder stehen bleiben und warten, bis sich mein Pulsschlag wieder beruhigt hat, der heftig am Hals oben anschlägt, aber meine Lunge ist es nicht, es ist wohl einfach die Kondition. Es geht langsam, aber es geht nach oben. Am Gipfelkreuz des Plessenberg sitzt das Pärchen, das mich überholt hat. Auch Schnecken kommen einmal oben an, sage ich. Es sind noch mehr Leute hier, alle haben einen südbayrischen Dialekt, alles hier in Münchner Hand, ist wohl das Naherholungsgebiet. Hinter den Latschen kommt eine lautstarke Unterhaltung einer größeren Gruppe durch. Ist hier ein Bus angekommen, fragt er vom Pärchen. Sie gehen weiter, ich versuche einem anderen bei seinen Gipfelfotos nicht im Weg zu stehen, aber es ist schon eng hier. Macht nichts, meint er, durch Leute auf dem Foto kann man die Größenverhältnisse besser einschätzen. Nun tritt der Däne aus den Latschen hervor. Ob ich ein Kletterprofi bin meint er atemlos. Er hat mich ja nicht hochschnaufen gehört. Ich mach mich wieder auf dem Weg. Schaue beim Weiterlaufen hinter die Latschen zu der größeren Gruppe. Es sind nur drei Männer, die sich da wie eine Busladung benehmen. Das Pärchen sehe ich hinter den Latschen beim nächsten Anstieg verschwinden. Es sind hier drei Gipfel aufgereiht, aber der ausgeschilderte Weg geht am zweiten außen herum. Am nächsten Steilstück kommt mir eine alte Dame entgegen, also wirklich eine alte Dame. Oh mein Gott, hier kommen wirklich alte Damen hinauf und ich brauche mehrere Pausen für den Aufstieg, was mache ich falsch. Auf dem dritten Gipfel begegne ich dem Pärchen wieder. Der mittlere Gipfel sei es nicht wert gewesen, nicht einmal ein Gipfelkreuz hätte der. Geht ja gar nicht. Wir sitzen auf dem Kienberg in der Sonne. Dann will ich weiter nach Pinegg und sie wieder nach vorne ins Tal zum Zwetschgendatschi. Man muss Ziele haben, kommentiere ich. Wir verabschieden uns lachend in unterschiedlichen Richtungen.
Der Weg nach Pinegg zieht sich eine gefühlte Ewigkeit dahin und ich merke, dass der Abstieg von tausendsechshundert Metern auf dieser Etappe alles an einem Stück kommen und zwar jetzt. Ich kann mich erinnern, dass es das letzte Mal verdammt rutschig bei Regen war, aber auch bei trockenem Boden geht das voll auf die Knie. Sie schmerzen, als ich endlich in Pinegg bin. Es ist auch schon später als ich erwartet habe, schon drei vorbei. Ich korrigiere mein Vorhaben und will hier übernachten. Beim Gwercherwirt gibt es aber dieses Mal kein Zimmer für mich, alles voll und sie sagt, dass vorhin schon eine Frau im Kaiserhaus angerufen hat und da war auch nichts mehr frei. Tja, dann werde ich wohl doch weiter müssen. Aber ich rufe im Waldhäusl in Steinberg an. Nein, kein Einzelzimmer mehr. Und wenn ich ein Doppelzimmer nehme. Sie lacht: wenn ihnen das sechzig Euro wert ist. Das hatte ich doch das letze Mal auch, und ich fand das Geld gut angelegt. Der Deal steht und ich laufe weiter nach Steinberg. Auf der alten Forststraße sind es zwölf Kilometer meint die Gwercherwirtin. Nach der Pause mit zwei JBS (man entsinne sich, Kurzform für Johannisbeerschorle) fühle ich mich auch schon wieder besser. Die Knie haben sich auch wieder beruhigt und die zwölf Kilometer werden ohne nennenswerte Auf- und Abstiege verlaufen.
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Aber zwölf Kilometer sind zwölf Kilometer. Für sich alleine gesehen nicht der Rede wert, nach ein paar Gipfeln im Vorfeld doch keine Kleinigkeit. Ich habe das Zwillingszimmer vom letzten Mal. Das letzte war stilvoll modern eingerichtet, das heute nostalgisch. Ist jetzt nicht so ganz mein Ding. Ich lege erst einmal die mühevoll unordentlich gerichtete Spitzendecke auf der Kommode ordentlich hin. Man kann nicht aus seiner Haut. Mein Zimmer hat aber einen Balkon. Auf dem Weg hier her hatte ich mir überlegt, mir ein Bier aufs Zimmer zu nehmen, um es dort zu trinken, doch jetzt habe ich einen viel besseren Gedanken. Schuhe ausziehen und mit meinem schwarzen Lederetui setze ich mich auf den Balkon. Ich weiß gar nicht was ich für Whiskys dabei habe, da die von der letzten Wanderung noch abgefüllt waren. Sieh an, ein achtzehnjähriger Glenfiddich und ein sechzehnjähriger Lagavulin. Tut mir leid Clemens, das wäre eigentlich noch deiner gewesen, wo sich die bei mir überall verstecken ist unglaublich. In meinem Bestreben diese Flaschen leer zu bekommen habe ich Zuhause auch eine Kräutertinktur damit angesetzt und jedes Mal, wenn ich jetzt damit eine Entzündung bekämpfen möchte, natürlich äußerlich, finde ich es nicht gerade genial, dann nach rauchigem Whisky zu duften. Also der Lagavulin muss dringend weg, eine gute Gelegenheit. Vor mir die goldschimmernde Flüssigkeit im Glas dahinter ragt das Rofan auf. Wenn das heute schon anstrengend war, dann wird das Morgen noch besser werden. Wenn der Anstieg zum Plessenberg heute schwarz gekennzeichnet ist, dann ist das morgen dunkelschwarz. Ich trinke den massigen Felsspitzen zu und meiner neuen selbstgenähten Hose, die sich bisher ausgezeichnet gemacht hat.
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Montag, 10. September - anstrengendste Adlerweg Etappe
Laut Wirt gibt es jemanden, der um halb acht schon Frühstücken will, ich schließe mich an. Kurz nach mir taucht ein junger Mann im Frühstücksraum auf, englischsprachig. Die Tiroler Alpen scheinen internationalen Ruf zu haben.
Klar kann ich mich noch erinnern, wie ich von hier das letzte Mal weiter gelaufen bin. Nicht auf dem Adlerweg und den langweiligen Teerstraßen, die noch dazu auf der anderen Talseite verlaufen. Ich bin einen Höhenweg gelaufen, schöner schmaler Pfad weit über der Ach, das Tosen des Flusses wie vor einem Jahr unter mir. Ich erkenne den Baum wieder, unter dem ich damals meinen Poncho übergezogen habe, wie ich froh über den stärker werdenden Regen war, um zurück auf den Forstweg zu gehen. Heute nicht, heute laufe ich daran vorbei. Ich bedauere, dass ich dann nicht zu der kleinen Alm auf dem Weg zum Achensee komme, die war wirklich nett. Der Aufstieg zur Rofanspitze hat steil begonnen und bleibt steil. Laut Karte verteilen sich tausend Höhenmeter auf gut zwei Kilometer. Gleich am Anfang überholt mich ein Pärchen, auch nicht schnell, aber bedeutend schneller wie ich. Ich rufe ihnen nach, dass auch Schnecken irgendwann ans Ziel kommen. Er meint, dass es in den Bergen nicht auf Schnelligkeit ankommt. Der Anstieg zieht sich über Stunden dahin. Immer wieder und immer öfter muss ich stehen bleiben, um den Puls wieder einzufangen, um wieder zu Kraft zu kommen. Eine Gruppe überholt mich, älterer Herr, jüngerer Herr und eine junge Frau, sieht so aus, als ob der ältere ein Bergführer wäre und das Pärchen anführt. Sie haben einen Schweizer Dialekt, der ältere Herr einen österreichischen. Ich lasse sie vorbei, der ältere Herr sieht, dass ich mich auf eine längere Pause einrichte. Zum Sattel ist es aber noch ein Stück hin, meint er. Tja, aber ich brauche diese Pause, ich weiß auch, dass langsames, beständiges Weiterlaufen bessere wäre, aber noch langsamer kann ich nicht laufen. Links und rechts neben mir rücken die Bergkanten näher, aber der Sattel will sich einfach nicht öffnen.
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Mir kommt ein Typ entgegen. Er geht schrecklich verkrümmt, man sieht ihm an, dass er Schmerzen hat. Er erzählt, dass er heute von der Erfurter Hütte losgelaufen ist, mein Ziel. Zur gleichen Zeit wie ich von Steinberg. Es ist mittlerweilen Mittag. Er will heute noch nach Pinegg. Ich will die letzte Bahn hinunter zum Achensee erreichen, die vermutlich um vier Uhr abfährt. Unausgesprochen sehen wir gegenseitig ein, dass wir unser gesetztes Ziel wohl nicht erreichen. Beide gehen wir aber ermutigt aus der Unterhaltung heraus. Endlich komme ich durch einen Felsspalt auf das Plateau des Sattels. Der Zireiner See sollte jetzt nicht mehr weit sein, ist aber nicht zu sehen. Wen ich sehe ist die Dreiergruppe beim Rasten. Sind wir hier schon auf dem Sattel oder müssen wir noch höher? frage ich. Das wissen wir auch nicht, antwortet der Jüngere. Der Ältere schweigt, also doch kein Bergführer. Ich setze mich dazu, trinke was. Der jüngere fragt, ob ich einen Schokoriegel haben will, so was hätten sie noch im Angebot. Ich bin ziemlich erschöpft und Essbares habe ich nie dabei. Blöd wenn ich ablehnen würde. Ist zwar eine ziemlich blöde Anmache, meint er, aber wenn ich mich zu ihm setzen würde, könnte ich mir in der Tüte was aussuchen. Ich gestehe ihm zu, dass das in den Berg durchaus erlaubt ist und suche mir einen Schokoriegel aus. Sie wollen auch noch die letzte Bahn erreichen und die fährt um fünf Uhr. Sie haben dort unten ihr Auto stehen und sind mit dem Bus heute Morgen nach Steinberg gefahren. Aus dem Gespräch entnehme ich, dass es wohl Vorarlberger sind, dass klingt auch manchmal ziemlich schweizerisch. Ich laufe schon weiter, als er sich noch die Schuhe anzieht. Klar habe ich mich für den Schokoriegel bedankt, aber der Weg zur Erfurter Hütte ist noch weit und er hat aus einer Beschreibung zitiert, dass es dort hin noch einen steilen Anstieg gibt. Und ich dachte, den hätte ich jetzt hinter mir. Vielleicht sollte ich die Beschreibungen zu den Etappen auch einmal durchlesen, schließlich habe ich sie alle auf dem Handy abgespeichert. Aber vielleicht will ich das gar nicht wissen.
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Der Zireiner See ist eigentlich nur noch eine Pfütze, klar wo soll das Wasser herkommen, nach so einem trockenen Sommer. Ich laufe dem See entlang und dann weiter auf einen Sattel zu. Ich weiß aber noch so viel aus meinen Recherchen, dass wir nicht auf die Rofanspitze müssen und dann kann es doch nicht mehr so schlimm werden. Eine kleine Steigung und mein Puls schlägt sofort wieder an. War das schon die erwähnte Steigung, dann wäre es ja nicht ganz so schlimm. Mich überholt eine junge Frau, so locker, als würde sie einen kleinen Morgenspaziergang machen und ich bin schon so fertig. Noch ein kleine Steigung und ich stehe auf dem Sattel an einer Wegkreuzung. Es geht jetzt doch hoffentlich den Weg hier im Tal entlang. Nach oben zur Rofanspitze führt auch ein Weg. Dort kommt gerade ein junger Mann herunter. Als er bei mir ist und sieht, dass ich gerade mein Handy nach dem weiteren Wegverlauf befrage, frägt er, ob es noch einen anderen Weg zur Erfurter Hütte gibt, dass hier über den Berg fand er gerade ziemlich anstrengend. Ich kann noch so lange auf die Karte starren, aber ich muss da auch hinauf. Kurze, steile Serpentinen hinauf zu einem weiteren Sattel zwischen zwei schroffen Felsmassiven. Ja, da müsste ich durch zur Erfurter Hütte, meint er. Nein, ich finde hier auch keinen anderen Weg auf der Karte, antworte ich. Er will nur kurz hinunter zum See und dann wieder zurück zur Bahn. Auch er will heute noch damit hinunter fahren. Na schön, dass noch mehr Leute dieses Ziel haben. Langsam steige ich die Serpentinen nach oben. Unten auf dem Weg durch das Tal kommt ein Wanderer zurück, der da gerade hineingelaufen ist. Die Silhouette mit dem großen Rucksack kommt mir bekannt vor. Die habe ich heute schon von Weitem beim Anstieg gesehen. Ich brauche mal wieder eine Pause, den Sattel habe ich noch nicht erreicht. Die Silhouette mit dem großen Rucksack ist nun auch den Weg hierher unterwegs und kommt gerade an mir vorbei. Eine junge Frau, der Rucksack fast so groß wie sie selbst. Wir unterhalten uns kurz, ja auch zur Erfurter Hütte, aber nicht mehr mit der Bahn hinunter. Aus psychischen Gründen hänge ich mich gleich an sie dran und ich bin froh darüber. Ihr Anblick über mir hat mich weiterlaufen lassen, denn was da auf uns zukommt, ahnten wir beide noch nicht. Der Weg führt auf den Sattel, der aber auf der anderen Seite steil und unbegehbar ins Tal abfällt. Muss ja auch nicht begehbar sein, denn der Weg führt hinauf auf die Felszähne. Das ist das steile Stück von dem in der Beschreibung die Rede ist. Die Wand kommt man natürlich nur hinauf, indem man sich an Drahtseilen nach oben zieht. Das Mädchen über mir stöhnt unter ihrem großen Rucksack, steigt aber ohne Pause weiter. Das zittern meiner Knie hat wieder aufgehört, vermutlich sind die vor Schreck erstarrt. Ich ziehe mich hinter dem Mädchen hinauf, wenn die das mit dem großen Rucksack schafft, dann schaffe ich das auch. Unten fängt die Dreiergruppe gerade mit dem Anstieg an. An einer Kante frage ich, ob schon ein Ende in Sicht ist, sie verneint, sie klingt genauso erschöpft wie ich. Endlich sehen wir oben eine Felskante mit einem Wegweiser. Wegweiser stehen meistens dort, wo das Schlimmste vorbei ist. Also noch die letzten Kräfte mobilisieren. Verdammt, dann sind wir ja doch auf der Rofanspitze. Oben am Wegweiser werde ich korrigiert. Noch etwa zweihundert Meter einen schmalen Pfad auf einer Wiese hinauf und dort wäre die Rofanspitze.
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Scherzkeks, wer diese Beschreibung gemacht hat. Ich bedanke mich bei dem Mädchen und ihrem großen Rucksack, sie haben mich sozusagen mit nach oben gezogen. Wir ersparen uns natürlich die Spitze und laufen den Weg über die Wiese zum Ende des Sattels. Was interessiert mich die Spitze. Das gerade war heftig genug. Am Ende des Sattels geht es bergab, von einer Erfurter Hütte ist nichts zu sehen. Eine Stunde hat der junge Mann vorhin gesagt, braucht man nach dem Steilstück noch zur Hütte und damit zur Bahn, jetzt aber schnell, dann könnte das mit der letzten Bahn noch klappen. Aber es ist schon spät. Die Dreiergruppe hat inzwischen aufgeholt, fällt aber zurück, weil ich mich nun spute so schnell ich kann. Die junge Frau und ihr großer Rucksack haben Pause gemacht, sie will ja nicht mehr hinunter. Der Weg zieht sich ewig dahin, keine Hütte in Sicht. Plötzlich höre ich ein lautes Heulen, menschlich, das junge Mädchen aus der Dreiergruppe, wer soll es sonst sein. Sie war immer sehr, sehr still. Ich weiß wie es ist, wenn die Kräfte irgendwann total aufgebraucht sind, dann setzt man sich hin und alles ist einem egal. Weinen ist aber auch eine gute Methode, da bin ich vielleicht nicht so talentiert. Aber weiter muss sie. Das Heulen ist immer noch weithin zu hören. Ich würd ihr gerne helfen, aber sie hat zwei Begleiter. Endlich tauchen die Hütte und die Bergstation auf. Nur noch durch ein kleines Tal. Der ältere Herr aus der Dreiergruppe hat aufgeholt. Wir haben noch eine halbe Stunde bis zur letzten Abfahrt. Vermutlich will er zur Bahn, um vielleicht die letze Bahn aufzuhalten. Ja, das Mädchen hat so geheult, es war wohl zu viel für sie. Als wir zur Bergstation kommen kommt auch gerade die Kabine nach oben. Die letzte für heute, noch ist eine viertel Stunde Zeit. Der jüngere Mann mit dem Mädchen kommt auch noch. Die Uhr tickt weiter. Wo ist der junge Mann, der auch wieder hinunter wollte. Ich schaue immer auf den Durchgang zur Bahn, aber er kommt nicht mehr. Die Bahn rollt an. Obwohl sie gut voll ist, setze ich mich auf den Boden. Ich kann nicht mehr stehen. Unten im Tal winke ich der Dreiergruppe noch zu, bevor sie zu ihrem Auto verschwindet. Irgendwie hat uns die Tour zusammengeschweißt, nicht nur der Schokoriegel. Ein Stück weiter die Straße hinunter ist die Bushaltestelle, um hinüber nach Pertisau zu kommen. Ich frage nach dem richtigen Bus, ein Typ, Holländer, mit dazugehöriger Gattin; zeigt auf die Anzeigetafel, ich stehe schon richtig, die Anzeigetafel ist nur zu weit oben, zumindest für mich, zumindest für heute. Ich setze mich auch gleich auf den Bürgersteig. Auch hier kann ich noch nicht stehen. Ich komme mit dem holländischen Pärchen ins Gespräch, was von Steinberg her, ruft er erstaunt aus, da waren wir gestern mit dem Fahrrad, aber unten herum, das war weit. Oben herum ist es vielleicht nicht ganz so weit, aber dafür steiler. Sie preisen ihr Hotel an, dass eigentlich ein Bauernhof ist. Ich will in das Hotel vom letzten Mal, liegt etwas abseits und war nett. Als ich dort ankomme sagt er nein, nichts mehr frei, wir haben Hochsaison, alles was Seeblick hat ist nun ausgebucht. Also weiter den Wegweiser Karwendeltal folgen, das ist zumindest für morgen die richtige Richtung. Nach nur wenigen hundert Metern sehe ich das nächste Hotel. Ich kann jetzt nur jedes abklappern. Ja, sie haben noch etwas frei, knapp siebzig Euro. Egal, ist halt Achenseeregion und Hochsaison, wie ich nun weiß. Ich frage, ob sie auch ein Abendessen anbieten. Heute habe ich mir das verdient. Ja, sie haben auch Halbpension und bieten zwei verschiedene Gerichte. Ich wähle Hühnchen mit Gemüse und entschwinde in mein Zimmer. Duschen ja, aber jetzt nur nicht Einschlafen, die Gefahr ist groß. Ich schaffe es wach zu bleiben. Um halb sieben komme ich hinunter in den Gastraum, aber die meisten sind mit ihrem Menü schon bei der Nachspeise gelandet. Entweder haben alle sehr schnell gegessen oder ich habe mir die Zeit falsch gemerkt. Egal. Der nette junge Wirt in kurzer Lederhose, alpenländisch stilgerecht, stellt mir schnell die Griesnockerlsuppe und meine JBS hin. Ruckzuck kommt das Hühnchen und dann noch ein Stück Heidelbeerkuchen. Normalerweise habe ich nach einem anstrengenden Wandertag überhaupt keinen Appetit, aber ich habe es geschafft. Und dann bin ich nur noch müde. Im Wegdämmern fällt mir ein, dass ich bei all der Eile noch ein Zimmer zu bekommen, vergessen habe, vom Achensee bei Sonnenschein ein Foto zu machen. Blöd. Meine ganzen Ferien in der frühsten Kindheit habe ich im Zillertal verbracht und den Achensee nur immer bei Gewitter und Regen gesehen. Das wäre jetzt der Beweis gewesen, dass es auch anders sein kann. Und ich habe nun keinen Beweis.

Dienstag, 11. September
Heute Morgen geht es weiter ins Karwendelgebirge und dabei erst einmal zur Lamsenjochhütte. Beim Auschecken bezahle ich nur die angekündigten achtundsechzig Euro, obwohl er mir sagte, das Abendessen und das Getränk schreibt er aufs Zimmer. Hat er es vergessen oder war das der Preis für Halbpension. Ich bin da eigentlich immer sehr ehrlich und frage nach, aber dieser Gedankengang ist mir erst später gekommen. Denn an der Rezeption unterhalte ich mich noch angeregt über die gestrige Tour und die kommende. Sie sagt mir, wenn die Knie zittern muss man auf den Fußspitzen auftreten, dann wird die Belastung von den Oberschenkeln auf die Unterschenkel verlegt. Das hat ihr ihr Freund einmal gesagt und das könnte stimmen. Nichts anderes habe ich gemacht, als es die Wand hinauf ging. Ich werde das austesten.
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Der Weg zieht sich erst einmal durch ein langes Tal auf einer Teerstraße dahin. Auf der anderen Flussseite muss hinter den Büschen auch eine Straße sein, ich höre dort für die frühe Morgenstunde schon regen Verkehr. Wohin nur, das Tal ist irgendwann zu Ende und was machen die dann dort. Es sind eindeutig zu viel Autos für Wanderer. Als ich zum Ende des Tals und zum Alpengasthof Gramai komme weiß ich wo alle sind. Das ist hier das ultimative Ausflugsziel. Man fährt mit dem Auto hin, wandert zwischen den verschiedenen touristisch gut aufgemotzten Gebäude herum, kauft im Kässtadl ein, kehrt ein, geht vielleicht noch ein bisschen spazieren und fährt wieder zurück. Ich bin geschockt im Angesicht dieser Menschenansammlung. Es ist auch fast schon elf Uhr. Ich trinke noch schnell eine Buttermilch im Kässtadl und mache mich dann an den Anstieg zur Lamsenjochhütte. Der Typ im Kässtadl hat erwähnt, das die Falkenhütte geschlossen ist. Dort wollte ich eigentlich heute anfragen, weil die Lamsenjochhütte nicht weit genug ist und das Karwendlehaus von dort auch wieder viel zu weit. Was nun, doch die Lamsenjochhütte, falls sie noch was frei haben oder zur Binsalm, die habe ich mir bei meiner Planung vor zwei Jahren herausgesucht. Nebenbeigesagt betrete ich mit der heutigen Etappe Neuland am Adlerweg.
Klar ist der Anstieg zur Lamsenjochhütte wieder mal steil, ich sehe die Serpentinen hoch über mir. Aber so weit sollte sie nicht sein, warum sehe ich sie nicht schon. Gleich am Anfang werde ich auch wieder überholt. Ein Pärchen mit eigenartig bekanntem Dialekt, ich kann ihn nur nicht ganz einordnen. Sie sind auch auf dem Adlerweg unterwegs und wollen zu den Engalmen, das seien mehrere Almen mit Unterkünften. Engalmen, das habe ich schon mal gehört. Geli von der Buchacker Alm hat die Eng als Etappenziel erwähnt. In einer meiner nächsten Pausen forsche ich auf meiner Karte nach. Die Binsalm liegt kurz vor den Engalmen. Wenn ich nicht auf der Lamsenjochhütte bleibe, muss ich überall nachfragen, wo ich vorbeikomme.
Endlich oben auf dem Sattel und keine Hütte in Sicht. Ich folge den Wegweisern und da ist sie endlich, hat sich nur hinter einem Felsen auf der anderen Seite des Sattels versteckt.
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Das Pärchen von vorhin sitzt schon auf der überfüllten Terrasse. Sie bestellen aber auch erst gerade. Vielleicht bin ich doch nicht ganz so langsam. Ich brauche hier eine JBS zum Auffüllen des Energievorrats und dazu gleich noch eine Rhabarberschorle für den Durst. Gerade als ich wieder frisch gestärkt los möchte, kommt ein roter Hubschrauber vom Tal hoch und landet kurz hinter der Hütte. Was ist passiert? Jeder schaut besorgt die Spitze des Lamsenjochs hinauf, dort ist ein Klettersteig. Ist einer abgestürzt?
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Als ich den steig weiter zum nächsten Tal hinüber laufe und nahe am Hubschrauber vorbei komme, stehen alle noch so herum, keine Hektik, keine Aufregung. Im Nachhinein muss ich auch sagen, da stand auch nichts auf dem Hubschrauber. So was wie Christopher ein oder zwei oder so. Im Nachhinein ging das Gerücht um, dass die da öfters mal zum Essen hochkommen. Warum nicht? Andere fahren mal kurz mit dem Auto zu McDonalds. Die Zeiten ändern sich. Ich kann mir gut vorstellen, dass es inzwischen Tourenanbieter gibt, die Leute mit dem Hubschrauber mal kurz zum Klettersteig hoch bringen. Kleine Auszeit für gestresste Banker. Ich laufe halt noch zu Fuß. Ich finde das auch ok. Und ich nehme hier die nicht ganz so steile knieschonende Schotterstraße und nicht den steilen Steig.
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An der Binsalm sitzen schon eine ganze Menge frisch geduschter Mädels, da wird für mich wohl nichts mehr frei sein. Aber falsch gedacht, ich bekomme ein Lager mit fünf Betten für mich alleine und es gibt dort Steckdosen zum Aufladen meines Handys. Nur das warme Wasser ist schon aus, das haben wohl alles die Mädels gebraucht. Ich bin auch nach der Anmeldung gleich wieder raus auf die Terrasse, um das Pärchen abzufangen und Bescheid zu sagen, dass ich hier untergekommen bin, aber die sind wohl schon vorbei gelaufen. Mir fällt ein anderes Pärchen zwischen all den Mädels auf, das sich etwas abseits hält. Ich gehe früh zu Bett, schlafe auch sofort ein, um wie schon so oft, dann die halbe Nacht wach zu liegen.

Mittwoch, 12. September
Gut, es gibt um sieben schon Frühstück und ich bin da. Auch noch ein Vierertrupp Mountainbiker, die mir den ganzen Tag über immer wieder begegnen werden und ich mich immer wieder fragen werde, wo die jetzt auf den Berg gekommen sind und ein Dreiertrupp Frauen, mit nordischem Dialekt. Das Frühstück ist sogar für eine Alm eher bescheiden, aber es reicht um weiter zu laufen. Der Abstieg zu den Engalmen geht ganz schnell über eine breite Schotterstraße, es ist noch schattig auf meiner Bergseite. Die Engalmen sind touristisch gut aufgemöbelt und auch über eine öffentliche Fahrstraße zu erreichen, aber doch abseits, am Ende eines Tals gelegen. Berggefühl für jedermann, muss auch sein. Als ich durch den Almenpark laufe, startet gerade ein großer Trupp sehr junger Leute. Von hier geht es wieder steil bergauf zum nächsten Sattel, der Falkenhütte entgegen.
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Die Hamburger sind fast immer um mich. Das sind die jungen Leute von den Engalmen. Eine Abiturklasse aus Hamburg. Sehr sportlich, denn sie rennen ziemlich schnell und sie haben auch noch eine gute Kondition, denn ihnen machen auch die vielen Pausen mit Schuhe ausziehen nichts aus. Nur als sie an einem Bach ihre Wasserflaschen auffüllen, muss ich sie doch mal warnen. Hier sieht alles nach praller Natur aus, aber alle Almen haben Filteranlagen, um die Keime durch die Viehwirtschaft aus dem Wasser zu bekommen. Solange ich noch Vieh oder Weidezäune um mich herum sehe, trinke ich aus keinem Bach. Das sage ich ihnen auch so, ohne dabei zu schulmeisterhaft zu wirken, denn dann würden sie das nicht ernst nehmen. Wir treffen uns noch oft und begrüßen uns schon wie alte Bekannte. Und wieder schafft mich der Anstieg. Kurz vor dem Sattel überholt mich das Pärchen von der Binsalm. Sie wollen auch zum Karwedelhaus und beruhigen mich bezüglich eines freien Platzes. Sie haben gestern noch dort angerufen und gesagt bekommen, dass es Plätze gibt und dass sie gar nicht reservieren müssen. Ein anderer, der zu uns stößt meint, dass es auf dem Karwendelhaus zweihundert Plätze gibt, muss also eine größere Hütte sein. Von hier können wir auf dem nächsten Sattel die Baustelle der Falkenhütte sehen, ein Kran auf dem Berg sieht schon komisch aus und daneben das Skelett von dem, was einmal wieder die Hütte werden wird, zwei Jahre soll der Neubau dauern.
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In der letzten Alpenvereinszeitschrift stand, dass es keine Genehmigungen zum Neubau von Hütten gibt, aber die neuen Auflagen für die bestehenden Hütten werden in den nächsten Jahren den Neubau der meisten Hütten erfordern. Gemeinsam kommen wir unterhalb der Baustelle an und die Hamburger sind auch bald da. Der männliche Anteil des Pärchens will unbedingt die Baustelle sehen, die Hamburger haben verabredet, dass sich dort alle wieder treffen, obwohl ihnen nun klar wird, dass man nicht zur Baustelle hoch muss, um zum Karwendelhaus weiter zu kommen. Ich will nicht zur Baustelle und bleibe unten auf der Schotterstraße und mache unten Pause.
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Die Biker kommen mir entgegen, wo sind die den rumgefahren, das Pärchen kommt auch bald wieder und da mache ich mich auch auf den Weg, aber sie laufen schneller und so habe ich die Berge um mich herum bald wieder für mich. Der Weg führt beständig nach unten, in ein riesiges Hochtal, aber nach unten mag ich gar nicht, wenn ich weiß, dass das Karwendelhaus auf dem nächsten Sattel liegt. Das Hochtal ist ungewöhnlich üppig bewaldet für die Höhe, wir befinden uns immerhin auf fast tausendachthundert Meter. Es gibt so viele Laubbäume, Birken und Ahorn. Das Gebiet um die Engalmen nennt sich der große Ahornboden und ich komme gleich zum kleinen Ahornboden. Der Ahornbestand hat also Tradition. Unterwegs erfahre ich auf einem Schild, dass der Bestand in den vergangenen Jahrzehnten als Nutzholz verbraucht wurde und stark zurück gegangen ist. Nun sieht man überall Neupflanzungen. Wir haben der Natur und im speziellen den Alpen in den vergangenen hundert Jahren sicherlich viel angetan, aber es ist ein gutes Gefühl, dass das jetzt an vielen Stellen wieder gut gemacht wird, trotz der hohen Belastung durch den Tourismus. Mit dem kleinen Ahornboden habe ich heute die tiefste Stelle erreicht und von hier geht es wieder nach oben zum Karwendelhaus.
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Es ist nicht besonders steil, zumindest hatte ich schon steiler Stücke, aber die Sonne brennt mit voller Kraft in die Schlucht, in der der Weg nach oben führt. Unterwegs treffe ich immer wieder auf Wanderer, die jeden kleinen schattigen Bereich für eine Pause nutzen, ich auch. Oben wird der Weg breiter und auf beiden Seiten ragen schroffe Felsspitzen in die Höhe. Eine davon ist die Birkkarspitze.
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In mir baut sich bei dem Anblick ein ungutes Gefühl auf. Die Besteigung der Birkkarspitze gilt als die alpnistisch schwierigste Etappe des Adlerwegs. Mein Ehrgeiz zum vollenden des kompletten Adlerwegs wird durch den Gedanken verdrängt, dass man die größte Spitze schon mal herausschneiden könnte. Ich verdränge die Gedanken gleich. Erst einmal zum Karwendelhaus und dieses Haus hat sich gut versteckt. Der Sattel zieht sich lange dahin, es geht immer wieder mal hinauf und hinunter, aber wo bitte schön ist das Karwendelhaus. Es sind auf dieser Etappe erstaunlich viele Leute unterwegs. Ich frage dann einfach einmal eine junge Frau, die mir entgegenkommt, als wäre sie mal kurz zum Kaffeetrinken hier hochgekommen. Die Hütte ist gleich um die Ecke, meint sie. Immer diese hinterhältigen Ecken. Und wirklich, einmal noch um einen Felsvorsprung und das steht das Haus. Auf der Terrasse suchen die Wanderer die sonnigen Plätzchen. Auch wenn man den ganzen Aufstieg furchtbar geschwitzt hat, es wird sofort kühl, wenn man sich hinsetzt. Geht also nicht nur mir so. Jetzt wo ich hier bin, muss ich sagen, dass ich heute nicht so große Probleme mit meinem Puls hatte. Sollte ich mir nun Kondition angeeignet haben? Die Anmeldung ist in der Küche und der Hüttenwirt stöhnt, als er hört, dass ich keine Reservierung habe. Warum glaubt eigentlich jeder, dass nur er die Idee hatte, dieses geniale Wetter für eine Bergtour zu nutzen. Ich sag ihm jetzt nicht, dass es bei mir keine spontane Idee war, sondern ein seit einem Jahr geplanter Urlaub. Aber, dass er gestern noch Leuten gesagt hat, dass keine Reservierung nötig ist. Ja, das hat er inzwischen hunderten gesagt. Ich frage mich im Stillen, warum. Aber ich bekomme noch einen Platz. Dritter Stock, blauer Bereich. Die Schuhe bleiben natürlich unten, inzwischen unbedingt auch meine Socken, aus Sicherheitsgründen. Der dritte Stock ist das Dachgeschoß und hier reiht sich Lagerplatz an Lagerplatz, mindestens sechzig oder siebzig, ich habe nicht gezählt. Blau ist ganz hinten, da laufen dann zumindest nicht die tausend anderen immer vorbei. Das Pärchen ist in derselben Koje. Gegenüber ist gerade ein junge Frau mit einheimischen Dialekt angekommen, habe ich in den letzten Tagen eher selten gehört, alles hier in südbayrischer Hand und ein paar Fremdländer dazwischen. Erster Überraschung: die Duschen sind aus Wassermangel gesperrt und aus den Wasserhähnen an den Waschbecken kommt nur ein Rinnsal, aber es geht auch so. Auf der Terrasse geselle ich mich zu dem Pärchen, sie sind aus der Rosenheimer Gegend. Klar, klang immer so vertraut. Ich gönne mir hier neben der JBS auch einen Kaiserschmarrn. Den gibt es nur bis vier Uhr. Ich drehe mich um zur Uhr, auf die sie gedeutet hat. Sch… fünf Minuten nach Vier. Neben mir steht ein Pärchen. Sie hält dem jungen Mädchen, die die Bestellungen entgegen nimmt ihre Uhr unter die Nase. Bei mir ist es erst Vier. Und er hält ihr seine Uhr auch noch unter die Nase: bei mir ist es sogar erst fünf vor. Das Mädel stöhnt. Da muss ich erst in der Küche nachfragen. Bleibt stehen. Er: Ja? und nickt auffordernd. Ich bekomme meinen Kaiserschmarrn und später kommt noch einmal jemand mit einem Teller voll Schmarrn heraus. Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Aber nein, ich verstehe die Regel schon. Die Küche muss sich ab Vier auf das Abendessen für zweihundert Leute vorbereiten. Man merkt zwar nicht, dass hier so viele rumlaufen, einigen kommen immer noch dazu, andere fahren ab ins Tal, die ganzen Mountainbiker. Die sind hier wirklich wie Unkraut. Als ich mit dem Teller hinaus auf die Terrasse will, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, steht das Pärchen von der Lamsenjochhütte vor mir, noch in voller Montur, mit Rucksack und so, also gerade angekommen. Was macht ihr den hier, ich dachte ihr sitze hier schon irgendwo gemütlich bei einem Bierchen und jetzt kommt ihr nach mir an. Sie gesellen sich dann frisch nicht-geduscht zu mir und dem Pärchen aus Rosenheim. Sie kommen übrigens aus dem Schwarzwald, Offenburger Gegend. Wäre ich jetzt nicht drauf gekommen. In der Bodensee Region reden die ganz anders, aber jetzt wo ich es weiß, ist mir klar woher mir der Dialekt bekannt vor kam. Die Schwarzwälder wollen morgen über die Birkkarspitze. Die Rosenheimer steigen nach Scharnitz ab um dort den Zug zurück zu ihrem Auto zu nehmen. Der Zug fährt nach Innsbruck. Hier auf der Hütte stand ich schon mit einigen anderen unschlüssigen vor der Wetterprognose. Für Morgen ist ab dem frühen Nachmittag Gewitter und dann Regen angesagt. Nicht die besten Voraussetzungen für die Birkkarspitze. Man braucht ungefähr vier Stunden nach oben und dann ist es noch ein langer Weg wieder hinunter ins nächste Tal, spätestens da läuft man im Regen und es wird dort noch sehr schroff sein, also kein matschiger Pfad, sondern rutschige Felsen. Ich rufe die PDF zur Etappe auf. Ich soll die Beschreibung laut vorlesen. Ich hätte das jetzt gar nicht lesen sollen, schon bei schönem Wetter klingt das sehr, sehr anstrengend. Als ich lese …dazu passiert man unter anderen das Schlauchkar, ruft der Rosenheimer aus: und jetzt rat mal, warum das Schlauchkar heißt. Hm, ja, steht hier. Ich lese weiter … nomen et omen, es schlaucht ganz schön. Oh man, wollte ich das wirklich wissen.
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Während die anderen noch zu Abend essen ziehe ich mich schon mal ins Lager zurück und versuche etwas zu schlafen, bevor die Massen kommen. Ich kann nicht schlafen, aber der Einzug der Massen geht beachtlich ruhig vor sich. Nur die beiden Typen, die hörbar gut angeheitert im Dunklen, von Handylicht mal abgesehen, ihren Schlafplatz suchen, finden sich und die Situation urkomisch und kommen aus dem Kichern nicht mehr raus. Können Männer albern sein und um diese späte Stunde ist es einfach nur nervig. Als alles wieder ruhig ist, kann auch ich ein bisschen schlafen.

Donnerstag, 13. September
Ich schaue gleich auf mein Handy. Fünf Uhr fünfzig. Wer wagt es einen lauten Handyalarm um diese Zeit in einem Lager mit über sechzig Leuten losgehen zu lassen, wenn es erst in über einer Stunde Frühstück gibt und die Waschgelegenheiten äußerst eingeschränkt sind. Echt mutig. Dass sie nicht gelyncht werden schreibe ich dem Umstand zu, dass alle anderen einfach noch zu schlaftrunken sind. Meine ganzen Sachen sind, wenn ich in einem Lager schlafe, immer alle im Rucksack. So muss ich nur meinen Seidenschlafsack zusammenraffen, den Rucksack umhängen und leise durchs Lager hinunter in den Waschraum schleichen. Während die Verursacher des Ungemachs noch heftig rumräumen, wie wenn sie alleine auf dieser Welt wären. Unten im Waschraum brennt Licht und die Verursacher kommen gleich nach mir herein. Die drei nordischen Damen von der Binsalm, schon klar, nein, ich habe jetzt keine Vorurteile, aber so was kann man einfach nicht bringen. Ich bin schnell fertig. Stehe unschlüssig vor der Tür.
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Nach und nach kommen immer mehr Leute. Die Hamburger, die auch hier übernachtet haben, sie haben mir gestern auf der Terrasse laut und freudig entgegen gerufen. Ein Mann ruft seiner Frau im Wiener Dialekt zu: stell dich gleich ganz vorne an die Tür zur Gaststube. Er hat wohl Angst kein Frühstück zu bekommen. Die Hamburger holen sich ein Lunchpaket, es sind nur fünf Mädels davon, die heute den Sonnenaufgang unterwegs sehen wollen. Die drei nordischen Frauen kommen langsam, noch im Halbschlaf herunter, warum habe ich nur den Eindruck, dass die noch drei Stunden zum Wachwerden brauche. Das Rosenheimer Pärchen kommt schon mit Rucksack gerüstet heraus. Über den westlichen Bergen stehen die Regenwolken, so früh schon. Der Rosenheimer meint, sie gehen ohne Frühstück, das ist ihnen jetzt zu viel Trubel und sie haben nur vier Stunden ins Tal. Da kommt plötzlich mein Entschluss, das mache ich auch. Das Drängen in den Gängen hat mich fast schon beängstigt, ich will hier auch nur weg. Ein Nürnberger, mit dem ich gestern schon gesprochen habe, will immer noch auf die Birkkarspitze und betrachtet besorgt die Regenwolken. Bis das Frühstück bei diesem Andrang durch ist dauert es noch, er sollte eigentlich sofort los, aber ohne essen. Die Schwarzwälder kommen die Treppe herunter. Gut das ich euch noch treffe, ich steige ab, nur das ihr mich nicht vermisst. Er steht mit mir draußen und schaut auf die Wolken, die schnell dicker werden. Er hat seiner Frau gesagt, dass man der Natur auch mal nachgeben soll, aber sie will unbedingt hinauf. Ich wünsche ihm viel Glück und dass sie vorsichtig sein sollen. Dann laufe ich eilig los, die Rosenheimer folgen dicht auf. Wir wollen scheinbar alle nur hier aus dem Gedränge. Die Hamburger Mädels sind schon unten am Weg. Mit ihnen komme ich noch ins Gespräch. Sie haben sich für ihre Klassenfahrt ein Thema aussuchen können, unter anderen ‚Die Alpen‘, mussten Referate dazu halten und dann ging es dorthin zur Klassenfahrt. Sie fahren unten auch nach Innsbruck und bleiben dort noch eine Nacht. Die Rosenheimer sind schnell weg. Ich treffe sie noch am kleinen Kraftwerk des Karwendelhaus. Das muss er sich natürlich näher ansehen.
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Der Weg durch das Tal hinunter nach Scharnitz zieht sich lange, sehr lange dahin. Ich brauche über vier Stunden, wo stand das eigentlich? Die Hamburger sehe ich nicht mehr. Die Rosenheimer überholen mich bei einer Pause wieder. Unten in Scharnitz trinke ich in einer Bäckerei erst einmal einen Kaffee und esse ein Stück Apfelstrudel. Dann laufe ich zum Bahnhof. Der nächste Zug fährt in einer Stunde. Die Bahnstrecke ist beeindruckend. Scharnitz liegt auf tausend Meter, Innsbruck auf fünfhundert. Die Höhenmeter werden aber fast bis zum Schluss hin gehalten, immer hoch über dem Tal entlang und dann hinunter nach Innsbruck. Wow, wirklich beeindruckend. Um eins bin ich in Innsbruck und habe vor hier zwei Nächte zu bleiben. Ich suche lange nach einem Hotel, es soll im Zentrum sein, keine Absteige und auch nicht zu edel. Ich bleibe in der Neuen Post, ein nicht mehr ganz so nobles vier Sterne Hotel. Ich muss noch bis drei Uhr warten, um in mein Zimmer zu kommen. Eine Frau im billigen Edellook, ja so was erkenne ich, sieht mich in meinen schmutzigen Wanderklamotten herablassen an. Sie kann es jetzt nicht wirklich fassen, dass man mir hier ein Zimmer gibt. Nein ich versuche jetzt nicht zu grinsen. An der Rezeption sollte ich auch erst einmal meine VISA Karte vorlegen, aber eher um die Reservierung abzusichern. Sonst verhält man sich cool. Ich laufe durch die Stadt und komme einen Lush-Laden vorbei. Hier kaufe ich einen Duschbarren und einen Kakaobutterbarren für die trockene Haut. Die Zeit hier sollte ich ein bisschen für Wellness nutzen. Auf dem Weg zurück ins Hotel bewölkt sich der Himmel. Im Zimmer werde nicht nur ich gründlich ab geschruppt, sondern auch alle meine Klamotten gewaschen. Bei den Socken habe ich kaum Hoffnung, Handwäsche kann da kaum was ausrichten, aber der Versuch ist es wert. Dabei merke ich, dass sie schon ziemlich durchgelaufen sind. Sie waren schon dünnwandig beim Loslaufen, aber dass sich das so schnell verschärft, hätte ich jetzt nicht gedacht. Meine besten Wandersocken. Erst am späten Nachmittag höre ich zwei Donnerschläge.
Am Abend laufe ich am Inn entlang. Hier ist derzeit die Kletter-WM und eine riesige Arena am Ufer aufgebaut. Ich entscheide mich für einen Thailänder nahe der Arena. Während ich meine Ente verspeise erklingen die österreichische Nationalhymne, die Französische, eine mir nicht bekannte und noch einmal die Französische. Nicht die Deutsche, da hat es wohl nicht geklappt. Aber es gibt da irgendwie mehrere Diszipline und mehrere Siegerehrungen. Die Nacht regnet es.

Freitag, 14. September
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Den ganzen Tag regnet es immer wieder mal. Die sonnigen Abschnitte nutze ich, um mir die Stadt anzusehen, die regnerischen, um mich unter der Bettdecke zu verkriechen. Es soll ein geruhsamer Tag werden und das wird er. Die nachhaltigste Erinnerung sind nicht die vielen kleine Asiaten, auch nicht die Berge herum und auch nicht das goldene Dachl, es sind eindeutig die ganzen Flugzeuge, die tief über der Stadt einfliegen. Fast wie in HongKong.

Samstag, 15. September - schönste Adlerweg Etappe
Gestern habe ich noch festgestellt, dass ich wieder Richtung Scharnitz zurücklaufen muss. Mit dem Zug geht es bis nach Hochzirl, einem Vorort von Innsbruck und von dort steige ich zum Solsteinhaus auf. Hier würde die nächste Etappe schon enden, aber was sollte ich mit dem angefangen Tag? Ich fühle mich voll fit. Es regnet noch ein bisschen und das Solsteinhaus liegt in Nebelschwaden. Eine schöne Hütte, sanft modernisiert und eine der wenigen Hütten, die dem österreichischem Alpenverein gehören, hier wurde also mein Geld gut investiert. Ich trinke hier nur eine JBS und laufe weiter. Plötzlich stehe ich vor einem riesigen Schotterfeld, das von Felszacken umrahmt wird.
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Ich bin etwas überrascht. Wollte ich mir nicht die Etappenberichte am Vortag durchlesen. Habe ich natürlich nicht und ich bin immer wieder überrascht, wenn die Etappe nicht über Wald und Wiesen geht. Eigentlich sollte ich inzwischen begriffen haben, dass ich hier nicht im Schwarzwald bin. Sieht aber schon beeindruckend aus, so in Nebelschwaden. Der harmlose Namen Eppzirler Scharte kann das nicht verbildlichen. Erst glaube ich das das dünne Zickzack auf dem Schotterfeld, also der Weg, mein Weg, rutschig, anstrengend und kaum zu bewältigen ist, aber es ist nicht mehr so schlimm. Der Puls bleibt ruhig und langsam, Serpentine um Serpentine komme ich den Felszacken näher. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Einmal nichts als Nebel, dann Felszacken dazwischen, dann ein kurzer klare Blick zurück zur Hütte, Nebelschwaden und dann bin ich wieder von Felszacken umrahmt.
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Kurz unter dem Sattel teilt sich der Weg, ein als sehr anspruchsvoll gekennzeichneter Höhenweg zur Nördlinger Hütte zweigt ab und verläuft harmlos dahin, bis er im Nebel verschwindet. Mein Weg geht weiter hinauf zur Scharte und wird jetzt noch steiler, ist aber nur rot gekennzeichnet, also harmlos. Sieht jetzt aber nicht so aus. Der Schotter rutscht unter mir bei jedem Schritt weg, ein echter Balanceakt, hier weiter zu kommen. Mir kommen erstaunlich viele Leute entgegen. Von welcher Hütte kommen die alle. Über mir, dort wo ich im Nebel den höchsten Punkt der Scharte erwarte, ertönt ein Stimmengewirr. Ich weiß nicht wie weit sie noch über mir sind, im Nebel kann man das schlecht einschätzen. Aber dort oben ist gut Stimmung auf fränkisch. Da plötzlich knallt ein Handball großer Stein an mir vorbei. Gut nicht so knapp, mindestens noch zwei Meter vor mir, aber ich hätte den jetzt nicht auf den Kopf bekommen wollen. Was treiben die dort oben? Aber dort ist es jetzt sehr still. Nur noch leises Gemurmel und es bewegt sich nichts mehr auf mich zu. Ich steige weiter auf. Als ich kurz vor ihnen bin, drücken sie sich gegen die Felswand und versuchen sich dort still zu halten. Sie haben meine Schritte im Geröll natürlich gehört und ich bin froh, dass sie nach einem Stein, den sie ins Rollen gebracht haben, stehen geblieben sind. Als ich bei ihnen bin meint einer, es ist nicht mehr weit nach oben, du hast es gleich geschafft. Es sind sieben oder acht junge Männer, alle cool angezogen, aber an der unsicheren Haltung ist zu erkennen, dass sie wohl nicht sehr oft in den Bergen sind. Ich antworte, dass das jetzt nicht mein Problem ist. Und das stimmt auch, ich könnte noch weiter aufsteigen, das fühlt sich gut an. Heute ist also mein Bäume-Raus-Reiss-Tag. Ich antworte, dass wir eher ein Stauproblem haben. Der Weg ist schmal und steil. Ich stelle mich auf einen Felsen etwas seitlich des Weges und winke sie vorbei. Ohne weitere fränkische Kommentare, außer einem ‚schönen Dag noch‘ oder ‚Danke‘ zieht der Trupp an mir vorbei. Danach ist die Scharte schnell erreicht. Wieder zwei dunkle Flecken an der Felswand. Was ist denn das schon wieder? Zwei Mädels die hier Brotzeit machen. Sie kommen von der anderen Seite herauf. Wie die Nebellage hier drüben ist, frage ich. Durchwachsen. Die andere Seite ist genauso schottrig und abwärts ist das immer ein noch größeres Problem.
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Aber ich habe heute keine Probleme. Mir geht’s so gut. Leise fange ich an mein Lieblingswanderlied zu singen. ‚Heast as net, wia die Zeit vergeht‘. Erst leise, dann immer lauter, denn hier ist scheinbar niemand mehr. Vor Schreck rutsche ich aus, als sich doch kurz unter mir eine dunkle Gestalt aus dem Nebel schält. Ob alles in Ordnung ist, frägt er in Deutsch mit vermutlich italienischem Akzent. Ja, habe mich nur erschreckt, weil doch jemand hier ist. Liegt es am Nebel oder an was sonst. Heute sehen sogar die Männer bedeutend knackiger aus. Jung, dunkelhaarig, Dreitagebart, großer Rucksack, Holzstab in der Hand. Ein Berggeist? Er will nach Innsbruck hinüber und hinunter, kommt aus Leutasch. Ich will genau anders herum. Doch kein Berggeist, zu irdische Vorhaben. Er fragt, wie weit es noch hinauf geht. Leider noch mal eine halbe Stunde, wenn man aufwärts geht. Er zieht weiter, ich schau ihm nach, bis er im Nebel verschwindet. Kurz danach höre ich wieder Stimmen. Der Nebel löst sich auf und unten sitzen zwei Gestalten am Wegweiser. Als ich näher komme, höre ich, dass sie Italienisch sprechen. Noch zwei Berggeister? Auch die beiden sprechen Deutsch mit Akzent. Kurz bevor ich zum Wegweiser komme gehen sie weiter. Wie weit es denn noch zum Solsteinhaus ist. Ich antworte ehrlich, aber versuche es schön zu reden, sie scheinen mir schon etwas erschöpft. Die warten schon auf euch rufe ich ihnen nach. Die warten schon auf uns, sagt der eine zum Anderen mit einem kehligen Lachen. Jetzt sehe ich auch die Alm weiter unten. Nun laufe ich wieder im vollen Sonnenschein. Man geht das heute alles locker.
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Von unterhalb der Alm dringt ein wilder Streit zu mir herauf. Ein Mann und eine Frau. An der Alm bleibe ich unschlüssig stehen. Sie sieht so verlassen aus, aber ein Fahrrad steht davor und bei den beiden will ich jetzt nicht vorbei. Ich öffne vorsichtig die Tür und stehe in der Küche, eine Frau zeigt auf die nächste Tür. Da ist die Gaststube. Ihr habt schon offen? Ja. Sie spricht österreichisch mit einem leichten ausländischen Akzent, polnisch oder tschechisch oder so was. Ich gehe hinüber in die Gaststube. Hier sitzen zwei asiatische Jungs und machen sich über einen Kaiserschmarrn her. Ich verfolge zwangsläufig ihr Gespräch, sie machen sich sorgen, ob einer von ihnen Schuld hat. Die gehören also zu der Tragödie da unten. Ich bestelle eine Gulaschsuppe und merke als ich sie esse, dass mich der Nebel ziemlich durch gekühlt hat. Ein Mann kommt herein und geht zu den Jungs: Ihr habt gar keine Schuld. Gut, ihr habt schon bestellt. Reicht ihnen ein paar Geldscheine und geht wieder: Wir warten unten bis ihr fertig seid. Als die Jungs fertig sind und verschwinden, kommt die Wirtin rein. Sie hat die Jungs hereingeholt, weil sie auch den Streit unten gehört hat und die Jungs sagten, dass sie so hungrig seien. Die streiten schon eine Stunde, die weibliche Stimme muss wohl eine Asiatin sein. Als ich aufbreche, komme ich an der Familie vorbei. Sie unterhalten sich inzwischen wieder ruhig. Die Frau ist keine Asiatin, deutsch und vom Dialekt her beides Münchner. Den ganzen langen Weg und der zieht sich wirklich lang bis nach Gießenbach hin, überlege ich mir, wie so eine Patchwork Familie zusammenkommen kann. Schon witzig. Irgendwann überholen sie mich. Er mit dem älteren Jungen auf Rädern, sie mit dem jüngeren schnellen Schrittes zu Fuß.
Das waren schon einige Kilometer aus dem Tal heraus nach Grießenbach und ich habe keine Lust mehr bis Leutasch noch mal den ausgewiesenen Adlerweg über einen Sattel zu gehen. Der Weg unten herum sieht auf der Karte nicht schlecht aus. In der Realität ist er als Radweg ausgeschildert. Egal, sind ja nur fünf Kilometer. Aber es ist kein Radweg, es ist eine scheinbar erst kürzlich ausgebaute Straße mit abschüssigen Grünstreifen zu beiden Seiten. Zu spät, da muss ich jetzt durch. Der erste Ortsteil ist Weidach. Es gibt viele Hotels am Ort. Die Touristen Info ist geschlossen, aber hier gibt es immer einen Bildschirm, an dem man Unterkünfte abfragen kann. Frei sind nur noch vier Sterne und aufwärts. Was soll‘s, wäre ja jetzt nicht das erste Mal. Auf meiner Wanderkarte wird namentlich der Quellhof erwähnt. Wenn die Namen auf der Karte vermerkt sind, sind das immer alteingesessene Gasthöfe. Ich frage aber auch schon mal auf dem Weg dorthin. Vor mir an der Rezeption frägt auch gerade einer, ob noch was frei ist, er frägt nach zwei Doppelzimmern. Ja, gut, er kommt gleich wieder. Dann frage ich. Ich merke, dass mir, vermutlich vom Hotelinhaber, die gleichen Zimmer angeboten werden. Ich frage, ob er die nicht gerade dem Herrn vor mir versprochen hat. Das war doch nur eine Anfrage, antwortet er geschäftig. Also ich habe da schon ein gehörige Absicht herausgehört. Ich verabschiede mich mit dem Hinweis, dass ich mich noch weiter umschauen möchte. Draußen parken die Leute mit dem Mann vor mir gerade die Autos. Die hätten sich gefreut, wenn innerhalb von Minuten eines ihrer Doppelzimmer weg gewesen wäre. Als ich um die Straßenbiegung komme und den Quellhof sehe, entscheide ich, dass diese Unterkunft wohl doch eine Nummer zu groß für mich wäre. Es sieht nach ungefähr vierhundert Euro pro Übernachtung aus. Man muss es nicht übertreiben. An der Touristen Info wurde mir das Kristall, auch ein vier Sterne Hotel, mit noch freien Zimmern angezeigt. Das war eine Straße vorher den Hang hinauf. Dort steht ein Bus. Ups, also bestimmt auch gut voll. Aber sie haben noch etwas frei, auch ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung, aber ich habe jetzt keine Lust mehr noch weiter zu suchen. Die Dame an der Rezeption stufe ich als die Besitzerin ein. Sie ist aber sehr sympathisch. Ob ich auch zum EHM da bin? Was ist EHM? Sie erklärt es nicht, weil sie meine Frage wohl nicht ernst genommen hat. Scheinbar kennt jeder den EHM. Der Bus hat eine große Gruppe aus Norwegen deswegen hierhergebracht. Man kann an diesem Wochenende verschiedenlange Etappen laufen. Ich mache den Adlerweg, erkläre ich. Dann werden sie wohl morgen vielen Wanderern begegnen. Na toll. Oben im Zimmer entsinne ich mich an Plakaten vorbeigekommen zu sein, die den neunzehnten Einhornmarsch anpriesen. Frühstück gibt es wegen den Norwegern, die früh los wollen morgen daher schon um halb acht. Ein Hoch den Norwegern.

Sonntag, der 16. September - schrecklichste Adlerweg Etappe
Als ich um kurz vor halb acht in den Gastraum komme, ist die ganze Busladung Norweger schon am Buffet. Blöd, zu spät. Tische sind für jeden festgelegt. Ich werde an einen abgelegenen weit weg vom Buffet geführt. Der Weg ist lang, aber dafür ist hier nicht so ein Trubel. Kurze Zeit später setzt sich eine älter Dame an den Nebentisch. Ich wäre pünktlich, meint sie in ausgeprägtem Sächsisch und schaut dabei auf ihre Uhr. Und ehe ich mich versehen, sprudelt sie schon los. Sie wartet noch auf andere. Nein, sie will jetzt nicht schon zum Essen anfangen, weil alleine Essen kann sie auch Zuhause. Sie seien gestern zu ihrem Hotel im nächsten Ortsteil gekommen und haben erfahren, dass das Hotel überbucht ist und ihre Zimmer weg. Dann hat man sie hier ins Hotel vermittelt. Und sie sprudelt weiter. In erstaunlich kurzer Zeit bin ich im Bilde über die guten alten Zeiten damals in der DDR, die aber nicht immer so gut waren und noch vieles mehr. Aber sie ist trotzdem sympathisch. Das jüngere Pärchen das später dazukommt, ist dagegen sehr zurückhaltend. Der Sohn mit Frau.
Aber ich muss ja los. Die nächste Etappe wird locker werden, nur das Tal entlang und nach Ehrwald hinunter und dieser Ort soll dann auf der Rückseite der Zugspitze sein. Ich habe die Zugspitze beim Maximilianweg nur von Weitem gesehen und kenne sie sonst nur von Bildern. Da ist es schon aufregend, wenn ich heute ohne viel Anstrengung vor ihr stehen soll.
Erst laufe ich in dem riesigen Pulk von Einhornwanderern und dann komme ich mir zwischen den ganzen Mountainbikern wie auf der Autobahn vor. Ein Stück laufe ich auf der anderen Seite des Flusses mit einem fränkischen Pärchen, drüben Laufen die Einhörner. Sie machen immer Urlaub in diesem Tal und wissen nun überhaupt nicht, was all die Leute da drüben auf der Teerstraße wollen. Dort ist der offizielle Weg ausgeschildert und jeder folgt folgsam der Ausschilderung. Gut für uns, da kann man auch mal ein Stück in Ruhe laufen. Sie will noch weiter und Schwammal suchen, aber er will gleich zurück, um Autorennen zu gucken. Und schon bin ich wieder in der Herde der Einhörner, die nun auch die Flussseite gewechselt haben. Die meisten laufen aber nur die zehn und zwanzig Kilometer Tour und sind bald weg, aber an der Gaistalalm ist die Hölle los. Nur eine JBS und weiter.
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Danach treffe ich im Wald auf die Fränkin beim Schwammal suchen. Was, sie sind noch nicht weiter, wir kehren immer in der nächsten Alm ein, da ist nicht so viel los. Zu spät und bei der nächsten Alm war auch nicht wirklich weniger los. Also weiter auf der Autobahn. Kurz vor der Ehrwalder Alm gibt es einen Steig, für Biker nicht zugelassen, den muss ich haben. Steil, aber richtig entspannend. Von der anderen Talseite schallt die Musik der Ehrwalder Alm herüber. Bergvagabunden sind wir. Das kann jetzt aber nicht wahr sein. In welchem Alptraum bin ich denn da gelandet. Voll genervt steige ich dort in die Bergbahn ein, ich will jetzt nicht noch mit den ganzen Bergvagabunden hinunter laufen. Der geistige behinderte Gehilfe an der Bergbahn war das sympathischste des ganzen Tages. Ich habe gar keinen Sinn mehr dafür, herauszufinden, welche Spitze jetzt die des Zuges ist. Ich suche mir ein nicht zu exklusiv aussehendes Hotel und ziehe die Zimmertür hinter mir zu. Es hat einen Balkon und von oben ist das Treiben erträglicher, besonders wenn man dazu die letzten Reste des Lagavulin trinkt. Ich rätsle, welche nun die Zugspitze ist, da sind mehrere und höhenmäßig nehmen sich die nicht viel. Dann bekomme ich Hunger. Erst in einer Pizzeria einen Kaffee und ein Stück billig gemachte Schwarzwälder, aber der Hunger treibt mich weiter zur nächsten Pizzeria, aber die Pizza dort ist grottenschlecht. Scheinbar gibt es hier einfach zu viele willige Touristen.

Montag, 17. September - gefährlichste Adlerweg Etappe
Der auch auf der Karte als besonders ausgezeichnete Moosweg hinüber nach Lermoos ist inzwischen eine gut ausgebaute einspurige Straße. Drüben in Lermoos darf ich mit der Bahn hinauf fahren, steht so in der Beschreibung zur Etappe. Es fahren zwei Bahnen. Eine zur Mittelstation und die andere weiter zur Alm. Alm oder Hütte, ist ja eigentlich kein Unterschied. Aber hier gibt es beides. Ich steige oben, kurz unterhalb des Gipfels aus der Bahn und schaue mich nach den Ausschilderungen des Adlerwegs um. Gibt es keine, nur eine Schild Richtung Fernpass, da muss ich hin, aber das geht jetzt wieder nach unten. Ich überprüfe das immer sehr genau, bevor ich auch nur einen Schritt absteige. Aber da führt kein Weg daran vorbei, der Adlerweg geht nicht an der Grubighütte weiter, sondern an der Grubigalm und die liegt weit unter mir. Ich überprüfe das auf meiner Karte wirklich ganz genau, aber die Bahn von der Mittelstation weg gibt es auf meiner Karte gar nicht, keine bis zur Grubighütte, aber ich bin nun hier. Wie ging denn das? Ich bin ziemlich verunsichert und steige zögernd ab. Es ist eine breite Schotterstraße. Gleich am Anfang komme ich an zwei Mountainbiker vorbei. Einer sagt gerade zum anderen: stell dich mal so mit der Zugspitze im Hintergrund. Dann wollen wir zumindest das gleich mal klären. Frauen dürfen Männer dumme Fragen stellen, die sind dann immer besonders hilfsbereit und nett. Und er erklärt mir ganz genau, welcher der Spitzen nun die Zugspitze ist. Nun weiß ich das auch.
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An der ersten Kehre geht ein Pfad ab und der verläuft in meiner Richtung, die Schotterstraße ist blöd. Davon hatte ich gestern schon genug. Der Pfad löstsich bald im Nichts auf und ich laufe quer über die Wiesen und durch die Schafherde nach unten. Die Grubigalm liegt so offen da, dass man sie gar nicht verfehlen kann und mit dem GPS überprüfe ich, ob ich nun nicht doch noch am Adlerweg vorbei laufe. Als ich die erste Adlerweg Ausschilderung gefunden habe, kommt gerade ein Trupp junger Mountainbiker an die Kreuzung und ein Typ mit Grubigbahn Abzeichen am Overall. Er erklärt den Biker, dass man gerade an der gefährlichen Kehre dort oben was entschärft. Alle scheinen sich zu kennen. Als er gerade weiter will, fange ich ihn ab. Mit welcher Bahn ich denn zur Grubigalm gekommen wäre. Laut Adlerwegbeschreibung sollte ich hier ankommen, aber ich komme gerade von dort oben. Gar nicht, meint er, die Bahn zur Grubigalm fährt nur im Winter, was ich gerade höre ist nur ein Wartungsbetrieb. Es gibt nur die beiden Bahnen, genau die, die ich gefahren bin. Hm, man sollte die Beschreibungen auch mal aktualisieren. Später sehe ich, dass man das auch zumindest halb schon getan hat. Der Text spricht noch von der Bahn zur Grubialm, auf dem Kartenauschnitt ist als Weg schon die Schotterstraße wieder hinunter eingezeichnet. Verwirrung geklärt, dann kann es ja weiter gehen. Es geht manchmal ein bisschen steil hinauf und ein bisschen steil hinab, alles zusammen ein netter Höhenweg mit Blick über das ganze Tal bei herrlichem Sonnenschein.
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Und dann wird das Geräusch dröhnender Automotoren immer lauter. Damit wird mir endlich klar, woher ich den Fernpass kenne. Nicht aus Bergsteigerberichten, sondern aus den Verkehrsmeldungen. Wenn man an der österreichischen Grenze aufwächst, hört man auch die österreichischen Sender und die Staus am Fernpass gehörten zu den täglich widerkehrenden Meldungen. Aber die dröhnenden Autogeräusche sind noch nicht das schlimmste. Plötzlich endet mein Wanderweg direkt an der Fernpassbundesstraße. Wieder schaue ich mehrfach auf die Wanderkarte, aber egal wie ich es drehe und wende, der Weg verläuft sechshundert Meter direkt auf der Straße. Klingt jetzt nicht so schlimm, ist es aber, wenn man dort steht und schon gar keine Möglichkeit bekommt, die Straße einfach nur mal zu überqueren. Auf meiner Seite geht gleich ein Hang steil nach oben, ich hoffe auf der anderen Seite auf einen Pfad daneben. Als ich es endlich schaffe hinüber zu kommen, ist da auch ein schmaler Trampelpfad. Es standen also schon mehrere vor diesem Problem. Ich folge dem Pfad etwa zehn Meter, um dann fest zu stellen, dass auch diese einfach zu steil ist und die Gefahr abzurutschen viel zu groß, zumindest mir zu groß. Die Straße hat keine Seitenstreifen und ist für die Autos schon eng genug, undenkbar hier zu laufen. Auf der abfallenden Straßenseite ist eine Leitplanke montiert, um Platz dafür zu finden gibt es eine Betonmauer. Die Befestigungspfosten der Leitplanken lassen für mich noch circa zehn Zentimeter Platz auf der Mauer, die Leitplanke selbst gibt mir circa dreißig Zentimeter. Nicht viel, aber besser wie auf dem Pfad unter mir und auf jeden Fall besser als auf der Straße. Ich stelle fest, dass die Rundung der Leitplanke genau meiner Handgröße entspricht, aber auch, dass ein vorbei donnernder LKW nur noch dreißig Zentimeter von meiner Hand entfernt bin. Darauf kann ich mich aber gerade nicht konzentrieren, denn ich muss mich auf meine Füße konzentrieren, damit ich nicht ins Leer trete. Sechshundert Meter können so verdammt lang sein. Auf der anderen Seite sind eine Tankstelle, ein Supermarkt und ein Gasthof. Von dort geht mein Weg wieder weg von der Straße. Gerade freue ich mich, dass ich überlebt habe und über die autofreie Zone, da sehe ich das Schild. Yogazentrum Balance und die hippymäßigen Leute davor. Da braucht man wirklich Yoga um bei dem immer noch laut herüberdringenden Autolärm die Balance zu halten oder ist das das Yogazentrum für Großstadtjunkies, damit die Entzugserscheinungen nicht zu groß werden. Alle sind voll entspannt. Na dann ist ja alles okay. Ich laufe weiter und treffe auf eine Yogagruppe auf Ausgang. Sind alles Blumenkinder. Oje, wo sind die den über geblieben? Eine ist vom Haus alleine hinter mir hergelaufen, bleibt aber vor dem ausgetrockneten, schottrigen Flussbett unschlüssig stehen und dreht dann wieder um. Hätte ja ein Sturzbach kommen können. Wie viele trockene Flussbette habe ich die letzten Tage überquert, ich habe sie nicht gezählt, aber es waren viele. Die ganzen Alpen scheinen ausgetrocknet zu sein, nach diesem heißen, trockenen Sommer.
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Weiter geht es auf einer alten Römerstraße, man sieht wirklich noch Reste davon, Richtung Fernsteinsee, dort gibt es ein Schloss als Hotel ausgeschrieben und ich hoffe dort heute unter zu kommen und dass die keine Schlosspreise haben. Die Autogeräusche begleiten mich bis hinunter und am Schloss ist die Bundesstraße auch wieder bei mir. Gut, dann werde ich mal zu fragen wagen, was es kostet im Schloss zu nächtigen, sonst muss ich weiter nach Nasserreith. Erst kommt oben noch eine alte Burganlage und unten steht das Hotel, ein prächtiger Gasthof. Und es ist gar nicht so teuer. Sie hat nur noch ein Zimmer nach hinten hinaus, da sehe ich nur die Felsen. Ich gebe zu, dass ich nach genau so etwas fragen wollte, denn ich glaube nicht, dass der Verkehr nachts aufhört. Felsen sind da viel besser. Sie stammt aus Nassreith und kennt die ganze Geschichte der Bundesstraße und die vielen Bemühungen, den Verkehr umzuleiten. Aber man spart neun Euro, wenn man hier Richtung Italien fährt und nicht die Vignette für die Autobahn kauft. Unglaublich, wer quält sich denn hier im Dauerstau diese Passstraße hinauf, wenn die Autobahn nur neun Euro kostet. Wir verstehen uns gut und sie frägt, was sie mir als Begrüßungstrunk anbieten darf. Sie zählt einiges auf, unter anderen Apirol. Habe ich noch nie getrunken, die Farbe stößt mich immer ab. Das ist die Gelegenheit. Wird auch in Zukunft nicht mein Lieblingsgetränk werden, aber es kommen keine Gäste und wir unterhalten uns noch über Gott und die Welt. Ich hatte in meiner Etappenbeschreibung gelesen, dass Taucher von weit herkommen, um hier zu Tauchen, weil die Sicht im See so gut sein soll und weil eine besondere Alge hier wachsen soll, die den See in eine Märchenlandschaft verwandelt. Und dass man Tauchgänge nur als Gast dieses Hotels machen kann. Das ist nicht der Fernsteinsee, sondern der kleine Samerangersee dahinter. Und das Geländer hört zum Hotel. Es dürfen immer nur sechs Taucher gleichzeitig in den See und derzeit ist er sogar wegen dem niedrigen Wasserstand ganz gesperrt.
Meine Felswand vor dem Fenster find ich gut, besonders die vielen Vögel, die sich hier ungestört fühlen.

Dienstag, 18. September - bestes Frühstücksbuffet der Adlerweg Etappen
Das Frühstücksbuffet ist genial. Hervorragender Lachs, kleines Gebäck, natürlich frische Früchte fürs Müsli und sogar zubereitetes Bircher Müsli. Ich schlemme mich durch. So früh sind nur ein einzelner Herr im Wanderoutfit und drei Geschäftsleute da. Dann kommen meine Lieblingsbuffet-Besucher. Zwei junge Männer und die brauchen natürlich eine extra Bestellung. Wie viel Fantasie braucht man, um sich bei diesem Buffet noch etwas einfallen zu lassen, was nicht schon dort steht. Und ich habe wirklich viel Fantasie. Ich werde es nie begreifen. Beim Auschecken sagt mir die Dame an der Rezeption, dass der Herr im blauen T-Shirt, ein Holländer, gerade ausgecheckt hat und auch den Adlerweg läuft. Aber der ist nun schon weg. Ich bin nicht böse, obwohl ich mich nie als leidenschaftlicher Einzelgänger oute, das schafft immer nur Unverständnis. Sie sagt mir, wie ich unten herum weiter komme. Ich habe mir den Weg auf der Karte schon herausgesucht, aber Informationen schaden nie. Zum Schluss meint sie, ich muss auf jeden Fall an der Tankstelle vorbei. Das werde ich ja sehen. Eigentlich sollte man nicht hier übernachten, sondern oben auf der Lorea Hütte, das ist aber eine Selbstversorgerhütte und daauf hatte ich keine Lust. Danach kommt der Weg ohnehin wieder ins Tal und bis dahin laufe ich unten herum. Es geht durch einen lichten Kiefernwald, es sind kleine, niedrige Kiefern oder sind es zu groß geratene Latschen. Egal, ich bin kein Botaniker, aber es sieht ungewöhnlich aus. Kühe stehen dicht auf dem Weg und schauen mich treu doof an, als ich mich vorsichtig hindurchzwänge. Dann kommt eine Kreuzung und an dem Weg, den ich eigentlich entlang sollte steht: Gesperrt wegen Baumfällarbeiten. Normalerweise, wenn ich am Wochenende unterwegs bin, laufe ich bei solchen Schildern durch, weil an Wochenenden werden selten Bäume gefällt. Es ist aber kein Wochenende und die Hänge zu beiden Seiten sind sehr steil, da rutschen Stämme weit. Dann fahren auch noch zwei Forstautos an mir vorbei. Ich stehe lange unschlüssig herum, aber dann laufe ich doch an dem Schild vorbei, ich habe gar keine Alternative zur Anhalter Hütte. Ja, vielleicht doch, aber die würde den ganzen Tag auf der Straße verlaufen, das ist jetzt nicht wirklich eine Alternative. Ich höre doch die Motorsägen oder so was, wird schon gehen. Es ist eine Schotterstraße, aber verdammt steil. Und schon kommt eines der Forstautos zurück. Sch…. Jetzt ganz unschuldig schauen, hey, du bist eine Frau, das geht schon. Klar hält er. Der Weg ist gesperrt, das haben sie gelesen. Ja, wegen Baumfällarbeiten, aber ich habe keine Alternative zur Anhalter Hütte gefunden. Adlerweg, zerknirscht schauen und so. Nein, nicht nur wegen Baumfällarbeiten, dort oben ist eine Brücke eingebrochen, das können sie von hier noch nicht sehen. Der Weg unten herum zur Anhalterhütte ist auch nicht länger. Ja, aber auf blöden Teerstraßen, denke ich bei mir und lächle. Drehe mich um zum Absteigen bereit. Er fährt weiter. Da kommt ein Mountainbiker von unten herauf. Auch bei dem hält er und erzählt ihm vermutlich dasselbe. Ich komme an ihm vorbei. Er steht noch da, noch nicht bereit umzukehren. Das Forstauto ist im die Kurve verschwunden. Es ist doch nur die Brücke, meint der Mountainbiker, da kann man auch über den Bach laufen. Wir laufen zusammen wieder hoch. Da kommt das zweite Forstauto. Ja, da ist eine Brück eingebrochen, da wollte ein Laster mit Holz drüber und der hängt jetzt dort fest. Geht einfach mal hoch zur Brücke, man kann auch so über den Bach. Der Mountainbiker frägt nach seinem Tourvorhaben. Nein nicht ins Tarrent, da werden die Bäume ins Tal geschossen. Wo zum Teufel ist das, frage ich mich. Laut frage ich nach dem Weg zur Anhalter Hütte, da komme ich an der Hinteren Tarrentonalpe vorbei. Das geht, nur nicht hoch ins Tarrent. Und ich weiß immer noch nicht wo das Tarrent ist, aber scheinbar nicht auf meinem Weg. Na toll, aber dieser Forsttyp ist kooperativer. Der Mountainbiker schiebt mit mir weiter hoch und erklärt mir, dass das Tarrent der Berg links von uns ist. Da darf ich nicht hoch. An der Brücke deutet er auf eine gute Stelle, wo man rüber kommen kann. Er fährt jetzt eine andere Tour, er wollte nämlich ins Tarrent. Er bleibt noch stehen und wartet, bis ich sicher am anderen Ufer bin, das ist aber nett. Die Böschung ist auf dieser Seite steil und rutschig, aber das schaffe ich auch. Dann geht die Forststraße weiter, steil aber ohne besondere Ansprüche. Außer einem Auto, verdammt, ich hätte ihn vielleicht stoppen müssen und von der gebrochen Brücke erzählen, aber zu spät, und einer Gruppe redselig wandernder Herren ist mir bis zur Tarrentonalpe niemand begegnet. Ungewöhnlich nach den Massenaufläufen der letzten Tage.
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Die Tarrentonalpe ist geschlossen. Noch nicht lange, der Kuhmist in den Ställen ist noch feucht. Da fällt mir ein, dass unten ein Plakat über einen Almabtrieb am vergangenen Wochenende hing. Und bei den Öffnungszeiten zur Gaststube steht: bis Mitte September. Zum ersten Mal fällt mir ein, dass ich einfach davon ausgegangen bin, dass alle Almen bis Ende September offen sind. Ich habe nirgendwo nachgefragt und nun habe ich noch mindestens vier Almhütten vor mir. Nicht gut. Aber erst mal Pause ohne JBS und dann weiter. Es gibt noch einen richtigen Anstieg zu Anhalter Hütte. Die Schotterstraße hört an der nächsten Hütte auf und ein Steig geht mit nur mäßigen Höhenmetern in das schmale Seitental hinein.
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Zu beiden Seiten türmen sich wieder einmal Felszacken auf, aber da muss ich doch nicht rauf. Oder? Nein, ich sehe den Pfad lange vor mir, bis er vor dem nächsten steilen Sattel unsichtbar wird. Am Ende des Tals pfeift aufgeregt ein Murmeltier, aber ich kann es auf den ganzen Felsen nicht sehen. Bleibe ich stehen, kommt das Pfeifen näher, gehe ich weiter rennt das Pfeifen mit mir mit. Das scheint der Sheriff des ganzen Tals zu sein und er ist nicht glücklich, dass ich hier bin. Der Pfad ist am Steilhang verschwunden, weil es nun über rutschige Erdhänge und große Felsstufen nach oben geht. Man, hier brauche ich seit langen wieder mal Erholungspausen und der Steilhang scheint kein Ende zu nehmen. Hier sehe ich das erste Mal Wolken über mir, weiß und locker verstreut.
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Oben verläuft auf der neuen Höhe ein Tal zwischen denselben Felszacken. Vor mir auf dem Grad des nächsten Sattels, dort geht es nicht mehr ganz so steil hinauf, sehe ich einen Zaun. Dann ist dort eine Weide, über die ich sanft zur Hütte laufe, denn die kann nun nicht mehr weit sein. Hier höre ich den ersten Donnerschlag, die Wolken sind unbemerkt dunkel geworden. Ich erreiche den Weidenzaun, vor mir ragt ein großer Felsblock auf, links sehe ich ein breites, sehr steil abfallendes Schotterfeld und dahinter die steilen Felsspitzen, rechts stehen die Felsspitzen nun fast neben mir und da geht definitiv kein Weg ohne Kletterausrüstung nach unten.
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Ein extra großer Pfeil weist nach rechts. Um den Block herum sehe ich den Weg. Fast senkrecht nach unten in den weichen erdigen Untergrund gehakt. Wow, da bekommt steil eine neue Dimension und da muss ich hinunter, hinauf ist da weniger ein Problem. Die Wolken werden immer dunkler, bald wird es regnen und dann wird der Abstieg teuflisch rutschig, also schnell. Natürlich nicht schnell. Ganz, ganz vorsichtig taste ich mich jeden Schritt nach unten. Wenn ich ausrutsche fängt mich das Schotterfeld auf, denn darauf läuft der Weg, wenn man das so nennen kann, zu. Endlich geschafft, ohne einmal wegzurutschen. Nun durch eine Felsspalte, ja, ich bin wieder in den Lechtaler Alpen, die gibt es nicht ohne Felsspalten. Und dann vorsichtig über das Schotterfeld, auch das ist steil.
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Hier höre ich den zweiten Donnerschlag. Das Schotterfeld habe ich hinter mir. Es geht wieder flacher auf grasigem Untergrund in ein Tal hinein. Hier fängt es leicht zu regnen an. Vor den grauen Wolken, denn die wirklich schlimmen kommen gerade auf mich zu, taucht eine Hütte auf. Das muss sie sein, aber es ist dort niemand zu sehen, kein Licht brennt. Oh, nein, wenn die jetzt schon geschlossen ist. Nicht darüber nach denken, erst einmal hin, bevor das Gewitter richtig los geht. Die Tropfen werden dichter, ich werde schneller. Noch ein paar Schritte. Ich nähere mich der Hütte von hinten. Auf der Vorderseite sehe ich drinnen eine einsame Lampe brennen. Im schwachen Schein erkenne ich eine Frau. Noch um die nächste Hausecke, da ist die Tür. Sie ist offen. Man bin ich froh. Ich steh unschlüssig im Flur. Da schaut einer durch das Küchenfenster und kommt in den Flur. Wo kommst du denn jetzt her? Ich wollte fragen, ob ihr für heute noch ein Plätzchen für mich habt. Ja, klar, die Chefin kommt gleich, geh schon mal in die Gaststube. Ich betrete die Gaststube, sehe an einem Tisch mit schwach leuchtender Lampe ein Pärchen sitzen und vor der Theke an einem weiteren schwach erleuchteten Tisch den Typ von heute Morgen. Der Holländer mit dem blauen T-Shirt. Die restliche Gaststube liegt im Dunklen. In diesem Augenblick klatschen die Regentropfen hart gegen die Scheiben. Wow, das war knapp. Die Chefin macht mir Vorwürfe, dass ich um diese Jahreszeit unangemeldet auf einer Hütte erscheine. Am Freitag schließen sie hier. Sie meint es aber nett. Ich sage, dass ich den Adlerweg laufe. Sie weiß, dass die nächste, die Hanauer Hütte, auf jeden Fall noch offen hat. Erst klären wir das mit der Unterbringung. Die wenigen Gäste bekommen alle eigene Zimmer. Aber erst brauche ich meine JBS. Ich setze mich zu dem Holländer. Dann gehe ich auf mein Zimmer und ziehe mich um. Verschwitzt bin ich heute überhaupt nicht und zum Duschen ist es mir jetzt schon viel zu kalt. Das Zimmer hat zwei Betten und ist gemütlich rustikal und angenehm einfach. Aber es gibt eine Steckdose. Meine Socken sind definitiv am Ende.
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Unten im Gastraum trinke ich eine zweite JBS und bestelle Kässpatzl. Der Holländer Nudeln, das Pärchen am Fenster auch Kässpatzln. Nordländer, unterhalten sich nur untereinander. Ich habe versucht mit ihnen zu reden, sie hat die Antwort nur zu sich selbst gesagt. Komische Leute. Denken die sicherlich auch von den andern. Später starten sie eine Diskussion mit der Wirtin über die richtige Zubereitung von Kässpatzln. Mit dem Holländer unterhalte ich mich über die unterschiedlichsten Wanderungen und Reisen, meinen und seinen. Draußen geht die Sonne am wieder aufgeklärten Himmel im mystischen Licht unter.
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Als ich mal zur Toilette will kommt gerade jemand die Eingangstür herein. Groß, dunkle Jacke, dunkler riesiger Rucksack, Cordhose, gute, sicherlich biologisch abbaubare Schuhe, aber keine Bergschuhe, eigenartig. Noch jemand unterwegs bei dem Wetter, spreche ich die dunkle Gestalt im dunklen Flur an. Ja, bist du Gast oder Gastgeber, frägt er mich in einem eigenartig bekannten, sonderbaren Dialekt. Gast. Mein erster Eindruck ist, dass ist ein sonderbarer Mensch. Als ich in die Gaststube zurück komme sitzt er beim Holländer und sie sind schon eifrig im Gespräch. Er wundert sich genauso wie ich vorher über den Kupferstich der Stadt Spaichingen. Er ist seit sechs Wochen unterwegs. Aus Ebingen. Hm, der Name kommt mir bekannt vor. Wo ist das. Bei Albstadt. Ach nein, daher der sonderbare und doch bekannte Dialekt. Wir reden über Fridingen, Bärental, die Hammerwerke. Der Holländer frägt verwirrt, was sind die Hammerwerke. Sind auch in dem Dorf in dem auch meine Firma ist. In der schwäbischen Alb. Oh, die schwäbische Alb, andauernd hört er davon, aber er weiß nicht wo die ist. Wir füllen diese Bildungslücke. Etwas später kommt noch ein Münchner dazu, ein alter Berghase und das ist seine Lieblingsstrecke. Es wird ein total lustiger Abend. Der Ebinger gibt seine Reise Erlebnisse zum Besten, ich erzähle von den sechshundert Metern auf der Fernpassbundesstraße, der Münchner von seinen Touren, der Holländer versucht unserem dialektischen Sprachgewirr zu folgen. Irgendwann ist es dann doch Zeit zu Bett zu gehen. Ich bin noch nie bis zur Sperrstunde in einer Hütte wach geblieben.

Mittwoch, der 19. September
Als ich aufwache ist es natürlich noch dunkel, aber bald wird klar, dass es stark bewölkt ist. Der Münchner ist schon da, er macht seine geplante Tour heute nicht und bleibt auf der Hütte. Und nun kommt es überraschend zur Klärung eines Naturereignisses, dass mir bis heute Rätsel aufgegeben hat. Der Münchner ist ein Mitglied der Münchner Alpenvereinssektion. Wir reden über unterschiedliche Hütten, dass viele jetzt wegen Auflagen umgebaut werden müssen. Ich erwähne irgendwie die Tutzinger Hütte und die Steinbockherde, durch die ich unterhalb der Benediktenwand gelaufen bin und die Tiere ruhig sitzen geblieben sind und sich überhaupt nicht für mich interessiert haben. Er antwortet, dass es dazu an der Tutzinger Hütte einen Aushang gibt. Also jetzt nicht über mich und die Steinböcke, sondern dass die Tiere in einem Zoo aufgewachsen sind und dort ausgesetzt wurden. Und ich dachte schon ich hätte eine besondere Wirkung auf Wildtiere. Schade, hätte mir jetzt schon gefallen, aber die Murmeltiere in den Lechtaler Alpen sind wirklich neugierig um mich herum gewuselt. Der Holländer taucht auch bald auf. Er will heute weiter auf die Hanauer Hütte.
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Fürs erste haben wir denselben Weg ein Stück hinunter ins Tal. Noch bevor wir den Sattel nach der Hütte erreichen fängt es an zu regnen. Unten auf der Straße ist gleich meine Bushaltestelle. Der Holländer will trotz Regen weiter. Ich warte eine halbe Stunde auf den Bus nach Imst. Dann mit dem Zug nach Lindau und weiter nach Singen. Unterwegs hat das Wetter wieder gewechselt, die Sonne schein vom Himmel, als wäre nichts gewesen. In Singen stopfe ich die erste Waschmaschine voll und, ich kann es selbst nicht glauben, lege mich nicht wie üblich ins Bett, sondern laufe weiter ins Fitnessstudio. Sollte ich mir da jetzt Sorgen machen?
Den Adlerweg habe ich auf abgeschlossen gesetzt. Mit den letzen Etappen durch die Lechtaler Alpen habe ich sowieso noch gesondert ein Hühnchen zu rupfen. Ich muss noch genau darüber nachdenken, ob die Lechtaler Alpen mich nicht mögen, oder ich die Lechtaler Alpen nicht. Doch die schaffe ich auch noch. Schon allein, weil die Murmeltiere dort so cool sind.


Eintrag vom 26.05.2018

auszugsweiser Übertrag aus dem alten Block

Pár dní v Praze (some days in Prague)
an open air museum of achitecture
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Eintrag vom 14.01.2018 

auszugsweiser Übertrag aus dem alten Block

Un po' di Milano  per Natale
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Eintrag vom 28.05.2017

 Übertrag aus dem alten Block

Eifelsteig – oder ‚Na, wo sind sie denn, die kleinen Vulkane
 
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Donnerstag, 6. April
Wie immer, bin ich erst noch mal ein paar Stunden arbeiten gegangen. Eigentlich wollte ich erst gemütlich am Freitag los tuckern, aber die Bahntickets wären morgen um ein vielfaches teurer gewesen, da war die Entscheidung leicht gefallen, heute einfach nur einen halbe Tag zu arbeiten. Dafür habe ich mir zu dem neunundzwanzig Euro Preis dieses Mal noch eine Sitzplatzreservierung in den ICEs gegönnt. Das letzte Mal gab es in diesen Zügen nicht einmal mehr Stehplätze, das war überhaupt nicht mehr lustig. Die meistens wissen schon was los ist, wenn ich im Wanderoutfit ins Büro komme, aber der Spruch: ‚Bist du hergelaufen? ‘, kommt immer. Mr. Patel, unser indischer Kollege, weiß auch schon Bescheid und klärt flüsternd und grinsend den Elektro-Inder neben sich auf.
Die Zeit vergeht schnell und um halb zwölf bin ich einfach zu nervös, um mich noch länger virtuell mit Rohren und Schläuchen zu beschäftigen. Ich bin dann mal weg. So, jetzt bitte nicht in tägliche Routinen verfallen und, wie immer in Immendingen aus dem Zug steigen, um in den Zug nach Konstanz zu steigen, dann wäre das der kürzeste Urlaub aller Zeiten gewesen. Heute muss ich sitzen bleiben und meine Lieblingsstrecke, quer durch den Schwarzwald nach Offenburg fahren. Dorthin, wo seit zwei Jahren alle Züge in den Norden umgeleitet werden, um das Megaprojekt ‚Stuttgart 21‘ zu entlasten. Ein Bauprojekt, das den Berliner Flughafen vielleicht noch überflügeln wird. Sechs Mal muss ich umsteigen und Offenburg ist das erste Mal. Ab da steige ich in vier Züge, die alle über Köln fahren, aber Dank meines Günstigtickets muss ich immer in einen anderen Zug umsteigen, in denen noch Plätze frei sind. Ich bin aber nicht die einzige und ich merke, dass um mich herum mit den Zugbegleitern ganz unschuldig verhandelt wird: ‚Wenn der Zug Verspätung hat, kann ich doch sitzen bleiben, oder? ‘ Aber die Züge haben nie genügend Verspätung. Die Sonne lacht am blauen Himmel auf das wunderschöne Rheintal hinunter. Zwischen Koblenz und Köln fährt der Zug immer den Rhein entlang, Weinberge ziehen sich die Hänge hinauf und eine Burg folgt der anderen. Ich kann gar nicht so schnell den Kopf hin und her wenden. Ich erkenne den Loreleyfelsen wieder. Irgendwann sind wir in meiner Kindheit da mit dem Schiff vorbei gefahren und mein Vater hat mir die Geschichte erzählt. Heute wird dort oben eine Konzerthalle gebaut, im Stil der Philharmonie von Sidney. Dann können die Schiffe wieder vom betörenden Gesang abgelenkt werden und gegen die bösen Felsen klatschen, wenn man es wirklich schafft all die riesigen Warnbojen zu übersehen. Loreley hätte es heute nicht mehr leicht. Nach dem ich nun in all die Züge umgestiegen bin, die alle Richtung Köln fahren, wird mir bei einem intensiveren Blick auf meinen Fahrplan klar, dass ich da auch hin muss und dass das nun echt schon verdammt weit im Norden ist. Beim Umsteigen in Köln wird es noch bedenklicher. Die reden hier aber komisch, noch komischer wie dort, wo ich jetzt wohne. Der letzte Zug noch Aachen hat dann aber wirklich Verspätung und ich bekomme leichte Panik, dass ich vielleicht den letzten Bus noch Kornelimünster verpassen könnte. Außerdem hat sich der Himmel ab Köln stark bewölkt und es tröpfelt sogar etwas. Hm, ich will jetzt nicht schon wieder im Regen laufen, davon hatte ich im letzten Jahr wirklich genug. Der Bus nach Kornelimünster erweist sich als regulärer Stadtbus, der vermutlich bis spät in die Nacht hinein fährt. Kornelimünster liegt zwar etwas abseits, aber ist noch ein Stadtteil von Aachen. Von Aachen werde ich sonst nichts sehen, das lässt der Zeitplan nicht zu. Also eine Leckerli oder andere Lebkuchen. Kornelimüster überrascht mich nun wirklich. Es erinnert mich an eine spätmittelalterliche, englische Kleinstadt. Diese Häuser aus naturbelassenen, grob behauenen Steinen. Ich habe das Gefühl, ich bin vielleicht zu weit gefahren. Diesen Baustil habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Leider ist es schon zu Dunkel, um Fotos zu machen. An meinem teuren Designerhotel ist die Tür verschlossen. War das einzige Hotel am Ort. Das Restaurant hat heute Ruhetag und damit auch die Rezeption. An der Tür hängt ein Schild mit einer Telefonnummer, die man in diesem Fall anrufen soll. Die Frau ist sehr freundlich, gibt mir den Türcode und auf dem Rezeptionstisch steht auch ein Kuvert für mich, aber für fünfundsiebzig Euro würde ich schon eine besetzte Rezeption erwarten. Für den Bayrischen Hof in Lindau habe ich Anfang des Jahres auch nicht viel mehr bezahlt, aber da liegen nun Welten dazwischen. Tja, vielleicht ist das auch die Einstimmung auf das Preis-Leistungsverhältnis in der Eifel. Ich werde es sehen. Das Zimmer ist klein, aber in Ordnung. Etwas später höre ich noch weiter Gäste.

Freitag, 7. April
Das Frühstück ist auch ziemlich bescheiden, da habe ich in Jugendherbergen schon eine bessere Qualität gehabt. Aber egal, ich bekomme um halb sieben mein Frühstück und komme damit früh los. Das habe ich sicherlich dem Polizeitrupp zu verdanken, der auch hier logierte und die wohl auch früh weg müssen. Noch einmal geht es durch das zauberhafte Städtchen, auch jetzt ist es noch zu dämmrig für Fotos, und dann geht es weiter auf weichen Wiesenpfaden entlang eines kleinen Flusses. Die Wege sind schon mal super. Immer wieder durchquere ich kleine Dörfer, aber diese jetzt nicht mehr im englischen Stil. Dann kommen ein weitläufiges Waldgebiet und die Schotterwege. Zu früh gefreut. Interessant sind die alten Kalkbrennöfen, die noch aus der Jahrhundertwende hier stehen, teilweise nur noch Reste. Nach gefühlten hundert Stunden, in denen ich auf monotonen Wegen an vermutlich drei Drillionen Bäumen vorbeilaufe, nicht mal ein Eichhörnchen war zu sehen mit dem ich mich mal kurz unterhalten konnte, kein Ausblick auf die Landschaft um ein Fortkommen zu erkennen, habe ich gerade mal zehn Kilometer geschafft. Das ernüchtert. Im weiteren Verlauf versuche ich mich an Detail aufzuheitern, ein besonders krummer Ast, eine größere Ansammlung von Laub das eine interessante Form bildet, ein Baumschwammal, ein ungewöhnliche Wurzel,…. Ich bemühe mich ja wirklich, der Eintönigkeit zu entkommen. Ein echtes Highlight ist dann die Eintönigkeit in Perfektion, ein Hochmoor. Also wirklich, das sieht toll aus und zu einem Moor braucht man auch einen bedeckten Himmel. So für die Hitchcock-Stimmung.
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Und dann endlich erreiche ich Roetgen, das Ende der offiziellen ersten Etappe nach dreizehn Kilometern. Auch wenn ich das Gefühl habe, schon einen ganzen Tag gelaufen zu sein, ist es erst zehn Uhr. Ich habe geplant auch noch die zweite Etappe mit siebzehn Kilometern nach Monschau dran zu hängen. Gerade finde ich das Wellnesshotel, an dem ich vorbeilaufe, besonders attraktiv. Der erste Tag ist immer der schlimmste. Ich vergesse mal wieder die Details und laufe stur die Straße entlang und aus dem Städtchen hinaus. Gerade habe ich in der Etappenbeschreibung gelesen, dass ich gleich die Grenze nach Belgien überschreiten werde und damit ein Naturschutzgebiet betrete, dass sich Hohe Venn nennt. Ich weiß nicht was ich mir darunter vorstellen soll. Noch ist nichts von der Grenze zu sehen, aber würde ich davon etwas merken, so mitten im Wald. Nach Roetgen laufe ich erst einmal lange über Wiesen, aber unvermeidlich auf einen Wald zu. Ist das jetzt schon Belgien? Als ich den Wald betrete, werde ich darauf hingewiesen, dass ich auf dem belgischen Teil des Weges die Pfade auf keinen Fall verlassen darf und dass an bestimmten Tagen in November und Dezember, eine Liste für das vergangene Jahr hängt an, wegen der Jagd den Weg überhaupt nicht benutzen darf. Es geht nur kurz auf laubigen Pfaden durch den Wald, dann glaube ich in der Schweiz gelandet zu sein. Warum? Die Waldwege sind auf einmal geteert. Belgien scheint ein sauberes und ordentliches Land zu sein. Aber dann kommt das Beeindruckenste. Ein Schild, das mich darauf hinweist, dass ich mich jetzt in einem Wald des Königreich Belgien befinde.
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Das Schild hat mich derart beeindruckt, dass ich mir auf den nächsten Kilometern ernsthaft überlege, ob man hinter einem Baum des Königreichs Belgien pinkeln darf. Ich tue es dann einfach mal und kein königlicher Bediensteter hat‘s gesehen. Beeindruckt hat mich auch die Geschichte einer kleinen christlichen Ansiedlung, die hier, weit ab von allem existierte, um den Pilgerern Unterkunft und Pflege bei Krankheit zu bieten. Aus den Mauerresten der Siedlung wurde dann eine kleine Kapelle gebaut. Die Geschichte steht auf einer Tafel daneben. Weiter geht es auf Teerstraßen in die Hohe Venn. Nun weiß ich auch, dass es Europas größtes Hochmoor ist, aber von den wippenden Holzstegen und einem sogenannten Knüppeldamm durch das Moor aus der Etappenschreibung, ist nichts zu sehen. Durch das Moor zieht sich kilometerlang und mit dem Auge weit zu verfolgen eine Teerstraße, wie man sich das in einem Naturschutzgebiet so vorstellt.
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Vor meinem inneren Auge läuft ein kleiner Film ab, wie an den bestimmten Tagen im November und Dezember Kolonen von extrem teuren Geländewagen diese Straße entlang fahren, in denen wohl situierte Personen sitzen, die sich diese Moorhuhnjagd was kosten haben lassen, denn was soll man in einem Moor schon anderes jagen, außer einem Rotkelchen, einem sehr zutraulichem allerdings, ist mir hier nichts über den Weg gelaufen. Ja, und die wohlsituierten Möchtegern-Jäger wollen sich doch auf keinen Fall die teuren Jagdstiefel schmutzig machen. Die geschossenen Hühner holen dann bestimmt Jagdhelfer mit schlammigen Gummistiefeln aus dem Moor. Die Straße ist lang und ich habe viel Zeit, diesen kleinen Film auszugestalten. Ich bin froh, endlich wieder über die Grenze zukomme, daran zu erkennen, dass plötzlich die Teerstraße aufhört und ich einen Blick auf eine weite Ebene werfen kann. Dort sollte eigentlich schon Monschau zu sehen sein, aber ich sehe nur verstreute Häuser. Es geht nicht gleich in die Ebene hinunter, sondern noch oben entlang zu etwas das sich ‚König Karls Bettstatt‘ nennt und ein Fels ist, der so aussieht, als ob ein gerüsteter König auf einem Podest liegen würde. Hier mache ich kurz Pause, um meinen Körper, der nach Millionen von Kalorien schreit, ein paar Karotten zu geben, das Einzige, das noch in meinem Kühlschrank lag und daher mit musste. Mein Körper ist zumindest etwas länger damit beschäftigt, zwischen den ganzen Pflanzenfasern die erhofften Kalorien zu finden. Inzwischen laufe ich in die Ebene hinunter und durch hunderte, weit verstreute Ferienhäuser hindurch, die alle auch in einer zweiten, mir nicht bekannten Sprache beschriftet sind, ich vermute Belgisch, obwohl die Quote der überall aus den Boden sprießenden Holländer, also keine Tulpen oder Tomaten, sondern die echten, ziemlich hoch ist. Überall laufen sie mir über den Weg. Nicht nur an ihrer Sprache eindeutig zu erkenne, denn sie treten immer in lautstarken Gruppen auf, sondern auch daran dass sie niemals grüßen. Von Monschau ist immer noch nichts zu sehen. Dann läuft der Weg von der Ebene plötzlich in einen großen Graben hinein, der sich zum Tal erweitert und nach einer Kurve steht die Burg Monschau plötzlich vor mir. Läuft man an der Burg vorbei, geht es hinunter in ein reizendes Städtchen mit alten, dichtstehenden Fachwerkhäusern. Oben an der Burg komme ich mit einer einheimischen Frau ins Gespräch, die mit ihrem Hund unterwegs ist. Mir begegnen übermäßig viele Damen mit Hund, fast so viele wie Holländer. Andererseits keine einsam wandernde Männer oder so. Noch habe ich mir keinen Reim darauf gemacht. Sitzen die alle zu Hause und schauen Fußball, irgendwer muss das ja auch machen. Also ich komme mit der Dame ins Gespräch. Das reizende Städtchen hat leider keine Einkaufsmöglichkeiten. Sie bringt mich zu Paula, einem winzigen Dorfladen, mit dem Hinweis, dass die Kleene damit nicht überleben kann, denn nicht mal die Leute aus den Ferienwohnungen kaufen hier mal schnell was ein. Jeder fährt zu den Supermärkten Richtung Aachen. Ich habe aber letzte Nacht festgestellt, dass meine Zahnpastatube sich durch Luftfüllung nur voll angefühlt hat, aber schon fast leer ist. Ich muss der Kleenen also was abkaufen. Dann komme ich noch an einem Café vorbei, stelle aber fest, dass es hier nur billigst erzeugte Fertigtorten gibt. Ein Apfelkuchen erscheint mir am unverfänglichsten, aber auch der ist schon tierisch teuer. Wo bin ich hier nur gelandet. Dann geht es wieder hinauf zur Burg, denn dort ist die Jugendherberge. Eine tolle Location. Kein noch so tolles Hotel kann mithalten mit einer Jugendherberge in einer Burg. Mein Zimmer hat den Namen Turmfalke und ist im dritten Stock der ohnehin schon hochgelegenen Burg. Gutes Zimmer. Und im Bad gegenüber überblicke ich die andere Seite des Tals. Und dann kommt auch noch die Sonne raus. Ein perfekter Abend.

Samstag, 8. April
Um Acht gibt es Frühstück, um Neun bin ich unten im Städtchen und versuche in den engen, verwinkelten Gässchen meinen Weg hinaus zu finden. Der offizielle Wanderweg verläuft nach Süden, um dann mit einem weiten Bogen von sieben Kilometern wieder hoch zur Rur zu kommen. Grund dafür sind die besonders schönen Buchenhecken, Besonderheiten dieser Region, als Windschutz bis zu vier Meter Höhe zu finden, manchmal auch höher, und sie sollen in dem Städtchen weiter im Süden besonders toll sein. Meine Etappe, es sind wieder zwei offizielle, ist heute fünfundvierzig Kilometer und damit nicht machbar. Also muss ich sinnvoll kürzen und darum laufe ich gleich im Rurtal weiter, auf der Karte sah es gut aus. Der Weg ist auf fünfzehn Etappen und Tage ausgelegt. Ich habe nur elf Tage und möchte einen vollen Tag in Trier haben. Da muss ich sinnvoll zusammenfassen. Eigentlich wäre es ganz einfach. Zehn Tage und dreihundert Kilometer, das wären genau meine geliebten dreißig Kilometer am Tag, aber da gibt es keine Unterkünfte, also muss ich das kreativ gestalten. Der Wanderweg an der noch kleinen Rur in ihrem tiefen, schmalen Tal ist dann auch wirklich toll. Es ist ein Höhenweg, fast wie im Schwarzwald. Es gibt hier also doch Höhen und Tiefen, bei meiner Etappenanzeige hat die meine Programm irgendwie herausgeschnitten, vielleicht lagen die Daten nicht vor. Ich laufe also auf diesem wunderschönen Höhenweg und schneide damit sieben Kilometer ab. Damit wird die Etappe machbar.
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Als ich die Höhe verlasse, sehe ich am anderen Ufer ein einsam und sehr idyllisch gelegenes Hotel, in dem gerade ein paar Gäste nach dem Frühstück einen kleinen Spaziergang durch den romantisch angelegten Garten machen. Ich bleibe stehen, um den Anblick zu genießen. Da höre ich ein kurzes Brüllen und fünf, zehn, achtzehn, fünfundzwanzig, zweiunddreißig Mountainbiker rollen im völlig unidylischem Tempo den Berg hinunter und an dem Hotel vorbei. Die Gäste im Garten sind genauso erstarrt wie ich. Der Erste, der Anführer, der Brüller brüllt weiter seine Kommandos, unverständlich, da holländisch. Die Meute tritt schneller, der Brüller brüllt lauter, die Meute tritt schneller. Es dauert nur wenige Sekunden und der Spuk ist vorbei. Dann kommt der mir äußerst sympathische Anhang, die Looser, die die zu langsam sind. Leider bin ich noch langsamer an der Brücke, wo sich unsere Wege geschnitten hätten. Aber dem letzten, dem der mit viel, viel Abstand am Schluss kam, dem hätte ich gerne die Hand geschüttelt. In so einer Gruppe zeugt das von fast schon selbstmörderischem Mut.
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Den nächsten markanten Punkt auf der Karte habe ich schnell erreicht, den Rursee, ein durch viele Verästelungen weitläufiger See. Leise surren die Elektroausflugsschiffe an mir vorbei. Gleisendes Sonnenlicht flackert auf der Wasseroberfläche. Ein wunderschöner Tag. In Einruhr wäre ein Hafen gewesen, es wäre ein so wunderschöner Tag für eine Bootstour gewesen und eine Tour wäre sogar in meine Richtung gegangen. Aber auf den Gedanken bin ich erst zu spät gekommen. Schade. Für mich wird es eine verdammt anstrengende Wanderung. Das Seeufer ist sehr zerklüftet und der Wanderweg ist ein einziges steiles Auf und Ab. Am letzten besonders steilem Aufstieg zur Festung Vogelsang hinauf, verlassen mich meine Kräfte, die Knie zittern und versagen ihren Dienst. Fröhliche Wanderer aus Einruhr oder aus dem gerade angekommenen Ausflugsschiff ziehen locker an mir vorbei. Ich versuche Haltung zu wahren, jetzt nur nicht anhalten oder hinsetzen, du kommst nie mehr wieder hoch. Endlich oben. Dort streiten sich drei junge Pärchen, die zuerst an mir vorbeigelaufen sind, welche Googleanzeige nun die richtige Richtung angibt, anscheinend haben sie drei verschiedene. Google hat vermutlich nur die Eingaben der letzten Jahre mit einfließen lassen. Einer hat wohl verstärkt Pizzerien gesucht und nun zeigt Google den kürzesten Weg zur nächsten Pizzeria. Der nächste hat eher Baumärkte gesucht und wird nun dort hin geleitet. Und wer weiß was der dritte für Vorlieben hat. Die Mädels stehen schweigend daneben, die Kleinkinder auf den Rücken schlafen friedlich. Ich würde ja jetzt heimlich hämisch grinsen, aber dazu bin ich zu erschöpft. Die Festung sieht schon zum Greifen nah aus, aber der Weg schlängelt sich noch um ein paar Schluchten.
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Dort oben ist ein verlassenes Dorf, das die belgische Armee laut Beschreibung für Zielübungen genutzt hat. Wie jetzt das? Die Festung Vogelsang ist ein ziemlich eigenartiges, ewig langes Gebäude, oder vielmehr unzählige Gebäude, die die Nazis hier errichtet haben als Ausbildungsstätte für ihre Führungselite, das weiß ich, aber was haben die Belgier damit zu tun? Ich glaube eigentlich an eine Wahnvorstellung, als mir vier Mädels mit Hasenohren und rosa T-Shirts entgegenkommen und mir in einem Körbchen Schokoladeneier anbieten. Aber bei aller Fantasie konnten meine Wahnvorstellungen selten mit der Realität mithalten. Die Mädels sind echt. In amerikanischen Englisch erklärt mir die mit den größten Hasenohren, dass sie demnächst heiraten wird und zeigt mir stolz den auf ihrem T-Shirt aufgedruckten Zukünftigen. Sie bitten mich um eine kleine Spende. Sie nehmen sofort Abstand von ihrer Bitte, als ich sage, dass mein Geld im Rucksack ist. Uns ist allen heiß auf dieser kahlen, sonnenbeschienenen Hochebene. Wir wünschen uns noch gegenseitig alles Gute und ziehen unserer Wege. Ich frage mich kurz, was im Himmels Willen die Mädels ausgerechnet hier machen, aber für weitere Überlegungen reichen die Kräfte nicht mehr. Ich zerkaue das Schokoladenei, dass sofort in meiner Hand zu schmelzen angefangen hat. Bevor ich die Burg erreiche geht es noch einmal in ein Tal hinunter und natürlich wieder hinauf. Und da ist die nächste Gruppe holländischer Ausflügler, die nie Fremde grüßen, wo käme man denn da auch hin. Oben auf der Festung werden auf diversen Tafeln jegliche offenen Fragen beantwortet. Die britische und die belgische Armee hatten die Anlage nach dem Krieg als Kaserne genutzt. Auf der anderen Seite der weitläufigen Anlage, versuche ich die Jugendherberge in Gmünd anzurufen. Habe ich heute schon ein paar Mal versucht, aber immer eine Bandansage ‚außerhalb der Geschäftszeiten‘ bekommen. Egal, jetzt noch den Abstieg, der Rest findet sich. Die Jugendherberge finde ich tatsächlich oder vielmehr das, was die Bagger, die noch auf dem Gelände stehen davon über gelassen haben. Kein Wunder, dass hier keiner mehr am Telefon sitzt. Gleich daneben beginnt der Kurpark, Gmünd ist also eine Kurstadt, alle Städtchen in der Eifel scheinen Kurstädte zu sein. Es gibt damit auch ein Kurhotel, sieht edel aus, mal sehen was es sonst noch gibt. Eine vier-Sterne-Pension, was immer das auch ist, über einem Döner. Am Ende einer verlassene und etwas trostlose Fußgängerzone ein heruntergekommenes Hotel aus den Siebzigern, das äußerst verlassen aussieht. Und dann nichts mehr. Mein Blick schweift nach links. Von weg Nichts. Am anderen Ufer des kleinen Flüsschens, das aus dem Kurpark kommt, sehe ich eine Terrasse mit Sonnenschirmen und frühlingshafter Blütenpracht. Dahinter ein edel restaurierter älteres Gebäude mit der Aufschrift ‚HOTEL‘. Das ist meins. Als ich vor der Tür stehe, sehe ich die vier Sterne. Egal, vier Sterne an einem Hotel sind in Ordnung, an einer Pension fragwürdig. Ich laufe durch zur Rezeption und bekomme ein Zimmer, für lapprige fünfundachtzig Euro. Im Fahrstuhl, ich benutze sonst nie Fahrstühle, Wanderehre und so, merke ich, dass ich nur noch etwa zehn Sekunden habe, bis meine Knie nachgeben. Mein Zimmer ist nicht weit von der Fahrstuhltür. Sehr schickes, edles Interieur, reichlich bestücktes Badezimmer und – ein Stuhl, ein Tisch und eine Flasche Mineralwasser darauf. Das Wasser hat vermutlich meinen Magen oder gar meine Blase nie erreicht, es ist irgendwo dazwischen zischend verdampft. Irgendwann bin ich so weit, mich zu meinen Schuhen zu bücken, um sie abzustreifen. Irgendwann schaffe ich es auch noch unter die Dusche und in das frisch duftende Bett. Auf ZDFneo läuft eine Dauersendung über die Entstehung der Arten. Die ganze Nacht.

Sonntag, 9. April
Um halb Acht gibt es Frühstück, natürlich ein äußerst exzellentes, um Acht bin ich schon wieder unterwegs. Anfangs fühle ich mich heute Morgen etwas schummerig, aber das vergeht bald. Ich kürze gleich mal um vier Kilometer ab und überlege schon, wie ich die heutigen einundvierzig Kilometer weiter schrumpfen kann, aber zu dem Kloster, das heute an der Strecke liegt möchte ich auf jeden Fall. Kloster Steinfeld scheint ein beliebtes Ausflugsziel zu sein oder vielleicht auch nur die Brauerei, aber viele Leute verlassen den Klosterladen mit Marmeladengläsern und Weinflaschen. Ein kulinarischer Geheimtipp. Ich trinke im Café ein Apfelsaftschorle, die schmeckt normal.
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Das Kloster liegt auf einem Hügel, als ich auf der anderen Seite wieder unten bin, stehe ich plötzlich vor einem Wegweiser ‚Blankenheim Wald 11 km‘. Ich muss heute nach Blankenheim und dort hin wären es noch fünfundzwanzig Kilometer, aber wo bitte schön liegt Blankenheim Wald. Ein kurzer Blick auf meine Karte macht mich schlauer. Blankenheim Wald ist der Nachbarort, in dem der Bahnhof ist, etwa fünf Kilometer von Blankenheim entfernt. Dieses Schild hat eine gute Fee gerade für mich da hingestellt. Der offizelle Weg würde einen riesigen Bogen machen. Also nach Blankenheim Wald und der Wald ist sprichwörtlich, denn durch den laufe ich die ganze Zeit, auf meistens annehmbaren Wegen, auf langen Phasen sogar auf Pfaden. Gleich anfangs geht es steil auf einen Hügel, auf dem eine Klinik liegt, der Wegweiser schickt mich rechts daran vorbei. Vor mir verschwindet ein älteres Pärchen im Wald, das ist auch mein Weg. Wir schlängeln uns auf dem Hügel durch den Wald. Auf einer Bank sitzen drei Damen und machen Brotzeit. Das ältere Pärchen verschwindet weiter rechts um den Hügel. Ich hinter her, nach ein paar Schritten schlagen meine Instinkte Alarm. Ich wollte die Damen nicht stören und habe nur flüchtig auf den Wegweiser neben der Bank geschaut. Nun laufe ich noch einmal zurück, bitte um Entschuldigung, dass ich ihnen so nahe rücken muss, aber ich muss da doch noch mal genauer drauf schauen. Bald entwickelt sich ein angeregtes Gespräch über das Woher und Wohin. Karten der unterschiedlichsten Kategorien werden ausgetauscht, um den nicht eindeutigen Wegverlauf zu klären, eine Dame meint mit anerkennendem Blick auf die Karte auf meinem Handy, dass sie jetzt doch mal einen GPS-Kurs belegen sollte. Dazu ist kein Kurs nötig, beruhige ich sie. Karte aufs Handy laden, GPS-Taste drücken, warten und dann blinkt ein Kreuzchen, wo man gerade ist. Ganz einfach. Ich halte in einer Hand mein Handy in der anderen eine der geliehenen Papierkarten. Als ich die zurück gebe, wird mir die Hand sofort mit Nüssen gefüllt. Dafür wäre die doch jetzt frei, meint sie. Ich hätte da auch noch Tomaten und Kräckers, meint die Zweite. Meine Zähne zermalen die Nüsse und ich lehne Kopf schüttelnd dankend ab. Da kommt das ältere Pärchen wieder zurück. Der Weg sei nur wieder weiter um den Hügel gegangen, da seien sie doch hergekommen. Und ich habe meinem Mann gesagt, die Dame im gelben T-Shirt ist auch schon lange nicht mehr hinter uns. Zusammen laufen wir dann den Weg den Hügel hinunter. Unten will mich der Herr souverän in eine absolut falsche Richtung schicken. Ich kann ihn aber überzeugen, dass das jetzt nicht ganz das Richtige für mich wäre. Wir trennen uns nicht bevor sie mir noch die Fotos von dem Feld mit Küchenschellen zeigen, dass auf der anderen Seite des Hügels ist. Ich folge wieder der Ausschilderung Blankenheim Wald, laufe um den nächsten Hügel herum, um ihn von hinten zu erklimmen, wieder nach vorne, um dann eigentlich wieder vor der Klinik zu stehen, nur einige hundert Meter entfernt. So etwas liebe ich. Gut mein Weg ist heute fast schon dramatisch kurz, aber so nicht. Offiziell sollte ich jetzt weiter durchs Dorf und auf die Klinik zulaufen, aber mit einem Blick auf meine Karte finde ich eine weniger idiotische Variante. Weiter geht es durch lichten Wald und bald ist die Bahnstation erreicht. Der Weg durch ein weiteres Dorf und durch die Vorläufer von Blankenheim zieht sich noch langwierig dahin. Es ist heiß geworden. Die Schotterwege stauben, der Teer strahlt die Hitze ab. Eine lange Straße führt mich nach Blankenheim hinein.
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Ein nettes, altes kleines Städtchen und die Burg liegt natürlich wieder oben auf einem Berg und damit die Jugendherberge, erreichbar über gefühlte drei Millionen Stufen, die natürlich auf der Sonnenseite liegen. Aber was beschwere ich mich, ich habe gerade die Etappe auf achtundzwanzig Kilometer gekürzt, dann werde ich jetzt doch wohl noch so einen poppeligen Burgberg schaffen. Noch völlig außer Atem frage ich oben nach einem freien Bett. Er blättert durch seinen Belegungsplan. Und blättert und blättert. Entmutigt sage ich, dass ich besser untern angerufen hätte, bevor ich die tausend Stufen hochgestiegen bin. Hm, meint er, dann hätte er wohl nur noch ein Turmzimmer. Ich weiß jetzt nicht wirklich was diese dramatische Äußerung für mich bedeutet. Als Ausgleich für die vielen Stufen, die bereits geschafften und die jetzt noch kommenden, überreicht er mir mit der Bettwäsche eine Flasche Mineralwasser und schickt mich in den dritten Stock, auf dem langen Weg versuche ich mir verzweifelt auszumalen, was der sonderbare Unterton bedeutete, mit dem er ‚nur das Turmzimmer‘ sagte. Ist das die Abstellkammer? Spuckt es dort? Vorsichtig öffne ich die Tür, rechne mit allem. Und was ist. Ein Zimmer mit zwei Stockbetten für mich alleine, grandiose Aussicht über das Tal und den Burghof und ein eigens Bad im Zimmer. Was will man mehr. Und als ich versuche Lisa anzurufen, um ihr nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren, habe ich sogar vollen Empfang, trotz der dicken Mauern.

Montag, 10. April
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Der Tag ist heute eher unspektakulär. Am Morgen scheint noch die Sonne, aber dann zieht es ziemlich schnell zu. Die erste Etappe laufe ich noch nach Plan. Heute ist der letzte Tag, an dem ich zwei Etappen auf einmal Laufen muss. Das bisher war die Wassereifel, nun komme ich in die Vulkaneifel. Die zweite Etappe des Tages, die nach Hillesheim hinein, kürze ich wieder. Ich laufe wieder nicht den fünfundzwanzig Kilometer langen Bogen, sondern nehme einen Wanderweg, der mich in zehn Kilometer und damit fast in Luftlinie dort hin bringt. Es sieht die ganze Zeit so aus, als ob es gleich zu regnen anfangen würde, aber es hält bis ich in Hillesheim bin.
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Es waren heute nicht sonderlich viele Kilometer, aber das hat auch einmal gut getan. Und so soll es jetzt die nächsten Tage weiter gehen. Endlich mal etwas entspannender. Hier gibt es keine Jugendherberge, aber ich habe eine Liste mit Unterkünften. Das erste Hotel sieht ziemlich geschlossen aus und liegt direkt an der gut befahrenen Durchfahrtsstraße. Die ist schon nervig genug, wenn man nur mal kurz an ihr entlang laufen muss, da möchte ich keine Nacht verbringen. Das nächste Hotel sieht sehr schmuddelig aus, ein Wanderpärchen läuft gerade darauf zu, ich laufe weiter durch den Ort. Das nächste Hotel nennt sich nur noch so, ist aber nur noch eine Kneipe. Dann stehe ich vor dem Augustiner Hof. Vier Sterne, wäre jetzt nicht das erste Mal. Aber hier laufen überwiegend geschäftsmäßig gekleidete oder schon ungewöhnlich reich aussehende Japaner und Araber hinein. Auf meiner Karte fehlt mir der Überblick, aber scheinbar sind wir irgendwie in der Nähe einer finanzstarken Großstadt, ich konnte aber auch bei späteren Recherchen eine solche Stadt nicht finden. Ich habe keine Ahnung, was diese Leute in dieses kleine Städtchen bringt, außer das hier wohl ein Golfclub ist, vielleicht ein Besonderer, hundertzwanzig Löcher? Es wird dann meine teuerste Übernachtung, aber das Wanderpärchen kommt kurz nach mir herein. So viele Alternativen gibt es wohl nicht. Bei der Anmeldung muss ich gleich die Übernachtung bezahlen, klar muss man sein Geld bekommen, aber ich finde immer die Hotels besonders cool, die mich trotz meines schmuddeligen Outfits absolut souverän behandeln. Das müssen die noch lernen, es ist stillos, die Größe des Geldbeutels nach der Kleidung zu beurteilen. Aber das Zimmer ist sehr groß und alles ist bestens. Dann bekomme ich Hunger, vom Zimmerfenster aus sehe ich das Schild einer NORMA und es ist noch nicht zu spät. Dort weiß ich wenigstens was mich erwartet. Einkaufstasche habe ich jetzt keine, aber ich werde nicht mit der NORMA-Tüte durch die Lobby laufen, obwohl die wenigsten dieser Gäste vermutlich wissen, was NORMA ist. Also räume ich den Rucksack aus. Auch so fühle ich mich schon sonderbar, als ich mit meinen knallgelben Crocks und meiner restlichen, sehr legeren Abendgarderobe in der Lobby an den schicken Japanern vorbeilaufe. Vermutlich beschweren sie sich gerade, dass das Personal gefälligst hinten raus soll. Auf dem Rückweg fällt mir das schon gar nicht mehr auf, weil ich mich auf mein fürstliches Menü freue. Frisches Baguette, würzigen Käse, edlen Schinken und Schokokekse. Das Hotel hätte auch ein Sauna, aber die kostet extra, das ist ja voll pingelig, wo gibt’s denn so was. Nein ich vergleiche das jetzt nicht schon wieder mit dem Bayrischen Hof in Lindau.

Dienstag, 11. April
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Von Hillesheim starte ich bei ziemlich trüben Wetter Richtung Gerolstein, genau, die mit dem Mineralwasser. Wird eine lockere Etappe. Endlich mal, nach den stressigen ersten vier Tagen. Ich fühlte mich schon richtig schlapp. Die kürzere Etappe gestern und die lange Ruhepause im Hotel haben schon mal die erste Erholung gebracht. Ich merke es, weil ich nicht nur starr vor mich auf den Boden schau, sondern jedem zwitschernden Vogel hinterher. Es klart schnell auf und bald fange ich auch zu zwitschern an. Nun bin ich in der Vulkaneifel. Bisher die Wassereifel, wegen der ganzen Flüsse, gut so viele waren es nun auch nicht, aber heißt halt Wassereifel. Mein Blick wandert auf jede Höhe, durch die Landschaft hin und her, auf der Suche nach Vulkankegeln, aber nichts. Wo verstecken sich die nur? Im Wald komme ich an einer Tafel vorbei. Dort wird erklärt, dass hier ein Basaltblock steht. Der Vulkan ist ausgebrochen, die Lava im Vulkan randvoll erstarrt, im Laufe der Jahrtausende ist der Vulkan außen herum weggebröselt nun steht nur noch der Basaltkern da. Wo? Ich schaue mich um, ich suche. Kann doch wohl nicht so schwer sein, den Basaltkern eines Vulkans zu finden. Neben der Tafel, gleich vor meinen Füssen steht ein kleiner, bemooster Felsblock. Unten etwa einen halben Meter im Durchmesser und etwa genauso hoch . Oben stark verwittert, sieht wie eine große, grüne Zipfelmütze aus. Neuzeitliche Schamanen haben einen Ast darüber gelegt, an dem hängen Federn, Traumfänger und sonstige Kleinigkeiten. Das ist also der Eifelvulkan. Ich fasse es nicht. Die Vulkane im Hegau sind nun auch keine Riesen, aber man kann sie besteigen und auf fast jedem stand mal eine Burg. Da muss der Zwerg vor mir aber noch gewaltig wachsen. Was soll‘s. Das Wetter ist schön, ein toller Tag zum Wandern.
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Dann komm ich an was vorbei, was wir im Vulkan-Hegau nicht haben. Eine Mühlsteinhöhle. Da war so viel Lava, gut Vulkan ist da jetzt keiner zu sehen, aber braucht es in der Eifel scheinbar dazu auch nicht. Ja, also, da ist so viel Lava als Basalt im Boden, dass man eine Höhle geschlagen hat, um aus dem Basalt, zu damaligen Zeit in verdammt mühevoller Kleinarbeit, Mühlsteine. Aus irgendeinem mir noch nicht ganz erklärlichem Grund immer aus der Decke, vielleicht, weil über Kopf arbeiten etwas für richtig harte Kerle ist. Ja und durch die vielen Löcher im Stein, ist der durchs malen immer scharf geblieben. Da haben wir wieder was gelernt. Ich freue mich auf Gerolstein, klangvoller Name, und vielleicht machen die aus dem tollen Wasser auch ein tolles Bier. Ich träume davon, bei wärmendem Sonnenschein in einem Biergarten zu sitzen und versuche das Bild eines Biers im Schnapsglas aus zu blenden, das immer wieder vor meinem geistigen Auge erscheint. Wir sind so verdammt nah an Köln. Schon im Stadtgebiet Gerolstein angekommen, will der Eifelsteig noch eine Extrarunde über eine Felswand drehen, soll er nur, kann er ja auch ohne mich. Ich schau ihm dabei zu, wenn ich mein Bierchen trinke. Gut das mit dem Biergarten hat sich auch schon erledigt, denn der Himmel ist inzwischen bedeckt und es ist viel zu kühl für draußen und Bierchen. Zumindest für das Bienchen. Aber es wird ja auch ein Café mit einem leckeren Kuchen geben. Es ist kaum zu glauben, eine ausgestorbenere Stadt habe ich nie gesehen, fehlt jetzt nur noch das kugelige, vertrocknete Gestrüpp, das durch die Straßen weht. Da war ja die tosende Durchfahrtsstraße in Hillesheim noch besser. Döner gibt es oder Döner-Pizzeria. Heißen hier immer Eifel oder Vulkan. Die reizen mich nicht. Ich steige hinauf zur Burg, dort ist auch kein Mensch. Nur eine einsame Touristin irrt herum. Ich laufe weiter zur Jugendherberge, die ist auch hier oben, allerdings dieses Mal nicht in der Burg, schade, und von hier oben geht es morgen auch weiter. Die Herberge zu finden ist dann noch eine echte Herausforderung. Letztes erkennbares Schild ‚Jugendherberge 0,4 km‘ ich laufe und laufe, stehe dann mitten im Wald, laufe weiter, aber da kommt nichts mehr. Bis auf ein Schild in die Gegenrichtung ‚Jugendherberge 2 km‘. Endlich sehe ich mal jemanden zum Fragen. Ja, das entscheidende Schild zum Abbiegen hat gefehlt.

Mittwoch, 12. April
Prachtvolles Wetter und wieder nur eine lässige Etappe nach Daun. Vielleicht klaps diesmal mit dem Biergarten. Und da sehe ich ihn. Eigentlich dachte ich der Nerother Kopf ist nur so ein Hügel, aber oben steht die Ruine einer Festung und auf einem Schild, dass das ein Vulkankegel ist, mit Mühlsteinhöhle. Es gibt also auch in der Eifel, die Vulkane, die man besteigen kann und auf denen auch eine Burg Platz hat. Wurde übrigens zur selben Zeit, also irgendwie sechzehntes Jahrhundert, von den Franzosen geschliffen, wie die Hohentwiel. Die Franzosen mochten wohl keine Burgen auf Vulkanen. Als ich auf der anderen Seite wieder vom Vulkan steige, bleibe ich wie erstarrt stehen, sind das am Horizont nun Wolken oder Berge? Berge, hier im Norden? Sieht man von hier die Vogessen? Das muss ich recherchieren.
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Vor der nächsten Ortschaft noch halb am Hügel, treffe ich eine holländische Kleinfamilie. Er frägt, ob er was fragen darf. Ich: klar, wenn ich die Antwort kenne. Männer fragen doch nie. Sind da holländische Männer anders oder ist er sooo verzweifelt? Sie wissen nicht mehr wo sie sind. Er zeigt mir eine Karte, eine sehr grobe Karte, mit der nächsten Umgebung um ein Hotel. Scheint ein edles Hotel zu sein, in dem man nicht vermutet, dass die Gäste weiter als fünfhundert Meter zu Fuß laufen. Dort wollen sie wieder hin. Ich ziehe erst mal meine Karte, sprich mein Handy raus. Irgendwo habe ich den Ort schon gelesen. Es stellt sich heraus, dass sie nur den Hügel umrunden müssen und schon sind sie wieder im sicheren Hafen. Das war ja einfach und sie ziehen flotten Schrittes von dannen. Ich sehe bald die Burg von Daun, schon ganz nahe und wieder fühle ich mich leicht verarscht, dass der Eifelsteig kurz vor dem Ziel noch fünf Hügel extra überqueren muss. Klar die Etappe war nicht lang und klar ist der Weg das Ziel, aber man kann‘s auch übertreiben. Das ist wie der Maus schon mal den Speck vor die Nase halten und dann immer wieder weg ziehen, aber heute mach ich den Spaß mit. Daun ist fast die gleiche Enttäuschung wie Gerolstein. Aber heute, will ich noch irgendwo einkehren, bevor ich zur Jugendherberge hinauslaufe. Endlich begnüge ich mich, mangelns andere Möglichkeiten, mit einer Eisdiele, in der sogar ein paar Leute sitzen. Alternativ hätte es nur wieder Eifel-Vulkan-Döner gegeben. Eigentlich sage ich ja, wenn man eine Viertelstunde nicht beachtet wird, dann will man einen nicht haben, aber heute lass ich mich nicht abwimmeln. Ich gehe vor zur Theke und bestelle meinen Eisbecher und ein Kännchen Kaffee, zu dem die Milch fehlt, aber jetzt will ich auch nicht mehr. Der Kaffee ist aber um Welten besser als die dünne Brühe heute Morgen. Die Jugendherberge liegt noch überraschend weit draußen. Schon fast beim ersten Maar. Hier habe ich nachgefragt, es gibt keine Berge, die man am Horizont sehen könnte, auch nicht ganz weit weg, auch nicht bei super gutem Wetter. Waren dann doch wohl nur Wolken.

Donnerstag, 13. April
Am Morgen regnet es leicht und zusammen mit dem Wind wird es schnell unangenehm. Morgens verläuft der Weg in Schlangenlinien um die Maare herum. Das sind Vulkane, die mit Wasser vollgelaufen sind.
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Nach dem dritten geht es fast in Luftlinie entlang eines Tals nach Manderscheid. Hier läuft parallel der Lieserpfad, angeblich der berühmteste Wanderweg der Region. Die Lieser ist ein Fluss der Pfad aber leider kein Pfad, sondern ein breiter Forstweg. Nur auf den letzten Kilometern vor Manderscheid wird es ein Pfad und der ist wirklich genial. Die Lieser fließt in einem schmalen tiefen Tal. Das Tal ist fast durchgehend unberührt. Keine Landwirtschaft und so. Mein Pfand verläuft hoch über der Lieser, unten gibt es keine erkennbaren Wege oder sonst irgendwie Zivilisation. Wo gibt es schon noch so ein unberührtes Tal. Dann komme ich um eine Kurve und die Häuser von Manderscheid stehen oben am klippenartigen Rand des Tals, kippen fast über die Kante.
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Ein nettes altes Städtchen mit Kirche, mehreren Burgen, die unten im Tal stehen und versuchen über die Kante zu gucken, mit alten kleinen Fachwerkhäusern. Alles im warmen Sonnenlicht. Ich laufe die Hauptstraße mehrmals rauf und runter, aber alle Cafés und Gaststätten, es gibt hier vier, die nicht völlig verschlossen aussehen, haben gerade Mittagspause. Es ist früher Nachmittag. Ich folge einem Schild für einen Supermarkt die Ausfallstraße hinaus. Ich könnte ja am Abend wieder mal was essen. Das Dorf ist zu Ende, der Supermarkt immer noch nicht in Sicht. Dann eben zur Jugendherberge. Die ist nicht weit weg, aber auf der parallelen Ausfallstraße und ich erkenne keinen Querweg, also wieder zurück. An der Rezeption steht Zitronenwasser zur freien Verfügung. Im Zimmer drehe ich wie immer die Heizung voll auf. Gleich fange ich wieder zu Frieren an, wie jeden Tag so bald ich zu Laufen aufhöre. Ich sitze lange in den staubigen Wanderklamotten vor der Heizung. Der Tisch steht so, dass meine rechte Schulter über der Heizung schwebt. Das tut so gut. Wie so oft ist meine Schultermuskulatur zu Brettern gefroren, die beim Laufen hörbar und schmerzhaft übereinander schaben. Gerade tauen sie wieder auf. Der Gedanke an eine abendliche Brotzeit lässt mich nicht mehr los und ich ziehe noch mal los. Auf leisen gelben Sohlen auf der Suche nach dem Supermarkt. Es gibt doch eine Querverbindung zwischen den beiden Ausfallstraßen und dann habe ich ihn schnell gefunden, indem ich zwei Damen mit leeren Taschen folge, die zielstrebig dahin laufen. Es gibt sogar zwei Supermärkte und meine Brotzeit ist gesichert. Endlich fühle ich mich in der Lage, mich unter die Dusche zu stellen und im Bett kann ich auch noch lange lese ohne einzuschlafen. Die letzten drei Tage waren entspannend. So sollte Wandern eigentlich sein. Wieder fällt mir ein, dass ich meine Urlaube vielleicht endlich mal altersgerecht gestalten sollt, der Tatsache ins Auge sehen. Heute habe ich mich entschieden, wie ich weiter wandere. Für alle Etappen bis Trier reicht die Zeit nicht. An der Rezeption habe ich gefragt, ob es besser ist, die Etappe nach Himmerod zu laufen und dort zu versuchen einen Bus nach Westen zur Bahnlinie zu bekommen, wären nur zehn Kilometer, aber nach den achtzehn Kilometern nach Himmerod zu viel, weil die zehn Kilometer nur die Luftlinie ist. Straßen gibt es in diese Richtung auch nicht viele und auch nicht wirklich Wanderwege. Meine eigentliche Planung, das ich die nächsten beiden Etappen wieder zusammen an einem Tag laufe, habe ich schnell gestrichen, weil der Weg gerade nach Süden verläuft, ohne eine nennenswerte Schleife zum Abkürzen. Die andere Möglichkeit ist, den Lieserpfad bis nach Wittlich hinein zu folgen und von dort einen Bus nach Trier zu bekommen. Die Dame von der Jugendherberge sagt auf keinen Fall Himmerod, da komme ich nicht mehr weg, aber Wittlich hat sogar einen Bahnhof im Nachbarort. Mein Anruf in der Jugendherberge in Trier ist nicht erbaulich. Sie haben nur von Sonntag auf Dienstag eine Bett für mich. Vielleicht ist Wittlich so reizvoll, dass ich dort noch einmal übernachte. Dann mit dem Zug die Kryll nach Gerolstein hinauffahre und in Kordel wieder übernachte, um dort die letzte Etappe des Eifelsteigs hinein nach Trier zu laufen. Dann wäre ich Sonntagabend passend in Trier.

Karfreitag, 14. April
Am Morgen beim Frühstücken erzählt mir eine andere Dame aus der Herberge, dass es in Trier noch andere Übernachtungsmöglichkeiten gibt als die Jugendherberge. Laut meiner Liste kosten die scheinbar nur alle über hundert Euro. Darauf habe ich bei vier Nächten keine Lust. Aber sie hat recht, es wird ja vielleicht irgendwie einen einfachen Gasthof geben. Das Wetter war gestern Nachmittag schon wieder herrlich und heute Morgen scheint es sich fortzusetzen. Fast schon sommerlich un der Lieserpfad setzt sich auch so genial fort.
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In meinem Kopf formt sich der Gedanke von einem Abend den ich schon in Trier verbringe. Wittlich erweist sich als wirklich nettes Städtchen, aber der abendliche Triergedanke hat sich schon zu festgesetzt, dass ich gleich zum Busbahnhof durchlaufe. Was macht Bahnhöfe, ob für Busse oder Züge nur immer so reizvoll für Bürger mit Immigrationshintergrund. Auch der Busbahnhof von Wittlich ist wie jeder Bahnhof absolut hässlich. Kann man nicht an schöneren Orten abhängen oder ist hier der Begriff ‚schön‘ zu relativ? Es stehen einige Busse herum, aber alle unbesetzt, schließlich ist Feiertag und auch hier der Busverkehr eher mager. Einige Leute scheinen aber auf etwas zu warten. Der Bahnhof von Wittlich ist fünf Kilometer entfernt über Teerstraßen zu erreichen, darauf habe ich keine Lust. Aus den Fahrplänen an jeder Plattform werde ich nicht schlau, sind so widersprüchlich, erinnert mich an einen Busbahnhof in Guatemala. Ein Bus rauscht ein. Linie 300 Wittlich-Daun. Laut Plan fährt der am Bahnhof vorbei. Der Busfahrer hat Stress. Es hängt ein riesiger Fahrradanhänger am Bus, er ist wohl schon spät dran und muss noch ein paar Fahrräder verladen. Nein, er wüsste nicht, dass er zum Bahnhof hinaus fährt. Als er wieder weg ist, laufe ich noch mal alle Plattformen ab und studiere die einzelnen Pläne. Endlich finde ich einen Gesamtplan. Viel handlicher als alle Pläne zusammen, wenig Verbindungen, übersichtlich. Alle Einzelfahrpläne sind wohl veraltet. In fünfzehn Minuten soll ein Bus kommen, der zum Bahnhof fährt. Ist dann auch eine Linie 300, aber eine andere. Ich kann gleich ein Ticket bis nach Trier lösen und ein Zug kommt dann auch ziemlich schnell. Ist ja nur eine halbe Stunde nach Trier. Für mich wären es noch drei Etappen gewesen. Schon witzig. Zehn Minuten Zugfahrt ist gleich einem Tag wandern. In Trier frage ich am ersten nett aussehenden Gasthof in der Innenstadt, der auch Hotel ist. 140 €. Ich bedanke mich und sage, dass ich weiter suchen werde. Wo denn mein Limit liegt, frägt sie. 80 €, sage ich. Sie durchsucht das Internet und zeichnet mir auf einem Stadtplan meine Möglichkeiten ein. Viele sind es nicht. Es stimmt also, dass in Trier die Preislage über hundert Euro liegt. Ich bedanke mich und laufe los, hinaus zum Hotel an der Römerbrücke. Für die erste Nacht hat sie ein Zimmer zur Flussseite, dann müsste ich umziehen und könnte ein Zimmer für fünfzig Euro zur Straßenseite haben. Ich nehme es. Das Hotel wirkt etwas heruntergekommen. Um mich herum höre ich holländisch und andere Sprachen. Im Zimmer geht die Heizung im Bad, aber nicht die im Zimmer. Ich fürchte mich davor die Haare zu waschen und mich dabei zu Verkühlen. Ich drehe die Heizung im Bad voll auf und lasse die Tür offen stehen. Erst als ich das Gefühl habe, dass sich auch das Zimmer erwärmt, gehe ich Duschen. Die ganze Zeit versuche ich schon, die Jugendherberge zu erreichen, bekomme aber immer nur das Band. Endlich klappt es, ja, sie hätten jetzt auch für morgen noch etwas frei. Ich müsste aber dann zum Sonntag das Zimmer wechseln. Egal, besser als hier. Ich laufe an die Rezeption und sage, dass ich doch nur eine Nacht bleibe. Das macht sie misstrauisch, ich soll dann sofort bezahlen. Kein Problem. In Wanderoutfit muss ich in vielen Hotels im Voraus bezahlen. Umso mehr Hochachtung habe ich vor den Hotels, die sich da wirklich nichts anmerken lassen. So wie das Friedrichs in Gmünd, bestes Hotel am Eifelsteig und nicht das teuerste, trotz vier Sterne, aber das edelste.

Samstag, 15. April
Als ich den Frühstücksraum betrete, glaube ich, ich habe aus Versehen den Kühlschrank geöffnet. Wow, vielleicht sollten die ein Fenster öffnen, damit es wärmer wird. Aber die quirlige Dame, die mit einer Kanne Kaffee auf mich zukommt, reißt alles raus. Das Frühstück ist sonst passabel, allerdings würde ich in der Jugendherberge vergleichbares bekommen und hier musste ich dafür noch einmal sieben Euro extra bezahlen. Ich will gleich zur Jugendherberge laufen, um dort den Rucksack abzustellen und dann in die Stadt gehen. An der Porta Nigra, ein gut erhaltenes Tor aus der Römerzeit sitzt die Touristen Info und ich entschließe mich zu einer Stadtführung.
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Als ich mit dem Ticket in der Hand die Info verlasse, fängt es an zu regnen und es ist kalt. Noch habe ich eine halbe Stunde, um mir ein wärmendes Kleidungsstück zu kaufen. Die Geschäfte haben schon auf Sommer umgestellt. Ich finde nur einen dicken Schal. Wird schon reichen, der zieht meine Kapuze etwas enger ans Gesicht. Nach zwei Stunden bin ich durchnässt und weiß, dass in Trier zur Römerzeit Luxus und Fortschritt mit sechzigtausend Einwohnern herrschte, ein Stand, der erst wieder Ende des neunzehnten Jahrhunderts erreicht werden konnte. Der römische Kaiser Konstantin hat sich hier aufgehalten und es zum Kaisersitze ausgebaut, bevor er Konstantinopel gründete. Die meisten römischen Bauten sind nur noch in Form von Steinen vorhanden, mit denen die späteren Häuser im Mittelalter gebaut wurden. Dazwischen wurden Kühe in den römischen Gärten geweidet. Aber vollständige Gebäude stehen in Rom auch nicht mehr. Die Porta, die Basilika und die Termen sind schon beeindruckend. Da mussten sich die christlichen Herrscher mit ihren Doms und Palais schon ganz schön bemühen.



Eintrag vom 18.10.2015

Übertrag aus dem alten Block

Pennine Way (der zweite Versuch)
einsame Wege durch kahle Hochmoore
(bei Dauerregen fatal für die Psyche, bei Sonnenschein einfach genial)
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Die Überschrift lässt schon vermuten, dass es hier einen ersten Versuch gab
Pennine Way - der erste Versuch
(und der erste Langstreckenwanderweg, den ich je machte):
Keinen Tag schmerzfrei, aber ich wollte es ja so
Der Pennine Way ist Englands ältester Langstreckenwanderweg und führt über 268 Meilen oder 431 Kilometer von Edale bei Manchester bis hinauf zur schottischen Grenze.
Meine Überlegungen waren, wenn ich zu Hause auf normalen Wanderwegen vierzig bis fünfzig Kilometer schaffe, dann kann ich das dort auch und dann sollte ich den Trail in zwölf Tagen schaffen.

Montag, 03.09.12
Eigentlich wollte ich ja dieses Mal gar nichts schreiben, nur fotografieren, wie immer halt. Aber Fotos können eben nicht alles sagen. Und so ganz unbemerkt hat mein zweites Ich oder war es mein viertes, dann doch noch schnell ein Notizbuch ins Gepäck geschmuggelt. Und da ich gerade für alles andere einfach zu müde bin, schreibe ich halt mal wieder. Ich finde es toll dass ich die Leute in diesem Land so richtig gut verstehen kann und dass hier alles so very british ist. Im Zug vom Flughafen in die Stadt habe ich schon einen glimps erhaschen können auf das was ich für die Pennine halte. Am Bahnhof habe ich gleich das Zugticket nach Edale für morgen gekauft und das Handy habe ich gerade beauftragt, mich um fünf Uhr zu wecken. Um zehn vor sechs geht der erste Zug und wenn ich den nicht schaffe geht um acht nach sieben der nächste. Aber wir haben hier eine Stunde Zeitunterschied, das heißt dass ich eigentlich erst später aufstehen muss.

Dienstag, 04.09.12
Ich schreibe in ein völlig durchnässtes Notizbuch. Das deutet schon einiges an. Der Tag war ein Desaster:
Ich stecke es noch cool weg, dass mich die ganze Nacht irgendetwas anderes aufweckt. Ich gehe als erstes Schlafen. Gleich nach mir kommt ein Typ, regelte alles im Dunklen und ist sofort ruhig. Mit dem Typen über mir habe ich mich am Abend etwas unterhalten. Einen in Schottland sesshaften Paraguayer, der auf den Weg zu seiner in Deutschland lebenden Freundin ist, um ihrer Mutter in Srilanka beim Hausbau zu helfen. Leider hatte er in Edinburg seinen Flug verpasst und hängt nun bis Mittwoch in Manchester fest, bis der nächste Flug geht. Er kommt vom Duschen zurück und kletterte im Dunklen hoch in sein Bett. Dass der etwas gewichtigere Typ bei jeder Drehung das Bett zum Schaukeln bringt, ist noch das Geringste. Schlimmer ist der Typ im Nebenbett, der zusammen mit einem Mädel erst spät kommt und im Schlaf andauernd redet, die Sprache habe ich allerdings nicht identifizieren können. Das Mädel unter ihm, war vielleicht mit ihm mal ein Bierchen trinken, aber kennen tut sie ihn nicht, denn sie sieht bei den ersten Ausrufen erst irritiert im Zimmer herum. Der Hammer sind aber die beiden Deutschen im Nachbarzimmer, das zu unserem hin eine verschlossene Holztür hatte, die nur hauchdünn ist, was aber die beiden scheinbar nicht wissen. Sie packen äußerst geräuschvoll nach Mitternacht ihre Sachen, knallen Taschen gegen die Tür usw. Irgendwann kann ich nicht mehr schlafen, sehe alle halbe Stunde auf die Uhr und stehe letztendlich um vier Uhr auf. Hat ja keinen Sinn mehr. Nach einem Frühstück frage ich erst gar nicht, ich gehe einfach zum Bahnhof. Dass der Zug nicht vom angegebenen Gleis abfährt, dass er zu spät kommt und dass es einer der schäbigsten Züge ist, die ich je gesehen habe, gut Cubas und Guatemalas einzige Züge aus der Gründerzeit waren schlimmer, stört mich auch noch nicht. In Edale wandere ich geradezu euphorisch los. Es ist sieben Uhr und noch keine Seele unterwegs. Auch als es zu Nieseln beginnt, ziehe ich mein Piratentuch nur etwas tiefer in die Stirn und als es dann zu Regnen anfängt, dann ist das halt so. Als ich das erste Mal in einem Sumpfloch knöcheltief einsinke und die Schuhe volllaufen, nehme ich das auch hin, war ja alles durchaus vorhersehbar. Die Jacobsleiter drei Meilen hinter Edale ist dann überraschend steil. Mit Wanderweg hat das nichts mehr zu tun. Ein Heidekraut überwucherter Sumpfsteilhang, den ich teilweise ohne Weg hinaufklettere und ein Bach, der immer wieder zu überqueren ist. Oben ist es dann total nebelig. Sichtweite etwa zehn Meter. Laut Beschreibung soll ich mich oben rechts halten, wenn ich nicht einen kleinen Zusatzausflug zu einem Steinkreuz machen will. Danach ist mir momentan nicht. Ich soll auf einen riesigen Steinhaufen zulaufen. Denn kann ich natürlich nicht sehen. Ich irre dann mindestens zwei Stunden im Hochmoor herum, teilweise versinke ich knietief im Wasser, das sich geschickt unter Heidekraut versteckt. Vor meiner Abreise habe ich mir zufälligerweise noch den zweiten Teil des ‚Herr der Ringe ‚ angesehen, da wo die Hobbits im nebeligen Gebirge und im Moor herumlaufen. Mir kommt alles so vertraut vor. Ich versuche einer relativ frischen Spur Herrenschuhe mit mitlaufender Hundespur zu folgen, einen Weg kann ich schon lange nicht mehr erkennen. Als ich dann meine Fußabdrücke wiedererkenne, bin ich schon ziemlich verzweifelt. Wie bitte komme ich hier wieder heraus? Ich versuche wieder zum Ausgangspunkt zurückzukommen. Irgendwann finde ich viele Fußabdrücke und einen kiesigen Pfad, der dann in einen Flagstonepfad, ein mit riesigen Felsfliesen gepflasterter Pfad, übergeht. Ich bin happy und dann höre ich aus dem Nebel Geräusche. Hämmern, Sägen. In der Richtung habe ich dann einen Zaun gefunden und irgendwann auch die Jungs, die ihn trotz widrigem Wetter aufbauen. Habe ich erwähnt, dass es die ganze Zeit schon regnet? Ich bin wieder kurz vor Edale, sagt mir einer. Den nächsten den ich frage deutet Edale in die andere Richtung. Ich stehe unschlüssig herum, bin schon am Umdrehen, als urplötzlich die Sonne durchbricht. Ich bin völlig überrascht, was das so alles an toller Landschaft um mich herum ist. Ich also wieder zurück zu den Jungs. Die gerade alle zusammenstehen. Ein Einheimischer ist nun dabei und der zeigt mir den Pfad auf dem ich wieder auf den Pennine Way komme. Kann man nun auch weithin sehen. Ich komme wieder zurück zum Ende der Jacobsleiter. Nun sehe ich auch rechts einen Steinhaufen und als ich dort bin noch einen, den ich als Edale Rock hinnehme, auf den ich laut Beschreibung dann zulaufen soll. Dann heißt es, falls kein Pfad da ist, immer der Felskante folgen. Konnte man auch jetzt ganz leicht und die Aussicht ist genial. Auf einmal sind eine ganze Menge Leute unterwegs. Natürlich frage ich keinen, ob ich auf dem Pennine Way bin, ist ja alles so klar, besonders als dann wieder ein Flagstonepfad auftaucht und immer mehr Leute unterwegs sind. Irgendwann kommt mir die Richtung aber dann doch komisch vor. Ich sollte eigentlich nach Norden, lauf aber immer nach Osten und weit unter mir im Tal glaube ich wieder Edale zu erkennen. Dann frage ich einen älteren Herrn. Der schickt mich zurück, ich sei ganz wo anders. Ich also wieder zurück.
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Dann habe ich wieder einen getroffen. Der meint Kinder Downfall sei schon ziemlich weit weg und dann noch weiter nach Crowden zu kommen, sei heute geradezu aussichtslos. Er zeigt mir auf der Karte wo ich denn eigentlich bin. Er empfiehlt mir mit ihm wieder nach Edale ab zusteigen. Ich sehe es ein und folge ihm. Es ist ein sehr steiler Weg hinunter nach Edale und da beginnen meine Knie zu schmerzen. Sie beschweren sich über den schweren Rucksack. Bis wir unten im Tal sind, sind meine Knie steif, was es fast unmöglich macht noch vernünftig zu laufen. Ich schaffe es zusammen mit dem netten Herrn noch zur Touristeninformation. Der verabschiedet sich dort und die nette Dame von der Info sucht mir eine Busverbindung nach Crowden heraus. Das ist gar nicht so einfach. Ich habe das Gefühl, dass ich dabei durch ganz Nordengland fahren muss. Doch noch einmal will ich das Morgen nicht machen. Die äußerst bemühte Dame und der total nette Busfahrer retten meinen Tag. In der Jugendherberge in Crowden bekomme ich noch ein Zimmer, viele Gäste sind nicht dort. Es ist auch eine kleine, völlig abgelegene Herberge. Crowden besteht nur aus vielleicht fünf Häusern und einen Campingplatz. Nun pflege ich alle meine Wehwehchen, mal sehen, wie es morgen weiter geht. Ich bekomme unverlangt ein Einzelzimmer und das für zehn Pfund. Ich sehe noch drei andere Gäste. Zwei Fahradbegeisterte und einer der von Edale auf dem Pennine Way hier her kam ohne sich zu verirren. Er hat ein anderes Buch, er geht leider sehr früh ins Bett und so kann ich ihn nicht mehr danach fragen. Ich werde glücklicherweise nicht über meinen Tag befragt, wäre mir jetzt auch ziemlich peinlich. Diese Jugendherberge hat vier Sterne, ich wusste gar nicht, dass es so etwas bei Jugendherbergen gibt. Dazu gehört auch, dass man ein Abendessen bestellen kann. Denn ganzen Tag habe ich von Fish und Chips geträumt und die habe ich auch bekommen.

Mittwoch, 05.09.12
Heute habe ich mein Soll auch nicht erfüllt, aber mein Soll ist einfach zu hoch. Die Etappen, die ich mir Zuhause zurechtgelegt habe passen nicht zur Landschaft, zum Wandern mit einem zehn Kilogramm schweren Rucksack und zu meinem geschädigten Knie. Der Anstieg von Crowden auf den nächsten Hügel ist steil und definitiv nicht machbar mit fünf Kilometer pro Stunde, vielleicht einen halben Kilometer pro Stunde. Aber oben auf der Kante entlang zu wandern ist wunderschön, vor allem weil das Wetter passte.
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Der Weg ist heute klar und eindeutig und damit bin ich um etwa zwei Uhr in Standedge, dem offiziellen Ende der Tagesetappe.
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Viel zu früh um aufzuhören und zu Hause hatte ich auch die nächste Etappe dazu geplant. Zweimal achtzehn Kilometer wären ja nicht zu viel. Ich bin den ganzen Tag langsam gegangen, habe mich auf jeden Schritt konzentriert, um meine Knie zu schonen. Am Morgen hatten beide Knie weh getan, aber es war erträglich. Dann war ich lange Zeit schmerzfrei und damit war ich guter Hoffnung die nächste Etappe noch zu schaffen. Ich habe aber auch überprüft, wo Fahrstraßen queren, um gegebenenfalls per Anhalter weiter zu kommen. Ich bin noch nicht weit gekommen, vielleicht sechs Kilometer, als mein Knie, glücklicherweise nur das Linke, beständig zu scherzen anfängt. Die nächste Querstraße scheint nahe auch wenn ich damit noch nicht einmal die Hälfte der Etappe habe. Unter Schmerzen schleppe ich mich die ein bis zwei Kilometer zu Straße, aber auch in England ist es nicht mehr üblich per Anhalter zu fahren. Fast eine Stunde stehe ich auf der windigen Anhöhe  bis ein Bauarbeiter hält und mich zum nächsten Ort mitnimmt. Von Dort ist es ein Klacks mit der S-Bahn nach Hebden Bright zu kommen und damit zu meinem geplanten Hostel. Leider schnappt mir eine wandernde Großfamilie alle Bunkbeds weg. Eigentlich sind nur Daddy, sein Sohn und dessen Frau gewandert. Mami und die Tochter sind gerade mit dem Auto angekommen und wandern vielleicht morgen mit. Sie sind von meiner heutigen Leistung begeistert, obwohl ich sage, dass ich die halbe Etappe geschindelt habe. Daddy hat die gleichen Probleme mit den Knien wie ich. Wir tauschen unsere Leiden fachlich aus, fachsimpeln über Ausrüstung und Wandertechnik. Sie machen das scheinbar auch zum ersten Mal.

Donnerstag 06.09.12
Heute Morgen frage ich die beiden Ladies vom Hostel, Mutter und Tochter, wie ich wieder auf den Pennine Way zurückkomme, der eigentlich einen Bogen um die Stadt macht. Sie beschreiben mir einen Weg Richtung Norden, den angeblich die meisten gehen. Als ich wieder auf dem Pennine Way bin, ist mir klar, dass das wohl eine absolut illegale Abkürzung war, denn der Pennine Way verläuft Meilen in einem großen Bogen hier her.
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Aber was soll es, der Weg nach Ickonshaw ist noch weit genug und ich bin total stolz auf mich und mein Knie, dass wir das so gut überstanden haben. In Ickonshaw bringt mich der Typ, den ich nach einem Bus nach Earby frage, mit seinem Auto hin, weil er gerade so ungefähr in diese Richtung will. Die Jugendherberge in Earby ist überraschend voll. Earby ist auch unerwartet groß und hier ist gerade ein Wanderfestival. Aber ich bekomme noch ein Bett. Der kräftige Wind, der mich den ganzen Tag begleitet hat, bläst weiter ums Haus. Ich sitze bei Tee und nettem Smalltalk mit einer Lady aus meinem Zimmer im Warmen.

Freitag, 07.09.12
Die Nacht ist fast schlaflos. Es ist sehr unruhig in dem Sechs-Bett-Zimmer. Mit dem ersten Tageslicht stehe ich auf. Zusammen mit der Lady von gestern, die heute auch auf einem Berg (Hügel) steigen möchte, eine der Wanderungen aus dem Programm des Festivals. Auch beim Frühstück ziehen sich die Gespräche in die Länge. Ich habe heute nur eine kurze Strecke vor mir und bei Tagesanbruch hat es leicht geregnet. Hier ist eine Gruppe mit zwölf Belgiern, die nur französisch sprechen, aber auch einige Englischsprachige. Ich hatte die Strecke für kurz gehalten, aber sie zieht sich ganz schön hin. So gegen elf Uhr mache ich Halt in einer Teestube. Erst bin ich der einzige Langstreckenwanderer, aber dann sind sie alle hereinspaziert. Vermutlich weil es zu Regnen angefangen hat, als ich mich gerade hingesetzt habe. Sehen die Engländer einen Wanderer, sind sie immer interessiert. Ich werde immer gleich gefragt wo ich heute schon her komme und wo es hingeht. Die meisten sind auch Urlauber, die um den jeweiligen Ort herumwandern. Im Café sitzen auch drei Herren, denen ich dann den ganzen weiterenTag folge.
Die Strecke ist eher flach und da kann ich schon wieder ein gutes Tempo gehen. Mein Knie verhält sich manierlich. Ich versuche es nicht zu sehr zu verdrehen und nicht zu sehr abzubiegen. Endlich in Malham angekommen, sehe ich schon von Weitem, dass dort Busse stehen. Ich bange um mein Bett in der Jugendherberge und klar sind sie voll. Das angeblich günstigste B&B hat noch ein Zimmer frei und das kostet vierzig Pfund. Aber was will ich machen. Ich ziehe vorsichtig die Socken aus, löse die Blasenpflaster. Unter zwei sieht es schon wieder gut aus. Unter dem an der Ferse hat sich die Blase beachtlich vergrößert und es fehlt ein Stück Haut mit etwas zwei Zentimeter Durchmesser. Erinnert mich irgendwie an Zypern. Aber noch bin ich guter Dinge. Der Typ vom B&B empfiehlt mir Pubs für das Abendessen, aber ich ziehe heute keine Schuhe mehr an und ich bin müde. Ich esse die getrockneten Aprikosen und die Bananenchips, die mir die nette Lady von gestern mitgegeben hat. Und obwohl es gerade einmal vier Uhr ist, lege ich mich ins Bett. Ich habe Schlaf von gestern nachzuholen.

Samstag, 08.09.12
Morgens ziehe ich bei starkem Nebel los. Der Typ vom B&B mahnt mich zur Besonderen Vorsicht und verspricht mir, dass er den beiden anderen Penninewanderern sagt, dass sie nach mir Ausschau halten sollen. Ich habe sie nie gesehen. Die riesige Wasserblase oder das rohe Stück Fleisch, das einmal eine Wasserblase war, hat sich unter dem Blasenpflaster wohl gefühlt. Auch am Abend klebt das gute Compeed noch wie eine zweite Haut.
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Am Malhalm Tarn, einem kleinen See, denn ich gar nicht sehe, verlaufe ich mich kurz in die falsche Richtung. Als ich wieder auf dem richtigen Weg bin, klärt es auf. Mal rauf, mal runter geht es bis der Fountain Fell vor mit aufragt. Da überholen mich die drei Herren von gestern. Oben am Fountain Fell ist plötzlich wieder Nebel. Die Wolken haben sich auch den ganzen Tag nicht aufgelöst. Gerade als ich wieder nach unten steigen will, überholt mich der Typ, dem ich vor Hebden Bright begegnet bin und die drei Herren sitzen am Gipfel und machen Brotzeit, obwohl das der Nebel nicht gerade gemütlich macht. Beim Abstieg sind alle natürlich schneller, ich muss da immer noch Trippelschritte machen. Die wollen auch alle zum Pen-y-gent hinauf, ich werde auf halber Höhe nach Horton abkürzen. Ich fürchte nicht den steilen Aufstieg, aber den Abstieg. Der gerade eben war genug für heute. Eigentlich wollte ich viel weiter unten um den Hügel herum. Der Weg wäre länger, aber flacher gewesen, aber ein Engländer, die sind immer für die kürzeste und steilste Strecke, hat mich leider dazu überredet, dass ich doch den Pen-y-ghent noch halb hinauf steige , um dann viel schneller nach Horton abzusteigen. Er wusste nichts von meinem Knie. Engländer hätten wohl gerne richtige Berge, aber sie haben eben nur Hügel. Ich finde diese Hügel mit bis zu achthundert Meter Höhe, die aus Tälern auf Meereshöhe aufsteigen schon so beeindruckend. Aber die Engländer wollen es hart. Sie besteigen ihre Hügel immer an der steilsten Stelle und Serpentinen sind etwas für Warmduscher, genauso wie Wegweiser, wer braucht die schon. Die Leute hier wandern mit Karte und Kompass und da brauchen sie auch keine Wege. Das Besteigen dieser Hügel ist in etwas so wie bei uns einen richtigen zu besteigen, nur das der natürlich dann höher ist und das da Wege Serpentinen haben, wo es geht.
Nach Horten hinunter krieche ich fast, es kostet meine letzten Reserven, was zehn Kilo mehr am Rücken so ausmachen. aber ich schaffe es und bekomme auch noch das letzte Bunkbed im Golden Lion. Wenn ich noch einmal so eine Wanderung machen sollte, muss ich meine Gepäck gewaltig überdenken und das erst was rausfällt ist meine Kamera, da ich vor lauter Wandern und Wegsuchen sowieso nicht zum Fotografieren komme, da hätte es meine kleine Batteriebetriebene auch getan. Letztendlich werde ich mit fünfundvierzig Fotos als Ausbeute zurückkommen. Der Raum mit den Bunkbeds ist sehr hoch. Es sind drei Betten übereinander und fünf nebeneinander. Also fünfzehn Leute und soweit ich das jetzt schon überblicken kann, alles Männer. Sind englische Bunkrooms eine männliche Domäne? Im Bad gibt es zwei Duschkabinen und die haben Glastüren, schon komisch. Gut das gerade keiner da ist und ich den gesamten Waschraum absperren kann. Beim Duschen stelle ich fest, dass ich mein Duschdas und das Shampoo in Malhalm vergessen habe. Ich ziehe noch einmal los und kaufe Seife. Seit ich auf der Nordseite des Fountain Fell bin ist es sonnig und richtig heiß. Ich genieße die letze Sonne im Biergarten des Pubs. Der junge Typ und die drei Herren sind auch noch im Golden Lion eingetroffen, der hier als die Wanderer-Institution gilt. Am Abend sitze ich noch bei einem netten Schwätzchen mit den drei Herren zusammen. Eigentlich kennen wir uns nun schon, da wir nun schon zwei Tage mehr oder weniger zusammen gewandert sind. Sie raten mir ab von Hawes bis Tan Hill zu gehen, die Strecke sei zu weit und die Etappe danach auch. Sie haben daraus drei Etappen gemacht. Mal sehen.

Sonntag, 09.09.12
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Die Nacht war schrecklich mit vierzehn meist betrunkenen, schnarchenden Männern in einem Raum. Als ich das erste Licht der Dämmerung erblicke, stehe ich dankbar auf und laufe los. Es ist erst sechs Uhr, aber schlimmer ist, dass das Haupthaus geschlossen ist und das Waschbecken im Bunkroom zu flach ist, um die Wasserflaschen zu füllen und gestern habe ich es vergessen. Natürlich hat auch noch nichts anderes geöffnet. Aber der Weg ist einfach. Ein leichter, fortwährender Anstieg, zwischendurch einmal etwas steiler, ein bisschen rauf und runter und dann sehe ich endlich das, was mich als Geräuschkulisse schon geraume Zeit verfolgt. Ein Motocrossrennen durch die Hügel. Dort oben am Start gibt es einen Imbissstand und die haben Wasser. Nun war ich doch schon ziemlich ausgetrocknet. So ein Glück aber auch. Heute bin ich an einigen Nadelwaldplantagen entlanggewandert und habe mir vorgestellt, wie die Hügel bewaldet aussehen würden. Diese Kahlheit ist auf Dauer schon irgendwie bedrückend. Vielleicht gab es hier auch einmal Wald und die Wikinger haben alles für ihre Schiffe abgeholzt. Dann geht es einige Meilen an der Kante eines Hügels entlang, um an dessen Ende einen steilen Abstieg hinunter nach Hawes zu haben. Dort überholt mich der junge Typ, der heute Nacht auch im Bunkroom war. Er sagt mir, dass es erst ein Uhr ist, ich dachte es wäre schon Nachmittag. Dann war ich heute richtig gut. Nur der Abstieg hat dann natürlich wieder eine kleine Ewigkeit gedauert. Aber die drei Herren haben mich nicht überholt. Hawes ist voller Leute. Es ist hier auch wieder so ein Wanderfestival und natürlich ist die Jugendherberge ausgebucht. Aber ich bin noch fit und Hadraw ist nicht weit und dort ist der Green Dragon. Zuhause hatte ich geplant, unbedingt dort zu übernachten, weil es auch im ‚Herr der Ringe‘ einen Green Dragon in Bag Ends gibt. Und die Bilder des Pubs haben mich stark daran erinnert. Nur bin ich noch so geschockt von dem Bunkroom von letzter Nacht, dass ich nicht schon wieder ein Bunkbed über einem Pub haben will. Aber nun muss ich. Als ich in Hadraw ankomme ist das Pup brechend voll und es findet ein Brassband Festival statt. Ich frage vorsichtig und mit wenig Hoffnung nach einem Bunkbed und er sagt ja. Sie haben unzählige Bunkrooms, die alle in einem Seitenflügel des riesigen Gebäudes untergebracht sind. Mein Raum hat sechs Betten und sie sind alle leer. Ich frage ob die anderen noch kommen und er meint, nein, der Raum gehört mir. Die Räume sind modern renoviert, die Betten neu und die Bettwäsche edel, normalerweise braucht man in einem Bunkroom seinen eigenen Schlafsack. Überglücklich dusche ich und wasche zwei T-Shirts und zwei Paar Socken. Heute bin ich beim Versuch ein Tor zu überklettern auf dem nassen Holz ausgerutscht und einen Meter tief auf einen Schotterweg gestürzt. Am rechten Oberarm und Oberschenkel habe ich riesige dunkelblaue Flecken. Es tut auch ziemlich weh und ist geschwollen. Vom Festzelt wehen Fetzen leiser Brassmusik herüber, dann bin ich wohl eingeschlafen, denn das nächste was ich registriere ist totale Ruhe und Regentropfen. Es dämmert auch schon. Ein leiser Gedanke entsteht in mir, morgen einen Ruhetag einzulegen. Für Montag wurde Regen angesagt. Dann schlafe ich wieder ein.

Montag, 10.09.12
Ich wache wie üblich früh auf, aber nun bin ich mir sicher, dass ich heute bleibe. Die Fish & Chips in Hawes haben so lecker gerochen. Sobald sich im Haus etwas rührt, gehe ich hinunter und bezahle für die nächste Nacht. Und schlafe sofort wieder ein. Bis um ein Uhr liege ich im Bett. Sinn dieses Ruhetages ist es ja auch, so wenig wie möglich auf den Füssen zu stehen. Dann mache ich mich auf den Weg nach Hawes. Ohne Rucksack ist das ein ganz neues Gefühl. Meine Knie sind völlig von den Socken. In Hawes finde ich erst einmal einen Bäcker für das Frühstück für morgen. Der Fish & Chips Laden macht gerade zu als ich komme, also treibe ich mich drei Stunden in dem kleinen Städtchen herum, was gar nicht so einfach ist, denn das Städtchen ist wirklich sehr klein. Ich kaufe eine neue Packung Blasenpflaster, sie haben Compeed, die einzig Wahren. Dann entdecke ich eine kleine Teestube und komme nicht herum um die frischen Scones mit Butter, voll lecker. Dann noch etwas durch den Regen spaziert und um fünf gibt es Fish & Chips, auch die lecker, aber total fett. Dann zurück zum Green Dragon. Mit der Besitzerin bespreche ich, wie ich morgen früh aus dem Haus komme, wenn noch alles schläft.

Dienstag, 11.09.12
Sobald es hell wird breche ich auf. Es regnet natürlich, wie noch den ganzen Vormittag.
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Immer auf den höchsten Punkt, dem windigsten Platz, der kräftigste Schauer. Mein Regenponcho löst sich im Detail beim ersten Gebrauch auf, hält mich aber prinzipiell trocken. In Twaite, im Tearoom gibt es erst einmal eine Kanne heißen Tee, dann geht es weiter.
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Ich dachte ja, dass ich hier schon zwei Drittel der Strecke hinter mir hätte, aber die Tafel zeigt, dass ich erst die Hälfte habe, aber es ist erst halb zwölf. Plötzlich klärt es auf und bei Sonnenschein zu wandern macht mehr Spaß, es geht schneller.
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Um kurz vor vier bin ich im Tan Hill Inn, dem vermutlich einsamstgelegenensten Pub mit dem vermutlich teuersten Bunkbed. Fünfundzwanzig Pfund will er dafür und Frühstück gehört dazu, ob man nun da ist oder nicht, ersatzweise bietet er mir ein Lunchpaket an. In meinem Zimmer gibt es eine erstaunlich gut funktionierende Heizung. Die ist Gold wert und meine Sachen sind im Handumdrehen trocken. Klar bin ich ziemlich müde und will gleich schlafen gehen. Ich habe ein Zimmer für mich alleine, weil keine andere Frau für heute gebucht hat und das ist der Raum für die Frauen. Aber das Haus ist absolut hellhörig. Erst höre ich den Kneipenbetrieb, dann jeden Gast, der irgendwo ins Bett schlüpft und dann den ruhelosen Bewohner, der nachts noch durchs Haus tippelt und Filme anschaut. Aber dann ist Ruhe.

Mittwoch 12.09.12
Sobald es hell ist, bin ich auch schon los. Natürlich hat es gleich zu regnen angefangen. Das Lunchpaket hängt wie verabredet an der Tür. Zwei Beutel, der Typ von gestern ist also noch nicht los. Ich bleibe, wie im Buch bei schlechtem Wetter empfohlen für die ersten Meilen auf der Straße bis ich über einen Schotterweg wieder auf den Pennine Way komme. Vermutlich wäre es durch das Moor viel zu feucht gewesen. Jetzt überholt mich der Typ von gestern. Es geht über Weiden und durch Gatter, eines ist verschlossen, ich quetsche mich durch und darüber. Der Regenponcho bekommt weitere Risse. Gestern sind schon zwei Druckknöpfe ausgerissen. Und weiter über Weiden in denen man, wenn man Glück hat nur knöcheltief im Wasser steht. Wenn man nicht aufpasst und tiefe Löcher weiträumig umgeht und kleine Wasserläufe im Grass mutig überspringt, denn landen könnte man ja auch in einem überwachsenen Wasserloch, dann steht man auch schnell mal knietief drinnen. Dann kommt ein Lehmloch, in dem das Wasser in den unzähligen Fußabdrücken steht. Wenn da andere durch sind, dann kann ich das auch und stecke eine Sekunde später mit beiden Beinen fest. Beim Versuch wieder los zu kommen, verliere ich das Gleichgewicht und liege nun ganz im Lehm. Ich fluche, rudere, schaufle, stampfe mich frei. Ich schaffe es, doch nun sehe ich aus wie ein Schein auf Wellnessurlaub nach dem Schlammbad. Natürlich hat es seit dem Morgen nicht aufgehört zu regnen. Wenn da nun irgendwo eine Straße gewesen wäre, hätte ich sofort abgebrochen, aber da ist keine Straße und mitgenommen hätte mich sowieso keiner. Ich bin am Ende meiner Kräfte. Mein Regenponcho zerlegt sich im Wind immer mehr. Dann kommen mir zwei Männern entgegen, die mir wieder Mut zusprechen. Middelton ist nur noch fünf Meilen entfernt, aber fünf Meilen sind verdammt weit, wenn man schon am Ende ist. Sie sagen mir auch, dass die Wahrscheinlichkeit in Middelton einen Bus zu bekommen gleich Null ist. Sie haben aber ein Auto dort und würden mich schon irgendwo hinbringen, wenn sie um vier Uhr wieder zurück sind. Ich kämpfe weiter, es ist erst halb zwölf. Mit letzter Kraft über den letzten Hügel, der sich verdammt lange hinzieht. Endlich kann ich Middelton sehen. So klein ist das Städtchen gar nicht, aber Busse gib es wirklich nicht. Die Einheimischen ermutigen mich, auf den Schulbus zu warten, der mich vielleicht nach Landon Beck zur Jugendherberge bringen kann, Busse die weiter fahren gibt es in dieser Richtung nicht, da dort die Bezirksgrenze ist. Aber die Schulbusse nehmen nur Schüler mit. Ich stelle mich an die Straße, mit dem Daumen gegen den Wind. Der Regen hat aufgehört, meine Hose ist inzwischen trocken, aber gut gescheckt. Es hält eine alte Dame. Ja, sie kann mich zur Jugendherberge mitnehmen. Sie besteht darauf unten an der Straße zu warten, bis ich ihr sage, das ich dort unterkomme. Als ich wieder zurückkomme, mit der Nachricht, dass die Herberge angeblich ausgebucht ist laut eines Zettels an der Tür, stehen die drei Herren am Auto und begrüßen mich. Sie übernachten hier in Landon Beck im Hotel. Die alte Dame frägt mich ob ich da auch hin will, aber ein Hotel ist mir zu teuer. Ich überlege. Die Dame bietet mir spontan an, heute bei ihr und ihrem Mann auf der Farm gleich um die Ecke zu Übernachten. Das alles geht so schnell, ich kann den drei Herren nur noch sagen, dass heute mein letzter Wandertag ist, ich konnte mich nicht einmal richtig verabschieden, als sie schon weiter wandern. Als es mir bewusst wird, tut mir das schrecklich leid. Aber es geht weiter zur Farm. Ihr Mann schaut erst einmal sehr erstaunt. Die alte Dame freut sich über ihren mutigen Einfall und es wird ein ganz zauberhafter Abend. Sie sind rührend besorgt, sie kocht extra etwas, er unterhält mich mit vielen Interessanten Details aus der Gegend. Er ist nun in Rente, war aber vorher so etwas wie ein Wildhüter, aber verantwortlich für Flora und Fauna und dafür zuständig, mit den Farmern zusammen einen Weg zu finden, die Natur zu schützen, natürlich ist er auch weiterhin  engagiert und er war in so etwas, was man wohl Bergrettung nennen kann und hat so manchen Wanderer aus dem Mooren geholt. Mein Abenteuer mit dem Lehmloch ist nicht ungewöhnlich und nicht jeder ist so glimpflich davongekommen. Nach dem Duschen ist sie mir sehr behilflich, den Lehm aus meiner Kleidung zu holen. Sie war ja der Meinung, dass das zum Design meiner Hose gehört. Alles wird im Wohnzimmer am Feuer zum Trocknen aufgehängt. Wir besprechen, wie ich morgen Richtung Manchester kommen könnte. Eigentlich wollte ich ja einen Bus hinauf zum Hadrianswall nehmen, um den wenigsten einmal gesehen zu haben, aber das gebe ich gleich auf. Es gibt eine Straße in diese Richtung, sie sah auf meiner Wanderkarte sehr groß aus, auf seiner Autokarte ist sie nicht einmal als Nebenstraße gekennzeichnet und Busse gibt es da schon gar keine. Alle Busse von hier gehen Richtung Osten. Ich müsste aber Richtung Westen. Es gibt eine Straße nach Alston, in den nächsten Bezirk, von wo es dann wieder Busse gibt, aber diese Straße ist nur wenig befahren. Ich werde trotzdem versuchen, per Anhalter nach Alston zu kommen.

Donnerstag, 13.09.12
Um acht Uhr wird hier aufgestanden. Ich bekomme ein Frühstück. Ian will mich dann halb über den Berg bringen, dann sind es nur noch sieben Meilen nach Alston, das sollte machbar sein. Obwohl sich seit zwei Tagen eine ziemlich schmerzhafte blutige Beule über meiner rechten großen Zehe gebildet hat, der ich auch mit meinem Blasenpflaster nicht Herr werde. Ich verabschiede mich dankbar von der alten Dame. Ian lässt mich oben am Berg hinaus, auch von im verabschiede ich mich herzlich. Kaum habe ich mich in Bewegung gesetzt, kaum hat Ian gewendet, kommt ein edles Auto, ich halte trotzdem mal den Daumen raus und es hält. Drinnen sitzt ein Herr im Nadelstreifenanzug und erklärt mir, wenn jemand hier per Anhalter fährt, dann hat er einen ernsthaften Grund und da muss jeder anhalten. Gut dass ich heute Morgen noch einmal den Lehm aus der Hose gebürstet habe. Ich wollte eigentlich die Jogginghose anziehen, doch es ist in diesem Tal, das höher als die anderen liegt, schon ziemlich kalt und die Hose war mir zu dünn. Er fährt direkt nach Alston. Dort in der Touristeninformation sagt man mir, dass in einer Stunde ein Bus nach Penrith geht und in Penrith ist es dann eine Klacks, einen Zug nach Manchester zu bekommen. Dort im Hostel stelle ich erst einmal fest, dass alles voller Studenten ist, die Semsester haben begonnen. Sie haben gerade noch ein Bett für alle drei Nächte, ich muss nur jeden Tag in ein anders Zimmer wechseln und teurerer sind sie natürlich jetzt auch. Egal ich bin wieder zurück in der Zivilisation. Was erst einmal ein Schock , aber auch irgendwie beruhigend ist. Anders ist es hier in der Zivilisation schon. Ich bin jetzt wieder dort, wo sich jeder intensiv mit seinem Computer unterhält und es tunlichst vermeidet die anwesenden Leute anzuschauen.



Donnerstag, 3. September 2015
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, ich bin natürlich schon wach. Nicht das ich aufgeregt bin, klar ein bisschen, weil Flüge irgendwie nicht kontrollierbar sind, also nicht weil das Flugzeug abstürzen könnte, shit happens, aber weil eine Verspätung oder ein Ausfall nicht mehr so leicht korrigierbar ist wie bei Zügen. Gut, ich bin also schon wach und es ist noch verdammt viel Zeit bis ich los muss. Jetzt bloß nicht am Rucksack rumpacken, der ist längst perfekt bestückt. Natürlich habe ich einen Plan, um die Zeit sinnvoll rumzubringen. Meine Wohnung habe ich vermutlich noch nie so sauber für einen Urlaub verlassen, ich hatte Zeit. Und schon macht das Café auf, in dem ich heute ein Frühstück einnehmen will, wer weiß, wann man wieder was Vernünftiges bekommt. Auf dem Rückweg zur Wohnung kaufe ich noch Traubenzucker und Zuhause werfe ich beim Gedanken an all die leckeren Scones und Muffins die zwei Packungen Knäckebrot aus dem Rucksack, ich werd schon nicht verhungern. Kurz kommt mir der Gedanke, dass ich mit spontanen Nachpackaktionen bisher immer falsch gelegen bin, wische ihn aber gleich wieder weg, mit einem geistigen Bild von Scones with Cream and Jam. Ich lass mir Zeit, der Zug geht erst um elf und auch dann bin ich noch vier Stunden vor Abflug am Stuttgarter Flughafen, aber Züge können ja schon mal Verspätung haben und das sollte man einplanen. Klar bin ich dann trotzdem zu früh am Bahnhof, aber ich hab ja was zu lesen.
Die Züge sind alle pünktlich und ich damit right in time am Flughafen. Der Schalter von Ryan Air ist wirklich im letzten Eck und ich bin völlig baff, dass scheinbar alle reichlich früh da sein wollen. Die Schlange krümmt sich mehrfach durch die kleine Halle. Egal, ich habe viel Zeit, um meine noch heute Morgen erstandene Rolle mit Frischhaltefolie herauszuziehen, um meinem Rucksack eine kompakte Form zu geben. Danach hat sich die Schlange nicht merklich verkürzt, aber auch nicht verlängert. Ich bin scheinbar wirklich die letzte gewesen, sonderbar. Der Eincheckvorgang zieht sich dahin, weil immer wieder Leute dabei sind, die das Kleingedruckte nicht gelesen haben. Tue ich normalerweise auch nicht, weil ich keine Lust habe dafür die Brille rauszuziehen, aber ich konnte ja den Text der Mail, mit der ich an den Online-Checkin erinnert wurde, größer zoomen und da habe ich gelesen, das man ohne selbsterstellter Bordkarte noch mal fünfundvierzig Euro drauf zahlt. Unverschämt. Erst wollte ich das ja auch nicht online machen, aber der Preis im Kleingedruckten hat mich überzeugt. Aber wer das nicht gemacht hatte, konnte das jetzt nicht einfach beim Einchecken bezahlen, sondern musste an einen anderen Schalter, dort bezahlen und mit der Quittung wieder zurück kommen. Das sind halt Billigflüge. Ich versuche meinen Stolz zu unterdrücken, als ich ihr meine Bordkarte hinschiebe. Im selben Augenblick fällt mir auf, dass ich meinen Rucksack mit deutscher Gründlichkeit so kompakt eingewickelt habe, dass sie jetzt nicht mal mehr eine Schlaufe für dieses Flughafenetikett hat, aber sie meistert das souverän und klebt es einfach ohne Schleife drauf. Aber trotz all der Müde muss ich den Rucksack zum Sperrgepäckschalter bringen. Dort wird er noch einmal durchleuchtet. Was denn in den Metallflaschen drin ist, will er wissen. Whisky, antworte ich nach kurzem Zögern, ich bin ertappt. Dann ist das also eine Flachfrau, meint er. Witziges Kerlchen. Ja, nur dass die Frau nicht so viel trinkt, dass sie danach flach ist. Nur ein Schlückchen nach einem langen Wandertag. Na, dann ist das ja Medizin, meint er. Noch ist eine Stunde Zeit bis zum Abflug, aber ich hab ja was zu lesen. Dann kommt die Ankündigung. Das Flugzeug musste in London unplanmäßig landen und derzeit ist nicht bekannt, was dazu geführt hat und wann es dann hier ist. Wir warten. Wir warten. Wir warten immer noch. Eine Stunde nach der geplanten Abflugzeit kommt die Durchsage, dass das Flugzeug nun im Anflug auf Stuttgart ist und mit dem Boarding zumindest schon einmal begonnen werden kann. Aus unerfindlichen Gründen, steht auf meiner Bordkarte, dass ich mich in der Priority-Schlange einreihen kann. Somit bin ich früher unten an der Treppe, kann dort länger beobachten, wie die angekommenen Passagiere aussteigen und wie das Flugzeug vom Gepäck befreit und wieder bestückt wird. Ich bin früher im Flugzeug und kann all die anderen beim Einsteigen beobachten. Hatte also wahrlich Vorteile und trotzdem würde ich jetzt nicht wirklich mehr Geld dafür ausgeben wollen. Ich bin da wohl nur durch einen IT-Fehler dazu gekommen, weil sich dort nur gutgekleidete Businessleute einreihten. Letztendlich kommen wir mit einer fast dreistündigen Verspätung los. Fieberhaft überlege ich, wie lange ich in Edale in die Jugendherberge noch reinkomme. Dort habe ich nämlich schon die erste Nacht gebucht. Aber ‚is halt so worn‘ würde ein früher Arbeitskollege da sagen. Oder wie ich bereits erwähnte: Shit happens!
Der eigentliche Schock bei der Landung ist die Temperaturangabe des Kapitäns: zwölf Grad. Bei uns sind auch gerade die Temperaturen nach der sommerlichen Hitzewelle gefallen, aber in Stuttgart hatten wird trotzdem noch achtundzwanzig Grad. Während des ganzen Fluges habe ich trotz Vliesjacke schon gefröstelt, aber da überläuft mich noch einmal ein Kälteschauer. Gut, aber da muss man durch. Am Flughafen von Manchester kommt mir alles sehr vertraut vor. Ist ja auch erst drei Jahre her, dass ich zuletzt hier war. Während ich auf meinen Rucksack warte, kann ich an einem Geldautomaten schon Pfund abheben. Während ich dem Ausgang und dem Bahnhof entgegen strebe, befreie ich meinen Rucksack von der Frischhaltefolie und allen Aufklebern, die die meisten Leute so gerne wochenlang am Koffer lassen, um zu zeigen: ‚ich war weg‘. Am Eingang zum Bahnhof steht ein freundlicher Herr von der Bahn und ich frage nach, ob ich nach Edale wirklich über Manchester Piccadille fahren muss. Muss ich und die nächste Bahn ins Zentrum fährt gleich. In Manchester schau ich noch einmal nach dem Zug nach Edale. Ich schaffe es, obwohl ich die Angaben auf der Anzeigetafel jetzt nicht ganz blicke, aber ich hatte die Verbindung ja schon Zuhause gesucht. Ich versuche die Jugendherberge zu erreichen, bekomme nur so eine Bandansage mit Auswahlkriterien, die ich jetzt nicht verstehe. Ich laufe zum Zug, ich habe noch Zeit. Der Zug steht da, ich steige ein. Der Zug ist sehr kurz und ich wundere mich, warum so viele Leute an dem Zug vorbei laufen. Ein Schaffner steht draußen am Bahnsteig, schaut immer wieder auf die Uhr, mit der Trillerpfeife im Mund. Wir hätten schon vor fünf Minuten abfahren sollen dann pfeift er. In diesem winzigen Augenblick stößt ein kleiner elektrischer Impuls im Schneeballprinzip und Bruchteilen von einer Sekunde lawinenartige Denkvorgänge und Erkenntnisse in Gang. Der Pfeifton hält noch an, als ich meinen Nachbarn frage, ob ich auch im Zug noch Sheffield sitze. Er schüttelt freundlich lächelnd den Kopf, der wäre am selben Bahnsteig vor uns gestanden. Ich springe auf, er steht auf, lässt mich vorbei. Ich laufe zur Tür, die ist schon verriegelt, der Zug rollt an. Super. Drei Sekunden durchatmen, Instinkte sammeln, für denken ist die Zeit zu knapp. Ich frage den nächststehenden, ob wir wenigstens in Richtung Sheffield fahren. Er schüttelt den Kopf. Ich sollte am besten gleich an der nächsten Station aussteigen und wieder zurück zum Hauptbahnhof fahren. Der nächste Zug zurück geht in einer guten halben Stunde und wann dann wieder ein Zug nach Edale geht, steht in den Sternen oder dort auf den Fahrplänen. Nun habe ich aber Zeit, mich mit der Ansage der Jugendherberge auseinander zu setzen. Als ich mehr instinktiv als wissend eine Auswahl treffe und eine junge Frau am Ende der Leitung spricht, ist mir klar, dass ich vermutlich jede Auswahl hätte treffen können, weil diese Frau Vorort in Edale sitzt und sie dort derzeit die einzige ist. Ich sprudle los, merke dass mein Englisch noch ziemlich unkoordiniert klingt, aber sie versteht und bedauert mich. Kein Problem, sagt sie, sie kann mir den Code für die Tür geben und alles an der Rezeption bereit legen. Ob ich weiß, dass ich noch ein Stück vom Bahnhof zur Jugendherberge laufen muss. Ja weiß ich. Und sie schaut gleich nach, wann der nächste Zug vom Manchester Piccadille nach Edale fährt. Um kurz nach Elf wäre ich dann in Edale. Und so läuft es dann auch. Zurück am Hauptbahnhof habe ich erst einmal Hunger, besonders bei der Vorstellung, dass ich morgen kein Frühstück haben werde, weil englischen Jugendherbergen auf Selbstversorger eingerichtet sind und wenn sie ein Frühstück anbieten, dann ist es dieses ekelhafte, hot breakfast mit gebratenen Eiern, Speck, Würsten, Tomaten, Schwammaln und der Bohnenpampe. Schon bei der Vorstellung, mir das am frühen Morgen reinzuschieben, dreht sich mein Magen um. Ich hole mir also an den letzten noch offenen Ständen ein Thunfischbaguette. Dieses Mal fährt der Zug von dem Seitenbahnhof ab, den ich vom letzten Mal her kenne und da kann kein zweiter Zug dahinter oder davor stehen. Ich verstehe auch die Ansage, die Edale ankündigt, was mir das letzte Mal nicht gelang. Ich stehe am Bahnhof von Edale und laufe in die Richtung die mir das GPS für die Jugendherberge vorschlägt. In Manchester habe ich schon überprüft, ob das GPS zu den englischen Karten Kontakt aufnehmen kann, die mir Zuhause beim erstellen und hochladen so viele Probleme gemacht haben. Ich war extrem beruhigt, dass es funktinierte und ein unübersehbarer pinkfarbener Kreis mit Fadenkreuz mir nun sagt, dass ich am Bahnhof von Edale stehe. Zwanzig Schritte weiter stehe ich im Dunklen, aber wirklich im Dunklen. Ich bin hier auf dem Land. Straßenbeleuchtung gibt es nicht. Ich sehe kaum meine Hand vor den Augen. Moment, ich habe doch da so eine Taschenlampen-App auf dem Handy. Ich bin so froh, dass ich so ein tolles Gerät habe. Der Strahl reich über zwanzig Meter weit und der Akku hält noch leicht für die drei Kilometer. Glücklicherweise fährt um diese Zeit kein Auto mehr auf der einspurigen engen Straße, denn die Mauern und der Bewuchs hätte ein Ausweichen kaum zugelassen. Endlich kommt der Abzweig zur Jugendherberge, nun nur noch ein Stück den Berg hinauf. Als ich schon die Lampe am Eingang der Herberge sehe, fährt oben ein Auto vom Parkplatz. Es kommt in einer Kurve an mir vorbei und hält. Ob ich Sabin wäre. Ja. You made it! und wieder das nette Lachen wie schon am Telefon, sie hat alles in einen Umschlag an der Rezeption hinterlegt. Sie ist so überfreundlich und herzlich  wie am Telefon und scheinbar hat sie bis jetzt ausgeharrt, denn die Rezeption wäre schon seit zwei Stunden geschlossen. Ich laufe weiter, gebe den Türcode ein, finde den Umschlag, aber keine Bettwäsche. Das Bett im Zimmer ist schon bezogen im Apfelgrün der englischen Jugendherbergen. Ich suche meinen Steckdosenadapter, er passt, stecke mein Handy an, packe meinen Rucksack schell wandergerecht um und falle ins Bett. Viel habe ich ja heute nicht gemacht, aber ich bin müde und überglücklich, dass alles noch sooo gut geklappt hat.

Freitag, 4. September
Der Wecker läutet um halb sieben. Es dämmert gerade. Mein Handy hat sich die ganze Nacht über nicht wirklich aufgeladen, aber für den Tag würde es reichen. Noch rührt sich nichts im Haus. An der Rezeption hinterlasse ich die abgezogene Bettwäsche und den Umschlag mit Schlüssel und dem ausgefüllten Checkin-Formular. Bezahlt hatte ich ja schon online. Es rührt sich auch noch nichts als ich die Tür ins Schloss ziehe. Als ich den Pfad Richtung Edale laufe und noch einmal zurück blicke, kommen die ersten Leute aus einem Nebengebäude der Herberge.
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Ich habe den Pfad zur Jugendherberge auch gestern schon auf der Karte entdeckt, aber den wollte ich im Dunklen auf keinen Fall laufen. Der Himmel ist blau, die Sonne versteckt sich noch müde hinter einem Hügel.
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Die Landschaft ist genial. Durch das Fehlen von Bäumen sieht man jede Falte im Gelände und bei so schönem Wetter ist die Kahlheit überhaupt nicht deprimierend. Bis Edale ist der Weg neu für mich.
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Meine Hoffnung, dort einen Bäcker zu finden, wird enttäuscht. In England fängt das Leben etwas später an. Nur eine rote Perserkatze läuft mir entgegen und hat wohl auch schon Hunger. Sie beschnuppert aufgeregt meine Stöcke, ein Duft von Schwarzwald, Alpen, Bairischer Wald und Schwäbische Alb. Der Weg verläuft über Weiden. Gatter auf, Gatter zu oder über Stiles klettern, das sind stufenartige Steine, die aus den Mauern ragen oder Holzleitern. Noch rufe ich jedem Schaf ein freudiges Servus entgegen. Die sind so erstaunt, dass ihnen das Blöken im Halse stecken bleibt.
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Ich und die Sonne erklimmen gleichzeitig den ersten Hügel. Die Jakobsleiter ist dieses Mal ein breiter Weg mit Serpentinen.
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Unten steht ein Schild, das dieser Weg 1987 gebaut wurde. Wo bin ich da nur das letzte Mal, ohne GPS, abgedriftet. Da habe ich mich auf allen Vieren eine steile Böschung ohne Weg hinauf gequält, entlang eines sumpfigen Bachs, im Regen. Welch ein Unterschied. Der Weg ist steil, die Sonne warm. Oben erkenne ich den Wegweiser wieder. Damals war es so neblig, dass ich den eigentlichen Weg nicht gesehen habe. Heute erkenne ich die Höhen des Kinder Scout und das Tal unter mir.
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Hier habe ich mich beim letzten Mal im Nebel total verlaufen. Heute sehe ich den Weg ganz klar vor mir liegen, vorbei an imposanten Felsformationen und dann weiter oben entlang auf der Klippe.
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Und noch klarer ist der Felsplattenweg durch das mit leuchtendem Heidekraut geschmücktem Moor.
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Dieser Weg macht es nicht leicht, als Moorleiche zu enden, wie ich das angekündigt hatte. Plötzlich taucht mitten im Moor eine stark befahrene Straße vor mir auf. Ich sehe mir auf der Karte nie den ganzen Weg an. Es ist immer so ernüchternd, wenn ich dann sehe, wie weit es noch ist. Ich schau mir den Weg immer nur bis zu einem markanten Punkt an. Das war diese Straße. Ich war also darauf vorbereitet. Aber wenn man schon einige Stunden durch einsames, sehr windiges Moor gelaufen ist, ist es ein Schock. An der Straße setze ich mich erste einmal hin, weil ich gemerkt habe, dass sich meine Muskulatur schon erschöpfungsbedingt zusammen krampft. Und ich habe erst ein Drittel der heutigen Strecke. Aber der Weg über die Klippen war felsig und sehr kräftezerrend. Die Rolle Traubenzucker schwindet dahin und ich denke sehnsüchtig an das Knäckebrot, das nun gemütlich Zuhause liegt.
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Ich kämpfe mich weiter hinauf und hinunter und endlich sehe ich den Stausee und auf der anderen Seite das Gebäude der Jugendherberge, in der ich das letzte Mal leckere Fish & Chips und am Morgen ein Frühstück bekommen habe. Erfrischend ist, dass es am Ufer Bäume gibt, durch die der Weg führt. In Crowden laufe ich erst am Campingplatz vorbei. Ich sehe kein Schild für die Jugendherberge, aber ich kenne den Weg noch vom letzten Mal und laufe dort hin, aber wie schon auf den Schildern davor stand, ist das jetzt keine Jugendherberge mehr, sondern ein Outdoor Education Center, das ziemlich verlassen aus sieht. Und schon wieder ein Schock. In Crowden gibt es nichts außer dem Campingplatz und der Jugendherberge, die nun keine mehr ist. Was nun? Am Campingplatz sehe ich auch kleine Hütten und frage, ob man auch ohne Zelt hier übernachten kann. Nein, die Hütten sind noch nicht fertig, aber im nächsten Ort, vier Meilen, gibt es ein B&B. Sie könnte mir eine der Hütten zum Preis eines Zeltes vermieten, aber da ist eben noch nichts drinnen, fünfzehn Pfund würde das kosten. Die Preise hier in England stellen alles in den Schatten. Das habe ich auch für die Jugendherberge bezahlt und da hatte ich ein Bett. Ich laufe wieder zur Straße vor. Letztes Mal gab es hier noch eine Bushaltestelle, aber das Schild ist arg bemoost und es hängt kein Fahrplan mehr dort. Ich kann heute keine vier Meilen mehr laufen und kehre wieder um zum Zeltplatz. Ich nehme die leer Holzkabine. Beruhigend ist, dass der einzige Einrichtungsgegenstand ein Heizkörper ist, den sie auch sofort einschaltet. Sobald die Sonne weg ist, wird es verdammt kühl. Sie bringt mir noch einen Klappstuhl und im bescheidenen Laden, der nur aus einem mager befüllten kleinen Regal besteht, kann ich noch ein Snickers für den Abend und eine Rolle Kekse und Milch für morgen erstehen. Nach dem Duschen lege ich meinen dünnen Seidenschlafsack auf den Boden, der glücklicherweise durch einen Teppichboden etwas gepolstert ist und stopfe noch alles an Kleidung darunter, was ich habe. Ist aber nicht viel. Ich stelle mich auf eine schlaflose Nacht ein, aber die Wärme tut gut. Also setze ich mich auf meinen Klappstuhl und schütte mir erst einmal einen Whisky ein und noch einen, dazu schon ein paar Kekse.


Samstag, 5. September
Die Nacht war wie schon erwartet schlaflos und ich breche früh auf. Natürlich nicht bevor ich meinen halben Liter Milch und ein paar Kekse gegessen habe. Ich kann mich erinnern, dass der erste Anstieg gleich kommt und sehr steil und kräftezerrend ist. Dann geht es aber lange auf einer Klippe ein Tal entlang.
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Dort oben treffe ich schon einen frühen Spaziergänger, der sich auch über den regen Publikumsverkehr wundert und drei junge Leute, die heute Nacht hier oben gecampt haben. Sobald ich wieder oben bin weht derselbe starke Wind wie gestern. Ein Wunder, dass da ein Zelt stehen bleibt. Der erste Teil der heutigen Strecke ist wieder anstrengend, aber ich denke mir immer, dass ich das auch das letzte Mal mit wahnsinnig schmerzenden Knien geschafft habe.
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In Standedge wäre Etappenende, aber das war mir das letzte Mal schon zu kurz. Ich will heute weiter bis zur Jugendherberge in Mankinholes, so sie noch existiert, also zwei Etappen an einem Tag. Das sind sechsunddreißig Kilometer, hart aber machbar. Bemerkenswert ist, dass ich bisher noch in keinem Sumpfloch stecken geblieben bin und die Schuhe noch nicht voll Wasser gelaufen sind. Plötzlich ist vor mir ein kleiner Fluss. Klein, aber nicht schmal genug, um mal eben drüber zu springen, vor allem weil das Gelände auf beiden Seiten sehr sumpfig ist. Ich lauf immer wieder am Ufer entlang. Bis hier her hat ein Felsplattenweg geführt, der auch auf der anderen Seite weiterführt, aber dazwischen  ist er im Fluss versunken, ich kann mit den Stöcken noch den Fels in einem halben Meter Tiefe ertasten. Das Gras ist ein Stück den Fluss hinauf zertreten, ich sehe da zwar noch keine Möglichkeit, aber andere vor mir sind dort wohl hinüber gekommen. Ich taste mit den Stöcken den Grund ab, finde ein Graspolster, das mein Gewicht vertragen könnte. Tut es. Von dort kann ich das andere Ufer abtasten und finde wieder ein Polster und dann noch ein beherzter Sprung und ich stehe wieder auf festem Boden. Weiter oben auf dem Hügel kommt mir ein Wanderer entgegen und frägt nach dem Fluss. Ich antworte ihm ganz cool, ganz Profi, dass es ein Stück den Fluss entlang möglich ist, ihn zu überqueren. Mach ich doch jeden Tag! Dann wieder eine Straße, die einsam das Moor durchquert. Dort steht, ich kann es aus der Ferne nicht wirklich glauben, ein Imbisswagen. Essenstechnisch wird das heute ein fürstlicher Tag. Ich erstehe eine Tasse heiße Schokolade und eine Nussecke. Voll die Kalorien. Weiter geht es mal hinauf, mal hinunter zu einigen Seen und wieder einer Straße. Hinauf und hinunter und wieder eine Straße. Jetzt betrete ich Neuland. Hier habe ich das letzte Mal ein Auto angehalten, das mich in den nächsten Ort gebracht hat und mit der Bahn bin ich nach Hebden Bridge. Heute habe ich keine schmerzenden Knie. Erst überquere ich das, was ich schon seit geraumer Zeit höre, eine Autobahn. Für den Pennineway ist da natürlich eine schmale Fußgängerbrücke gebaut worden. Beim nächsten Anstieg merke ich, dass meine Wadenmuskulatur beschließt Feierabend zu machen. Ich versuche locker zu bleiben, bei jedem Schritt die Beine etwas zu schütteln. Auf dem nächsten Hügel sehe ich dann das Reservoir an dem ich vorbei muss. Ausschilderung ist keine da, aber alles ist ja so klar. Ich folge dem Weg, der direkt darauf zuläuft und stecke bald im Sumpf. Gut, das war es also nicht, bestätigt mir auch mein GPS. Wieder zurück an der letzten Markierung treffe ich einen Typen und frage mal. I lost my way. Ja, da muss ich erst runter auf die Straße und dann wieder hoch, da unten ist ein Pub. Ich will aber gar nicht ins Pub. Er grinst. Ja, aber da führt der Weg dran vorbei. Trust me. Gut ich glaube ihm, schaue aber, als ich um die Ecke bin schnell noch mal was das GPS sagt. Das sagt auch, dass ich diesen Bogen laufen muss. Ab dem Reservoir werden die Wege breit und flach, was ich sonst immer als langweilig bezeichne, aber hier kann ich jetzt ohne viel Kraftaufwand Kilometer machen und ich habe noch einige vor mir.
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Ich laufe an mehreren Reservoirs vorbei und bin dann wieder auf einem Felsplattenweg und im Moor. Aber auf der Karte sehe ich, dass irgendwo am Ende des Hügels das Tal sein muss in dem Hebden Bridge und Mankinholes liegt. Nur das Moor zieht sich aus meiner Sicht erst einmal bis zum Horizont dahin. Meine Beine signalisieren mir schon seit langem, dass sie jetzt höchstens noch zwanzig Meter gehen und dann ist Schluss. Also konzentrier ich mich auf die Felsplatten und auf jeden Schritt. Wenn ich schon am Ende meiner Kräfte bin, ist das immer eine gute Methode, um in eine Art Trance zu verfallen und ohne viel zu denken einfach einen Fuß vor den anderen setze. Dann sehe ich in der Ferne ein riesiges Monument. Der Felsplattenweg läuft in der üblichen Schlangenlinie darauf zu. Kurz davor kann ich auch ins Tal hinunter sehen und dort steht ein Schild mit dem Abzweig nach Mankinholes. Dort steigt eine große Rauchwolke auf. Das wird doch wohl nicht meine Jugendherberge sein? Egal, ich laufe hinunter. Der Pennine Way würde jetzt weiter zum Monument hinaufführen. Unten im Tal macht der Weg noch einmal einen erschöpfenden Zickzack. Wie wenn ich heute nicht schon genug hätte. Dann endlich steht die Jugendherberge vor mir. Ein altes, kleines, romantisches Landhaus. An der Rezeption eine nette alte Dame, die mir bestätigt, dass noch Betten frei sind. Ich fülle gerade das Formular aus, als mir schwindlig wird und die Knie nachgeben. Ich muss mich erst einmal setzen. Die alte Dame ist rührend besorgt. Aber das Formular auszufüllen und zu bezahlen, schaffe ich dann auch noch. Dieses Mal kostet die Übernachtung nur sieben Pfund. Das Zimmer mit sechs Betten habe ich für mich alleine. Die Wände bestehen innen aus denselben grauen Steinen wie außen, alles einfach aber liebevoll ausgestattet. Unten im Speisesaal, wo ich nach dem Duschen erst einmal einen heißen Tee trinke, der in jeder Herberge zur Verfügung steht, organsiert die alte Dame, dass mir ein junger Wanderer, der gleich mit dem Bus nach Hebden Bridge zum Einkaufen fährt, etwas zum Frühstücken für morgen mitbringt. Wir einigen uns auf Müsli und Milch. Die Dame zeigt mir auch das Fach in dem die zurückgebliebenen frei verfügbaren Lebensmittel stehen. Ich schnappe mir einen Müsliriegel für morgen und eine Pakal-Nudelsuppe. Sie empfiehlt mir morgen nur nach Haworth zu laufen, weil das der anstrengende Teil ist und übermorgen die längere, aber einfacher Etappe bis Malham. Gut, das kann ich auch noch unterwegs entscheiden. Meine geplante Etappe bis Earby wäre über vierzig Kilometer lang, was mich momentan nicht gerade in Begeisterung versetzt, aber Haworth liegt etwas abseits des Weges. Sie ruft auch gleich in der Jugendherberge in Haworth an und berichtet, dass dort noch reichlich Betten frei sind. Ich habe keine Karte für die Strecke nach Haworth. Die vermeintliche Englandkarte, die ich gekauft habe, war nur die Möglichkeit einer Karte für ganz England. Freischalten konnte ich nur ein bestimmtes Kontingent. Das reichte gerade so für die Karten entlang des Pennine Ways. Ich fotografiere noch schnell den entsprechenden Ausschnitt auf der Karte, die hier an der Wand hängt. Dann habe ich die Erschöpfung so weit überwunden, dass ich schlagartig zum Umfallen müde bin. Und ich schlafe ausgezeichnet in dem super weichen Bett.


Sonntag, 6.September
Kaum wird es hell, bin ich auch schon wach, auf, angezogen, gewaschen, gekämmt und abmarschbereit. Es ist noch ruhig im Haus, als ich mein Müsli esse. Engländer stehen spät auf. Die alte Dame meinte, dass die Tür von innen offen ist und ich sie einfach nur ins Schloss ziehen muss. Gestern bin ich von der Gartenseite ins Haus gekommen. Heute Morgen verlasse ich es durch die eigentliche Haustür. Dort entdecke ich den Trockenraum, den jede englische Jugendherberge hat. Gestern war ich zu müde, um daran zu denken, meine Schuhe sind nicht ganz trocken geworden. Aber ich habe Ledereinlagen, die ich abends immer herausnehme, die sind dann auf jeden Fall trocken, ist also nicht so schlimm. Draußen ist es ziemlich frisch. Meine Ersatzsocken für den Abend missbrauche ich schon seit Tagen als Handschuhe. Nach einigem Hin und Her finde ich auf halber Höhe des Hügels von gestern einen Weg, der mich wieder auf den Pennine Way bringt, dort wo er von dem Monument ins Tal herunter kommt. Ich laufe ein Stück mit einem älteren Herrn, der mir das bestätigt. Wir unterhalten uns angeregt über das Wandern im Allgemeinen und den Pennineway im Speziellen. An der Kreuzung erklärt mir mein Begleiter den weiteren Verlauf des Weges. Von hier oben ist alles gut zu überblicken. Ich muss natürlich erst wieder hinunter ins Tal und dann wieder hinauf. Dort wo ich das letzte Mal von Hebden Bridge wieder auf den Pennine Way gekommen bin, treffe ich heute auf ein junges, wanderndes Pärchen, das sich nicht mehr so ganz sicher ist, ob es noch auf dem richtigen Weg ist. Mein GPS bringt schnell Klarheit. Es sind Holländer und sie laufen sehr schnell. Machen aber oft Pausen und so überhole ich sie wieder.
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Als ich in der Mittagssonne sitzend meinen Müsliriegel genieße, kommen sie wieder um die Ecke. Sie wollen heute auch nach Earby. Ich hatte mich schon unbewusst auf Haworth eingestellt, aber gerade auf der Karte gesehen, dass das schon auf der anderen Seite des Hügels liegt. Ihre Kilometerangabe nach Earby ist bedeutend kürzer, vielleicht sollte ich doch weiter. Wir ziehen zusammen los, ich bremse mich aber schnell wieder auf mein Tempo ein und falle zurück. Bei ihrem nächsten Halt überhole ich sie wieder. Auf der anderen Seite des Hügels steht das verfallene Haus, das von Bronté-Verehrern als das Haus aus Wuthering Heights und damit als Pilgerziel festgelegt wurde. Ich bin nun im Brontè Tal, der Heimat einer der berühmtesten Schriftstellerfamilie Englands. Und schon ist da der Abzweig nach Haworth, aber über irgend so einen Wasserfall. Ich laufe weiter und nehme den nächsten Abzweig. Es ist noch früh am Tag, aber ich laufe heute definitiv nicht mehr nach Earby. Ich glaube doch mehr der Kilometerangabe meines GPS. Die Stecke ist lang und die Jugendherberge dort schrecklich. Ich habe noch das Bild der Miniduschkabine vor mir, in der man sich kaum umdrehen konnte und die Toilette, bei der die Tür gegen die Kloschüssel prallte. Und die Strecke gestern hat viel Kraft gekostet. Dann sollte ich heute etwas kürzer treten. Und dann schleicht ganz langsam ein weiterer Gedanke durch meine Gehirnwindungen. Ich könnte ja morgen den Bus von Haworth nach Earby nehmen, dann ist die Strecke nach Malham auch nicht so lang. Mein Weg nach Haworth erweist sich als Weg auf einer Autostraße, dann wäre die Strecke über den Wasserfall vermutlich doch die bessere gewesen, denn Straße heißt links und rechts eine Mauer und keine Ausweichmöglichkeit, wenn ein Auto kommt und die Straße ist gut befahren, aber ich überlebe auch das. Haworth ist voller Touristen, alle auf den Spuren der Bronté-Geschwister. Ich laufe zur Touristeninformation und frage nach einer Busverbindung nach Earby. Dass das nicht einfach ist, hatte ich schon vermutet. Mit Bussen kommt man vielleicht vier oder fünf Meilen ins Nachbardorf, aber wenn es mal weiter sein soll, wird es schwierig. Ich muss über eine Kreisstadt, die schon kurz vor Malham liegt. Klar könnte ich dort schon aussteigen, dann wäre ich morgen in wenigen Stunden dort, aber so abkürzen will ich doch nicht und lasse mir die gesamte Verbindung nach Earby geben. Dann versuche ich den Menschenmassen wieder zu entkommen und laufe hinaus zur Jugendherberge. Die ist dieses Mal in einem kleinen Schloss untergebracht, das über der Stadt thront. Sieht genial aus. An der Rezeption gibt es Bier, ich entscheide mich für ein Black Sheep, weil das Etikett so nett aussieht. Ohne auf mein Zimmer zu gehen, gehe ich hinaus in den Garten und genieße mein Bier, das wirklich gut ist, in den letzten Sonnenstrahlen mit Blick auf die Stadt und dem ganzen restlichen Tal. Abschließend koche ich mir noch die Pakalsuppe. Hier hätte es auch Mahlzeiten gegeben, aber heute reicht mir die Suppe und morgen verzichte ich gerne auf das hot breakfast. Earby erreiche ich erst um zehn und dann hat dort sicherlich eine Bäckerei offen. Im großen Zimmer mit acht Betten ist noch jemand anders einquartiert. Die Frau kommt spät, fragt mich ob ich auch gestern schon da war, schüttelt dann sinnierend den Kopf, als ob gestern hier alles schrecklich war und damit war unser Gespräch beendet. Sie zieht sich auch nur um und ist dann weg, scheinbar arbeitet sie hier irgendwo und zieht jetzt ins abendliche Vergnügen.


Montag, 7. September
Am Morgen ist es total nebelig. Die Bushaltestelle ist gleich um die Ecke. Natürlich bin ich zu früh dort und werde nervös, weil ich so lange warten muss, aber der Bus kommt. Und in der nächsten Stadt der nächste Bus. Die nächste Stadt erreicht mein Bus um zwei Minuten zu spät und das ganze, mühevoll aufgebaute Kartenhaus von der Tourismusdame, stürzt zusammen. Ich stehe über eine Stunde im kalten Nebel bis der nächste Bus fährt. Als ich endlich in Earby bin, blinzelt zum ersten Mal die Sonne durch den Nebel. In einer Bäckerei kaufe ich eine apple pie und eine mit cherries. Sie sehen sooo lecker aus. Das Apfeltörtchen verspeise ich während ich den Weg zurück auf dem Pennine Way suche. In einer Hand das Handy und immer einen halben Blick auf die Markierung des GPS und in der anderen Hand das leckere Törtchen. Mit Erreichen des Pennine Ways ist mir auch endlich wieder warm. Beim Warten auf den Bus bin ich schon ziemlich ausgekühlt. Unterwegs treffe ich auf eine Wanderin, die mich durch eine schwierige Passage mit unzähligen Weidezäunen bringt. Sie läuft langsam und ist bald wieder hinter mir verschwunden.
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Dann taucht vor mir ein Kirchturm auf, an dem ich den Ort mit Englands schönster Teestube wieder erkenne. Gerade laufe ich an der Kirche vorbei und auf die Straßenkreuzung mit dem Tea Room zu, als ich das holländische Pärchen vor einem Inn  sitzen sehe. Freudige Begrüßung. Der Tea Room vorne hat geschlossen. Sie waren schon dort. Also bleibe ich auch hier. Schade. Darauf hatte ich mich die ganze Zeit schon gefreut, auch wenn ich nicht mehr ansatzweise gewusste hatte, wo ich auf die Teestube treffen würde. Die beiden sind gestern auch nicht bis nach Earby gelaufen. Sie haben auf halber Strecke ein Taxi gerufen und sind damit nach Earby. Dann berichten sie über die winzige Jugendherberge dort und die Tür die gegen die Kloschlüssel knallt. Ich versuche nicht zu sehr zu grinsen, hätte ich sie warnen sollen? Tja, zu spät. Ich kontere mit der Beschreibung vom sonnigen Garten und Bier. Wir laufen zusammen los und verlieren uns bald wieder. Sie versuchen heute früh in Malhalm zu sein, weil es dort eine Schlucht gibt, die von einem englischen Maler auf einem Gemälde verewigt wurde. Ich kann mich erinnern, dass in dem offiziellen Buch zum Pennine Way dieses Gemälde abgebildet ist. Sie sind inzwischen zum gleichen Urteil über dieses Buch gekommen, wie ich damals auch. Der Typ, der das geschrieben hat, findet sich ungemein witzig. Und die Holländerin sagt: to much jokes, to less information. Tja, ich habe damals sehr schnell entschieden, dass es Ballast ist, von der ich mich bald trennen sollte. Ich habe nach jedem Tag die entsprechenden Seiten herausgerissen und entsorgt.
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James Ward: Gordale Scar

Die Etappe ist heute wirklich kurz, aber trotzdem brennen die Füße wieder höllisch. Bei fast neuen Schuhen ist das allerdings eine ziemlich harmlose Auswirkung. Ich habe mich durch eine exzellente Beratung bei Meindl zu einem Schuh mit Gore tex Innenfutter entschieden. Die meinten dass das die einzige Chance ist, am Morgen wieder einen trockenen Schuh zu haben. Bisher kann ich noch keine Nachteile erkennen. Sie sind bedeutend weicher, weil das Leder innen nach jedem nass werden wieder hart wurde und stinken tun sie jetzt auch noch nicht so gravierend. Als ich über den letzten  Hügel laufe, liegt das ganze Tal vor mir, an dessen Ende ich die mächtige Felswand, die Malham Cove, sehe.
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Das letzte Mal waren am Abend dichte Regenwolken und am Morgen noch dichterer Nebel. Ich habe die Felswand erst gesehen, als ich mit der Nase dagegen gestoßen bin. Ich sollte Morgen erst loslaufen, wenn der gröbste Nebel weg ist. Es ist ja wieder nur eine kurze Etappe. In Malham gibt es noch ein Bett in der Jugendherberge und ich sitze schon wieder mit einem Black Sheep Ale im sonnigen Garten. Für den Abend werden hier Fish & Chips angeboten und ich habe geordert. Nach dem Essen treffe ich in der Lounge die Holländer wieder. Sie waren nicht in der Schlucht, sie waren zu müde. Und die Wanderin vom Vormittag kommt auch herein. Dann erzählen einige Leute davon, dass sich in Horton, dem nächsten Etappenziel, die Armee zu einem Manöver einquartiert hat, und dass alle Bunkbeds und sonstige Unterkünfte ausgebucht sind. Klingt nicht gut, aber was kann ich jetzt schon machen: Hinlaufen und dann schau ma mal. Auf dem Zimmer findet sich eine junge Frau aus Berlin ein, die jetzt in England lebt und später noch eine Engländerin, die im Juni den Pennine Way komplett gelaufen ist und nun noch einmal ihre Lieblingsetappen von Malham bis Dufton wiederholen möchte.


Dienstag,  8. September
Am Morgen läutet um sechs der Wecker der Deutschen. Ich wollte auch zur selben Zeit aufstehen und habe meinen gar nicht gestellt. Wir wollten zusammen los, weil ich wusste das es im Nebel nicht leicht ist oben auf den Felsen den Weg zu finden und wir uns beide von meinem GPS leiten lassen wollten. Aber es hatte gar keinen Nebel. So bin ich alleine losgezogen. Die Deutsche war noch nicht fertig und die Engländerin hat sich noch nicht einmal gerührt. Ich bewundere die Deutsche. Sie hatte gerade eine Zwangspause gemacht, weil sie schon am zweiten Tag wegen Unterzuckerung einen Zusammenbruch hatte. Nun läuft sie weiter, mit einem Rucksack, der mehr als das Doppelt wie meiner wiegt. Auch nach dem Zusammenbruch will sie sich nicht von ihrer Campingausrüstung trennen, weil die Angst irgendwo in der Einsamkeit nicht mehr weiter zu können größer ist, als die Möglichkeit durch einen leichteren Rucksack einfach weiter zu kommen. Auch hat sie schon gemerkt, dass es ihr schon zu kalt ist, um draußen zu Übernachten. Sie schleppt den schweren Kram also nur zur Beruhigung noch mit. Aber sie wird das scheinbar durchziehen. In der Küche esse ich noch meine Cherry pie und trinke einen Tee. Dann geht’s los. Im Dorf ist noch alles ruhig. Das ist für mich die schönste Wanderzeit. Am Morgen wenn noch alles ruhig ist, wenn die Sonne gerade die Bettdecke zurückschlägt und die ersten Geräusche der Natur zu hören sind. Oben auf den Felsen ist die Sicht klar und ich laufe einen vermeintlich klaren Weg entlang, der sich dann aber als falsch herausstellt, aber das Gelände dort oben ist nicht so weitläufig, dass man sich lange verlaufen kann. Bald finde ich die kleine Schlucht, die hinauf und hinüber zum See, zum Malham Tarn führt.
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Dort oben ist es auf einmal nebelig. Nicht so nebelig wie das letzte Mal, aber das letzte Mal hatte sich der Nebel verzogen, als ich auf der anderen Seite des Sees war, heute bleibt er. Danach treffe ich auf einen Wanderer mit sehr schwerem Gepäck. Fünfundzwanzig Kilo sagt er und damit ist er schon den ganzen Pennine Way von oben her gelaufen. Gestern hatte ich gegenüpber der Engländerin angedeutet, dass ich vermutlich die letzte Etappe streichen werde, da es über vierzig Kilometer ohne Unterkunftsmöglichkeit sind. Sie meinte, dass ich da nichts verpasse. Er jetzt sagt, dass er den Blick hinunter nach Kirk Yetholm schon beeindruckend fand. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass ich spätestens nach dem zwölften Tag das dringende Bedürfnis habe aufzuhören. Es reicht mir dann einfach. Wenn ich dann trotzdem weiterlaufen muss, weil es keine Möglichkeit zum Aussteigen gibt, dann sehe ich auch die Schönheiten nicht mehr. Die habe ich ja dann schon die ganze Zeit gesehen und irgendwann ist man abgefüllt. Auf dem Fountain Fell hält sich der Nebel hartnäckig. Ich bleibe oben etwas sitzen, weil gerade die Sonne einmal durch geblitzt hat, aber es ist aussichtslos.
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Es wird gleich wieder undurchdringlich und damit ist mir der Blick auf dem Pen-y-ghent verwehrt. Beim Abstieg kommen mir zwei Leute entgegen, die mit einer Stange über der Schulter eine große und schwere Blechkiste nach oben schleppen. Ich schaue sie vermutlich völlig entgeistert an, denn als sie mich erreichen, meint er, dass sie da jetzt nicht ein übergroßes Lunchpaket nach oben schleppen, das ist ihre Forschungsausrüstung. Ich nicke amüsiert und lasse sie vorbei. Unten im Tal stürzt auf einem Grundstück, das auf einem höheren Bodenlevel liegt und mit einer Mauer eingefasst ist ein Hund wie aus dem Nichts in Kopfhöhe auf mich zu. Seine Zähne sind keinen halben Meter neben meinem Ohr. Déjà vu! Das hat der das letzte Mal auch gemacht. Das macht der bei jedem Wanderer und findet es toll, dass jeder erschrickt und er geilt sich an dem Angstgeruch auf. Blöder Hund. Gleich knall ich ihm meinen Stock drauf, aber da läuft er auch schon wieder davon. Ein Angsthose also auch noch. An die Wandstellen und… Nein, ganz ruhig bleiben: Es ist ein schöner Tag, den lass ich mir durch ein so blödes Vieh und den noch blöderen Besitzer nicht vermiesen. Noch immer ist es nebelig und vom Pen-y-ghent nichts zu sehen. Der Pennine Way macht einen riesigen Bogen. Auf der einen Talseite am Pen-y-ghent vorbei, dann das Tal durchqueren und wieder auf den Pen-y-ghent zu, aber den sehe ich immer noch nicht. Wenn sich der Nebel nicht hebt, werde ich da nicht hochklettern, denn das ist eine kleine Klettertour. Aber kurz bevor ich den Abzweig erreiche, der mich wie beim letzten Mal direkt nach Horton bringen würde, klart es auf.
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Gut, dann werde ich eben klettern. Vor mir sehe ich bunte Punkte in der Wand. Da sind schon ein paar in Aktion. Das letzte Mal waren so viele Leute da, dass die ganze Wand nur aus bunten Punkten bestand, darum war ich auch dieses Mal nicht unbedingt gewillt, mich da einzureihen, aber so ist es in Ordnung. Ich sehenur drei oder vier Punkte. Mitten in der Wand überhole ich ein älteres Ehepaar. Sie lassen mich vorbei, wollen langsam machen, sind dann aber fast so schnell oben wie ich. Dort haben wir dann eine nette Unterhaltung über Gott und die Welt, die Politik und die Landwirtschaft in Norfolk, wo sie herkommen. Sie suchen sich dann einen Platz für ihr Lunch und ich laufe oben den Hügel entlang und dann im weiten Boden wieder hinunter und zurück nach Horton.
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Schlachtet man in England keine Kühe, sondern wartet bis sie freiwillig abstürzen?

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Da habe ich ja das letzte Mal ganz schön abgekürzt. Es zieht sich ewig dahin. Aber ich habe heute meinen Energieschubtag. Hat sowieso dieses Mal lange gedauert. Es ist ja schon der fünfte Tag. Und es gibt hier kaum Bäume, die ich ausreißen könnte. Mir kommen ein paar junge Leute entgegen und wieder sehe ich, dass man in England gerne Milch als durstlöschendes Getränk auf Wanderungen mitnimmt. Darum haben die Milchflaschen hier auch so einen praktischen Griff. In Horton ist die Armee unübersehbar. Ich hatte sowieso eine abschreckende Erinnerung an den Bunkroom im Golden Lion. Fünfzehn Stockbetten in einem Raum, jeweils drei übereinander. Ich, ein weiterer Wanderer und dreizehn betrunkene Typen aus dem Pub, die dort scheinbar so was wie einen Junggesellenabschied hatten. Schrecklich. Ich frage also in der Horton Villa nach. Ein kleines Landhaus, gleich neben dem Löwen. Sechzig Pfund will er haben, für B&B. Er weiß, dass ich keine andere Möglichkeit habe. Das sage ich ihm auch und nehme es. Es ist ein neu und modern eingerichtetes Zimmer. Nicht diese typische Anhäufung von Borten, Rüschen und geblümten Stoffen. In England muss man ja schon froh sein, dass um den Duschkopf nicht noch eine Rüsche ist. Da hatte ich dieses Bild das erste Mal in meinem Kopf und ich habe es die ganze Zeit nicht mehr herausbekommen. Immer habe ich in einer Unterkunft sofort auf den Duschkopf geschaut. Es gibt Bilder, die setzen sich so nachhaltig im Kopf fest, normalerweise bräuchte man einen Psychiater, um die wieder rauszubekommen. Aber was würde ein Psychiater sagen, wenn ich erzähle ich träume von Borten um Duschköpfen? Gut, er will das Zimmer noch herrichten, im Bad ist eine Lampe kaputt, aber es ist gerade drei Uhr und im Lion wird der Biergarten geöffnet. An das Bier danach habe ich mich in den letzten beiden Tagen richtig gewöhnt.


Mittwoch, 9. September
Am Morgen gibt es, wie man erwarten kann, ein fürstliches Frühstück, auch wenn ich kein hot breakfast haben möchte. Heute lasse ich mich zumindest auf Rühreier auf Toast ein. Davor ein Müsli mit Obst, Orangensaft und Kaffee. Ich bin erst etwa zwei Meilen von Horten gelaufen, als ich vor mir auf dem Weg zwei Gestalten erkenne, die gerade wieder ihren Rucksack schultern. Das kann jetzt aber nicht sein. Gestern hatte ich niemanden gesehen und jetzt stehen da die Deutsche und die Engländerin aus Malham. Sie haben gerade ihr zweites Frühstück eingenommen. Die Engländerin hatte schon länger auf dem Campingplatz reserviert und es gab noch eine kleine Ecke neben all den Armeezelten und die Deutsche hat sieben undsechzig Pfund für ihr Zimmer bezahlt. Zusammen ziehen wir weiter, überqueren römische Straßen, die auf den Karten noch eingezeichnet, aber nicht mehr real existent sind. Sehen auf der anderen Talseite das Ribblesdale Viadukt und arbeiten uns wieder hinauf in windige Höhen.
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Dort braucht die Deutsche eine Pause, die Engländerin möchte ihre Kleidung wechseln und ich ziehe weiter, weil ich weiß, dass mich der kalte, starke Wind in wenigen Sekunden gefährlich auskühlen würde. Die Engländerin sehe ich noch lange immer wieder hinter mir. Kurz vor dem Abstieg nach Hawes ist sie plötzlich verschwunden. Ich hatte erwähnt, dass ich im Green Dragon in Hardraw übernachten werde. Die Engländerin meinte, dort könnte sie auch zelten und die Deutsche wusste in diesem Moment nicht wo Hardraw ist. Aber vielleicht sieht man sich dort. Die Etappen kommen mir immer kürzer vor. Die Füße brennen heute überhaupt nicht mehr. Gestern auch schon nicht. Um zwei Uhr bin ich in Hawes. Die Bäckerei hat gerade zu gemacht. Schade.  Aber im Spar-Markt gibt es noch diese leckeren Pasteten. Eine mit Schwammal und eine mit Hühnchen und zwei Muffins für das Frühstück und dann noch in die Teestube wie beim letzen Mal zu Scones with Cream and jam. Nun bemerke ich eine englische Sonderheit. Wenn eine einzelne Person an einem Tisch für sechs Personen sitzt, darf sich aus Anstandsgründen niemand fremdes mehr dazusetzen. Die müssen dann wieder gehen oder so lange warten bis ein kompletter Tisch frei ist. Als ich hineingelaufen bin, hat er mir zugerufen, dass nichts mehr frei ist, was ich auf die Schnelle nicht verstanden habe und als ich durch die Tür schaue, winkt mir ein einzelner Mann an einem Sechsertisch zu, weil er sowieso gleich gehen will, oder weil er das auch blöd findet. Egal, ich habe mich dazugesetzt, das war aber absolut sträflich, signalisieren mir die Blicke des Kellners. Immer diese Ausländer. Haben einfach keinen Anstand. Vermutlich bin ich dort jetzt vermerkt und falls ich wieder kommen sollte, knallen sie mir gleich die Tür vor der Nase zu. Es sind noch eineinhalb Meilen bis Hardraw, aber das ist ein Spaziergang. Im Green Dragon gibt es noch reichlich freie Betten. Ich sage dem Wirt, dass er die Deutsche, die vielleicht noch kommt, in mein Zimmer leitet, aber es taucht keiner mehr auf.

Donnerstag, 10. September
Am Morgen gibt es die beiden Muffins und Tee. Ich habe mir erlaubt in Horton für die sechzig Pfund noch zwei Teebeutel einzupacken. Am Abend habe ich noch eine der beiden Pasteten gegessen. Ich liebe diese Pasteten, auch wenn ansonsten die englische Küche eher zum Abgewöhnen ist. Auf meinen Wunsch hin hat man mir eine Hintertür offen gelassen, damit ich früh los kann. Ich laufe in Richtung des ausgeschilderten Wasserfalls. Der sollte nur mal um die Ecke sein, aber die Ecke wird mir dann doch zu lange und ich drehe wieder um. Mein Weg ist heute lang genug. Zumindest komme ich am Zeltplatz vorbei und sehe, dass der leer ist. Die Engländerin war also auch nicht hier. In einem weiten Bogen laufe hinauf zum Great Shunner Fell, alles noch im Nebel, und in einem weiteren weiten Bogen wieder hinunter nach Twait.
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Unten kommt mir einer entgegen und fragt, welcher nun der Great Shunner Fell ist, aber ich könnte es nicht mehr sagen. Das ewige auf und ab und irgendwie sehen die Hügel alle gleich kahl aus. Der Great Shunner Fell sollte zwar hier der höchst sein, aber so hoch sind die Hügel ja generell nicht, so sechs oder siebenhundert Meter, wobei die Täler dann oft unter hundert Meter liegen, ja und ob jetzt da einer zehn Meter mehr oder weniger hat, lässt sich nicht so leicht feststellen. Kurz vor Twait reißt der Nebel auf und es wird ein weiterer wunderschöner sonniger Tag. In Twait hatte ich letztes Mal verzweifelt im strömenden Regen die Teestube aufgesucht. Die lasse ich dieses Mal gelassen links liegen und wandere auf einen Höhenweg das wunderschöne Tal hinauf zum höchstgelegenen Pub Great Britains, dem Tan Hill Inn.
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Der Höhenweg hat schon fast alpinen Charakter. Nicht wegen der Höhe, aber wegen des Gerölls und schon knicke ich trotz hohem Schuh um. Blöd. Aber was hilft‘s. Da wird halt der Schuh noch enger geschnürt und weiter geht’s. Etwas vorsichtiger halt. In Keld sitze ich vermutlich auf derselben Bank wie das letzte Mal, denn so viele Bänke gibt es in Englands Landschaft nicht. Hier hatte es beim letzten Mal zu regnen aufgehört. Heute ist es fast zu warm, um in der Sonne zu sitzen. Doch Pause muss sein, der Weg ist noch lang. Und ich habe noch eine dieser leckeren Pasteten. Letztes Mal habe ich für viel Geld in den heruntergekommenen Bunkrooms des Pubs übernachtet, heute will ich noch weiter nach Bowes, damit die Strecke morgen nicht so lange ist. Bowes liegt etwas abseits der Route, aber ich bin dann trotzdem weiter wie Tan Hill. Im Pub trinke ich eine Apfelschorle und mache mich dann auf ins Moor. Hier gibt es nicht diese praktischen Felsplattenwege und bald versinke ich gnadenlos.
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Eigentlich wird ein machbarer Weg mit weißen Pfosten markiert, aber erstens markieren auch die Tierschützer die Futterstellen der Moorhühner, die mich immer so erschrecken, wenn ich sie erschreckt habe und sie kreischend auffliegen, auch mit dünnen weißen Pfosten und zweitens habe ich mich gerade  verzweifelt zu so einem dicken weißen Posten durchgearbeitet, um dann festzustellen, dass ich dort erst richtig im Sumpf stehe. Nach Bowes war es eigentlich vom Pub aus gar nicht mehr so weit, aber ich bin ganz schön durchs Moor gekurvt, um Inseln für meine Schritte zu finden. Vor mir tauchen plötzlich die Spuren eines vierrädrigen Bikes auf. Ich folge der Spur und komme so auf einigermaßen festen Grund. Dann erreiche ich wieder die beiden Farmen, die definitiv etwas gegen Wanderer haben. Der Weg führt auf ein offenes Tor zu, aber, ha, das weiß ich noch vom letzten Mal, auf der anderen Seite ist das Tor geschlossen und hoch mit Stacheldraht überspannt. Darum besser im weiten Bogen um die Weide herum. Dann kommt ein Fluss. Dort gibt es eine schöne Brücke, aber die ist auf beiden Seiten mit hohen Toren verschlossen. Also muss ich auf Steinen über den Fluss balancieren. Die wurden von anderen  schon andere lange vor mir in Schrittweite hinein gerollt und ich komme trockenen Fußes hinüber. An allen Weidegattern, durch die der Weg ohne andere Möglichkeit durchführt, hängen diese gefährlich aussehenden ‚Bull‘-Schilder. Aber vielleicht ist der Besitzer inzwischen alt oder auch schon verstorben, denn das Haus sieht verlassen aus und die Weiden sind alle leer. Keiner lebt ewig.
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Ich freu mich richtig, als ich einen langweiligen hartgeschotterten  Weg erreiche, der dann bis nach Bowes führt. Es waren doch wieder vierzig Kilometer, da werden die letzten Meter immer besonders hart. Eigentlich habe ich mir den Ort größer vorgestellt. Ich habe erst gestern spontan entschieden, bis hier her zu laufen und daher keine Unterkünfte recherchiert und Karte habe ich so weit abseits des Weges natürlich auch keine. Je näher ich komme, desto mehr schwindet meine Hoffnung, hier eine Unterkunft zu finden. Im Ort putzt einer seine Fahrräder vor der Garage. Ich frage nach einer Unterkunft. Er schickt mich zum Pub als die beste und einzige Möglichkeit hier im Ort. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen laufe ich hin, vor meinem inneren Auge entwickelt sich, wie ein Polaroid, ein düsteres Bild von einem heruntergekommenen Pub zu horrenden Preisen. Dann steh ich vor dem Ancient Unicorn, einem liebevoll, modern renoviertem Fachwerkgebäude in Hufeisenform. Als ich nach einem Zimmer frage, sagt sie das noch etwas frei ist, aber, fügt sie leise und unsicher hinzu, es kostet vierzig Pfund. Kommt mir nach Horton geradezu wie ein Schnäppchen vor. Er führt mich über den Hof auf eines der großen Stalltore zu, öffnet eine Tür in Normalgröße darin und mir stehen in einem modern und neu eingerichtetem Zimmer. Er führt mich um die Ecke und als ich durch die Badezimmertür schaue, falle ich fast auf die Knie. Da steht eine Badewanne. Alles super modern. Ich fasse es nicht. Schon am ersten Tag haben sich meine Nackenmuskeln kältebedingt völlig versteift und keine Wärmesalbe hat die mehr weichbekommen. Ich höre den Muskel seit Tagen über den Knochen schaben. Aber heute gibt es ein heißes Bad. Wow. Die beiden machen das noch nicht lange. Er freut sich, dass es mir gefällt, aber zieht sich schnell und etwas schüchtern zurück. Hat sich nur noch erkundigt, was ich mir so zum Frühstück vorstelle, aber meine Wünsche wirken, da nicht hot, hier immer sehr bescheiden. Als er geht, sehe ich mir den Umbau noch etwas genauer an. In dem einst riesigen Stall mit einer Reihe von großen Toren ist eine Zwischendecke eingezogen worden. Hinter jeder der Stalltüren liegt ein Zimmer unten mit normaler Tür als Zugang, die auf den ersten Blick in dem großen Tor nicht zu erkennen ist und am seitlichen Rand des Tors gibt es noch einmal eine Tür mit einer Treppe hinauf zum Zimmer im oberen Stock. Genial gemacht. Aber jetzt lasse ich mir erst mal ein heißes Bad ein und es tut so gut. Danach noch zwei Tassen Tee, denn Teebeutel, Tassen und Wasserkocher gehören zur Standardzimmerausstattung in England. Eine Ausstattung, die sich bei internationalen Hotelketten in Deutschland auch durchgesetzt hat und die ich sehr zu schätzen weiß.


Freitag, 11. September
Mein Frühstück ist sehr persönlich zusammengestellt, ist aber hier so üblich, man wird immer gefragt, was man denn haben möchte.
Die Ausschilderung für den Loop ist dürftig und da ich weder Karte noch Track habe, stehe ich ziemlich bald verloren im Sumpf. Das Moor verschluckt jeden Pfad innerhalb kürzester Zeit. Wenn ich einen Track auf der Karte habe und den mit Hilfe meines GPS folgen kann, geht das schon, aber so.. Ich weiß inzwischen, dass das schilfartige Gras starke Ballen ausbildet, auf die man treten kann, das unter dem feinen Gras fester Boden ist, wenn es etwas gelblich ist und das Heidekraut ein Netz bildet, auf dem man notfalls auch noch stehen kann, aber es ist sehr mühsam vorwärts zu kommen. Irgendwann entdecke ich eine Art Feldweg, fester Boden, der zwar nicht der Loop sein kann, denn der wäre erst wieder am nächsten Reservoir auf den Pennine Way getroffen, aber ein Weg, der definitiv auch auf den Weg trifft nur etwas früher. Ist damit vielleicht eine Meile länger, aber das herum stampfen im Moor ist einfach zu zeitraubend und ich hoffe heute trotz langer Strecke etwas früher bei Ruth und Ian anzukommen. Die beiden haben mich beim letzen Mal in meiner verzweifelsten Stunde aufgenommen und mich eingeladen dieses Mal wieder bei ihnen zu übernachten.
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Bis Middleton ist es gar nicht so weit. Das Lehmloch, in dem ich das letzte Mal stecken geblieben bin, ist jetzt mit Kies aufgefüllt. Da bin also nicht nur ich stecken geblieben. Dann geht es den Tweed entlang hinauf nach Forest-in-Teesdale. Und das zieht sich noch ewig dahin.
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Eine wunderbare Strecke vorbei an beeindruckenden Wasserfällen, aber die Sonne sinkt schon, als ich noch einmal über einen Hügel muss, über eine Brücke, auf die Straße hoch, an der Jugendherberge vorbei und die nächste Einfahrt zur Farm hin. Ich erkenne sie wirklich wieder. Als ich klopfe, bellt ein Hund, ach ja, der, den man besser nicht beachtet, weil er sonst zickig wird. Ruth begrüßt mich herzlich und dass sie sich schon Sorgen gemacht hat. Gerade dass ich noch meine Schuhe ausziehen kann, denn Ruth ist da nicht so kleinlich, drückt sie mich aufs Sofa und reicht mir eine riesige Tasse Tee. Ian sitzt auch schon vor dem Kamin, in dem ein gemütliches Feuer flackert. Ob ich erst essen oder erst duschen möchte. Ian schmunzelt als ich frage, ob ich stinke. Also erst essen. Ruth holt einen reichlich beladenen Teller. Sie haben schon gegessen. Ob ich es hier ohne Tisch vor dem Kamin essen will oder ins Esszimmer möchte. Hier ist ok. Das ist gut, sie machen das auch immer hier und nennen es slumming, aber das darf ich jetzt niemanden erzählen, denn das ist nicht fein. Es wird ein anregender und lustiger Abend, wie das letzte Mal. Danke euch beiden.


Samstag, 12. September
Am Morgen regnet es. War so angekündigt. Der erste Regen seit ich hier bin. Ruth macht mir noch ein reichhaltiges Frühstück. In den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich vermutlich mehr gegessen, als in den letzten acht Tagen. Ian empfiehlt mir am Südufer des Flusses zu laufen, das sei die trockenere Seite. Ruth bringt mich mit dem Auto noch zurück zum Pennine Way und zeigt mir den monströsen Bullen auf der Weide, den ich gestern in aller Eile wohl völlig übersehen habe. Dann läuft eine ganze Herde Schafe vor uns auf der Straße. Ruth meint, da hätte ich wohl zu viel gesungen. Ich hatte gestern erzählt, dass ich bemerkt habe, wenn ich singe, dann laufen die Schafe nicht immer so panikartig davon, wenn ich über die Weide laufe. Finde ich nämlich unfair, ist schließlich deren Zuhause. Also habe ich angefangen auf jeder Schafweide lauthals mein liebstes Wanderlied zu trällern. Hearst das net. Und für die englischen Schafe hat mein ansatzweise Joddeln vermutlich voll authentisch gewirkt. Zumindest sind sie dann stehen geblieben und habe gelauscht oder haben einfach ruhig weitergefressen oder sind sogar auf mich zugelaufen. Schafe sind in ihrer Urform vermutlich in den Alpen Zuhause. Dann muss ich raus in den Regen. Ist halt so. Zu was habe ich sonst die ganze Regenkleidung mitgeschleppt. Ich komme an einem gigantischen Wasserfall vorbei, da waren die gestern nur das Vorgeplänkel, Cauldron Snout. Im Regen kann ich das Handy nicht so oft heraus holen. Jeder Tropfen auf dem Screen ist ein Touch und dann dreht es schnell mal durch, aber hier muss ich schon ein Foto machen. Und ich muss über Felsen den Wasserfall hinauf, denn oben ist die Brücke.
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Auch der weitere Weg am Ufer entlang ist sehr anstrengend. Es geht Kilometerlang über große bemooste Steine mit tiefen Spalten dazwischen. Das ist wie geschaffen um sich ein Bein zu brechen und die Steine sind noch dazu nass. Die kleinen Bäche, die in den Fluss fliesen, der eigentlich auch nur ein Bach sein soll, sind ziemlich angeschwollen. Die Wiesen sind weiträumig überspült und die Trittsteine weit unter der Wasseroberfläche, aber auch das schaffe ich ohne dass die Schuhe volllaufen. Dann eine Brücke. Laut Karte sollte hier keine stehen und Ian meinte dass das Überqueren des Flusses erst später möglich wäre, aber warum nicht.
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Dort drüben ist so etwas wie ein steiniger Feldweg. Auch der ist überspült, aber der Untergrund ist hier bedeutend fester. Dann geht es nach oben und der Nebel wird so dicht, das man kaum noch einen Meter weit sehen kann. Mir kommen zwei Wanderer entgegen, ohne Rucksack. Es sind also auch noch Leute unterwegs, die nicht unbedingt müssen. Sind halt abgehärtet, diese Engländer. Ich finde, dass ich gerade im grausamsten Wetter stecke, das man sich hier vorstellen kann. Regen, Wind, Nebel, Kälte. Vor mir taucht eine Wegkreuzung aus dem Nebel auf. Tja, dann muss mein Handy doch mal raus, ich habe keine Ahnung wo ich bin. Geradeaus sagt mein GPS. Ich laufe auf einen Bach zu, der sich zwischen zwei Felswänden durchzwängt. Wo ist der Weg? Als ich noch unschlüssig da stehe und versuche irgendetwas zu erkennen, was man Weg nennen könnte, reißt der Nebel für einen Bruchteil einer Sekunde auf. Gerade Zeit genug, um auf den Auslöser zu drücken. Die Spalte im Felsen, durch die der Bach sprudelt öffnet sich zu einer gigantischen Schlucht und dort unten liegt ein Ort im Sonnenschein, vermutlich Dufton.
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das ist der wage Blick, der mir für einen kurzen Augenblick vergönnt ist

und das ist der Blick, den ich bei schönen Wetter gehabt hätte

Der Anblick war kurz, aber umso beeindruckender. Vermutlich stehe ich hier vor der sektakulärsten Ansicht entlang des Pennine Ways. Ich zoome meine Karte so groß ich kann und laufe immer wieder in eine leicht versetzte Richtung. So stelle ich fest, dass mir mein GPS sagen möchte, der Weg führt durch den Bach und weiter auf der rechten Klippe der Schlucht. Ich suche eine seichte Stelle und folge meinem GPS. Ein Weg ist da wirklich nicht,  aber laut Karte es geht immer an der Kante entlang. Nur nicht abstürzen, da geht es verdammt steil runter, aber das, was ich durch den Nebel erahnen kann, ist einfach zu genial. Ich sehe durch den Nebel inzwischen bis zur anderen Seite der Schlucht und bin mir eigentlich sicher, ich habe das schon einmal gesehen, aber ich war noch nie hier. Dann kommt der Abstieg noch Dufton, nasse Steine auf steilem Weg. Ich laufe vorsichtig, Schritt für Schritt, dann wird der Weg leichter und ich unaufmerksamer und schon rutsche ich aus. Autsch, das hat weh getan, das wird ein saftiger Blauer Fleck und beide Knie fühlen sich aufgeschlagen an.
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Unten hört der Regen endlich auf und zwischendurch kommt auch mal die Sonne durch. Die Jugendherberge in Dufton ist von einer Gruppe komplett gebucht. Blöd, denn der Ort ist klein und es gibt nicht so viel Unterkünfte. Ich frage im Pub, die stehen eigentlich auch auf meiner Unterkunftliste, aber die haben keine Zimmer. An der Theke steht einer, der eine Unterkunft nennt, die auch auf der Liste steht. Als er mir beschreibt, wo das ist, verstehe ich kaum ein Wort. Ich versuche in die Richtung zu laufen, komme aber gleich zum Ortsausgang und dort teilt sich die Straße. Also wieder zurück und ich frage in einem Café. Die Frau dort verstehe ich. Ja ich muss hinaus aus Dufton oder auch nicht, denn was dann kommt ist auch noch Dufton. Ich laufe die Straße entlang und finde die Ausschilderung zum B&B. Es ist eine Farm. Und damit habe ich meine schlechteste Unterkunft des Weges gefunden. Schäbig und teuer. Frühstück wird berechnet ist aber das was schon im Zimmer steht. Müsli, Tee und so, Fertigpackungen zum selber kochen. Er bringt noch frische Milch, Orangensaft, Margarine, Toast, einen Joghurt, Grapefruitfilets und eine Banane. Das Handtuch, das er mir in die Hand drückt riecht so nach Stall, dass ich es schnell zur Seite lege. Aber das Wasser ist heiß und das Zimmer warm. Die Banane, den Joghurt und eine Packung Cornflakes esse ich am Abend schon. Im Fernsehen läuft ‚Ninja Panda‘ und dann dieser Zukunftsfilm mit Keanu Reeves, wo alle und alles von Insekten zerfressen wird, dann gehen bei mir die Lichter aus. In der Wärme des Zimmers trocknet alles friedlich vor sich hin.

Sonntag, 13. September
Den Wecker habe ich mir für halb sechs gestellt, ich will aber noch nicht aufstehen. Als ich alles aufgegessen habe, was so rumstand, laufe ich um sieben Uhr los. Ich bin ein gutes Stück abseits vom Pennine Way und suche verzweifel eine Abkürzung über die Felder um nicht zurück nach Dufton zu müssen. Ist nicht so einfach, aber irgendwann habe ich es doch geschafft und kann mich an den Anstieg zum Cross Fell machen, mit über tausend Meter der höchste Hügel des Pennineway. Die Dame gestern in meiner Unterkunft hat mir noch den Tipp gegeben, wo es einen Weg unten herum gibt, damit ich nicht hinauf muss, aber dazu bin ich ja nicht hier. Ich kann doch nicht den höchsten Hügel auslassen. Vor dem ersten Gate hinter dem mir Kühe erwartungsvoll entgegenblicken, befrage ich mein GPS. Falsch abgebogen, ich laufe da in das falsche Tal hinein. Also zurück, aber auch da stehe ich bald vor einem Gate, hinter dem mir Kühe und eine ganze Menge junger Stiere entgegenblicken. Und die stehen auch noch direkt auf dem Weg. Tief Luft holen, den Jungs nicht in die Augen sehen, denn sonst kommen die gleich angelaufen, und ganz langsam aber unbeirrt den Weg entlang. So weichen die dann auch aus. Ich rede noch beruhigt auf sie ein, nicht das ich noch Panik erzeuge. Bin echt froh, als ich die Rinderherde hinter mir habe und auch über der nächsten Brücke bin, über die sie mir nicht folgen können. Die Wolken hängen tief, aber es regnet nicht. Der Weg ist verdammt sumpfig. Ich warte ja immer noch auf den Tag, an dem ich mal knietief drinnen stecke, aber das ist nicht heute. Die Steinplatten für den zukünftigen Weg liegen in Dreier-Paketen entlang des Pfades, der inzwischen mehr ein Bach ist. Nun weiß ich auch, wie die diese schweren Steinplatten ins einsame, unwegsame Gelände bringen. Die sehen eindeutig so aus, als ob sie von einem Hubschrauber hier abgesetzt wurden. Die Bündel machen es nicht gerade einfach am sumpfigen Steilhang an ihnen vorbeizulaufen. Vor mir liegen die Hügel aufgereiht. Den letzten, den ich im Nebel halb versteckt sehe, ist dann wohl Cross Fell. Wage sehe ich eine riesige weiße Kugel auf dem Gipfel. Aber könnte auch nur eine Wolke sein. Tausend Meter Höhe klingt ja jetzt nicht viel, aber Dufton liegt unter zweihundert Meter Meereshöhe und ich muss zwischen Dufton und Cross Fell noch einige Male hinauf und hinunter. Ich komme direkt an dem riesigen Golfball vorbei. Es ist also keine Wolke, sondern vermutlich irgendein Konservatorium, aber noch nicht Cross Fell. Es ist Sonntag und auch hier menschenleer. Stimmt nicht. Gerade ist einer an mir vorbei gelaufen. Also wirklich gelaufen. Ist scheinbar eine neue Mode hier: Moorlaufen. Tja, den Reiz daran kann ich jetzt nicht nachvollziehen. Laufen hat was mit schnell zu tun und schnell steht man dann auch mal im Sumpf. Der Cross Fell ist oben flach und kahl, aber steinig und windig. Aber trotzdem sitzen dort vier Engländer, die irgendetwas Undefinierbares aus Aluschalen löffeln. Klar ist dort eine Mauer als Windschutz errichtet, aber nur ein paar Schritte weiter geht es wieder nach unten und dort ist es windstill. Vermutlich hat es ihnen das Undefinierbare vom Löffel geweht, aber es war das Foto nötig, das beweist, dass sie auf dem Cross Fell waren und ihn essensmäßig eingenommen haben. Ich mache auch kurz ein Foto und laufe weiter. Hier ist es viel zu kalt zum Verweilen.
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Als ich schon wieder halb unten bin, kommen die Vier über die Kante und brüllen um sich, als müssten es noch die Leute im Tal hören. Sind das ein paar Manager, die gerade auf einem Survivaltrip sind? Plötzlich sind sie weg. Abgestürzt? Dann hat jetzt England drei Manager und einen Outdoortrainer weniger. Ich durchsuche noch mit dem Auge lange das weit einzusehende Gelände, aber da ist niemand mehr. Sie waren in auffallenden Farben gekleidet, aber nichts. Zumindest ist jetzt wieder Ruhe. Ein Stück weiter komme ich wieder sonderbar nahe an dem weißen Golfball vorbei. Das war ein ziemlich großer Kreis, den ich da gelaufen bin. Das meinte vermutlich die Dame von der Unterkunft. Aber egal, jetzt geht es wieder Richtung Norden weiter und so weit das Auge reicht ist außer ein paar Wegen über den Hügeln nichts an Zivilisation zu sehen. Hinter mir tauchen zwei Läufer auf und sind bald vor mir um einen Hügel verschwunden. Der Weg zieht sich gefühlte hundert Kilometer bis nach Garrigill. Immer wenn ich um einen Hügel herumkomme, liegt der nächste vor mir und da in allen Richtungen diese Hügel liegen und einer wie der andere aussieht, verliere ich schnell die Orientierung, Aber der Weg ist ausgeschildert und mein GPS verliert nie die Orientierung. Neben den beeindruckend kahlen Hügel, jetzt aber wieder mit widerstandsfähigem Grün überzogen und dem mit leichten Wolken überzogenen Sonnenschein, ist das einzige Highlight ein Farmer, der auf seinem vierrädrigen Bike und einigen Hunden eine riesige Schafherde zusammen und ins Tal treibt. Finde ich immer wieder faszinierend. Die Hunde müssen hier echt noch was leisten, wie seit hunderten von Jahren. Ich frage mich nur, was der Farmer vor hundert Jahren, als es noch keine vierrädrigen Bikes gegeben hat, gemacht hat. Pferde würden sich hier im unebenen Gelände die Beine brechen, da konnte er ja nur zu Fuß hinterher. Das war dann auch eine beachtlich Leistung. Unten im Tal geht es am Fluss entlang hinein nach Alston. Ich bin viel zu früh, die Jugendherberge hat noch geschlossen. Aber die Damen waren nur Einkaufen und kommen eine halbe Stunde später. Sie haben noch ein Bett frei und mit zweiundzwanzig Pfund ist es die teuerste Jugendherberge, die ich bisher hatte. Sie sieht nicht anderes aus, als die anderen. Die Preisstafflung der englischen Jugendherbergen werde ich wohl nicht mehr erfassen. Bei uns gibt es auch Unterschiede, je nach Lage und Ausstattung, aber nicht im Bereich vom Doppelten oder Dreifachen. Ich sollte hier in Alston unbedingt eine Bank finden, mein Bares schwindet dahin. Aber dafür ist auch noch Morgen Zeit.


Montag, 14. September
Heute Morgen kommt mir in dem Städtchen einiges bekannt vor. Das letzte Mal war ich bis hier her per Anhalter gefahren und habe einen Bus zum nächsten Bahnanschluss genommen. An der Tankstelle finde ich einen Geldautomaten, aber ich suche verzweifelt nach einer Bäckerei. Es gibt keine, aber einen Sparmarkt mit frischen Pasteten und Kuchen. Da liegt eine Rhabarber Pie, heißt auf Englisch Rhubarb, man lernt ja nie aus. Als ich sie im kleinen Park vor der Touristeninformation genießen möchte, fängt es zu regnen an. Blöd. Erst ziehe ich nur den Poncho an, aber bald ist auch die Hose nötig, wenn ich darunter nicht immer so schwitzen würde. Bald bin ich dann Innen genauso nass wie Außen. Heute gibt es keinen Fell auf der Strecke, nur so hinauf und hinab. Ein Stück laufe ich parallel zum South Tyne Trail, entlang des Flusses. Als der Pennineway wieder hoch ins sumpfige Gelände will, bleibe ich unten auf dem Trail, der ist breit, geschottert und trocken. Wenn das Wasser schon von oben kommt, brauche ich es nicht noch von unten und der Pennineway kommt am Lambley Viadukt wieder herunter. Zwei Wanderer kommen mir hier entgegen und natürlich tauscht man ein paar Sprüche über das Wetter aus.
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Am Viadukt hört der Regen auf und bald ist meine Regenkleidung auch schon trocken und kann im Rucksack verschwinden. Der Weg verläuft heute meistens über trockene Wiesen, aber kaum ist ein Stückchen Moor in Reichweite, muss der Weg da auch hinein. Und ich verlasse die festen Wege und folge brave, kämpfe mich in Sichtweite der Farmen mit ihren befestigten Straßen durch die Sumpflöcher. Das ist irgendwie lächerlich. Das ist wie Wäsche von Hand waschen, wenn ich neben der Waschmaschine sitze. Wenn sich das Moor über Kilometer dahin streckt ist es in Ordnung, quer durchzulaufen, aber jedes noch so kleine Sumpfloch zu suchen, um auch ja hineinzustapfen, muss jetzt nicht sein.
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Dann verlasse ich endlich wieder die Zivilisation und bin wieder so weit das Auge reicht vom Moor umgeben und schon ist der Weg weg. Also mein GPS sagt, da ist einer, aber das Moor hat ihn wohl gerade geschluckt. Also suche ich eine begehbare Passage hindurch und komme weit ab vom Pennineway, aber da sind Fahrspuren und das heißt, dass es hier noch trocken genug zum drüber laufen ist. Ich weiß, dass Greenhead nicht mehr weit sein kann, aber noch sehe ich nur Moor. Und wieder ist der Weg versunken. Endlich komme ich an die Kante des Hügels und sehe unter mir Häuser. Das muss Greenhead sein. Hinter mir kommt schnellen Schrittes ein Wanderer heran. Im Moor habe ich weit sehen können, aber den habe ich nicht gesehen. Der ist wohl außen herum gelaufen. Er läuft auch den Pennine  Way, hat gestern in Garrigill angefangen und will nun bis zum Ende nach Kirk Yetholm. Als ich mich mit ihm unterhalte, wird mir klar, dass ich Morgen noch bis Bellingham laufen werde und den Pennineway dort beende. Von Byrness werde ich keinen Bus finden, der mich zurück in die Zivilisation bringt und ich habe dann noch zwei Tage, die ich an der Küste verbringen kann und vielleicht wird das Wetter auch wieder besser. In Greenhead ist die Rezeption der Jugendherberge geschlossen. Ein Zettel an der Tür verweist auf das Hotel nebenan. Dort sagt man mir, dass die Heizanlage in der Jugendherberge ausgefallen ist und es kein warmes Wasser und keine warmen Zimmer gibt. Der andere Wanderer hatte auch in der Jugendherberge gebucht und will nun ein Zimmer im Hotel. Aber die sind ausgebucht. Ich habe damit nun kein Problem. Klar lechze ich am Abend immer noch einer heißen Dusche und dreh die Heizung im Zimmer immer voll auf. Aber in den Alpen habe ich auf den Hütten auch immer kalt geduscht, weil mir das Kaufen der Münzen immer zu umständlich war. Ich frage, ob es dort drüben wenigstens genügend Decken gibt. Sie bejaht und damit checke ich ein. In den Zimmern liegen dann große Stapeln von guten kuscheligen Schafwolldecken und geduscht ist schnell. Gut die Schuhe werden dann wohl über Nacht nicht trocken werden, aber die Ledereinlagen bestimmt. Den anderen Wanderer sehe ich nicht mehr und in der Herberge sehe ich nur einmal kurz einen anderen durch eine Glastür. Im Hotel drüben gönne ich mir noch ein Abendessen, Pastete mit Ziegenfleisch, Chips und Salat. Für das, dass hier außer dem Hotel und der Herberge nur noch ein paar Farmen herumstehen, ist viel Betrieb. In Decken gekuschelt trinke ich in der riesigen Lounge, die Herberge war einmal eine Kirche und die Lounge ist der ehemalige Kirchenraum und mindestens sieben Meter hoch, noch zwei gut eingeschenkte Whisky. Das reicht für eine warme Nacht.
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Das alte Foto der ehemaligen Kirche stand in der Küche.


Dienstag, 15. September
Am Morgen trödle ich herum. Trinke noch eine Tasse dieses löslichen Kaffees und ärgere mich schon beim ersten Schluck, dass ich keinen Tee gemacht habe. Draußen ist es dunkel und grau. Ich merke dass die Luft raus ist, ich möchte eigentlich nicht mehr Wandern. Endlich gebe ich mir einen Stoß und trete vor die Tür. Ist der letzte Tag, ich sollte das genießen, auch wenn die Strecke heute lange ist. Kaum bin ich los, fängt es an zu regnen. Heute soll ich die halbe Strecke am Hadrianswall entlanglaufen. Ich habe, aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen, so etwas wie die Chinesische Mauer erwartet, aber es ist nur eine Mauer, die den Einfassungen der Weiden nicht unähnlich ist. Allerdings ist sie etwa eineinhalb Meter breit und verdammt exakt gearbeitet. Jeder Stein auf ein exaktes Maß behauen, der römischen Normstein sozusagen, und sauber mit Mörtel aufgeschichtet. Die Römer mussten damals der Einbruch der Perfektion in diesem Land der Kelten gewesen sein. Sie haben für ihren Wall auch ganz pfiffig die vorhandenen Hügel genutzt. Gute Strategen waren sie.
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Und damit laufe ich über die ersten zwanzig Kilometer im ewigen Auf und Ab die Mauer entlang. Da komme ich ganz schön ins Schwitzen unter meiner Regenkleidung, obwohl es dazu nicht einmal ein Auf und Ab benötigt. Irgendwann ist die Regenkleidung einigermaßen trocken und ich beschließe sie auszuziehen und in den Rucksack zu packen. Jetzt muss Schluss sein mit Regen. Ist wohl ein eindeutiges Zeichen an den Wettergott, denn von da an kommt wenigstens hin und da mal die Sonne hinter den Wolken hervor. Hier sind auch eine ganze Menge andere Leute unterwegs. Die Eichel, ein bisher eindeutiges Zeichen für den Pennine Way wird seit Greenhead für alle Wanderwege verwendet. Alternativrouten können das nicht mehr sein, denn auf Pfosten mit Wegweisern in vier unterschiedliche Himmelsrichtungen ist dann überall die Eichel gezeichnet. Ich befrage also ziemlich oft mein GPS.
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Dann scheint mir der Weg wieder etwas eindeutiger, geht ja äh nur am Wall entlang, bis ich wieder an so einem Wegweiser mit Eicheln in allen vier Himmelsrichtungen stehe. Ich rufe das GPS auf. Ach du Sch…. Warum piepst das denn nicht. Ich bin ja schon einige Kilometer an der Stelle vorbei gelaufen, an der der Pennine Way die Mauer verlässt. Da wo ich glaubte besonders schlau zu sein und nicht auf den Hügel hinauf bin, weil doch untern herum ein schöner Wiesenweg entlang lief, hat sich der Pennine Way oben auf dem Hügel klamm heimlich von der Mauer weggeschlichen. Also wieder zurück. Und gerade bin ich mutig auf einer Weide an einem Bullen vorbei. Der wird sich freuen, wenn ich jetzt noch einmal komme. Als ich wieder dort bin wird mir klar, dass das, was ich bisher immer für Bullen gehalten habe, Kühe sind. Weil sie nicht wie bei uns Euter haben, die schon auf dem Boden schleifen, weil das hier keine Milchkühe sondern Fleischkühe sind, die mit ihren Kälbern zusammen auf der Weide sind und damit für unsere Verhältnisse kaum sichtbare Euter haben. Aber die Kuh ist trotzdem nicht erfreut. Die Kälber stehen gerade vor dem Torausgang und ich laufe langsam darauf zu. Aber für die Mamakuh vermutlich noch zu schnell. Sie läuft erstaunlich schnell ein paar Schritte auf mich zu. Ich bleibe stehen, bewege mich dann noch langsamer auf das Tor zu. Die Kuh beäugt mich misstrauisch, bleibt aber stehen und die Kälber trollen sich vom Tor weg. Puh, das hat den Herzschlag aber jetzt schon beschleunigt.
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Ein paarmal Auf und Ab zurück und ich stehe vor dem Durchlass im Hadrianswall, der mich weg bringt von diesem geschichtsträchtigen Ort und wieder hinein in die nächste Rinderherde. Die sich heute aus irgendwelchen nicht ersichtlichen Gründen immer um die Tore herum zusammenrotten. Aber die hier interessieren sich überhaupt nicht für mich, obwohl ich mitten durch das Rindergedränge muss. Nun wird es flacher. Noch ein bisschen Moor und dann komme ich zum ersten Mal durch ein Waldgebiet, dass dem Schwarzwald nicht unähnlich ist. Aber nur ziemlich junge Bäume. Das sind hier nur Plantagen, die nach einigen Jahren wieder komplett abgeholzt werden. Schon habe ich mich auf trockenen Waldboden gefreut, aber weit gefehlt, hier ist es noch sumpfiger. An schnelles Vorwärtskommen ist nicht zu denken. Es ist schon fast drei Uhr und ich habe gerade mal die Hälfte der Strecke geschafft. Meine Beinmuskulatur verkrampft sich. Ich habe ja auch heute noch keine Pause gemacht, aber das muss jetzt sein, auch wenn mir das Tageslicht gerade davonläuft. Dann weiter durch den Sumpf. Bellingham nur noch fünf Meilen, ein Ende ist in Sicht. Aber fünf Meilen können verdammt lang sein, wenn man schon am Ende seiner Kräfte ist. Einfach weiter, einen Schritt nach dem anderen, jeder Schritt zählt, hilft ja nix. Kurz vor dem Horizont kommt die Sonne noch einmal unter den Wolken hervor und ich wandere in meinen ganz persönlichen Pennine Way-Sonnenuntergang.
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Als Bellingham fast schon greifbar ist, hetzt mich der Weg noch einmal auf einen Hügel hinauf, wegen der schönen Aussicht, aber die interessiert mich heute überhaupt nicht mehr. Ein Blick auf die Karte sagt mir, dass dieser Hügel direkt zwischen mir und Bellingham liegt und der Weg unten herum um ein vielfaches länger wäre. Der Hügel hat eine klippenartige Seite und es geht steil nach oben. Oben angekommen ist der Himmel zwar gerade wieder bedeckt, aber das sind eindeutig auch die ersten Zeichen der Dämmerung und die kommt hier schnell. Bitte nicht im Moor. Ich beschleunige noch einmal meine Schritte und endlich sehe ich unter mir Bellingham, kleiner als erwartet, wenn ich hier mal einen Bus finde. Aber nun heißt es erst einmal dort hinkommen. Es gibt nur eine Brücke über den Tyne und die liegt weit hinter Bellingham. Ich kann sie fast am Ende des Tals sehen. Auch das noch. Und dann steht vor den ersten Häusern noch ein Bulle. Der scheinbar schon von Haus aus ein Stinkstiefel ist, wenn man ihn so alleine auf eine Weide stellt, aber gerade noch stinkiger ist, weil ihm das Alleinsein überhaupt nicht gefällt. Als er mich sieht, fängt er zu brüllen an. Klingt fast wie ein Fauchen. Schon wieder so ein Menschlein, das mich immer alleine auf eine Wiede bringt. Ich mache einen verdammt großen Bogen um ihn herum, nur nicht hinschauen, bin gar nicht da. Was bin ich froh, als ich heil das Weidetor erreiche. Es ist schon fast dunkel, als ich das Hotel meiner Wahl erreiche. Die haben aber nichts mehr frei. Die Wirtin ist sofort bereit, wir etwas anderes zu suchen und greift nach dem Telefon. Ein Guesthouse gleich die Straße hinunter. Die Leute dort sind sehr nett. Das Zimmer teuer, aber was solls. Es ist auch eines der Zimmer wo ich wieder einmal die Rüschen um den Duschkopf erwarte, aber die Engländer stehen scheinbar auf so was. Als erstes erschlage ich die fette Sumpfspinne in der Dusche, wenn das mal nicht ein geliebtes Haustier war. Zu spät, man wird die Leiche erst finden, wenn ich längst schon weg bin. Aber es gibt noch zwei kleine im Zimmer. So klein, dass sie mich nicht stören, die Spinnen aber schon. Eine seilt sich demonstrativ zwischen mir und Fernseher von der Zimmerdecke ab. Ein Clown. Ich ignoriere sie weiter, dem hat sie ihr Überleben zu verdanken. Das Zimmer ist nicht beheizt, hat aber einen Heizlüfter, der gerade auf Hochtouren läuft. Ich habe alles zum Trocknen ausgelegt. Meine Schuhe sollte ich draußen im Gang abstellen, als ich noch einmal hinausschaue, sind sie weg. Ich möchte morgen versuchen alle Wandersachen im Rucksack unterzubringen. Meine Schuhe zuerst. Dazu muss alles trocken sein. Für die letzten Tage an der Küste werde ich nur noch meine einigermaßen saubere Abendgarderobe anziehen. Der Fernseher läuft nur prophylaktisch, das Bild auf den LCD-Bildschirm ist von hier unten, der Fernseher hängt unter der Decke, nur noch schwarz und der Film ist sowieso blöd. Aber ich bin viel zu erschöpft zum Schlafen. Ich lausche dem Typen, der nur zum Schein als Selbstmörder auf dem Sims eines Hochhauses steht, damit seine Kollegen nebenan unbemerkt den Tresor ausrauben können und endlich schlafe ich ein.


Mittwoch, 16. September
Am Morgen frage ich nach meinen Wanderschuhen. Sie haben sie zum trocknen in den Heizraum gestellt. Ich schaffe es alles im Rucksack unterzubringen. Zum Frühstück kann ich mich leichten Herzens heute auf Rührei einlassen, denn er bietet mir Lachs dazu an. Zum Müsli gibt es frisches Obst. Alles lecker. Ich lasse mir Zeit. Die Touristeninfo macht nicht vor halb zehn auf und nur die wissen, wie ich am besten nach Berwick-upon-Tweed komme. Auf den Weg zur Touristeninfo erkenne ich an einer Farm mit Campsite das Jugendherbergszeichen. Davon hatte ich nichts gewusst. Schade. Die Touristeninfo macht erst um zehn auf. Kurz vor zehn kommt ein Bus mit dem Ziel Hexham auf den Hof gefahren, das ist also auch der zentrale Busbahnhof. Die Leute von der Unterkunft haben vermutet, dass ich erst einmal nach Hexham müsste und über Newcastel hinauf nach Berwick. Also steige ich einfach einmal in den Bus. Während der Busfahrt lüftet sich der Nebel und der Himmel ist blau, nur einige kleine Wölkchen zu Dekorationszwecken sind zu sehen. In Hexham verpasse ich den Ausstieg am Bahnhof, aber es ist schön, vom Markt des kleinen Städtchens wieder hinunter zum Bahnhof zu laufen. Dort kann ich am Automaten ein Ticket nach Berwick herauslassen, aber ob es, wie bei uns auch am Automaten eine Möglichkeit gibt, die Verbindung dazu auszudrucken, finde ich nicht heraus. Ich frage am Schalter und ja, ich muss erst nach Newcastel. Dort möchte ich gerade zu den Schaltern, um nach einer Verbindung nach Berwick zu fragen, als ich an einem Bahnsteig einen Zug ausgeschrieben sehe mit Ziel Edinburgh über Berwick. Super, das ist ja einfacher als ich dachte und noch vor zwölf Uhr bin ich in Berwick, einem reizenden alten Städtchen am der Küste. Ein salziger Duft empfängt mich schon als ich den Bahnhof verlasse. Ich versuche mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal am Meer war. Ich scheitere, es ist schon eine Ewigkeit her. In der Touristeninfo frage ich nach dem Weg zur Jugendherberge, bekomme gleich einen Stadtplan und in der Herberge haben sie noch ein Bett für mich frei. Das Wetter ist so wunderbar, dass ich sofort zum Kai hinunter und hinaus zum Leuchtturm muss. Unentwegtes Möwengeschrei verfolgt mich. Der Geruch nach Algen und Salz ist berauschend. Nur die ewigen Düsenjets stören etwas.
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Epilog
Lange überlege ich, ob ich es riskieren kann, erst am Samstagmorgen nach Manchester zurückzukehren, wenn dann am Mittag mein Flug geht. Aber schweren Herzens entscheide ich mich, schon am Freitag diesen wunderbaren Ort zu verlassen und ins hässliche Manchester zu fahren. Eigentlich wollte ich dort hinaus zur Jugendherberge, obwohl der Weg zurück zum Hauptbahnhof und dann zum Flughafen weit ist. Als ich durch die Stadt laufe und am kleinen Chinatown vorbeikomme, ist jede Rettung zu spät. Hier muss ich bleiben. Direkt gegenüber dem Drachentor liegt ein Novotel und der Preis ist mir völlig egal. Abends finde ich ein Restaurant mit Dim Sum. Ich versuche gar nicht nachzurechnen, wie lange es her ist, seit ich das letzte Mal richtig Chinesisch gegessen habe. Am anderen Ende meines Lebens war es, damals in Taiwan, Hongkong und Mainland China. Aber alle Erinnerungen treten zurück hinter dem Duft der aus den Bamuskörbchen strömt und dem genialen Geschmack der Teigtaschen.


Eintrag vom 26.04.2015

 Übertrag aus dem alten Block
 
Goldsteig

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von Marktredwitz nach Passau 420km durch den Bayrischen Wald, 
durch Regen, Sturm und viel, viel Schnee
(Es war ernüchternd, als ich die fast zweihundert Fotos angesehen habe. Baum von vorne, Baum von hinten, Baum von links, Baum von rechts, die Besonderheit!!!: Baum umgefallen, Baum verschneit, Baum im Grünen, Baum im Regen, aber was hatte ich anderes erwartet)

Tag 0 – Freitag, 27. März – Ankunft in Marktredwitz
Ich habe umdisponiert. Ich fahre nicht von Singen nach Marktredwitz, sondern gleich von Fridingen aus. Fridingen liegt an der Strecke Neustadt (Schwarzwald) nach Ulm und auch von Singen aus müsste ich über Ulm fahren. Nur dass ich da über Friedrichshafen und damit mit der Kirch ums Dorf fahre. Über Fridingen bin ich zwei Stunden früher in Marktredwitz, auch nicht schlecht. Am Morgen erst  noch mal kurz arbeiten. Meine Kollegen fragen mich gleich, ob ich her gewandert bin, weil ich in voller Montur erscheine, aber sie wissen, dass ich auf große Tour gehe. Um zwölf Uhr steige ich in den Zug und habe zwei Minuten später meinen Alltag hinter mir gelassen. Nur mein e-book lese ich sonst auch im Zug.
Oh. ich sehe meine Nürnberger Bratwürste entschwinden. Einundzwanzig Minuten Aufenthalt hätte ich in Nürnberg, sowieso schon eine sportliche Zeit, um einen Bratwurststand und einen Stand von Kolb zu finden. Nun hat mein Zug ab Donauwörth Verspätung. Gerade sehe ich die Landschaft entlang der Donau, dort, wo ich letztes Jahr um dieselbe Zeit bei strömenden Regen den Albsteig begonnen habe. Heute Morgen war im Donautal bei Fridingen blauer Himmel zu sehen, aber hier hängen dicke graue Wolken am Himmel und jetzt auch keine drei im Weckl. Das Leben kann soooo hart sein. In Bayreuth gab‘s auch leckere Bratwürste, dann wird’s ja vielleicht auch in Marktredwitz welche geben. Wir nähern uns Nürnberg und die ersten Regentropfen streifen das Zugfenster. Aber im Bayrischen Wald kann ja alles gaaanz anders sein. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass wir die Verspätung fast wieder aufgeholt haben. Darum spurte ich in Nürnberg gleich mal zur Bahnhofhalle vor. Schon im Untergeschoss ist gleich als erstes ein Stand einer Metzgerei, wo Würste gebraten werden. Das wichtigste zuerst, ist schon klar, in Nürnberg setzt man halt die Prioritäten richtig. Dann drehe ich mich um und da ist ein Stand von Kolb. Also auch noch eine Butterbreze. Programmpunkt Nürnberg erfolgreich abgehakt. Mein Zug steht schon am Gleis und wieder dieses Verwirrspiel mit einer Zugteilung. Und die aufregende Frage: Sitze ich nach der Teilung noch im richtigen Zugteil??? Der Regen hat wieder aufgehört und es kommt auch noch mal die Sonne raus. Es ist aber schon Dunkel, als ich in Marktredwitz ankomme. Der Typ, der im vollbesetzten Zug neben mir saß hat meinen Rucksack bemerkt und wünscht mir viel Spaß. Ich werde mich bemühen. Die Stadtbesichtigung fällt kurz aus. Marktredwitz ist nicht wirklich groß. Einmal die Marktstraße rauf und da ich damit noch nicht zufrieden war, noch eine Nebenstraße wieder runter. Der Bairische Hof liegt mitten drinnen. Der ältere Herr am Empfang ist sehr gesprächig und ich erfahre noch einiges über die Stadt und den Goldsteig. Die Käsefirma Goldsteig hat ihm seinen Namen gegeben. Auf der Internetseite zum Wanderweg steht, dass er den Namen bekam, weil er teilweise auf den alten Salztransportwegen verläuft. Der Herr meint, dass das dann wohl mehr auf den Flüssen transportiert wurde. Ich sollte es noch besser erfahren. Endlich ist sein Informationsbedürfnis erloschen und ich darf auf mein Zimmer. Frühstück gibt’s um halb sieben. Der Vorteil guter Hotels ist immer das frühe Frühstück.

Tag 1 – Samstag, 28. März – von Marktredwitz nach Tannenlohe
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Das frühe Frühstück ist bald wieder zeitlich zunichte gemacht, denn die Ausschilderung durch die Stadt führt durch eine Art Freizeitpark, der um diese Zeit am Morgen und im Jahr noch geschlossen ist.  Das dauert, bis ich den umrundet habe und ich war schon stinkig. Das fängt ja gut an. Dann geht es erst mal über Wiesen durch die leicht hügelige Landschaft.
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Es ist leicht bewölkt, aber der blaue Himmel schaut überall durch. Erst geht es hinauf zur Burgruine Weißenstein, da ein mittelalterlicher Baumeister wirklich gekonnt eine Burg zwischen die vorhandenen Felsen gesetzt. Beeindruckend.
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Der Steinwald, ein  Privatwald, wie ich gestern von meinem Wirt erfahren habe, ja er war, wie schon erwähnte äußerst gesprächig, der Besitzer sitzt irgendwo in Augsburg, ist das nächste Highlight.
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Keine hart geschotterten Wege, die die Forstarbeit erleichtern, sondern Wege, wie sie schon seit tausenden von Jahren durch den Wald führen. Die Bäume, hauptsächlich Buche sind noch kahl und der Wald dadurch sehr licht. Das Laub vom letzen Jahr raschelt noch unter meinen Füssen. Oben an der Marktredwitzer Hütte ist der Boden schrecklich sumpfig. Ich bin gleich total eingesaut. Und schon bin ich nicht mehr so pingelig mit dem Schutz auf den Wegen, denn jetzt ist die Hose sowieso schon bis zu den Knien verschlammt. Und es weht ein eiskalter Wind hier oben. Dann ist aber gleich wieder alles trocken und die Sonne lacht vom blauen Himmel. In einem Öko-Dorfladen in Friedensfels kaufe ich noch schnell ein paar Halsbonbons, denn der hat in den letzten Stunden etwas zu kratzen angefangen. Den Anfängen muss man wehren, eine Erkältung möchte ich jetzt nicht haben. Auf einem Hügel nach dem Dorf komme ich durch den kleinen Friedhof der einst ortsansässigen Adelsfamilie.
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Und dann geht es schon hinunter zur Seenplatte. So nenne ich es mal. Unzählige Seen, alle bewirtschaftet reihen sich aneinander. Schon weht der alte Song von John Denver durch meinen Kopf:
Sunshine on my shoulder makes me happy
Sunshine in my eyes can make me cry
Sunshine on the water looks so lovely
Sunshine almost always makes me high
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Es ist so warm und einfach toll hier. Ich komme an einem geschlossenen Bahnsteig. Da steht ein Schild: Schranke wird auf Anforderung geöffnet und da gibt es einen Hebel zum Anfordern. Ich drücke den ein paar Mal, weil er sich irgendwie kaputt anfühlt, dann kommt eine Stimme aus dem Lautsprecher: ‚Schranke wird geöffnet‘ und mit einem Klick verabschiedet sich die Stimme sofort wieder. Konnte mich gar nicht entschuldigen, dass ich vermutlich durch ewiges Hebel-drücken genervt habe. Darum auf diesem Wege: Entschuldigung an einen unsichtbar gebliebenen Bahnwärter irgendwo in der Oberpfalz!
Ich merke gar nicht, dass ich schon Stunden ohne Pause unterwegs bin. Da muss sich natürlich irgendwann mein Körper melden, damit ich da jetzt nicht unendlich unnütz wertvoll eingelagerte Energie verbrenne. Ich hatte ja gehofft am Naturbad Schönhaid ein offenes Standcafé zu finden, aber dazu bin ich wohl noch zu früh im Jahr dran. Ich hoffe, den Schwindelanfall durch eine kleine Pause an einem sonnigen Seeufer abzufangen. Aber da habe ich die Rechnung wieder mal ohne meinen Körper gemacht und der sitzt wie immer am längeren Hebel. Durch den Wald werden die Geräusche der Autobahn unüberhörbar. Ein Stück weiter muss ich die gesamte Rolle Traubenzucker schlucken, bis das Zittern in den Knien wieder aufhört. Oh, ich hasse dieses Spiel, besonders weil es dann nur noch ein paar hundert Meter zur Jugendherberge in Tannenlohe war.
Tannenlohe ist ein Ort, der nur ein einziges Haus hat, die Jugendherberge. Ich hatte schon Zuhause gebucht, weil ich mir ziemlich sicher war, dass ich am ersten Tag mein Ziel erreichen werde, wenn es auch mit fünfunddreißig Kilometer eine lange Etappe war. Die Herbergsleiterin hat mich gewarnt, weil an diesem Wochenende ein Musikverein hier sein wird und so werde ich schon von Weitem von Blasmusik empfangen. Aber das ist noch gar nichts. Ich trete kaum durch die Eingangstür, als mich eine Frau begrüßt: ‚Ja, Frau Bauch, schön das Sie da sind‘. Ich grinse, vermutlich bin ich die einzige, die sich durch den Musikverein nicht abschrecken lies. Sie bringt mich persönlich zu einem Einzelzimmer mit Dusche und WC zum Mehrbettzimmerpreis, direkt unterm Dach, weit weg von den Posaunen. Erst entlasse ich die unzähligen Marienkäfer, die am Fenster sitzen ins Frei. Das dauert ewig, weil irgendwoher immer noch ein paar krabbeln. Die Herbergsleiterin hat mich noch eingeladen, mich an Kaffee und Kuchen zu bedienen, was ich gerne tue. Aber ich war etwas enttäuscht vom Musikverein, um sechs Uhr ist alles ruhig. Die Verbindung ist schlecht, aber ich kann beim Sparrer Wirt in Letzau für morgen ein Zimmer reservieren. Wird noch einmal eine lange Etappe, aber wenn mein Körper wieder den Hahn zudreht, muss ich ihn enttäuschen, der Traubenzucker ist alle und morgen ist Sonntag. Aber ich freue mich auf die Tour. Falkenberg werde ich zwar nie sehen, denn ich biege vorher ab ins Tal der Waldnaab und der werde ich den halben Tag folgen.

Tag 2 – Sonntag, 29. März – von Tannenlohe nach Letzau
Beim Frühstück begrüßt mich die Herbergsleiterin mit dem Hinweis, dass für heute den ganzen Tag Regen angesagt ist. Ein Blick nach draußen sagt mir, dass es auch schon begonnen hat. Egal, ich habe ja einen Regenponcho. Beim Auschecken beantwortet mir die Herbergsleiterin mein Frage, ob die Seen künstlich angelegt wurden oder natürlich sind damit, dass sie seit hunderten Jahren bewirtschaftet werden und man nicht weiß, ob alle angelegt wurden. Da hätte ich wohl mal einen Fisch essen sollen.
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Auch bei Regen ist der Weg entlang der Waldnaab wie erwartet wunderbar. Die Waldnaab darf sich hier ohne erkennbare menschliche Eingriffe natürlich dahin winden. Ich laufe auf einem hartgeschotterten Fahrradweg und betrachte sehnsüchtig den kleinen Pfad, der sich urwüchsig am anderen Ufer entlang schlängelt. Da kommt ein schmaler Steg, also ein wirklich schmaler Steg, der nicht auf meiner Karte eingezeichnet ist. Drei Bretter breit mit einem Handlauf auf der rechten Seite. Aber no risk, no fun, ich bin ja mutig, der Pfad dort drüben lockt schon sehr. Der Fluss ist breit, aber schon bin ich drüben und schreite freudig auf dem unebenen Pfad dahin. So soll ein Wanderweg sein. Und ein paar Kilometer weiter unten soll es laut Wanderkarte wieder einen Steg geben, der mich wieder auf den originalen Wanderweg bringt, bevor der die Waldnaab verlässt. Und den zweiten Steg gibt es auch wirklich, sonst wäre mein Weg ohne mich weitergelaufen. Bis Neustadt hat es auch bei leichtem Regen Spaß gemacht. Ich hatte dort auf ein offenes Café gehofft, aber die Bayerwälder sind nicht so für touristischen Firlefanz. Zwei offene Eisdielen gibt es, aber für Eis ist es zu kalt und ich wollte doch ein Stück Kuchen. Oben am Kloster gibt es auch kein Kloster-Café. Da bin ich wohl vom Bodensee zu sehr verwöhnt. Also auf zu den letzten acht Kilometern und die werden dann heftig. Im offenen Gelände und in höheren Lagen weht der Wind heftig und peitscht den Regen gnadenlos durch meine Hose. Den Poncho drückt der Wind bis zur Hüfte hoch. Der bester Augenblick ist der, als das Regenwasser meine Beine hinunterläuft und die Schuhe sich füllen. Dieses quatschende Geräusch ist einfach ekelhaft. Nass und durchfroren beschleunige ich meine Schritte, um nicht völlig auszukühlen. An manchen Stellen muss ich mich schon sehr kräftig gegen den Wind stemmen, um noch vorwärts zu kommen. Die Muskeln kühlen aus und verkrampfen sich. Aber da hilft nichts, ich muss weiter. Ich sehe den Sparrer Wirt schon auf der anderen Talseite. Sicherlich hätte es auch einen schönen Wanderweg dort hin gegeben, aber dafür habe ich keinen Sinn mehr. Ich will da jetzt schnell hin und dazu muss ich auf die stark befahrene Straße, die auch noch an der steilen Böschung durch Leitplanken gesäumt ist. Egal, ich zwinge die Autofahrer, ihrem Auto zu liebe, vor mir abzubremsen. Ich bin auch froh, dass die das auch tun. Endlich bin ich am Gasthof. Drinnen sitzen Sonntagsgäste, die heute noch keinen Tropfen abbekommen haben. Der Wirt begrüßt mich gleich als seinen erwarteten Übernachtungsgast. So viele Wanderer sind wohl heute nicht angekommen. Ich bestelle erst mal eine heiße Gulaschsuppe. Auf meinem Zimmer gibt es noch eine heiße Dusche. Aber leider muss ich von dem Vorhaben absehen, mein T-Shirt zu waschen, weil es nur eine Fußbodenheizung gibt und davon wird es vermutlich bis morgen nicht trocken. In den Nachrichten sagen sie, dass sich der Dauerregen in den Alpenraum zurückzieht. Mal sehen. Ich rufe in der Jugendherberge Trausnitz an, erreiche aber niemanden. Auf meine Email-Anfrage hat sie mir geschrieben, ich soll mich bis zwölf Uhr mittags melden, wenn ich übernachten möchte, weil ich der einzige Gast wäre.


Tag 3 – Montag, 30. März – von Letzau nach Trausnitz (so war es geplant)
Es regnet leicht, aber nur ganz leicht. Gestern hörte ich noch einmal eine Wetterprognose: im Norden Regen und Sturm, im Süden Regen und Sturm und dazwischen gibt es einen schmalen Streifen, in dem das Wetter etwas ruhiger sein wird. Mal sehen, ob ich in diesem schmalen Streifen bin. Als die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen, ignoriere ich sie erst mal. Das muss man machen, erfahrungsgemäß erschrickt man die Sonne sonst. Erste Sonnenstrahlen sind immer so schüchtern, aber schon bald ist der ganze Himmel blau.
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Ich bin gerade ins Tal der Pfreimd hinabgestiegen, als ich ein Geräusch hinter mir höre wie ein heranbrausender Zug, aber das letzte Gleis hatte ich vor mindestens einem Kilometer überquert und hier unten sind keine Gleise mehr. Ich dreh mich um und sehe, wie sich über mir am Hang die Bäume flach legen. Wie in einem Komik. Der Himmel ist noch blau. Sekunden später stehe ich in einem Graupelschauer. Zwei Minuten später ist der Himmel wieder blau. Ich rufe noch einmal in der Jugendherberge an und werde zum booking-service weitergeleitet. Die Jugendherberge hat die nächsten Tage wegen mangelnder Gäste geschlossen. Na toll. Das hätte sie mir auch gleich sagen können. Wo soll ich jetzt hin? Das ist nicht nett! Und wirklich, in Trausnitz haben alle anderen Gasthöfe gerade Ruhetag.
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Dann muss ich weiter nach Tännesberg und dann ist das schon die dritte Etappe mit fünfunddreißig Kilometer, dass geht nun an die Reserven. Der Weg durch das Waldstück nach Tännesberg ist dann ziemlich beeindruckend. Über meinem Kopf biegen sich die Bäume senkrecht. Hey Jungs, ihr seid groß und mächtig, fallt bitte erst hinter mir um. Sie erhören meine Bitte, und dafür bin ich echt dankbar. Ich hatte schon leicht Panik. Kein Vogel hat mehr gesungen, die haben sich alle schon längst verkrochen. In Tännesberg steuere ich das Hotel der Mittelklasse an. Ich muss lange warten, bis jemand kommt um mir zu sagen ob noch ein Zimmer frei ist und der kann mir auch nicht sgaen was es kostet. Ich geh abends noch mal runter, um zu fragen, ich wäre gegangen, wenn es zu teuer gewesen wäre, denn das Zimmer modert wie der gesamte Trakt. Es ist sauber, aber mit fünfundvierzig Euro ist es die erbärmlichste Absteige der gesamten Tour und da weiß ich noch nicht mal was vom Frühstück. Am Abend stürmt es noch einmal so richtig und jetzt mit Schnee.


Tag 4 – Dienstag, 31. März – von Tännesberg nach Oberviechtach
Das Frühstück ist erbärmlich. Nektar statt Saft und Marmelade ohne extra Schälchen, man muss sie  direkt auf den Teller klatschen. Das geht ja gar nicht. Dann nur weiße Semmeln und das gekochte Ei, natürlich hart, liegt am Tisch auf dem Unterteller der Kaffeetasse. Das finden die wohl besonders einfallsreich. Die 30-köpfige japanische Reisegruppe, die noch hier ist, merkt das nicht. Sie beäugen mich heimlich und kopieren meine Art die Speisen zu kombinieren und zu essen. Aber viel gibt es da nicht zu kombinieren. Für mich wird das Frühstück erträglicher, dass ich beobachten kann, wie sie Käse und Wurst wie kalte ham and eggs essen und das Joghurt mit Marmelade anreichern, dass sie dann mit Brot ausdippen.
Entsprechend schlecht gelaunt laufe ich hinaus in den Regen. Er fängt erst nur leicht an, legt aber ganz schön zu. Der Poncho wird vom Wind wieder hinauf an die Hüfte gepeitscht und die Knie sind bald durchnässt, dann die Schienbeine. Dann gibt es vorübergehend nur Wind und ich trockne wieder. Und dann geht es erst richtig los. Mein Weg führt kilometerlang über offenes Gelände. Der Sturm peitscht den Regen durch die Hose. Bald bin ich von der Hüfte abwärts durchnässt und es ist kalt. Ich laufe so schnell ich kann, um warm zu bleiben. Schon spüre ich einen beginnenden Wasserfluss in die Schuhe. Der Sturm boxt mich hin und her und so manches Mal trete ich einfach auf der Stelle ohne auch nur einen Zentimeter weiter zu kommen. Ich stemme mich nur gegen den Wind um wenigstens die Position halten zu können. Endlich sehe ich von oben die Häuser von Oberviechtach. Die Etappe ist heute ohnehin nur sehr kurz, nur neunzehn Kilometer, weil ich ja gestern noch die zwölf Kilometer nach Tännesberg gelaufen bin, aber das reicht auch. Jeglicher Gedanke doch noch etwas weiter zu laufen, weil ja neunzehn Kilometer langweilig sein könnten, sind gestorben. Die nächste Unterkunft wäre auch erst wieder nach achtzehn Kilometer. Auf meiner Liste der Unterkünfte steht als erstes ein Café und es sieht auch viel einladender aus, als der verstaubte Gasthof nebenan, den ich auch auf der Liste habe. Sie haben auch noch ein Zimmer für mich. Ich sehe aus wie ein begossener Pudel, wie ich da vor der Kuchentheke stehe und mir schon mal ein leckeres Stück aussuche, für nach trocken legen und heißer Dusche. Es ist erst kurz nach Mittag und den ganzen Nachmittag kann ich noch dem Sturm lauschen, der laut Wetterbericht gerade seinem Höhepunkt entgegen strebt. Conny ruft an und frägt mich entsetzt, ob ich bei diesem Sturm wirklich draußen im Wald rumlaufe. Nein, tu ich nicht, ich sitze ja gerade gemütlich in einem warmen, flauschigen Bett, schaue Fernsehen und lausche dem Sturm draußen vor dem Haus.

Tag 5 – Mittwoch, 1. April – von Oberviechtach nach Rötz
Als ich frühstücke schneit es, aber schon als ich auf die Straße trete, sehe ich den ersten blauen Himmel. Der bleibt natürlich nicht so, aber ist erst einmal ermutigend. Es fängt bald wieder zu schneien an und wenn dann im offenen Gelände der Wind ungebremst weht ist es eiskalt.
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Aber es ist trotzdem eine schöne Wanderung. Es sind ja wieder nur sechsundzwanzig Kilometer. Die langen Etappen sind erst einmal vorbei. Es ist ein gemütliches Wandern bei leise rieselndem Schnee, der ja nicht nass macht. Mal große Flocken und dicht, mal kleine Flocken und kaum zu bemerken. Umgestürzte Bäume liegen heute viele auf den Wegen.
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Zwischen großen Bäumen, mitten im Nirgendwo stehen plötzlich großformatige Plakatwände zum Goldsteig. Was soll das, hier ist doch niemand. Es dauert lange, bis ich begreife, dass sich hier die Nordroute von der Südroute trennt. Ich laufe die Nordroute. Die Südroute verläuft jetzt mehr unten in der Ebene.
Dann steht da mitten im Wald ein Schild: ‚Zur Schwarzenburg über steinerne Wand‘. Das ist mein Weg. Ich habe auf so eine Sandsteinklippe wie im Donautal gewartet. Dann komme ich zur vermeintlichen Ruine Schwarzenburg über einen sehr schmalen Steinweg und nix war mit Wand. Ich versuche aus den ganzen Steinen vor meinem geistigen Auge die einstige Burg zusammen zu puzzeln. Aber die Steine sind alle gut verstreut und stark verwittert. Zu einer Seite fällt alles sehr steil ab.
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Unten auf der anderen Seite steht wieder ein Schild: Ruine Schwarzenburg. Dann war das wohl keine Burgruine, sondern eine natürlich Anhäufung von Steinen, die Wand. Stimmt, ich hab es recherchiert, diese Felsen, die da aussehen, als hätte jemand eine Wand zu einer Burg bauen wollen, sind ein natürliches Phänomen. Die eigentliche Burgruine thront über Rötz und ist mit Tribünen bestückt. Auf dem Weg nach unten laufe ich durch einen ausgeschilderten Naturwald. Es wird vor umstürzenden Bäumen gewarnt. Davon habe ich heute schon eine ganze Menge gesehen. Ich habe immer nachgeschaut, ob auch ja kein Wanderer drunter liegt, auch einen Mountainbiker hätte ich herausgezogen, ich bin ja nicht so. Hier liegen Bäume, die schon vor Jahren umgestürzt sind. Und auch Bäume, die wohl erst diesem Sturm zum Opfer gefallen sind. Schade, es ist ein sehr alter Wald. Plötzlich knackt über mir eine alte bemooste Buche. Man bin ich da schnell gelaufen. Aber ein schneller Blick zurück sagt mir, dass sie sich noch halten konnte.
Gerade hat es noch genschneit und dann kommt plötzlich die Sonne raus. Der Himmel ist so blau, wie er nur nach einem Sturm sein kann. Ich will jetzt nicht aufhören zu Wandern. Ich fühle mich, als ob ich Bäume ausreißen könnte. Mein Körper hat also endlich mal zu verbrennen angefangen, ein seltener Moment. Fühlt sich einfach genial an. Am ersten Gasthof unterhalb der Burg laufe ich vorbei. Jetzt noch nicht. Der Weg macht noch entlang der Schwarzach eine große Schleife noch einmal von Rötz weg. Gerade singe ich lautstark ‚Heast as net‘ von Hubert von Goissen.
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als zwei Wandere um die Ecke kommen und mich entsetzt ansehen. Ups. Ich versuche nicht zu sehr zu grinsen, als ich an ihnen vorbeigehe und warte noch ein paar Schritte, bis ich weiter singe. In Rötz gibt es nur einen offenen Gasthof. Von außen schöne renoviert und mit Frühlingsblumen bepflanzt. Drinnen muss ich erst mal wieder lang warten, bis jemand sagen kann, ob noch ein Zimmer frei ist. Der Hausel sagt mir, dass der Wirt unterwegs ist und derzeit nicht erreichbar ist. Aber er weiß, dass ein Zimmer frei ist und dass es fünfundzwanzig Euro kostet. Ich glaube mich verhört zu haben. ‚Bekomme ich dafür auch ein Frühstück‘, frage ich. ‚Aber selbstverständlich‘, das wird er mir höchst persönlich servieren. Jetzt folge ich ihm gespannt nach oben. Das Zimmer ist groß, einfach eingerichtet, aber sehr sauber. Im Zimmer steht eine Duschkabine, so was hab ich nun auch noch nicht gesehen. Die Toilette ist auf dem Gang und mit einem Schlüssel nur für mich zu begehen. Als er noch mal wegen des Toilettenschlüssels nach unten läuft, habe ich Zeit mich umzusehen. Ein altes Haus, alle Installationsleitungen verlaufen über Putz. Das zu renovieren würde verdammt viel Geld kosten. An mir läuft kreischend eine Gruppe Kinder vorbei, eindeutig mit Immigrationshintergrund. Eine Tür geht auf. Das Zimmer voller Stockbetten und Leuten, auch die sind eindeutig net von da. Eine andere Tür steht offen, zwei Männer unterhalten sich und ich verstehe die Sprache nicht. Ein Asylantenwohnheim. Was es nicht alles gibt. Ich gehe gleich wieder mit hinunter, weil ich beim Warten gerade noch ein Radler bestellt hatte und nun nehme ich noch eine Ente mit Semmelknödel und Blaukraut dazu. Lecker. Oben versuche ich beim Duschen nicht das Zimmer unter Wasser zu setzen. Ich rufe Conny an und melde mich als lebend angekommen.


Tag 6 – Donnerstag, 2. April – von Rötz bis Waldmünchen
Das Frühstück ist perfekt bereitgestellt und ich bezahle wirklich nur fünfundzwanzig Euro. Draußen regnet es, aber es hilft ja nix. Und die Strecke verläuft weitestgehend über offenes, flaches Gelände. Kein schützender Wald. Es sieht wie Schnee aus, aber es ist Regen und nach kurzer Zeit bin ich natürlich durchnässt und wie soll es anders sein, irgendwann laufen auch wieder die Schuhe voll. Schön, hab ich schon vermisst. In Engelmannsbrunn holt mich der Winter ein. Dort oben liegt eine dicke Schneedecke.
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Ich bin trotz allem voll verzückt. Und dann geht es wieder hinunter ins grüne, verregnete Waldmünchen. Im Tengelmann hole ich mir erst einmal eine Trostschokolade. Im Eingangsbereich packe ich mich wieder wasserdicht ein, soweit es halt möglich ist. Ich merke erst gar nicht, dass sich die Dame in Rosa und weißer Pelzmütze mit der Bäckereiverkäuferin über mich unterhält: …wie kann man nur…warum macht jemand so was…aber das härtet wohl ab… Während ich auf der Wanderkarte am Handy abrufe, wo die Jugendherberge ist, entsteht eine Pfütze um mich herum. Schuldbewusst schaue ich nach unten. Dann sollte ich mich wohl besser wieder fortbewegen. Die Jugendherberge ist mitten in der Stadt. Das ist ungewöhnlich, die meisten liegen außerhalb. Ich habe gestern Abend und heute Morgen versucht dort anzurufen, habe aber nie jemanden erreicht. Ob ich reserviert habe, fragt sie. Nein, ich habe nur vor zwei Wochen mal locker angekündigt, dass ich kommen würde, wenn alles planmäßig verläuft. Wie ist der Name, fragte sie und zieht eine fertig ausgedruckte Reservierung auf meinen Namen hervor. Und ich werde noch weiter überrascht. Mein Zimmer hat Dusche und WC und, das gab‘s ja noch nie in einer Jugendherberge, einen Fernseher. Das Bett ist schon bezogen und es gibt Handtücher. Ich musste etwas mehr bezahlen, für eine einzelne Übernachtung, aber das ist echt wie ein Hotelzimmer.
In der Jugendherberge in Furth im Wald für morgen erreiche ich natürlich niemanden. Aber ich rufe noch in Eck an, für übermorgen, ein einsamer Ort mit nur einem Gasthof, um zu erfahren, dass der Gasthof im April Betriebsferien hat. Toll, da habe ich wohl auf der Internetseite das Kleingedruckte nicht gelesen oder das stand dort nicht. Ich schau gerade auf der Karte, wo ich am günstigsten wieder runter ins Tal komme, als der Wirt zurückruft. Es lebe die sichtbare Telefonnummer. Er hätte da noch eine Ferienwohnung und wenn ich nur ein Bett benütze, kann ich sie für fünfunddreißig Euro die Nacht haben. Da sag ich doch gleich mal zu. Eck liegt schon auf neunhundert Meter und dann kommt der Arber mit fast fünfzehnhundert Meter. Schon gut, wenn ich da nicht absteigen muss. Ich muss mich natürlich noch um was zu essen kümmern, um dem Anstieg auf den Arber gewachsen zu sein. Er gibt mir noch eine lange Beschreibung, wie ich in Eck das Jagdhaus in dem er wohnt und in dem die Ferienwohnung ist, finde. Und er sagt mir noch, dass sie jetzt wieder fünfundzwanzig Zentimeter Schnee haben.

Tag 7 – Karfreitag, 3. April – von Waldmünchen bis Furth im Wald
Von Waldmünchen geht es hinauf nach Herzogau und in den Schnee. Mir kommen unzählige Menschen mit Gebetsbüchern in der Hand entgegen. Misstrauisch schauen sie mich an. Heute ist Karfreitag und da geht man nicht einfach Wandern, da tut man was für sein Seelenheil. Oben steht, dass ich gerade den Gelübteweg gelaufen bin, aber die falsche Richtung und ohne Gebetsbuch, dann bringt das wohl nichts. Egal, ich stapfe weiter durch den Schnee und der wird immer tiefer. Das ist nun die Buse. Es sind nur siebzehn Kilometer nach Furth, aber der Schnee fordert seine Zeit.
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Der Grenzübergang Dreiwappen sieht so aus, wie ich ihn mir in meiner Fantasie nicht besser ausmalen hätte können. Ein kleiner Unterstand, auf jeder Seite ein Grenzschild, Deutschland – Tschechien, alles unter einem halben Meter unberührtem Schnee begraben. Jetzt erwarte ich eigentlich, dass gleich ein Schmuggler den Berg von Tschechien herauf kommt. Aber die Zeiten sind wohl vorbei, die EU kennt bessere Möglichkeiten. Ich habe mir den ganzen Weg hier herauf überlegt, warum der Grenzübergang Dreiwappen heißt. Das der Grenzübergang schon lange nicht mehr als solcher genützt wird ist ersichtlich. Also welche drei Herrscherhäuser haben sich hier einst getroffen. Die Habsburger, bestimmt. Die Wittelsbacher sollten es auch gewesen sein, will ich mal hoffen. Aber wer waren die Dritten. Bestimmt die Hohenzollern, die waren ja irgendwie überall. Oben werde ich aufgeklärt. Bayern, stimmt. Habsburger auch irgendwie, Böhmen halt, als ein damaliger Teil von Österreich. Und als dritter im Bund ist das Herzogtum Pfalz, aber die Hohenzoller werden mir noch überraschen schnell begegnen.
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Ich stapfe fast den gleichen Weg wieder zurück, an dem einen oder anderen Kreuz vorbei. Keine Ahnung welch bösen Mächte man da abwehren wollte.
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Der Abstieg ins grüne Tal nach Furth ist dieses Mal ein ziemlich heftiger Wechsel. Wie wenn ich in eine andere Welt kommen würde. In Furth gibt es ein offenes Café und eine Eierlikörsahne. Die Jugendherberge liegt außerhalb und ist ziemlich leer. Mit Hilfe ihres Mannes kann die Herbergsmami irgendwann auch mal meine Anmeldung in den PC bringen.


Tag 8 – Samstag, 4. April – von Furth im Wald bis Eck
Und schon wieder stecke ich im tiefen Schnee, aber dieses Mal kurz hinter Furth und hinauf zum Burgstall. Der schmale Steig ist unter der Schneedecke kaum zu finden. Es gibt schon eine Spur im Schnee und ich hoffe, dass die auf dem Weg verläuft, aber es ist ja egal wie, es muss hinaufgehen. Jetzt muss ich endgültig einsehen, dass die Höhenprofile auf der Goldsteig-Internetseite gut eingeebnet sind, denn vor Eck sollte es gar keinen Anstieg geben. Beim letzten Update hat irgendetwas nicht funktioniert und nun habe ich keine Höhenprofile mehr zu meinen Tracks auf dem Handy, aber das sollte ich unbedingt ändern. So geht das nicht. Hier oben steht ein Funkturm des Bayrischen Rundfunks. Den hatte ich gestern von unten gesehen, aber da weiter im Osten ein schneebedeckter Berg stand, den ich für den Arber gehalten habe, bin ich nie auf den Gedanken gekommen, dass mich mein Weg hier hinaufführt. Wo ist dann der Arber? Bei einem Blick auf meine Karte lerne ich, dass der ganze Hügelkamm der Kaitenberg ist, dessen letzte und höchste Erhebung der Große Arber ist, einen kleinen gibt es ja davon auch noch. Ein tief, oder sollte ich sagen hoch verschneiter Weg, dessen Schneedecke vor mir noch keiner beschritten hat, führt mich wieder hinunter ins grüne Tal, bis fast nach Grafenwiesen und dann wieder hinauf auf über tausend Meter zum Mittagstein  und zur Kötztinger Hütte. Da die Hütte offen ist führt dort ein gut gestampfter Pfad hinauf. Aber nach den Kilometern, die ich heute schon hinter mir habe, ist es doch anstrengende. Oben auf der Hütte gönne ich mir erst mal eine Kartoffelsuppe.
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Ich hatte mir zwar heute Morgen in Furth noch ein Packalsuppe und einen Packalgriesbrei für das Frühstück gekauft, aber man weiß ja nie. Außerdem ist eine Rast notwendig, die Knie sind schon zittrig und der Weg ist noch weit. Bis Eck geht es noch einige Male auf und ab, aber die Aussicht ist genial und zum Schluss kommt auch noch die Sonne raus.
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Ich komme an einer Schipiste raus. Unten finde ich den Gasthof. Ein Typ kommt mit einem Schubkarren vorbei. Ich laufe weiter und suche die Ortschaft Eck. Es führt eine Teerstraße hier durch, aber die führt auf beiden Seiten in den Wald. Verdammt, wo ist Eck? Ich sollte zu einer Kapelle und dann ist es das letze Haus. Ich laufe noch verzweifelt hin und her. Ich sehe auch gar keine Ausschilderung für den Goldsteig mehr. Da kommt der Typ mit dem Schubkarren auf mich zu. Ob ich die Frau Bauch sei. Ja, aber wo ist Eck. Eck ist nur der Gasthof und seine Jagdhütte da hinten. Mein Gott, können Männer kompliziert sein. Seine Beschreibung klang nach einer Großstadt. Ohne Beschreibung hätte ich es sofort gefunden. Ist ja nur das kleine Haus auf der anderen Straßenseite noch da und als wir darauf zugehen, sehe ich das Martal, dass wohl die Kapelle sein sollte. Irreführend waren aber auch unterwegs immer die unterschiedlichen Kilometerangaben für den Gasthof und Eck. Ich hatte ja gehofft, er hätte in der Ferienwohnung schon mal die Heizung aufgedreht, aber dem ist nicht so. Die Wohnung ist groß und er ist sehr bemüht, steht in der Tür und zählt immer wieder auf, was es alles gibt, ‚Alles da, alles da‘, wiederholt er immer wieder. Ich bin erschöpft. Ich versuche höflich zu sein, er ist es ja auch, ist sehr bemüht. ‚Da ist das Bad, da das Schlafzimmer, da die Küche. Ist alles da‘. Ich will morgen früh los und gebe ihm gleich die fünfunddreißig Euro. ‚Ist alles da, alles da. Kaffee ist auch da‘. Ob ich morgen Semmeln brauche. Nein, ich habe alles dabei. Semmeln? Nein, aber es reicht zum Frühstücken. Ja dann, wenn wir uns nicht mehr sehen sollten. Reicht mir die Hand. Ja, ich habe ein mieses Sozialverhalten, aber ich bin gerade zu müde, brauche eine heiße Dusche und will endlich die Heizung aufdrehen, um daran zu arbeiten. Die Wohnung ist rustikal und nett, aber eiskalt. Ich dreh den Heizkörper im Schlafzimmer voll auf, Dusche heiß und lange und koche mir dann schnell in der kalten Küche die Packalsuppe. und den in der Jugendherberge geklaute Tee, wäre aber auch da gewesen. Ich verkrieche mich mit der Jogginghose und der Vliesjacke ins Bett und trinke noch einen Whisky.


Tag 9 – Sonntag, 5. April – von Eck bis Bayrisch Eisenstein
Um halb sieben, gleich als es hell wird gehe ich los. Ich habe nachts nicht gefroren, aber warm war mir auch nicht. Da steht man gerne früh auf. Für den Packalgriesbrei hätte man Milch gebraucht. Warum haben die da jetzt keine Milchpulver rein machen können. Hat halt etwas wässrig geschmeckt. Und noch einen Tee dazu. Den Wirt sehe ich nicht mehr. Gleich über Eck sind die Wege tief verschneit. Gut ein halber Meter liegt da, wenn nicht mehr. Ich habe Glück, dass sich gleich zwei Fußspuren vor mir einfinden. Ein Pärchen, den Schuhgrößen nach. Sie hat ungefähr meine Schrittweite. So muss ich nicht ganz frisch stampfen. Markierungen sehe ich selten. Im Sommer ist der Weg wohl eindeutig genug, aber derzeit ist keiner zu sehen. Aber jedes Mal, wenn ich mit dem GPS überprüfe, ob die Spur auch in meine Richtung verläuft, aber wo soll sie auch sonst hinführen, stelle ich fest, dass sie haargenau auf dem Track ist. Die sind also auch mit GPS gelaufen. Anders wäre das auch gar nicht möglich. Die Spur sieht noch ziemlich frisch aus, ist vermutlich von gestern.
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Unterhalb des Enzians, dem letzten Gipfel vor dem kleinen Arber wird der Wind heftiger. Es gibt hier hohe Schneewehen und die Spuren sind natürlich weg. Ich versuche es erst so, aber irgendwann sehe ich ein, dass ich mich ohne GPS nur verlaufe. Als ich es einschalte, bin ich schon ein ganzes Stück in die falsche Richtung gelaufen. Vor dem kleinen Arber finde ich die Spuren wieder und genau wie ich haben sich die beiden entschieden nicht über den kleinen Arber zu laufen, sondern außen herum, um auf einen vielleicht schon getrampelten Forstweg zu kommen. Fünfzehn Kilometer Schnee stampfen ist genug. Der Forstweg ist eine sehr positive Überraschung. Er ist als Läupe gespurt. Trotzdem es nun bedeutend leichter ist, weiter zu laufen, verlassen mich die Kräfte. Die Chamer Hütte hat leider nicht offen, obwohl hier sehr viele Langläufer unterwegs sind. Also weiter hinauf zum großen Arber und das ist ein echter Kampf.
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Es ist auch schon spät. In der Eisensteiner Hütte esse ich erst mal Kässpatzen und trinke einen Glühwein. Dabei entscheide ich, dass ich nun mit der Sesselbahn bis zur halben Höhe nach unten fahre. Dort gibt es dann einen Wanderweg, der mich von hinten und genau an der Jugendherberge vorbei nach Bayrisch Eisenstein bringt. Wenn in der Jugendherberge kein Bett mehr frei ist, ich konnte nicht anrufen, weil ich dort oben keinen Empfang hatte, kann ich gleich in die Stadt weiterlaufen. Die Sesselbahn ist eine Hohenzollernbahn und die Talfahrt, die nur kurz ist kostet zwölf Euro. Es gibt auch ein Hohenzollern Schizentrum. Unten an der Bahn liegt immer noch hoch Schnee und ich stapfe wieder auf unberührten Wanderwegen. Erst kurz vor Eisenstein sind die Wege frei. Für heute reicht es aber wirklich. In der Jugendherberge gibt es noch ein Bett für mich. Die Herbergsleiterin ist nett und bemüht. Das Zimmer ist warm.


Tag 10 – Montag, 6. April – von Bayrisch Eisenstein nach Buchenau
Alles hat so gut angefangen. Ein gutes Frühstück zwischen unzähligen quirligen Kleinkindern. Manchmal finde ich das witzig. Meine Entscheidung, zum großen Falkenstein die Forstwege zu laufen und nicht die offiziellen schmalen Pfade, die immer wieder die Forstwege kreuzen, ist richtig. Die Forstwege sind genauso tief verschneit, aber leichter zu erkennen und gut als Fahrradwege ausgeschildert. Nur kurz vor Zwiesel Waldhaus habe ich mich verlaufen. Und die vielen technischen Autos auf den Forstwegen haben mich gewundert. Die sollten dort genauso wenig fahren dürfen, wie andere Autos. Außer die haben dort eine Jagd gepachtet. Nach Zwiesel Waldhaus gibt es nur noch den offiziellen verschneiten Pfad, aber bald kann ich wieder auf einen Forstweg wechseln, der hier oben natürlich noch tiefer verschneit ist. Ist aber alles noch im grünen Bereich. Kurz vor dem Gipfel sind auch wieder Pfade getrampelt, was darauf schließen lässt, dass die Hütte offen ist. Dort stärke ich mich mit einer Johannisbeerschorle. Ich komme mit einem Tourengänger ins Gespräch und wir sind uns einig, dass es eigentlich gar nicht mehr so weit nach Buchenau ist. Ich muss heute vom Goldsteig absteigen, weil es oben keine Unterkünfte gibt. Ich folge dem Trampelpfad auf der anderen Seite wieder ein Stück hinunter. Doch dann führt der Trampelpfad weiter hinunter ins Tal und mein Weg liegt unberührt vor mir. Nein nicht ganz unberührt, eine Schispur gibt es noch. Sehnsüchtig schaue ich dem Trampelpfad hinterher. Die Schispur ist nur zwanzig Zentimeter tief. Ich sinke knietief ein. Ich gehe langsam und vorsichtig, um nicht noch tiefer einzusinken. Schritt für Schritt arbeite ich mich vorwärts.
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Nach einem oder zwei Kilometer wird mir klar, dass das so nichts wird, aber ich stampfe noch eisern weiter. Es ist so verdammt anstrengend. Ich laufe hier auf etwas tausendeinhundert Meter den Kamm entlang hinüber zum Rachel, der wieder vierzehnhundert Meter hoch ist. Aber vorher muss ich nach Buchenau absteigen. Ich stehe vor dem Aufstieg zur Rindelsschachten, der nur noch ein nicht mehr zu erkennenden Pfad ist. Gerade scheint noch die Sonne, dann wird es in wenigen Sekunden dunkel und ein Schneetreiben setzt ein. Irgendwo da vorne liegt also der Pfad, den ich schon vorher nicht gesehen habe. Nun sehe ich kaum noch den Forstweg, der hier nach unten führet, keine Ahnung wo hin. Ich bin auf der richtigen Seite vom Berg. Der kann also nur in ein einziges Tal hinunter führen. Mein GPS kann ich leider nicht befragen, weil der Touchscreen kein Wasser mag und gerade mit den ganzen Schneeflocken ausgerastet ist. Ich muss auf jeden Fall hinunter, hier komm ich nicht mehr weiter. Bei der nächsten Abzweigung muss ich wieder raten. Ich nehme den Weg, der steiler bergab führt. Und plötzlich scheint wieder die Sonne. Schnell überprüfe ich, wo ich bin. Wer weiß, wann das nächste Schneetreiben kommt. Gut, ich bin zumindest einigermaßen in der richtigen Richtung. Ich laufe auf Scheuereck zu. Das hätte ich auch leichter haben können. Dorthin lief der Trampelpfad vom Falkenstein hinunter. Dann kann ich nach Spiegelhütte weiter und von dort hinüber nach Buchenau, wenn es sein muss entlang der Straße. Aber unten in Spiegelhütte ist auch ein Wanderweg ausgeschildert, der sich allerdings wieder als ziemlich weitläufig erweist. Aber ich komme irgendwann in Buchenau an und habe noch einen Sinn dafür, die reichen alten Häuser zu bewundern. Meine Wirtin erklärt mir später, dass man hier einst viel Geld mit Glas gemacht hat. Fensterglas und Brillengläser, denn Glashütten sind hier überall. Für morgen werde ich mir einen Weg unten um den Rachel herum suchen. Es hat keinen Sinn mehr über tausend Meter zu gehen. Da liegt einfach zu viel Schnee. Ich bin diesen Track nun zu zwei Dritteln regulär gelaufen. Dann kann ich es mit meiner Wanderehre vereinen, wenn ich nun etwas ausweiche.


Tag 11 – Dienstag, 7. April – von Buchenau zu den Waldhäusern
Eine lockere Wanderung heute, das habe ich aber auch mal dringend nötig. Erst an der Talsperre Frauenau vorbei und dann kilometerweit über schneefreie Waldwege am naturbelassen Wald des Naturschutzgebietes und nach Spiegelau, wo ich mir einen Milchkaffee und einen Auszogenen gönne.
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Seit Tagen möchte ich Postkarten kaufen, aber auch hier habe ich kein Glück. Die Bayerwälder stehn nicht auf so touristischen Firlefanz, wie ich schon einmal erwähnte. Dann geht es wieder höher hinauf und ich stapfe wieder durch den Schnee, aber nicht so lange. Die Waldhäuser liegen kurz unterm Lusen und auf tausendeinhundert Metern und überall liegt gut Schnee. Der Herbergsleiter sagt, dass es schon Grün war, als er vor zwei Wochen mal kurz in den Urlaub gefahren ist und als er zurückkam, war wieder Winter. Aber die Lifte sind geschlossen. Damit hat wohl keiner mehr gerechnet. Es sind auch nur wenige Gäste hier. Der ganze Ort sieht etwas ausgestorben aus.
Hier bin ich nun aber auf dem eigentlichen Goldsteigen oder Gulden Steig. Diese Wege haben dem Steig wirklich seinen Namen gegeben. Im böhmischen gab es kein Salz. Also wurde es von Bad Reichenhall auf Flüssen bis nach Passau gebracht, in Passau auf Paktier und Wagen verladen und unter anderen über den Lusen nach Böhmen gebracht. Die Bauern, die dem Land hier nicht wirklich viel abgewinnen konnten, lebten von den Transporten, indem sie Mensch und Tier versorgten. Im dreißigjährigen Krieg wurden die Salztransporte verboten und danach ganz eingestellt. Eine wichtige Einnahmequelle versiegt, was das Aus für so manches Dorf hier bedeutete.

Tag 12 – Mittwoch, 8. April – von den Waldhäusern nach Philippsreut
Frisch und ausgeruht lauf ich den Winterwanderweg zum Lusen hinüber. Erst eine Teerstraße und dann der Versorgungsweg zur Lusenhütte, auf dem gerade der Wirt mit seiner Besatzung mit einem Schneebobb vom Parkplatz hinauf zu Hütte fährt. Auch ein Monteur für den Kaffeeautomaten, hab ich auf seinem Auto gelesen, ist mit von der Partie. So einen Anfahrtsweg zu einer Reparatur hat er wohl auch nicht jeden Tag. Der Bobb planiert jeden Tag wieder den verschneiten Weg. Eine gut begehbare Piste. Der Abstieg nach Mauth ist natürlich wieder Schneestampfen. Erst ist es ein schmaler Pfad mit reichlich Fußspuren. Die verlassen mich aber bald. Warum gehen all die Leute eigentlich nie da hin, wo ich hin will. Übrig bleibt ein ebenso schmaler Pfad, kaum zu sehen zwischen den Büschen und Bäumen; mit nur einer Schneeschuhspur. Da kann ich natürlich nicht mithalten. Ich sinke da verdammt tief ein. Es ist wärmer geworden und der Schnee weicher. Oft höre ich Plätschern unter der Schneedecke und wenn ich wieder mal bis zum Anschlag, also bis zur Hüfte mit einem Bein einsinke, sehe ich nach dem ich mich wieder frei gearbeitet habe, unten im Loch das Wasser vorbeisprudeln. Leichter wird es, als mir vier Wanderer entgegenkommen. Dann habe ich wieder einen Trampelpfad. Zumindest bis zum Forsthaus Tummelplatz. Dort erfüllt sich wieder mein Schicksal. Ich kann es erst gar nicht glauben. Unzählige Fußspuren kommen und gehen in die unterschiedlichsten Richtungen, nur ein einziger Weg ist unberührt. Klar ist das meiner und wieder knietief.  Hin und da läuft eine Hasenspur vor mir her. Auch die haben bei dieser Schneetiefe sicherlich kein leichtes Spiel. Da es ziemlich anstrengend war steuere ich in Mauth den einzigen offenen Gasthof an für ein Radler und eine heiße Suppe. Eigentlich dachte ich, dass es ab den Waldhäusern beständig bergab geht, aber bei einem Blick auf den weiteren Wegverlauf nach Philippsreuth sehe ich, dass ich dort schon wieder auf tausend Meter bin und vorher muss ich noch mal weiter hinauf. Nimmt das denn gar kein Ende. Klar bin ich die erste, die auf den verschneiten Wegen unterwegs ist. Mal abgesehen von ein paar anderen Hirschen. Aber mal ernst. Ich habe jetzt schon einige Male verdammt große Spuren von Paarhufern gesehen. Können in dieser Größe ja nur Hirsche sein. ich wusste gar nicht, dass es bei uns noch so riesige Exemplare gibt. Schade das ich keinen in Real gesehen habe, dass hätte ich mir schon verdient. Und ich sollte mich auch mal beim Tourismusverband Bayrischer Wald melden, ob es für das Spuren von verschneiten Wegen nicht eine kleine Anerkennung gibt. Da habe ich ja nun schon so manchen Kilometer geschaffen. Die einsame Spur nach Philippsreut hinüber ist zumindest meine. Wenn ich mich umdrehe habe ich allerdings das Gefühl, dass da eine ganze Kuhherde gelaufen ist. Wie kann ein einziger Mensch nur so eine breite Spur hinterlassen, dagegen sind die Spuren der Hirschen geradezu grazil. Ich versuche leichter aufzutreten. Aber es wird nicht besser. Ich steige im schrägen Winkel ein, bewege das Bein im Schnee um fast neunzig Grad nach vorne und ziehe es mit viel Schnee auf der Fußspitze wieder heraus. Das hinterlässt eine verdammt breite Spur.
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vor mir  nach mir
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Die Abdrücke der Stecken links und rechts sind fast unsichtbar, besonders weil ich ja die schmalen Sommerteller habe. Und ich wollte mir noch breiter kaufen, aber eigentlich habe ich nicht wirklich mit Schnee gerechnet. Sollte ja eine ganz lockere Wanderung werden. Durch grüne Wälder, mit zwitschernden Vögeln, hoppelnden Hasen und vielleicht ein paar Wildschweinen. Tja. Es kommt halt erstens immer anders als man zweitens denkt. Aber sonst wäre es ja fast langweilig. Ich bin ziemlich am Ende, als ich das Dorf endlich erreiche. Die Werbeschilder für den Kurort fallen schon auseinander und das Dorf sieht ziemlich ausgestorben aus. Und: die beiden Gasthöfe sind sich absolut einig darin, dass man am besten am selben Tag einen Ruhetag macht und der ist heute. Sch..., was nun. Ich sehe einen Bus. Ich könnte also in einen anderen Ort fahren. Aber am Ortseingang habe ich ein Schild für Gästezimmer gesehen. Die alte Dame hat mir auch schon so sonderbar nachgesehen. Also zurück und dort geklingelt. Begeistert ist sie nicht. Aber sie meint auch, dass sie mich ja jetzt nicht auf der Straße stehen lassen kann. Die Schuhe soll ich unten im Gang ausziehen, nur die Innensohlen nehme ich mal mit. Ich bekomme ein Einzelzimmer, dass wohl noch die Originaleinrichtung des Kinderzimmers aus den siebziger Jahren hat. Der Modergeruch im Bad wird durch ein starkes Deo übertönt, aber es ist sauber und das Wasser ist heiß.  Nur die Heizung im Zimmer ist das nicht wirklich. Trotz langer Hose und Vliesjacke unter dem Federbett zittere ich beständig vor mich hin und schreibe mit klammen Fingern diesen Bericht. Ich habe auch noch mal die Etappen für die nächsten Tage gecheckt. Es geht noch lange nicht nach unten. Morgen noch einmal auf tausendzweihundert Meter und übermorgen auch noch mal.. Aber es soll angeblich weiterhin wärmer werden. Als ich drei kräftige Schlucke von meinem Coal Ila nehme ist es zumindest schon mal innerlich warm. Kurz vor dem Einschlafen formt sich in meinem leicht umnebelten Gehirn noch der Gedanke, dass das der letzte Coal Ila war, auch Zuhause ist die Flasche leer. Aber das ist ein Problem, dass sich verschieben lässt und sicherlich lösbar ist.

Tag 13 – Donnerstag, 9. April – von Philippsreut nach Haidmühl (bzw. Frauenberg)
Das Frühstück nehme ich zusammen mit dem älteren Ehepaar in deren Küche ein und einer weiteren älteren Dame, die dazugekommen ist. Dann geht es hinaus in die Kälte. Nur drei Grad plus und Nebel und die Schuhe sind im kalten Flur über Nacht natürlich nicht trocken geworden, aber zumindest die Einlagen sind trocken. Von dem angekündigtem Sonnenschein, der sollte übrigens auch gestern schon sein, ist weiterhin nichts zu sehen und auch nichts zu erahnen. Schon klar, dass ich weiter durch den Schnee stapfen muss. In diesen trostlosen Ort verliert sich wohl auch kaum ein Tagestourist. Der Ort hat den Anschluss verpasst. Da gibt es wohl im Umkreis attraktivere Orte mit höherem Funfaktor, Mitterfirmansreut oder so. Es wird also wieder eine Erstbegehung zum Haidel hinauf. So ein bisschen auf den Spuren von Amundsen. Für die vier Kilometer zum Gipfel brauche ich auch fast vier Stunden. Das ist unglaublich. Gut einmal habe ich den Weg total verloren und lange mit meinem GPS gekämpft. Für dieses blöde GPS sind zwanzig Meter gar nichts, aber ich finde so ganz schwer den Weg, wenn es mal zwanzig Meter in die eine und dann wieder in die andere Richtung schwankt. Kommt glücklicherweise ganz selten vor und normalerweise sehe ich ja auch noch einen Weg. Oben am verlassenen Dorf Leopoldsreut komme ich plötzlich auf einer geräumten Straße raus. Auf Hinweistafeln lerne ich, dass viele Herrscher versucht haben den Bayrischen Wald zu besiedeln, weil besiedelte Grenzgebiete leichter zu halten sind. Aber die Erfolge waren zweifelhaft. Die Endung –reut kommt von Roden. Jeder Quadratmeter musste von den Siedlern erst einmal aufwändig urbar gemacht werden. Und so viel Ertrag haben die Felder hier oben dann sicherlich auch nicht gebracht. Es war halt für viele arme Leute eine einmalige Chance an eigenes Land zu kommen. Die Armen. Die letzten Einwohner haben Leopoldsreut in den sechziger Jahren verlassen, vermutlich sind sie wohl eher gestorben. Heute steht nur noch die Kirche. Hier ist dann auch die geräumte Straße zu Ende. Immerhin zweihundert Meter auf hartem Boden. Aber vor mir liegt ein gut getrampelter Pfad. Da komme ich natürlich gut vorwärts und auf der anderen Seite des Haidel, der Südseite, liegt der Schnee nicht mehr so hoch.
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Die Sonne kommt raus und plötzlich fängt alles um mich herum zu tauen an. Wege werden zu Bächen und auch sonst rauscht von überall her das Wasser. Die Sonne hat eben doch schon eine ziemlich Kraft, wenn sie denn mal da ist. An der Wallfahrtskapelle Kohlstattbrunn biege ich vom Goldsteig ab. Der eigentliche Weg würde nun in einem weiten Boden nach Norden und nach Haidmühl führen. Die Jugendherberge von Haidmühl liegt aber südlich im Ortsteil Frauenberg und darum habe ich mir einen Weg gesucht, der direkt nach Osten und dorthin führt. Vor mir erhebt sich der Dreisessel. Schon jetzt weiß ich, dass ich nicht auf den Gipfel laufen werde, sondern ihn nur auf halber Höhe umkreisen werde. Ich habe endgültig genug von all dem Schnee. Ich will endlich wieder festen Boden unter den Füssen haben. Darum macht es mir heute gar nichts aus, dass ich einige Kilometer vor Frauenberg auf Teerstraßen laufen muss. Die Sonne scheint so schön warm. Der Teer reflektiert die Wärme. Mir ist fast wieder einmal warm. Es ist sooo schön. Gut die letzen drei Kilometer sind dann wieder ein schneebedeckter Radweg, aber der Schnee ist jetzt schon so weich, dass er kaum noch Widerstand entgegensetzt.  Der Herbergsleiter mit leicht tschechischem Akzent ist mit seiner Familie gerade im Hof. Auch die genießen die Sonne. Er läuft mir gleich dienstbeflissen entgegen. Ich sei früh dran, aber wenn er da ist, ist das ja kein Problem. Hier ist die Saison gerade um. Kürzlich hatte er noch hundertzwanzig Wintergäste da, aber nun sind die acht Gäste in den Zimmern mit eigener Dusche und WC untergebracht. Beim Einchecken hat mir der Herbergsleiter gesagt, dass ich Übernachtung mit Halbpension gebucht habe. Habe ich das. Er war der einzige, der meine lockere Anfrage gleich mit einer Reservierungsbestätigung beantwortet hat. Ich widerspreche ihm nicht, besonders als ich höre, dass es Semmelknödel mit Schwammalsoße gibt, mein Lieblingsgericht. Ich habe noch nie in einer Jugendherberge zu Abend gegessen. Da habe ich immer die Vorstellung von schrecklichem Katinenfraß. Aber ich lasse mich da mal überraschen. Der Herbergsleiter bringt mich noch zu meinem Zimmer und zeigt mir den Aufenthaltsraum in dem es kostenlosen Kaffee und Tee oder auch kostenpflichtig Bier und Wein gibt. Ich weiß dass das den Schuhen nicht gut tut, aber im Zimmer drehe ich gleich die Heizung auf und stülpe die Schuhe mit der Öffnung nach unten darüber. Die müssen heute Nacht unbedingt wieder trocken werden. Ich sollte mir wirklich überlegen, ob ich mir nach dieser Wanderung nicht Gore-Tex Schuhe kaufe. Die sollen angeblich schneller trocknen. Bei diesen ist jetzt nicht nur die Sohle abgelaufen, sondern auch beim Innenfutter haben sich die Nähte an der Ferse hinten gelöst, die Lederfetzen reiben und damit ist ein neuer Schuh dringend nötig. Bei einem heißen Kaffee lese ich die Informationen zur Region, die ich noch bekommen habe. Adalbert Stifter hat diese eigentümliche Felsformation, die wie drei Sesseln mit Lehnen aussahen wohl noch gesehen, aber schon in seiner Zeit, so schreibt er, sind die Lehnen aus Sicherheitsgründen umgestürzt und in die nächste Schlucht gezogen worden. Ich erfahre auch, dass es hier im Umkreis schon kleine Flüsse gibt, die Moldau heißen, weiße Moldau, kleine Moldau und so. Die echte Moldau ist aber schon noch ein Stück entfernt. Der Dreisessel liegt im Länderdreieck Deutschland, Tschechien, Österreich. Der eigentliche Weg würde morgen auf einem Kamm entlang der tschechischen Grenze bis zu österreichischen Grenze verlaufen und von dort wieder zurück, um ein Stück südlicher wieder nach Österreich zurück zukehren. Dort werde ich auf jeden Fall wieder dabei sein, aber den einsamen Kammweg werde ich mir sparen, kein Schnee mehr. Hier in Frauenberg ist schon fast wieder alles geschmolzen.
Die Semmelknödel sind geschmacklich einwandfrei und gut bissfest. Ich schäme mich ein bisschen, als ich mir vier Scheiben nehme. Schließlich hatte ich schon die Tomatensuppe und einen Teller Salat. Ja, jetzt bin ich im echten Bayern gelandet. Es gibt Krautsalat mit viel Kümmel, da kann ich nicht widerstehen. Und zum Nachtisch gibt’s Pfirsich und Rote Grütze. Da ich derzeit noch die einzige im Speisesaal bin, summe ich leise Söllners Liedchen, wo er zum Gedenken an Rudi, an dessen Grab besinnlich die Pfirsiche aus der Dose isst.
Eine große Kanne Tee steht auf meinem Tisch. Ich trinke Tasse um Tasse und betrachte den tauenden Schnee, der vom Dach tropft und in den letzten Sonnenstrahlen funkelt. Als die andern sieben Gäste zum Essen kommen und heikel vor den Semmelknödel stehen, sich dann nur für ein Schälchen Salat entscheiden, geh ich und sag dem Koch noch, dass seine Semmelknödel und die Schwammalsoße echt lecker sind.

Tag 14 – Freitag, 10. April – von Frauenberg nach Sonnen
Am Morgen scheint die Sonne, das Frühstücksbuffet ist umfangreich und lecker, die Schuhe sind wieder trocken. Auch um den Dreisessel auf halber Höhe herum liegt noch Schnee auf den Wegen, aber nicht mehr so viel. Kurz vor der österreichischen Grenz geht es endlich hinunter ins Tal. Es ist warm und grün, wie wenn es nie anders war. Schneeglöckchen stehen am Wegrand und die Bäume treiben  fast schon. Eigentlich wollte ich irgendwo im österreichischen irgendeine leckere Mehlspeise essen, aber ich komme an keinem offenen Gasthof vorbei. Der Weg wieder hinüber nach Sonnen zieht sich noch ziemlich dahin, aber selbst als ich wieder ein Stück nach oben muss, liegt dort kein Schnee mehr. Seit einigen Stunden verläuft parallel zum Goldsteig ein Witikosteig und ich nehme mir vor, dass ich zumindest einmal einen Blick in diesen Roman von Adalbert Stifter werfe. Drei ältere Damen in schicker Laufkleidung und Hunden fragen mich am Waldrand, ob die umgestürzten Bäume noch auf dem Weg liegen. Ich muss schon lange nachdenken, ob ich heute schon über umgestürzte Bäume klettern musste. Es ist in der letzten Woche schon zur Selbstverständlichkeit geworden, aber heute hatte ich noch keinen. Ich hatte frisch zersägte Stämme gesehen, die am Wegrand lagen. Die Damen sind mit meiner Aussage zufrieden und laufen mit ihren Hunden in den Wald hinein.
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In Sonnen laufe ich zum Sporthotel und lächle über die schick gekleideten vermeintlichen Sportler, die auf dem Parkplatz vor dem Hotel bei ihren schicken Karossen stehen und mir vermutlich entsetzt nachsehen. Die letzten vierzehn Tage haben Spuren hinterlassen. Meine Kleidung sieht nicht mehr so frisch aus, die Haut bröselt mir von der sonnenverbrannten Nase, mein Schritt ist trotz der lockeren Wanderung heute nicht mehr so dynamisch. Sicherlich denken die: Sport ist ja voll in Ordnung, aber doch nicht wenn man dann sooo aussieht. Grinsend und stolz gehe ich durch zu Rezeption. Sogar die Dame dort sieht mir erst einmal entsetzt entgegen, fängt sich aber wieder professionell. Auf meinem Zimmer verschlafe ich wie immer das halbe Fernsehprogramm bis ich von lauter werdender Blasmusik geweckt werde. Ist hier auch ein Musikverein zu Gast? Aus dem Fenster sehe ich einen Musikzug heran marschieren. Vielleicht werden die jeden Freitagabend vom Hotel engagiert, hier eine Runde zu drehen oder es ist ihre wöchentliche Probe.


Tag 15 – Samstag, 11. April – von Sonnen nach Hauzenberg
Letzter Wandertag und ich werde es ganz locker auslaufen lassen. Es wird ein warmer, sonniger Tag werden. Das Frühstücksbuffet ist so lecker und umfangreich, wie man es in einem guten Hotel erwarten kann. Der Wanderweg läuft direkt am Haus vorbei und ich laufe dann gleich mal mit. Auf Passau zu werden es nun immer mehr geteerte Nebenstraßen werden. Ich muss noch einmal ein bisschen nach oben, aber Schnee ist da keiner mehr. Immer wieder bekomme ich einen Blick auf den Hügelkamm mit dem Dreisessel. In Hauzenberg beschließe ich planmäßig meine Wanderung. Vierhundert Kilometer sind genug. Die letzten zwanzig schenke ich mir. Es ist so ein schöner Tag, da möchte ich noch etwas durch Passau schlendern, denn ich war noch nie in dieser Stadt. Wie erwartet finde ich hier einen Bus nach Passau und eine halbe Stunde später erreiche ich die Stadt an den drei Flüssen. Erst versuche ich noch eine saubere Hose zu kaufen, aber da ich nichts Passendes finde, gebe ich mich mit meiner dünnen Baumwollhose zufrieden. So ausgebeult ist sie noch nicht und es ist so schön warm, dass ich damit auch nicht friere. Ich schlendere die Straßen auf und ab.
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In einem schmalen langen Raum, fast nur ein Eingang zur Straße hin ist eine Suppenküche untergebracht, die scheinbar von einem Passauer Original betrieben  wird. Witziges Kerlchen und die Suppe ist jetzt genau das Richtige. Dann suche ich mir ein Hotel nahe am Bahnhof. Das Ticket für morgen habe ich schon in der Tasche mit dreistündigem Aufenthalt in München, um mich mit Conny zu treffen. Ein guter Ausklang für eine Wanderung.



Eintrag vom 15.07.2014
 

Übertrag aus dem alten Block

Maximilianweg – die Zweite
da gabs also auch einen ersten Versuch, ein Jahr zuvor

Maximilianweg - die Erste
Tag 0: Freitag 17. Mai Anfahrt nach Lindau
Der Rucksack steht schon gepackt da. Ich schlüpfe nur noch schnell in meine Wanderkleidung und laufe zum Bahnhof. Das Wetter schlägt den ganzen Tag schon Kapriolen. Mal scheint die Sonne, kurz darauf regnet es wieder und dann ist es einfach nur trüb und grau. In Lindau schreibe ich mir ein paar Zeiten für Züge nach Bregenz am Morgen auf und laufe noch ein bisschen durch die romantische Altstadt. Es regnet gerade mal nicht und es ist auch nur ein kleiner Umweg auf den Weg hinaus zur Jugendherberge auf dem Festland.
Zum Schluss beeile ich mich aber dann doch. Die dicken Regenwolken sinken immer tiefer und gleich wird es anfangen zu schütten. Tut es aber dann doch nicht. Die Jugendherberge ist groß und entsprechend nüchtern, nur die Kinder, die schreiend durch die Gänge rennen, wirken fehl am Platz. Der Baustil ist interessant; mehrere uralte Gebäude, die mit Glasbauten verbunden sind.

Tag 1: Samstag 18. Mai von Bregenz hinauf zum Brüggelekopf
Um fünf Uhr kommen zwei Jungs zurück von ihrer nächtlichen Tour. Laufen mit harten Absätzen die Gänge hinauf und hinunter, telefonieren mit irgendwelchen Leuten, sind viel zu aufgedreht. Ich bin sicherlich nicht die Einzige, die sie damit wecken. Dadurch kann ich beobachten, dass die morgendliche Wolkendecke leichte Risse bekommt und die blauen Stellen dazwischen immer größer werden. Als um viertel nach sechs mein Handy mit leise plätschernder Musik weckt, wo alle schon wach sind, denn das Sechs-Bett-Zimmer habe ich für mich alleine, da ist der Himmel schon überwiegend blau. Kurz vor sieben stehe ich vor dem Frühstücksraum, der aber erst pünktlich um aufgeschlossen wird. Unter dem Glasdach der Jugendherberge ist es schwer sich auf das Frühstück zu konzentrieren. Das Wetter ist so genial, dass die Beine schon loslaufen möchten.
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Von der Jugendherberge sind es angeblich nur noch acht Kilometer hinüber nach Bregenz, aber für den Einstieg reicht mir die Tour auch von Bregenz aus. Auf halben Weg habe ich von meinem sonnigen Fensterplatz einen gigantischen Blick auf die Schweizer Bergwelt mit ihren überpuderten Gipfeln.
Erst geht es lange um Bregenz herum, den See entlang und die Ach hinauf. Erst bei Wolfurt nach elf Kilometer beginnt die eigentliche Wanderung, als ich endlich die breiten Wege, die Jogger und die Sonntagsradler hinter mir lasse. Jetzt geht’s hinauf zum Dreiländerblick. Und dieser Blick ist so gigantisch, dass ich mich geradezu verpflichtet fühle im gleichnamigen Gasthof Rast zu machen. Ich frage mich, ob man dieses Panorama eigentlich noch sieht, wenn man hier wohnt. Der Wirt wirkt leicht gelangweilt.
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Noch ein Stücken weiter hinauf und schon geht’s hinunter nach Alberschwende, durch eine saftige Sommerwiese mit unzähligen Butterblumen. Danach ist meine Hose bis zu den Knien gelb. Damit passe ich so gar nicht ins Dorfbild. Die Sonne hat sie alle herausgelockt und nun ist Freizeitmodenschau beim Wirt am Dorfplatz angesagt. Wer hat das teuerste Outfit, das tollste Bike, die coolste Sonnenbrille. Kurz hege ich den Gedanken nun auch meine Ray Ben herauszuziehen, ziehe es aber dann doch vor, diesen Ort des Schreckens schnellstens zu verlassen.
Alberschwende liegt auf siebenhundert Meter, der Alpengasthof Brüggele auf tausendzweihundert Meter und dazwischen sind nur wenige Kilometer, der Anstieg ist also verdammt steil. Oben sitzen gut gekleidete, gut gelaunte Leute, die den kurzen Anstieg und die Teerstraße von der anderen Seite heraufgekommen sind. Aber mir schmeckt mein Radler. Nach dem ich mein Zimmer bezogen habe, es ist nicht viel los und jeder hat ein Vier-Bett-Lager für sich alleine, treffen noch die beiden Mädels ein, die ich schon im Dreiländerblick gesehen habe und Annamaria. Alle sind für das lange Pfingstwochenende unterwegs auf dem Maximilianweg. Mit Annamaria sitze ich noch lange oben, hinter dem Haus, am Gipfelkreuz und genieße die Aussicht. Es ist viel zu schön, um drinnen in der Hütte zu sitzen. Das Wetter war nicht so genial angekündigt. Das war doch heute ein toller Einstieg in meine Wanderung. Von körperlichen Gebrechen ist noch nichts zu spüren.

Tag 2: Sonntag 19. Mai vom Brüggelekopf zum Staufer Haus
Heute Morgen gehe ich mit Annamaria weiter. Erst ist es noch trocken, am Himmel hängen aber schon dicke Wolken. Heute am frühen Morgen war der Himmel stellenweise noch blau. Kurz nach Lingenau, wo wir noch schnell einen Kaffee trinken, fängt es zu regnen an. Und es regnet und regnet und regnet. Meine Hose, die ich Zuhause vermeintlich gut gewachst habe, ist an den Knien, dort wo der Regenponcho endet bald total durchnässt, darunter perlt es auf dem Wachs ab, aber von unten saugt sich die Hose auch voll. Wir hängen beide mental ziemlich durch und schleppen uns nur noch so weiter. Beim Anstieg nach Hittisau hört es endlich auf zu regnen, die Stimmung steigt sofort und die Strecke zum Gasthof Höfli ist bald geschafft. Annamaria bleibt hier. Sie hat ja nur noch morgen und dann würde ich mir auch keinen Stress machen. Ich trinke dort nur einen Tee, und dann mache ich mich an den zweieinhalbstündigen Anstieg zum Staufer Haus hinauf. Auf halber Höhe kommen mir die ersten Altschneefelder in die Quere. Ein ganz kleines, unscheinbares wird mir zum Verhängnis. Ich folge den Fußstapfen, und plötzlich breche ich mit einem Bein bis zur Hüfte ein. Ups, was ist denn das? Ganz langsam versuche ich das Bein wieder herauszuziehen und merke, dass der Schnee unter dem anderen Bein auch schon zittert. Vorsichtig krieche ich von dem Schneefeld. Von der anderen Seite sehe ich, dass es von unten über einem Bach hohlgeschmolzen ist. Wäre ich komplett eingebrochen, hätte es bestimmt weh getan aus gut eineinhalb Meter Höhe im Bachbett zu landen.
Ich gebe es zu, auf den letzten Höhenmetern muss ich meine letzten Kraftreserven mobilisieren. Ich sehe oben schon eine Hütte stehen, als ich mich trotzdem noch einmal hinsetze, um ein paar Nuss- und Fruchtriegeln zu essen. Dann steige ich langsam weiter hinauf. Die Hütte, die ich die ganze Zeit gesehen habe ist nicht das Staufer Haus. Es hat also keiner meinen erbärmlich langsamen Aufstieg beobachtet. Das Staufer Haus liegt auf der anderen Seite des Grats, wieder etwas unterhalb. Das Haus ist gut besucht. Annamaria hat für heute hier gebucht und ich kann ihren Platz übernehmen. Nach mir kommen noch drei Leute und bekommen scheinbar die letzten Plätze. Nach dem Duschen erhole ich mich bei einem leckeren heißen Most. Als ich mich an den Tisch mit den beiden Mädels setze, vergessen die gerade mal, darauf hinzuweisen, dass da gleich noch ihre ganze Gruppe sitzen möchte. Aber danach sind sie wieder aktiv. Sie versuchen über eine Stunde in einer voll besetzten Hütte einen ganzen Tisch zu verteidigen. Inzwischen nimmt das keiner mehr ernst und später bekommen die Mädels Vorwürfe von den anderen, wie sie nur konnten und so. Der Tisch füllt sich. Neben mich setzen sich zwei Typen, die irgendwo unten in einem Dorf wohnen und den Aufstieg mal nebenbei so als Sonntagsspaziergang machen. Gut dass die nicht gesehen haben, wie ich mich hochgequält habe. Gut dass ich von hinten, wo fast keiner aufsteigt gekommen bin. Sie erzählen mir, dass die Seilbahn heute wetterbedingt nicht gefahren ist und somit nur Wanderer hier sind und dass die, die sonst mit der Bahn herauffahren auch oben im Fastfoodrestaurant der Bergstation sitzen bleiben und hier im Staufer Haus nur die Echten sitzen. Dialektisch fühle ich mich schon richtig zuhause. Allgäuerisch klingt zwar anders, aber es ist halt schon Bayern. Erst wird mir klar gemacht, dass es ab tausend Meter nur noch ein Du gibt und dann fachsimpeln wir über meine digitalen Karten. Sie haben auch die Bedenken, die anfangs auch ich hatte. Was, wenn der Akku leer ist. Aber ich habe mir angewöhnt, überall aufzuladen, wo ich eine Steckdose sehe und sogar hier auf der Hütte gibt es Strom. Allerdings bin ich schon gestern in Bregenz mit einem ganz unerwarteten Problem konfrontiert worden. Da ich ja einen so großen Speicherchip habe, habe ich die Karten in der höchsten Auflösung aufgespielt. Jede Karte immer komplett. Gestern in Bregenz hat mir mein Handy gesagt, dass der Arbeitsspeicher nicht mehr ausreicht. Da habe ich aber echt leicht Panik bekommen. Aber mit einem Neustart konnte ich wohl überflüssiges aus dem Arbeitsspeicher werfen und es hat wieder funktioniert. Und wieder was gelernt. Ich kann die Karten schon in der höchsten Auflösung aufspielen, muss aber die Karte in mehrere Bereiche aufteilen. Aber dieses Mal muss es halt noch so funktionieren. Ich habe ab da mein Telefon alle drei Tage neu gestartet.
Das Wetter klärt auf und wir haben einen gigantischen Ausblick.
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Etwas später trifft noch eine große Gruppe ein. Ein Junggesellenabschied, tönen sie laut. Sie haben sich spontan, im fortgeschritten, alkoholisierten Zustand, dazu entschlossen, mal kurz zum Staufer Haus hochzulaufen. Oben wird weiter getrunken.

Tag 3: Montag 20. Mai vom Staufer Haus über die Nadelfluhkette nach Sonthofen
Die Nacht war grausam. Ich hatte es auch nicht anders erwartet. Bei sechzehn Leuten in einem Raum ist natürlich mindestens einer dabei, der kräftig schnarcht. Am Morgen, noch lange vor dem Frühstück, bin ich die erste, die aus dem Lager ins Bad flüchtet. Am Abend hatte ich schon alles so bereitgestellt, dass ich mit zwei Händen mein gesamtes Hab und Gut schnell packen und flüchten kann. Gleich nach mir kommen weitere Flüchtlinge und klagen über eine schreckliche, schlaflose Nacht. Noch mehr Flüchtlinge treffen ein und trotzdem ist das kleine Bad noch geräumiger als das vollbesetzte Lager. Als ich fertig bin und auch schon die Schuhe angezogen habe, für die ich am Abend noch einen Platz auf den beheizten Stäben gefunden habe, wird gnädigerweise noch lange vor dem Frühstück die Gaststube aufgesperrt. Eine der beiden Gaststuben wurde zum Matratzenlager für den Junggesellenabschied umgerüstet. Die waren wohl gestern nicht mehr zum Abstieg fähig.
Nach dem Frühstück, unter anderen mit einem absolut leckeren hausgemachten Müsli, brechen mehrere Leute gleichzeitig auf, obwohl jedem der weiter nach oben will klar ist, dass er gleich in die dicke Nebeldecke eintauchen muss. Man sieht nicht mal die Bergstation der Seilbahn, die nur ein paar Meter weiter oben liegt. Nach der Bergstation läuft noch ein Typ vor mir, bedächtig und langsam und ein Pärchen hinter mir, dass trotz Anstieg kräftig ausschreitet. Wir alle wollen eindeutig trotz Nebel die Nadelfluhkette entlang. Noch ist der Zusammenschluss locker und unverbindlich. Jeder sagt ein paar aufmunternde Worte gegen den Nebel. Bald merke ich, dass ich beim Anstieg in etwa die gleiche Kondition wie der einzelnen Wanderer habe, auf gerader Strecke können wir aber mit dem Pärchen mithalten. Bald mir der Zusammenschluss enger. Die beiden warten nach einem Anstieg auf uns. Erst versuche ich mit den beiden an den steilen Passagen mitzuhalten, muss aber einsehen, dass ich das nicht schaffe. Erst als ich so langsam gehe, dass Schritte und Atem wieder im Einklang sind funktioniert das auch ohne zittrige Knie. Wir klettern zusammen über schwierige Passagen. Als es zu Schneien anfängt, leiht sie mir ihre Ersatzhandschuhe. Die Nadelfluhkette ist eine berühmte Gratwanderung über sechs Gipfel. Den Hochgrat, den Rindalphorn, den Buralpkopf, den Stuiben und den Steineberg. Eigentlich beginnt sie schon vor dem Staufer Haus mit dem Hochhädrich. Auf dem Steineberg verabschieden wir uns. Die drei anderen wollen links hinunter nach Immenstadt und ich rechts nach Gunzesried und Sonthofen. Beim Abschied stellt sich heraus, dass der andere einzelne Wanderer aus der Nähe von Singen kommt. Man sieht sich also vielleicht wieder. Für mich war es sehr beruhigend, diesen für mich ungewohnt alpinen Abschnitt in einer Gruppe zu gehen. Auf dem Steineberg hat uns dann auch noch die Sonne eingeholt.
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Der Abstieg nach Gunzesried ist steil, aber meine Knie packen das ohne Bandagen. Die Bandagen habe ich auch die gesamte Wanderung nur im Rucksack mitgeschleppt. Dieses Problem ist also auch wieder überwunden. Die Strecke nach Sonthofen zieht sich noch ziemlich lange über für mich nun schon ungewohnt breite Wanderwege dahin. In Sonthofen bilde ich mir ein, nur in einem alteingesessenen Gasthof neben der Kirche zu übernachten. Gut die Kirche steht hier etwas abseits, aber Gasthöfe gibt es zwei die die Anforderungen erfüllen. Einer etwas edler und schon ein Hotel. Der andere etwas schlichter und damit für den schmutzigen Wanderer besser geeignet. Meine Hose hat inzwischen an der Beininnenseite eine dicke Lehmschicht, die weit über die Knie reicht. Kaum betrete ich den Gasthof regnet es sintflutartig.
Heute Abend gönne ich mir Kässpatzen dazu einen Grauburgunder. Das habe ich mir verdient. Dabei verfolge ich die nicht gerade begeisternde Diskussion des Sonthofener Seniorenstammtischs über das Wetter. Eine Dame erzählt von zwei Bäumen an deren Namen sie sich nicht mehr erinnern kann. Der eine blüht immer vor dem anderen und wenn es anders herum ist, dann wird der Sommer nass und kalt und es war dieses Jahr anders herum. Ich frage mich, warum das keiner gesagt hat, wenn das so klar ist. Der Wetterbericht sagt für die nächsten Tage Regen und Kälte voraus. Auf dem Flachland gibt es überall Überschwemmungen. Im Fernsehen sehe ich einen Bericht über die Sintflut (Sündflut) am 29. Mai im Jahre 1613 in Thüringen, die natürlich göttlichen Ursprung hatte. Wetterexperten erklären die Gründe. Baut natürlich alles furchtbar auf. Zumindest kann ich nun testen, ob Regenponchos alpentauglich sind. Das Pärchen heute hatte schlechte Erfahrungen damit gemacht, als sie an einen ziemlich windigen Tag unterwegs waren. Es wird sich zeigen.

Tag 4: Dienstag 21. Mai von Sonthofen nach Unterjoch
Am Morgen regnet es nicht mehr, aber man sieht vor lauter Nebel die Berge nicht mehr, die hier eigentlich in jeder Richtung herumstehen sollten. Erst folge ich der Wegbeschreibung des Wirts nach Hindelang-Oberjoch. Aber beide Orte liegen nicht direkt auf meiner Route, das wäre eine Tour durch das Tal. Ich lasse das GPS den Weg zum Wiedereinstieg suchen und finden. Meine Route führt hinauf über die Ruine Fluhenstein und über geteerte Wege zum Bildstöckl. Es regnet nicht, aber außer mir ist niemand auf der Straße.
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Erst kurz vorm Bildstöckl treffe ich zwei Wanderer, die mir sagen, dass es jetzt nur noch auf Pfaden durch den Wald hinauf zum Tiefenbacher Eck geht. Bald zeigt sich sogar ein bisschen blauer Himmel. Ich habe immer darauf gehofft, einmal einen Blick auf die Nadelfluhkette zu erhaschen. Vorher habe ich sie nicht gesehen, oben ja auch nicht, man sieht Berge nicht, wenn man auf ihnen ist, und nun verbirgt sie sich unter Nebel. Oben am Tiefenbacher Eck erwartet mich Schnee, aber Altschnee. Vom Tiefenbacher Eck kann ich hinüber zum Spieser, das ist ein Berg, sehen. Er ist genauso hoch, aber dazwischen geht es noch einmal weit hinunter und durch ein Hochmoor. Das gibt es also auch bei uns auf den Bergen. Kurz unter dem Gipfel des Spiesers führt ein Weg herum um den Berg zur Hirschalp. Bei einem genaueren Blick auf die Karte stelle ich fest, dass das mein Weg ist. Ich muss gar nicht ganz hinauf. In ein paar Altschneefeldern kann ich mir noch den Schlamm von den Schuhen wischen und dann liegt sie auch schon vor mir, die Hirschalp. Es ist noch nicht einmal Mittag. Hier gibt es erst einmal eine Pause und ein Radler. Es sind sogar noch ein paar andere Wanderer da, die aus Hindelang hochgekommen sind. Mein Abstieg nach Unterjoch dauert nur noch eineinhalb Stunden, auch wenn ich mich noch über einige Altschneefelder und durch viel Matsch kämpfen muss. Kurz vor Unterjoch fängt es an zu regnen. In Unterjoch trifft mich wieder ein Sonnenstrahl. Diese Etappe war sehr kurz. Eigentlich will ich noch weiter gehen, aber ich konnte bei meiner Recherche zu Hause keine Unterkünfte bis Pfronten ausfindig machen. Eine wanderfreudige Bäuerin Vorort bestätigt mir das leider. Sie empfiehlt mir zum Übernachten einen Bauernhof die Zimmer mit Frühstück anbieten. Ich irre bestimmt noch eine Stunde unschlüssig durch den kleinen Ort. Vermutlich fragen sich alle Anwohner schon, was die da macht. Und ich frage mich was soll ich nur mit dem restlichen Tag anfangen. Wenn ich den ganzen Tag gewandert bin, fühle ich mich in einem kleinen Zimmer wie ein eingesperrter Tiger. Mir graute bei der Vorstellung. Endlich treffe ich eine Entscheidung. Am Ort gibt es zwei Wellnesshotels. Von dem ersten schrecken mich die vielen edlen Autos ab. Bei einem kurzen Blick an mir hinunter, auf die lehmverschmierte Hose ist mir klar, dass mich vermutlich der Parkwächter schon abfangen würde. Aber es gibt noch ein anderes. Eines der Kette Familotel, Wellnesshotels für Familien mit Kindern. Ob ich da auch ohne Kind hinein darf und wenn nicht, wo bekomme ich so schnell eines her? Ich darf auch ohne hinein, vielleicht weil ich mit meiner schmutzigen Kleidung leicht drei Kinder aufwiege. Symphatisch ist mir, dass ich sofort geduzt werde. Und wir sind nicht mal über tausend Meter. Das Zimmer ist klein, aber mit allem ausgestattet, was ich erwartet habe. Die üblichen Kosmetikprodukte, die meiner Haut und den Haaren verdammt gut tun, obwohl ich dieses Mal das Problem der aus dem Gesicht bröselnden Haut im Griff habe. Die Sauna ist fast leer und ich verbringe den restlichen Nachmittag dort. Erschrocken stelle ich fest, dass ich beim Verlassen der Sauna plötzlich einen schrecklichen Muskelkater habe. Der kommt bestimmt von der Nadelfluhkette, aber dass der nach einem Saunagang schlagartig spürbar wird, ist mir neu. Der restliche Tag ist mit Körperpflege ausgefüllt. Erstaunlicherweise habe ich noch keine Wasserblasen und die Hornhaut, die sich inzwischen gebildet hat, habe ich tunlichst dort belassen. Die brauche ich schließlich noch. Das war dann auf jeden Fall ein netter Abschluss meines Geburtstags. Den wollen wir ja nicht ganz vergessen.

Tag 5: Mittwoch 22. Mai von Unterjoch nach Füssen
Das Frühstücksbuffet am Morgen lässt wie erwartet keine Wünsche offen. Beim Auschecken an der Rezeption frägt eine Frau mit kleiner Tochter, ob die Wanderung heute ausfällt. Das wird ihr bestätigt, schließlich regnet es. Ich schlage ihr vor, dass sie mit mir bis nach Füssen wandern kann, aber die Tochter ist nicht begeistert von einer achtstündigen Wanderung.
Für mich geht es erst einmal steil hinab ins Vilstal und dann lange, lange auf breiten Forstwegen, die leider auch über große Strecken geteert sind, an der Vils entlang. Zumindest sind die Wege nicht matschig und es gibt interessierte Beobachter.
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In Pfronten versuche ich ein Geschäft zu finden, das noch günstig Handschuhe verkauft. Vergeblich.
Dann wird der Weg wieder interessanter. Erst noch ein Stück auf einer Teerstraße, hinauf zum Falkenstein. Schließlich haben sich dort oben zwei exklusive Hotels angesiedelt, die auch auf trockenem Fuße erreicht werden wollen. Aber dann beginnt ein schmaler Pfad durch den Wald und entlang eines Grats.
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Vom irgendwo dort oben habe ich schon einen Blick auf Neuschwanstein erhaschen können. Nun habe ich seit zwei Tagen den Bodensee nicht mehr gesehen und jetzt sehe ich Neuschwanstein. Endlich habe ich das Gefühl, ein Stück vorwärts gekommen zu sein.
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An einem Hang treffe ich auf zwei Waldarbeiter. Einer meint, dass ich den Regenponcho ausziehen könnte, den brauche ich heute nicht mehr.
Ich:     Nein, besser nicht. Ich traue dem Wetter noch nicht. Und immer wenn ich nur daran denke den Poncho wegzupacken, fängt es wieder an zu tröpfeln. Nun habe ich beschlossen ihn einfach anzubehalten.
Er:       Ja, das geht mir auch so. Immer wenn ich die Jacke ausziehe, fängt es wieder an. Dann sollte ich sie vielleicht auch wieder anziehen. Und wenn wir beide unsere Jacken anlassen, dann wird das vielleicht auch was mit dem Wetter.
Ich:     Einverstanden. Dann sind wir beide sozusagen die Retter des Sommers. Das klingt doch gut. Fast so wie Superman.
Er:       -grinst breit-
Auf der Saloberalp bin ich plötzlich und überraschend in Österreich. Ein Blick auf die Karte sagt mir, dass das schon so in Ordnung ist. Auf der Tafel in der Gaststube steht Buttermilch. Oh ja, voll lecker. Aber leider ist sie aus. Also wieder Radler, wenn man schon mal gesund leben möchte. Dann kommen zwei Frauen herein. Eine will auch Buttermilch. Ich gleich: Die ist aus! Aber da kommt das Mädel von der Hütte sofort angerannt. Es tut ihr schrecklich leid, sie hätte nicht mitbekommen, dass der Chef inzwischen wieder welche gebracht hat. Also musste ich dann auch noch Buttermilch trinken. Beim Abstieg zum Alatsee und nach Füssen schwapt die viele Flüssigkeit in meinen Magen hin und her und zieht mich hinunter ins Tal. Entlang an mehreren Seen und dem Lech geht es hinein nach Füssen. Eine wunderschöne Altstadt.
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Aber auch der Woolworth dort verkauft keine Handschuhe mehr und die Schneefront rückt näher. Die Frau von der Kenzenhütte hat bei meinem Reservierungsanruf nicht daran geglaubt, dass ich bis zur Hütte kommen werde. Morgen Nachmittag soll es bis vierhundert Meter runter schneien. In einem touristisch überteuerten Sportgeschäft hätte ich bestimmt Handschuhe bekommen, aber das wollte ich nicht. Lieber investiere ich mein Geld in eine Tafel Milka Schokolade und in die fast schon auf Wanderungen obligatorischen Cabanossi. Und dieses Mal wird mir nicht einmal schlecht davon.
In der Jugendherberge habe ich wie üblich das Sechs-Bett-Zimmer für mich alleine. Ich will mich ja nur mal kurz ausruhen als ich mich schon mal aufs Bett lege, aber dann bin ich doch trotz des Kinderlärms innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Als mein Telefon tönt bin ich zuerst davon überzeugt, dass ich den Alarm falsch eingestellt habe, bis ich merke dass es ein Anruf ist, Cousinchen mit einem verspäteten Geburtstagsgruß.
Die Nacht hindurch regnet es in Strömen.

Tag 5: Donnerstag 23 Mai von Füssen hinauf zur Kenzenhütte
Heute Morgen regnet es nicht mehr. Ich stehe schon um zehn vor sieben im Frühstücksraum und bekomme auch gleich die Erlaubnis anzufangen. Dafür dass mich die heutige Tour ziemlich nervös macht, habe ich verdammt gut geschlafen. Ja, die Tour heute ist ziemlich alpin und wenn es schneit, habe ich ein Problem.
Zuerst muss ich auf dem Fahrradweg entlang der Straße bis vor nach Hohenschwangau. Trotz des frühen Morgens schwirren schon unzählige japanische Touristen herum. Mit überschreiten der Marienbrücke, mit dem berühmten Blick auf Neuschwanstein schüttle ich die letzten Touristen ab. Die habe sich natürlich mit Bussen hier her fahren lassen und so mancher traut sich nun nicht auf die Brücke, weil die Bohlen bei jedem Schritt sanft mitwippen und werden so nie die berühmte Ansicht sehen.
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Hinter der Brücke gibt es nur noch einen schmalen, steilen Pfad und schon unterhalb des Tegelberghauses wird mir klar, dass ich heute nicht mehr über den Gabelschrofensattel gehen muss.
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Der Schnee liegt auch hier schon hoch genug. Nach der letzten Kurve zum Tegelberghaus, der früheren könglichen Jagdhütte, erwarte ich eigentlich, Schifahrer vor der Hütte sitzen zu sehen, aber da sitzt niemand. Auf den Tischen und Bänken liegt circa zehn Zentimeter Neuschnee. Es hat heute Nacht schon geschneit. Der einzige Gast im Tegelberghaus ist einer von der Bergwacht. Er bestätigt mir, dass meine geplante Route heute nicht ratsam ist, weil ich oben den Weg nicht mehr sehen werde. Ich erzähle ihm, dass ich wohl mit der Bahn wieder nach unten fahren werde und versuche unten herum nach Oberammergau zu wandern. Auch damit werde ich nicht glücklich werden, meint er. Dort unten gibt es nur einen Fahrradweg neben der Straße. Aber er wüsste da eine Möglichkeit, wie ich heute doch noch zur Kenzenhütte kommen könnte, wenn ich noch ein Stück weiter gehe, über dem Brandenfleck absteige und durch das Lobental auf der Forststraße wieder hinauf zu Kenzenhütte gehe. Das klingt doch annehmbar. Also bedanke ich mich und mache mich auf den Weg. Zum Abschied sagt er mir noch, dass es Prognosen gibt, die von besserem Wetter ab Montag reden.
Es ist schon anstrengend genug sich bis zum Brandenfleck durch den Schnee durch zu arbeiten. Beim Abstieg habe ich es dann auch noch mit Altschneefeldern zu tun. Die zehn Meter lange Rutschspur auf dem ersten Schneefeld ist von mir! Der Schnee war viel weicher als ich dachte. Vor betreten des Schneefeldes hatte ich kurz den Gedanken, vielleicht doch unten herum zu gehen. Aber ich konnte noch alte Fußabdrücke sehen. Also habe ich es auch überquert. Aber nach dem fünften Schritt bin ich zusammen mit einer ganzen Menge Schnee abgerutscht. Im Nachhinein hatte ich mir gedacht, dass das auch hätte schief gehen können, aber um die gesamte Länge bis hinunter zum Bach abzurutschen, hätte ich nach den zehn Metern schon sehr gut in den schmalen Durchlass zwischen den Tannensprösslingen einfädeln müssen. So habe ich aber einen davon packen können und er hat mich gehalten. Das Gute daran war, dass es den ganzen Lehm von meiner Hose gerieben hat. Die ist nun wieder sauber, fast wie am ersten Tag. Bei den nächsten Schneefeldern, es waren insgesamt vier, bin ich dann schlauer. Ich stampfe mir jeden Fußtritt vor, bevor ich mein Gewicht darauf verlagere. Dann musste ich nur noch zwei Mal einen Schneefall bedingt angeschwollenen Bach überqueren. Von der Forststraße aus kann ich durch den Nebel ansatzweise den Sattel erkennen, über den ich hätte müssen. Es war auf jeden Fall besser unten herum zu wandern.
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Auf der Kenzenhütte erwärme ich mich bei einem Jagertee. Aber beide Daumen und Zeigefinger sind leicht taub. Zuerst denke ich es ist ein Durchblutungsproblem wegen des intensiven Stockeinsatzes beim Abstieg, aber es sind wohl doch Erfrierungen. Man merkt es gar nicht. Man fühlt sich noch warm, aber die Finger sind schon kalt. Das geht schneller als man denkt. Es ist schon bedeutend kälter hier oben. Die zwei Decken heute Nacht in dem kalten Zwei-Bett-Lager sind zu wenig. Ich friere die ganze Nacht. Die Nacht hindurch hat es geregnet, am Morgen werden es Schneeflocken. Der Trockenraum wird nicht beheizt und so sind meine Schuhe nass geblieben.

Tag 07: Freitag 24. Mai von der Kenzenhütte nach Unterammergau
Auch heute ist klar, dass oben herum nichts geht. Die Klammspitze scheint sogar offiziell gesperrt zu sein. Also klettere ich nur noch zum Bäckensattel hinauf und steige über eine schneebedeckte, matschige Wiese hinunter nach Linderhof. Um meine Finger vor weiteren Erfrierungen zu schützen missbrauche ich ab heute ein Paar meiner Wollsocken als Handschuhe. Das geht ganz gut. Mit der Ferse als Daumen kann man sogar die Stöcke gut halten. Als ich unten wieder ein Netz habe, rufe ich in der Jugendherberge in Oberammergau an, aber die haben wegen Renovierung geschlossen. Vor zwei Wochen, als ich mir die Telefonnummer von der Internetseite geholt hatte, stand da nichts. Wäre aber vielleicht hilfreich gewesen. Aber ich hatte noch eine andere Adresse in Unterammergau recherchiert. Das Heuhotel Schleifmühle. Hat mir von den Bildern her schon sehr gut gefallen, aber natürlich wollte ich aus Kostengründen in die Jugendherberge. Aber nun muss ich ja wohl. Die haben dann auch noch was frei. Ich bin den Zaun entlang um Linderhof herumgelaufen. Ich dachte ja, ich würde es irgendwo einmal durch die Bäume hindurch sehen, aber da war nichts. Auch der Nebel hängt ziemlich tief. Nur ganz kurz konnte ich einmal sehen, dass die Schneegrenze inzwischen auf tausend Meter unten ist. Also geht es weiter über den Kohlbachweg, einen Schotterweg zwischen Ochsen hindurch oder ich hoffe zumindest, dass es Ochsen sind und keine Stiere. Ich habe auf jeden Fall immer freundlich gegrüßt und die haben unschlüssig geschaut, um nicht zu sagen dumm. Ab Graswang ist es dann der Sonnenweg, aber der macht heute seinen Namen überhaupt keine Ehre, da es regnet oder schneit, sogar hier unten. Und dann der Grottenweg nach Oberammergau, wo mich die Zeichen christlicher Kultur geradezu anspringen. Und weil es halt grad so langweilig ist, muss ich mir eben selbst einen Kick geben. Bei einer Rast auf einer dieser überdachten Bänke, die ich inzwischen liebevoll Bushaltestellen ohne Bus nenne, lasse ich mein Handy liegen. Die Hose ist zu eng geschnitten. Erstens sitzt sie nur auf den Hüften und rutscht bei jeder größeren Bewegung weiter nach unten. Wenn ich schwitze liegen so die Nieren frei. Ich ziehe immer und immer wieder die Hose nach oben. Wenn ich sitze drückt das Handy in der Seitentasche. Darum lege ich es beim Sitzen meistens daneben hin. Bevor ich aufgestanden bin hat mich irgendetwas auf der andern Seite des Weges so gebannt, dass ich einfach nicht mehr geschaut habe, ob ich was liegen gelassen habe. Bei der Sesselbahn, zwei Kilometer weiter, möchte ich schauen, wo mein Weg weiter geht und da ist das Handy nicht mehr da. Der Herzschlag ist sofort auf Anschlag. Wie ein Profisportler laufe ich den Weg zurück. An jeder Grotte in der eine Marienstatue steht nuschle ich in Gedanken eine kurze Bitte. Kaum zu glauben, dass meine Kondition schon so gut ist für so einen Sprint. Kaum zu glauben, das zwei Kilometer sooo lang sein können. Eine letzte Kurve und ich sehe es schon auf der Bank leuchten. Halleluja, es ist noch da. Auf der angrenzenden Weide schlendert ein Bauer auf seiner Weide ziellos hin und her. Schön das er mir noch eine Gnadenfrist gegeben hat, bevor er es mitgenommen hat. Schnell stecke ich es ein. Auf dem Rückweg nuschle ich bei einer Grotte ein halblautes Danke. Ohne mein Handy, ohne die digitalen Karten, ohne das GPS hätte ich gleich aufhören können. Und eins ist klar, mit dieser Hose gehe ich nie mehr wander, auch wenn sie von einer namhaften Firma stammt, auch wenn sie viel Geld gekostet hat. 
Kurz hat es auf gehört, aber nun regnet es wieder heftig, als ich am Heuhotel in Unterammergau ankomme. Heu hin oder her. Die haben das ziemlich edel aufgezogen. Im Internet habe ich den Preis gelesen, aber wieder vergessen. Ich will es jetzt auch gar nicht wissen. Ich finde das einfach witzig hier.
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Die Räume des Lagers sind beheizt. Neben dem offenen Lager gibt es auch Zimmer mit Heudoppelbetten, aber ich bin im offenen Lager alleine und höre nur die anderen Leute, wenn sie auf ihre Zimmer gehen. Mein Bett ist schnell gerichtet. Gedanklich schreibe ich auf meine ToDo-Liste, einen neuen Seidenschlafsack zu nähen. Seide zerfällt nach einigen Jahren und meiner ist mindestens zehn Jahre alt, auch wenn ich ihn kaum benutzt habe. Auf dem Weg zur Dusche komme ich am Wellnessraum mit Wirlpool und Massagesessel vorbei und komme an letzerem eben nicht vorbei. Mal eine viertel Stunde durchmassieren und – rütteln lassen ist voll in Ordnung. Die Dusche hat gewartet und war super heiß. Mein Muskelkater ist auch wieder weg. Dafür sind heute Morgen zum ersten Mal die Füße geschwollen gewesen, als ich in die Schuhe steigen wollte. Unten in der Gaststube fange ich mit einer Hochzeitssuppe an und denke mir, dass das eigentlich reichen sollte, aber dann habe ich doch noch eine Schüssel Kässpatzen nachbestellt. Oben auf meinem Heulager bastle ich mir noch einen neuen Track für Morgen. Ich werde das Hörnle auf maximal 1200 Meter Höhe umrunden. Alles andere wäre Blödsinn.

Tag 8: Samstag 25. Mai von Unterammergau nach Eschenlohe
Die Wege sind wieder einmal breit und langweilig, aber es hat nicht so viel geregnet. Wie weit ich schon wieder oben war, hat mir der Schneebelag am Bärenbadflecken gezeigt. Dort komme ich über einen matschigen und scheinbar lange nicht mehr bewanderten Pfad hinunter ins Eschenloher Tal. Durch Waldarbeiten liegen Unmengen von Ästen auf dem Weg. Die vier Fahrradfahrer, die in die andere Richtung nach Oberammergau hinüber wollen beneide ich nicht. Für mich war es eine gelungene Abwechslung zu den Forstwegen, aber ein schwerbeladenes Fahrrad möchte ich da jetzt nicht rüber schieben. Aber sie fragen mich auch noch und so muss ich ihnen sagen, was auf sie zukommt. Sie sind nicht begeistert. Allerdings macht sich auch bei mir eine Muskelpartie oberhalb der linken Knies schmerzhaft bemerkbar. Irgendetwas hat sich da beim Abstieg verklemmt. Seit ich den Sattel überquert habe, kommt es mir vor, als ob irgendjemand die Heizung angestellt hat. Dieses Tal ist bedeutend wärmer als der Ammergau. Seit Eschenlohe als Etappenziel näher rückt versuche ich mich zwanghaft zu erinnern, woher ich diesen Ort kenne. Stammt da ein früherer Bekannter her? Hatte ich mit einer Firma hier zu tun? Als ich um den letzen Hügel biege, weiß ich es. Aus den Verkehrsmeldungen. Die Autobahn nach Garmisch endet hier und Staus sind vorprogrammiert.
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An der Kirche finde ich meinen traditionellen, alteingesessenen Gasthof, den Alten Wirt. Auf der Infotafel im Zentrum mit Unterkünften und Preisen ist er erstaunlicherweise der günstigste. Beim näheren Betrachten erweist er sich als leicht schmuddelig, aber die Besitzer sind sympathisch und denken praktisch im Sinne der Wanderer. Die Heizung ist nicht abgestellt. Meistens war sie das bisher. Dann werden endlich wieder einmal meine Schuhe trocken. Was will man von sechsundzwanzig Euro mit Frühstück mehr. Allerdings sind sie fast ausgebucht, weil hier heute eine Hochzeitsgesellschaft übernachtet. Die werde ich also noch zu hören bekommen. Die Jugendherbergen sind eine volle Enttäuschung. Oberammergau renoviert und Walchensee hat übers Wochenende geschlossen, wie sinnvoll besonders weil ich morgen, Sonntag hin wollte.

Tag 09: Sonntag 26. Mai von Eschenlohe zum Walchensee
Bei Regen geht es heute Morgen in Eschenlohe los, aber heute sehe ich zumindest meinen Atem nicht als Nebel. Erst geht es ewig lange auf Forststraßen dahin, die langweilig, aber nicht matschig sind. Allerdings ist das endlich wieder einmal der offizielle Maximilianweg. Ich will erst weiter oben, kurz unter dem Heimgarten, komischer Name für einen Berg, über den Rotwandkopf zum Walchensee absteigen. An einer Kreuzung folge ich den Ausschilderungen des E4s und des Maximilinanweg. Seit Unterammergau steht da richtig Maximilianweg bzw. das M. Aber irgendwie kommt es mir komisch vor. Die Ausschilderung entspricht nicht dem Weg der auf der Karte eingezeichnet ist, sagt mir das GPS. So würde ich ohne Abzweigmöglichkeit direkt auf dem Heimgarten landen. Ich laufe wieder zurück und dem eingezeichneten Weg entlang. Dort steht ein Sackgassenschild. Gilt das auch für Wanderer? Egal ich ignoriere das Schild. Nach einigen Serpentinen und einem langen Stück entlang des Bergrückens endet die Forststraße wie auf der Karte eingezeichnet und geht über in einen steilen Pfad. Der Pfad ist wie eine Weide von beiden Seiten eingezäunt und ganz oben durch eben einen solchen Zaun versperrt. Danach ist ein Pfad nicht mehr zu erkennen. Ich krieche trotzdem unter dem Zaun durch und betrete eine matschige Alpenweide. Der Weg ist weg bzw. es sind tausende vom Vieh getrampelte Pfade da. Mein GPS geleitet mich weiter, wo ich endlich wieder einen Weg find. Die orangenen Lackpunkte auf den Bäumen, die Kennzeichnung des E4s sehe ich hin und da. Endlich oben am Sattel.
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Dort sind wieder Wegweiser. Links geht es noch weiter hinauf zum Heimgarten und über einen verschneiten Grat zum Herzogstand. Ich hatte heute genug an Schnee und Matsch. Für mich geht es nur noch ein kleines Stück weiter hinauf auf den fünfzehnhundert Meter hohen Rotwandkopf und dann über einen netten kleinen Pfad steil hinunter zum Walchensee. Manchmal hat mich heute sogar ein Sonnenstrahl getroffen, aber unten am See regnet es wieder. Es ist windig und sehr kalt. Also erst einmal irgendwo ins Warme im Dorf Walchensee. Hier komme ich am Filmdorf Flake vorbei. Hat Bully hier seinen Wicki gedreht? Scheinbar. Kaffee und leckeren Rhabarberkuchen und Tipps für eine Unterkunft in Urfeld, am anderen Ende des Sees, wo ich morgen los muss, bekomme ich hier. Im Café bin ich der einzige Gast. Auf den Straßen ist auch kaum jemand zu sehen. Wer kann verkriecht sich hintern Ofen. Die Jugendherberge hat mir ja gestern schon gesagt, dass sie geschlossen haben. Die Dame vom Café meint, dass sei ungewöhnlich und ich sollte doch mal vorbeischauen. Die Strecke vom Dorf Walchensee nach Urfeld ist eine vielbefahrene kurvige Straße und blöd zum Wandern. Ich warte auf den Bus und halte zugleich den Daumen gegen den Wind. Ein Münchner hält und nimmt mich mit vor. Im Dorf zu übernachten wäre ungünstig, weil ein Bus erst sehr spät am Vormittag geht. An der Jugendherberge öffnet keiner. Daneben gibt es das Seehotel Karwendelblick, sieht teuer aus. Ich laufe noch die Straße hoch, um zu schauen, ob es noch Alternativen gibt, aber das war es. Nur noch Apartments und Ferienwohnungen. Also ins Hotel, aber so teuer ist es dann gar nicht. Dafür habe ich endlich mal wieder einen Fernseher, um die ausführlichen Wetterprognosen zu sehen. Am Wochenende hieß es noch, dass ab Montag alles besser werde soll. Jetzt hat sich das geändert. Ein kurzes Zwischenhoch am Dienstag und dann wieder Regen und Kälte. Toll. Die Aussicht auf besseres Wetter in der kommenden Woche hat die Stimmung oben gehalten und nun das.
In den letzten Tagen sind mir die Tagesetappen schon immer etwas zu kurz gewesen, aber in den nächsten beiden Tagen soll sich das ändern. Beide Etappen jeweils dreißig Kilometer und wenn ich weiterhin unter fünfzehnhundert Meter herumlaufen muss, wird die Strecke nach Lenggries noch länger. Der Maximilianweg führt nicht über den Grat der Benediktenwand sondern auf fünfzehnhundert Meter unterhalb entlang, aber auf der Nordseite und da liegt auch noch Schnee. Der Muskel über dem linken Knie hat sich heute den ganzen Tag vorbildlich verhalten und nur beim Abstieg etwas gezogen. Hier in Urfeld liest man an jeder Ecke von Lovis Corinth, einem Maler wie ich herausfinde, der wohl einige Zeit hier gelebt hat. Es gibt hier ein Museum und ein Foto von ihm an seinem Haus hängt in meinem Zimmer im Karwendelblick.

Tag 10: Montag 27. Mai vom Walchensee nach Lengries oder was so daraus wird…
Der Tag beginnt grau. Nur das Karwendelgebirge leuchtet mit seinem Schneemantel unter der Wolkendecke. Egal. Es geht nach Lenggries und natürlich wieder nicht über die Benediktenwand und Brauneck. Die Jugendherberge dort habe ich gestern und heute Morgen mindestens zehn Mal versucht anzurufen und immer sagte mir das Band „… wir können Ihren Anruf derzeit leider nicht persönlich entgegennehmen. Wir sind heute noch bis 20 Uhr für sie da…“. Ja schön, aber nicht am Telefon. Bayrische Jugendherbergen sind wohl nur für Massenkinderabfertigung zu haben, die mindestens 2 Jahre vorher angemeldet werden. Einzelwanderer haben spontan keine Chance. Hätte ich nicht mit den Jugendherbergen in England und im Schwarzwald gute Erfahrung gemacht, würde ich jetzt meine Mitgliedschaft kündigen.
So nun ist es so weit. Ich habe mich noch den ersten Berg hochgequält. Es ist nass und verdammt kalt. Was mach ich hier eigentlich? ist der erst unzulässige Gedanke, als ich vor dem Schild zum Jochberg stehe. Ich will nicht mehr! der Zweite. Und dann drehe ich um. Zurück nach Urfeld, zur Bushaltestelle. Den Bus habe ich gerade verpasst. In zwei Stunden geht der nächste. Egal ich warte, ich will jetzt nach Hause. Das Lovis Corinth Museum hat wohl auch schon lange nicht mehr offen. Zwei Stunden stehe ich in der Kälte herum. In einer viertel Stunde bin ich dann in Kochel am Bahnhof und verpasse dort gerade den Zug. Egal der nächste geht in einer Stunde. Kurz vor Pasing kommen die ersten Sonnenstrahlen durch. Kurz nach Pasing strahlt die Sonne vom wolkenlosen blauen Himmel. Wie zum Hohn! Als ich in Immenstadt, dem Ende der Nadelfluhkette vorbeifahre, sehe ich, dass sich die Schneegrenze bedenklich nach unten verlagert hat. Auf der Nordseite schätzungsweise unter tausend Meter.

Ich laufe den Maximilianweg ein anderes Mal, wenn es mal Sommer ist.


 
Freitag, 06.06.14
Irgendwas stimmt nicht. In den letzten Tagen habe ich in völliger Gelassenheit Stück für Stück zum Sammelplatz ‚Rucksack‘ getragen. Beinahe hätte ich das Lederetui mit den Single Malts vergessen, aber ansonsten alles in überlegener Routine. Völlig entspannt, ich kann sogar in der Nacht ziemlich gut schlafen. Sogar die Schwalbenfamilie im Rollladenkasten ist nervöser so kurz vor der Geburt ihrer Kinder. Um dreiviertel vier, am Morgen, sprudelt die Weckmelodie meines Handys los. Alles liegt perfekt bereit,  Kleider anziehen, kurzer Check meines natürlich schon gepackten Rucksacks, Handy, Geldbeutel, Ticket, alles da. Rucksack greifen, Wohnungstür zuziehen und ab zum Bahnhof. Diesmal bin ich dort auch nicht so wahnsinnig zu früh, absolut perfekt, acht Minuten vor Abfahrt. Woher kommt nur diese Ruhe? Um dreiundzwanzig Minuten nach vier rollt der Zug los Richtung Friedrichshafen. Hinter den Häusern von Singen dämmert es schon. Ich zücke mein Handy, auf dem ich vor zwei Tagen ganz unkompliziert das App laden konnte, mit dem ich die eBooks der Konstanzer Bücherei laden und lesen kann. Habe gleich mal zwei Bücher runtergeladen und fange nun gelassen eines an zu lesen. Schon ab Friedrichshafen eine grandiose Fernsicht auf das Alpenpanorama. Dass mein Zug seit Friedrichshafen Verspätung hat, tangiert mich nur peripher. Dem Anschlusszug in Lindau erreiche ich gerade noch. Am Bahnhof von Oberstaufen steht schon ein Schild für den Wanderweg nach Steibis, aber dort muss ich dann etwas fantasievoll werden. Es ist eine Strecke direkt zum Staufner Haus ausgeschrieben, aber die will ich nicht. Eine Ecke weiter ist eine Strecke ‚Staufner Haus über Nadelfluhkette’ ausgeschrieben. Das trifft die Sache schon eher, aber das heißt noch lange nicht, dass ich damit auf den Hädrich komme. Hinter einer Kurve steht ein Fuchs mit dem Rücken zu mir. Als er sich endlich umdreht, erschrickt er, bellt und läuft davon. Moment mal, bellen Füchse??? Passt jetzt nicht so ganz in mein Weltbild, aber was machen Füchse dann? Dieser Fuchs hatte einen verdächtig dünnen Schwanz. Vielleicht ein Hundemischling. Eine Kurve weiter toben drei Füchse nicht weit vor mir auf einer sonnigen Wiese. Zwei laufen weg als ich näher komme. Einer setzt sich gelassen hin und beobachtet, wie ich vorbei gehe. Die haben zumindest nicht gebellt.
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Vorbei an hunderten von Alpen komme ich endlich auf den Hädrich und trinke dort an der Alp erst einmal ein Radler. Das hab ich mir verdient. Die Hüttenwirtin ist am Handy heftig am googeln und entschuldigt sich dafür. Das sei sonst nicht ihre Art, aber sie haben ein Vogelnest direkt über der Eingangstür und sie würde gerne wissen, was sie tun können, wenn jetzt der Sommerbetrieb beginnt. Es sind Rotschwänzchen. Die seien laut ihrer Recherche ziemlich gelassen in der Nähe von Menschen. Das kann ich ihr aus eigener Erfahrung bestätigen und erzähle ihr von der Rotschwänzchenfamilie, die letztes Jahr immer mit mir zusammen auf dem Balkon saß. Dann geht es auf abenteuerlich schmalen und steilen Wegen entlang der Nadelfluhkette über mehrere Gipfel immer wieder auf und ab hinüber zum Hochgrat.
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Im Hintergrund Mitte der Säntis und Altmann mit Schneehaube
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Blick von der Nadelfluhkette nach Süden in die Alpen

Oder korrekter gesagt zum Staufner Haus, das kurz unter dem Hochgrat liegt. Auf den Gipfel muss ich erst morgen. Ich bin viel zu früh da, aber froh, dass ich die Etappe hinter mir habe. Jetzt erst mal raus aus den Schuhen und duschen und dann die Sonne und die Aussicht genießen. Der Ausblick zu beiden Seiten der Nadelfluhkette war heute unbeschreiblich. Und die Sonne ist unglaublich, wenn ich bedenke, dass beim letzten Mal hier oben noch hoch der Schnee lag. Um sechs Uhr leg ich mich kurz hin. Als ich dann etwas später wieder aufstehen und nach unten gehen möchte, wird mir unten schlecht und schwindelig. Ich ziehe mich ganz vorsichtig wieder nach oben ins Lager zurück und werfe einen Traubenzucker ein. Habe ja heute außer zwei Radlern und eine Scheibe Knäckebrot noch nichts gegessen. Und mein Körper will ja eigentlich, dass ich auf dem Sofa sitze und Schokolade in mich stopfte, einlagern bis zum Platzen ist sein Konzept, der wird sich hoffentlich in den nächsten Tagen anpassen. Unten bezahle ich mein Radler und das Frühstück für morgen und gestehe meinem Körper noch ein Snickers zu. Ich will da mal nicht so sein, am ersten Tag.


Samstag, 07.06.14
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Blick am Morgen vom Staufer Haus ins Lamd hinaus

Heute läuft alles wie beim letzten Mal, nur dass es keinen Nebel hat, sondern ein Prachtwetter und der Sonnenbrand auf der rechten Seite, Süden, kann sich noch prächtiger entwickeln wie gestern. Heute gibt es gar keine Bäume, mehr auf dem Grat.
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Blick vom Hochgrat

Am Gipfel des Hochgrats gesellt sich ein Herr zu mir. Rudi aus Landsberg. Er schreitet forsch aus, ich versuche nicht mit ihm mitzuhalten, jeder hat seine eigene Geschwindigkeit, aber an den steilen Passagen wird er schön langsam. Es stellt sich bald heraus, dass unsere Geschwindigkeit zusammenpasst. Vor dem Anstieg zum Buralbkopf, vor dem habe ich vom letzten Mal noch einen heiden Respekt, erwähne ich, dass ich hier mal gaaanz langsam machen werde. Beim Anstieg ordnet sich Rudi hinter mir ein, da es seine erste Tour des Jahres ist. Er fällt mehr und mehr zurück und ich bin schon langsam. Fast oben steht ein Kreuz vor dem Abgrund. Ein Junge, geboren 1997, gestorben 2002. Wer hat denn da wieder seine Kinder in den Bergen herumturnen lassen. Das ist hier kein Spielplatz. Alle glauben immer, wenn sie mit einer Seilbahn locker noch oben kommen, dann ist das hier oben auch alles so locker wie unten.
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Blick ins Allgäu

Endlich am Gipfel! Hier hat es das letzte Mal zu schneien angefangen und auch das breite Schneefeld beim Abstieg fehlt. Schade, da sind wir letztens bei jedem Schritt drei Meter weit nach unten gerutscht. Aber kleinere Schneeflecken sind noch an den schattigen Rändern zu sehen. Ich habe den Anstieg erstaunlich gut überstanden. Vielleicht weil ich in meiner Erinnerung das volle Desaster abgespeichert hatte, denn meine Kondition ist bestimmt nicht besser als beim letzten Mal. Rudi wird verdächtig ruhig. Auf dem Stuiben hatten wir das letzte Mal Mittagspause gemacht. Mein Körper schreit schon lange vorher nach Kalorien. Mir wird leicht schwindelig und die Knie fangen an zu zittern. Ich sage das Rudi, und dass ich aber da noch hoch möchte. Der Anstieg zieht sich länger hin als in meiner Erinnerung. Rudi fällt weiter zurück. Ich trenne mich auch innerlich. Mein Körper hinkt hinterher, mein Geist stürmt voran. Oben am Gipfelkreuz sind viele Leute, der einzige Tisch ist aber noch frei, scheinbar sitzen echte Bergsteiger am Berg nicht an einem Tisch, aber wenn doch schon einer steht. Ein Typ gesellt sich dazu und lobt die Farbe meines T-Shirts, leuchtendes Orange, sein T-Shirt leuchtet aber noch Oranger, ich gebe sein Kompliment zurück. Endlich kommt Rudi mit seinem riesigen Rucksack dazu und sinkt erschöpft nieder. Der Typ im Orange fängt zum Lästern an, dass er sich schon gewundert hat, dass mein Rucksack so klein ist und nun kommt der Mann mit der ganzen Last. Ich klärte das ganz schnell auf. Rudi will mir dann unbedingt was von seiner Sonnencreme geben, weil ich ja keine dabei habe und betont, dass so was eben dann mehr Gewicht erzeugt, aber auch eine Sonnencreme mit Faktor 30 wird uns auf Dauer nicht retten. Der restliche Weg zum Steineberg ist dann schnell geschafft.
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Rudi ist etwas skeptisch über den Weg ins Tal, den ich einschlage, unscheinbar und klein, aber den haben mir die beim letzten Mal empfohlen und ich habe ihn ja schon getestet. Rudi ist beunruhigt das wir erst so spät ins Tal kommen und wohl in Sonthofen keine Unterkunft mehr bekommen werden. Er verabschiedet sich schon in Gunzesried. Ich habe auch nicht vor, diesen langweiligen Weg entlang der Straße nach Sonthofen zu laufen und studiere den Busfahrplan. Wegen der Zeit habe ich keine Bedenken, es ist ja erst halb drei. Der nächste Bus geht in einer Stunde. Ich drehe mich zur Straße um und strecke instinktiv den Daumen raus, da gerade ein Auto um die Kurve kommt. Sie hält. Sonst nimmt sie ja keinen mit, aber weil ich eine Frau bin und ja, sie fährt nach Sonthofen hinüber und lässt mich dort im Zentrum raus. Sonthofen hat sechs Gasthöfe oder Hotels. Am fünften habe ich endlich Glück, es ist halt eine etwas noblere Herberge, aber was soll‘s. Beunruhigt rufe ich auch gleich in der Jugendherberge in Füssen an, in der ich morgen unterkommen möchte, aber der meint, dass es für eine Einzelperson nie ein Problem ist. Ja, ich möchte morgen zwei Etappen laufen. Die nach Unterjoch war mir letztens schon zu kurz und nur der Regen hatte mich damals dort in ein Wellnesshotel getrieben, aber dieses Mal möchte ich weiter und wenn möglich mit einem Bus nach Pfronten, denn die langweiligen Teerstraßen durch das Vilstal würde ich mir gern ersparen. Auf der Karte sehe ich aber, dass da einige Berge im Weg stehen auch wenn mein Wanderweg durch das Tal, durch das trotz Teerstraße kein Auto fahren darf, nur zwölf Kilometer ist, aber mit dem Auto ist es eine halbe Weltreise.

Pfingstsonntag, 08.06.14
Um sieben Uhr gibt es Frühstück. Das ist der Vorteil in gehobenen Hotels. Nur in den Hütten bekommt man so früh das Frühstück. Allerdings ist das Buffet nicht besser als in einer Jugendherberge, die sind allerdings inzwischen ziemlich gehoben. Egal, um halb acht bin ich wieder unterwegs. Ich habe mir gestern auch eine Variante aus Sonthofen hinauf zum Bildstöckl gesucht, denn der Original Maximilianweg verläuft auch von hier lange auf Teerstraßen. Aber auch meine Variante verläuft teilweise auf breiten, hartgeschotterten Wegen. Doch immer noch besser als Teerstraßen.
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Blick zurück auf die Nadelfluhkette 

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Ab dem Bildstöckle führt der nun wieder offizielle Weg durch den Wald auf einem steilen Pfad nach oben zum Tiefenbacher Eck. Hier habe ich letztens schon durch tiefen weichen Schnee stampfen müssen und dieses Mal kann ich oben ganz locker hinüber zum Spießer schauen, weil ich weiß, dass mein Weg nur auf halber Höhe herum zu einer Alp führt, wo schon wie beim letzten Mal mein Radler wartet. Heute ist dort allerdings bedeutend mehr los, als bei der Kälte  letztes Pfingsten. Heute kämpft man um die Plätze im Schatten. Dann geht es wieder hinunter nach Unterjoch. Auch hier dieses Mal keine Schneefelder. Unten in Unterjoch ist es fast ein Uhr, später als ich dachte und es gibt natürlich keinen Bus hinüber nach Pfronten. Also weiter zu Fuß und ich versuche mich positiv auf die Teerstraßen einzustellen. Aber  das klappt nicht, ich fluche wie beim letzten  Mal. Damals hat es geregnet, aber auch die Sonne macht die Straße nicht besser. Zwei Kilometer vor Pfronten gibt es an der Vilssäge eine Bushaltestelle. Es ist noch Zeit bis zum nächsten Bus und für eine Rabarbarschorle (voll lecker) und einen Zwetschenkuchen. In Pfronten fühle ich aber immer noch den Schmerz der langen Teerstraßenwanderung in meinen Gelenken und darum suche ich am Bahnhof gleich nach einem Bus weiter nach Füssen. Die Strecke war eigentlich sehr schön und vor allem habe ich mich schon auf die Buttermilch auf der Saloberalp gefreut. Gut, die wird es wo anders auch geben. Als ich in Pfronten aus dem Bus steige, fährt gerade ein Bus nach Füssen ab. Der nächste fährt in einer Stunde. Meine Unterkunft habe ich ja, also kann ich gleich noch mal auf ein Radler in die Gaststätte nebenan einkehren. Nach einer Stunde fällt mir auf, als ich auch mal das Kleingedruckte lese, das man den Bus, der zu dieser Zeit nur noch ein Taxi ist, bestellen hätte müssen, also noch mal eine Stunde, aber nein, nicht noch mal in die Gaststätte. Der Taxifahrer lässt mich direkt an der Jugendherberge raus, da die nicht weit vor der offiziellen Haltestelle am Bahnhof liegt. In meinem sechs-Bett-Zimmer sind noch vier Japanerinnen. Klar, wir sind ja nun an König Luckis Märchenschlösser, da wird das Publikum international. Alle gehen wir früh schlafen, weil auch die Japanerinnen, wie man das so kennt ein dicht gedrängtes und ermüdendes Programm haben.

Pfingstmontag, 09.06.14
… und alle stehen wir früh auf. Dieses Mal fahre ich auch hier die fünf Kilometer zu den Schlössern mit dem Bus, die ich das letzte Mal fluchend auf einem Fahrradweg entlang der Straße gelaufen bin. Auf der Kenzenhütte hat man mir bei meinem gestrigen Anruf gesagt, dass sie völlig ausgebucht sind, aber ich weiß vom letzten Mal, dass von dort ein Bus ins Tal fährt, dann muss ich halt unten nach einer Unterkunft suchen und am Morgen wieder hinauffahren. Aber ich werde auf jeden Fall in der Hütte noch einmal fragen, vielleicht ist ja jemand abgesprungen. Doch erst einmal muss ich hinkommen.
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Auf der Marienbrücke mache ich natürlich erst einmal wieder das Pflichtfoto von Neuschwanstein und dann geht es hinauf zum Tegelberg. Den Aufstieg hatte ich nicht so lange in Erinnerung. Aber ich brauche wirklich drei Stunden. Oben ist die Hölle los. Man kann ja auch ganz locker mit einer Seilbahn nach oben fahren. Schnell eine Johannisbeerschorle getrunken, denn nun brauchte ich was Energiereicheres und dann geht es weiter. Ich bewundere das gut beleibte Pärchen, dass sich in Turnschuhen und absolut nicht artgerecht gekleidet auf dem schmalen felsigen Pfad zum Ahornsattel hinauf quält. Ich unterhalte mich kurz mit ihnen, sie wollen dort wieder hinunter zu einer Alp und dann zurück nach Füssen. Alle Achtung, das ist keine kleine Tour. Kurz nach dem Ahornsattel gibt es einen heftigen Regenschauer. Vor mir taucht ein schroffer, hoher Berggipfel auf mit einem klar zu erkennenden Zickzackmuster als Weg. Und ich denke mir noch, dass wird doch wohl nicht mein Weg sein, jetzt wo es auch noch in Strömen regnet.
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Der Regen hört schnell wieder auf, es ist genauso heiß wie vorher, die Wege schnell wieder trocken und es ist mein Weg, hinauf zum Gabelschroffen. Der kostet mich dann auch echt einiges an Kraft. Kurve für Kurve arbeite ich mich nach oben. Oben steht eine nordische Familie, die mich keines Blickes würdigt. Hallo, wir sind doch hier nicht im Zentrum von Düsseldorf. Dann hören die auch kein Servus von mir, als ich endlich wieder genügend Luft dafür habe.
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Und mit dem Aufstieg ist es ja noch nicht vorbei. Auf der anderen Seite geht es über ein anstrengendes Geröllfeld hinunter und dann durch ein Tal mit riesigem Geröll hindurch und hinauf zum Kenzensattel. Vor dem Sattel bin ich am Ende meiner Kräfte und werfe als letzte Maßnahme ein paar Traubenzucker ein.
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Da donnert es. Trotz fehlender Kraft möchte man nicht glauben wie schnell ich aufspringe und die letzten Meter auf den Sattel oben bin. Beim Abstieg auf der anderen Seite sehe ich ein Pärchen mit Hund sitzen. Ich wundere mich und frage, ob sie denn keine Bedenken wegen des Gewitters haben. Sie antwortet mir im eindeutig nordischem Akzent: „Das geht auch wieder vorbei.“ Mir liegt schon auf der Zunge: „…aber ob ihr dann noch am Leben seid…“ aber ich laufe weiter. Es sind erwachsene Menschen, die müssen wissen was sie tun. Weiter unten donnert es noch ein weiteres Mal und ich beschleunige meine Schritte noch einmal. An der Kenzenhütte beschließe ich voll auf die Tränendrüse zu drücken und um einen Platz in der Abstellkammer zu bitten, aber sie sieht mich ganz verwundert an und sagt, dass sie natürlich noch was frei haben. Na bitte, geht doch. War wohl gestern ein Missverständnis. Und das Gewitter ist dann auch schon wieder abgezogen. Oben sitzt eine Gruppe Leute, die sich definitiv für was Besseres halten. Der letzte Bus fährt ins Tal, aber ihnen fehlen noch zwei Leute, dann muss der halt noch mal hochkommen, er kennt den Besitzer des Taxiunternehmens, er regelt das, er hat aber genauso wenig Handyempfang wie alle anderen. Die Hüttenwirtinnen sind sichtlich genervt, organisieren aber von ihrem Festnetz noch eine Talfahrt. Für diese Leute ist das aber alles selbstverständlich. Ich trinke noch die Buttermilch, die ich schon seit Tagen möchte und da es brütend heiß war und immer noch ist, trinke ich einen Liter davon und noch einen Käsekuchen. Dieses Gemisch liegt mir noch die ganze Nacht im Magen. Mein Körper ist so erschöpft, dass er sogar seine allerliebste Pflicht, das schnelle Verdauen und Einlagern nicht mehr erfüllen kann. Aber am Morgen darauf merke ich am lockeren Sitz meiner Hose, dass mein Körper endlich angefangen hat, sich auf die Situation einzustellen und etwas zu verbrennen. Da schau her, es gibt also doch Situationen, in denen dieser Dödl was von dem mühsam Eingelagerten hergibt. Er ist so mit Verbrennen beschäftigt, dass er den Käsekuchen stundenlang unbeachtet im Magen liegen lässt. Ich habe also endlich mal gewonnen. Ich ziehe mich ziemlich früh ins Lager zurück. Dort unter dem Dach ist es so stickig heiß, dass es nur mit Durchzug zu ertragen ist und natürlich bekomme ich sofort wieder meine Kieferhöhlenentzündung davon, na toll. Ich bin total müde, aber schlafen kann ich auch nicht, lesen auch nicht, weil ich meinen Akku mangels Steckdosen nicht aufladen kann. Gut man hätte sein Handy zum Aufladen in der Küche abgeben können, aber das war mir dann auch zu blöd. Aber einfach nur ruhen und die Füße hochlegen tut auch gut. Um zehn ist Hüttenruhe und alle die dann noch kommen sind vorbildlich leise und haben alle Taschenlampen dabei, um das große Licht nicht einschalten zu müssen. Es sind immer noch Plätze frei im Siebzehner Lager und keiner schnarcht!

Dienstag, 10.06.14
Beim Frühstück bin ich die erste, sitze schon fertig gepackt vor sieben unten in der Stube. Am Abend lege ich immer schon alles so bereit, dass ich nur noch meinen Rucksack und den Hüttenschlafsack packen muss und den Rest im Waschraum erledige. Um zwanzig nach sieben mache ich mich auf den Weg hinauf zur Klammspitze.
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Erst geht es ziemlich steil nach oben, aber dann auf einem Grat fast eben bis kurz vor das Gipfelmassiv, aber dort wird es echt anstrengend. Kein wirklicher Weg mehr, sondern nur noch ein paar Markierungspunkte an der Felswand. Stöcke helfen hier nichts mehr, ich kralle mich bei jedem Schritt mit allen Vieren in die Wand. Es ist wahnsinnig anstrengend und erfordert meine ganze Kraft und Konzentration. Steil, schmal, felsig hinauf und genauso steil, schmal und felsig wieder hinunter. Erst fordert es meine ganze Kraft und das schon am frühen Morgen und dann meine ganze Konzentration, um ja keinen Fehltritt zu machen. Da gibt es nicht viel, was den Sturz nach unten abfangen würde. Ich bewundere die Gemse, die locker den Abhang hinunter springt. Der steile Abstieg über die Felsen geht über in ein nicht minder anstrengendes, langgestrecktes Geröllfeld. Um zwölf bin ich endlich an den Brückenkopfhäusern und die Johannisbeer-Apfel-Schorle bringt den nötigen Energieschub. Mein Vorrat an Traubenzucker geht bedenklich zu neige.
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Pürschlinghütte

Der restliche Weg hinüber zur Pürschlinghütte und hinunter nach Oberammergau ist zwar noch lang, aber geradezu ein Spaziergang. Das ich meinen Wunschpfad nicht gefunden habe und breite Schotterwege ins Tal und unten wieder diesen wunderschönen seniorenrechten Grottenweg laufen muss, ist dann auch nicht mehr so schlimm. Und in der Jugendherberge in Oberammergau gibt es sogar noch einen Platz für mich. Anrufen konnte ich nicht, weil ich seit Füssen kein Netz mehr habe. Auch hier unten bin ich netzlos, aber glücklich. Letztes Jahr hatten sie wegen Renovierung geschlossen und nun sehe ich das beeindruckende Ergebnis. Geworben wird nun mit der modernsten Jugendherberge Deutschlands, aber trotzdem ist sie nicht ganz ungemütlich. Das waren zwei echt kräftezerrende und anspruchsvolle Etappen. Das letzte Mal bin ich wegen des Schnees gar nicht zu den Gipfeln hochgekommen und bin sehr lässig und eigentlich schon gelangweilt unten herum gelaufen. Darum war ich bisher der Meinung, der Maximilianweg sei nur ein netter Bergwanderweg, aber das ist er ganz und gar nicht. Nun nütze ich die Gelegenheit, dass ich ein Zimmer für mich alleine habe dazu, um all meine durchgeschwitzten Sachen einmal gründlich zu waschen.


Mittwoch, 11.06.14
Heute weiche ich ab vom Maximilianweg. Vom letzten Mal weiß ich, dass nun breite Schotterwege bis hinüber nach Eschenlohe führen und dazu habe ich auch nach den beiden letzten anstrengenden Etappen überhaupt keine Lust. Ich bin kurz vor Ettal und habe das Kloster noch nie in echt gesehen. Das will ich ändern. Auch hier führt ein Schotterweg hinüber, aber das ist auf der kurzen Strecke in Ordnung und es geht durch eine schattige und morgendlich frische Flussaue. In Ettal finde ich auch eine Bäckerei mit Lebensmittelecke in der ich meinen Traubenzuckervorrat aufstocken kann.
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Dann geht es hinauf zum Ettaler Mandl. Eigentlich habe ich mich auf eine ruhige Etappe eingestellt, aber der Anstieg ist doch wieder ziemlich heftig, allerdings alles im Wald und auf begehbaren Wegen ohne Kletterpartien. Oben sollte es einen kleinen See geben, aber das ist der erste See ohne Wasser, den ich sehe. vielleicht ist da ja auch noch etwas Wasser unter dem Schilf, aber der Anblick ist schon etwas überraschend.
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Dann geht es nur noch hinunter nach Eschenlohe und der Weg kommt mir seltsam bekannt vor, obwohl ich nicht auf dem offiziellen Maximilianweg bin. Da habe ich wohl schon das letzte Mal versucht den ewigen Schotterpisten zu entkommen. Aber dieses Mal bin ich noch erfolgreicher und stehe plötzlich vor Weidetoren, die sich nicht öffnen lassen und, da ich sie trotzdem übersteige, vor einer Herde männlicher Kühe. Ich will mir jetzt gar keine Gedanken machen, ob das nun Ochsen oder Stiere sind, ich bin nämlich gar nicht da, nein, keiner sieht mich und die männlichen Kühe schauen mich auch nur ziemlich blöd an. Sind wohl doch nur Ochsen, Glück gehabt. War aber ein offiziell in die Wanderkarte eingetragener Weg. Warum stellen die da jetzt männliche Kühe hin?
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Eigentlich hatte ich auch morgen Pläne den Anstieg auf Teerstraßen auszuweichen, aber vielleicht sollte ich es diesmal belassen. In Eschenlohe bekomme ich wie beim letzten Mal im Alten Wirt das letzte Zimmer mit Etagendusch und -WC für fünfundzwanzig Euro, was auch dieses Mal wieder mit Abstand die billigste Unterkunft ist, gut, das Staufner Haus war billiger.  Und heute gibt es zum ersten Mal am Abend fest Nahrung in Form von Kasspatzen, die wie das in Bayern üblich ist mit Käse überbacken werden und nicht wie oft in Schwaben in Käsesoße schwimmen. Vorher hatte ich mir im EDEKA-Laden gegenüber noch die obligatorischen Cabanossi und frische Aprikosen gekauft, die dann auch noch als Vor- und Nachspeise dienen. Auf den verbrannten Armen und dem Nacken haben sich heute Blasen gebildet. Die vorausgesagte Abkühlung ist noch nicht wirklich gekommen. Meinen Hals verdecke ich schon seit Tagen mit einem Tuch, weil die Brandwunden dort echt grausam aussehen.

Donnerstag, 12.06.14
Im Gasthof sind auch Arbeiter untergebracht, darum gibt es ausnahmsweise schon um halb sieben Frühstück. Diese Nacht habe ich kaum ein Auge zugetan. Im Aufenthaltsraum des Gasthofs stand Kaffee zur freien Verfügung herum und ich habe mir eingebildet, dass ich davon am Abend noch einen trinken müsste. War nur Löslicher, aber auch der ist stark. Nun weiß ich, dass Eschenlohe gefühlte zwanzig Kirchen hat, die alle alle viertel Stunde bimmeln. Es war schrecklich. Wenn man vom hören der Kirchenglocken fromm wird, könnte man jetzt bei mir schon mal die Seligsprechung vorbereiten. Dafür ist die Strecke auf der Teerstraße Richtung Heimgarten gar nicht so lang, wie ich sie in Erinnerung hatte und die Schotterwege bringen mich durch den Schlafmangel in beruhigend meditative Stimmung. Nach fast vier Stunden meditatives Wandern wird der Weg kurz vor dem Gipfel des Heimgartens schmäler und steiler. Auf der Heimgartenhütte weiß ich, dass ich nun endlich dahoam bin.
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Ich komme mit einem Bergsteiger ins Gespräch, einem hiesigen, der meinte: „…und wenst zur Schwammalzeit kumst, dann geht’s da zua wia am Stachus!“ Oh, wie ich das vermisst habe. Seit Oberammergau sind das dann auch Almen und keine Alpen mehr. Er hat mir auch erklärt, warum hier bis fast obenhin eine Autobahn, sprich Schotterstraße verläuft. Da haben sich so viele Leute ein Stück Wald mit Hütte gekauft, die sie dann auch mit dem Auto erreichen wollen, dass das denen ein breite Straße wert war. Aber bei einem Blick hinüber zum Herzogstand und dem schmalen Grat auf dem der noch viel schmalere Weg verläuft, werde ich fast schon nervös.
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Aber ich werde gleich beruhigt, dass sei gar nicht so schlimm wie es aussieht und nach dem sie sich angehört haben, wo ich in die letzten Tagen überall herum geklettert bin, da meinten sie, dass des dann garnix wär. Also mache ich mich nach meiner energiespendenden Apfelsaftschorle wieder auf den Weg und bin schneller am Herzogstand als ich mir das gewünscht habe, denn dort gibt es eine Seilbahn und es strömen Massen auf dem gut planierten Schotterweg hinauf zum Gipfelkreuz. Auf dem Weg hinunter zum Walchensee lasse ich mir Zeit. In der Jugendherberge ist nichts mehr frei, so bin ich wie beim letzen Mal nebenan im Hotel Karwendelblick untergekommen. Wie beim letzten Mal überzeugt mich in diesem Hotel nicht die Perfektion, sondern der besondere Charme. Der Karwendelblick ist nicht so berauschend wie beim letzten Mal.
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Damals wurde das Gebirge beim Sonnenuntergang mystisch unter den Schneewolken angestrahlt. Unten am See ist es sonnig und warm, aber oben am Grat bin ich schon mal in sehr erfrischende Wolken eingetaucht.

Freitag, 13.06.14
Heute ist der Tag der neuen Erfahrung. Ich bin zwar schon die ganzen letzten Etappen andere Wege gelaufen als beim letzten  Mal, als ich nicht auf die Gipfel konnte. Aber am Walchensee bin ich letzes Pfingsten nur noch zum Einstieg des Jochbergs und habe dann wegen der dramatischen Kälte aufgegeben. Heute laufe ich nach einem grandiosen Frühstück  zum Einstieg des Wanderweges und … und … und ich laufe den Jochberg hinauf. Ja, ja, ja auf zu neuen Wegen! Der Anstieg ist schon mal ziemlich steil, steiler als man das bei so einem unbekannten Berg erwarten könnte, aber schließlich ist er der Zugang zur Benediktenwand. Noch scheint die Sonne und ich komme wie immer ziemlich ins Schwitzen. Nebenbei gesagt, ächze ich immer noch jeden Anstieg hinauf wie am ersten Tag, bin oben schweißgebadet wie am ersten Tag, der Unterschied ist nun, dass ich mich dann oben sehr schnell wieder erhole, die Kondition ist also schon besser geworden. Trotzdem wird mein Befürchtung der letzten Tag bald Realität, diese Etappe bis nach Lenggries ist heute zu lange. Dreißig Kilometer in den Bergen sind nicht zu schaffen. Bis zur Jocheralm geht es steil bergauf, zur Kotalm wieder steil bergab, zur Staffelalm wieder hinauf. Dann geht es einige Zeit gerade, aber bis zur Tutzinger Hütte sind es noch drei Stunden und ich laufe bereits drei Stunden. Und dort hätte ich erst die Hälfte, so schätze ich, und die Benediktenwand noch vor mir. Vielleicht kann ich auf der Tutzinger Hütte unterkommen. Kurz nach dem Abzweig zum Pressenbach fängt es an zu regnen und bald donnert es auch. Der Regen wird immer heftiger.
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Noch ein Stunde zur Tutzinger Hütte. Der Regen wird leichter, aber es donnert immer wieder und nun geht es wieder verdammt steil nach oben, auf felsigen rutschig nassen Steigen. Noch dreißig Minuten bis zur Tutzinger Hütte. Es kommen ein paar Sonnenstrahlen durch. Kurz bevor ich über den Grat komme, der die Hütte noch vor mir versteckt, fängt es absolut heftig zu regnen an. Die Weg hinunter zur Hütte ist steinig und rutschig, ich versuche trotzdem schnell zu laufen, denn über mir donnert und blitzt es jetzt. Der Regen wird noch heftiger und bevor ich die Hütte erreiche bin ich trotz Regenponcho an den Beinen völlig durchnässt. Die Hütte ist voller Leute, klar hier hat sich erst mal alles versammelt, um vor dem Gewitter Schutz zu suchen. Die Tutzinger Hütte ist eine Schutzhütte des Alpenvereins und die nehmen immer Leute auf. Klar ist noch was frei sagt er und im gleichen Atemzug frägt er mich gelassen, was ich trinken möchte, aber ich würde mich doch gern erst einmal trockenlegen. Das Lager ist noch leer, aber es ist auch noch nicht mal drei Uhr. Auf den Schreck hin gönne ich mir nicht nur ein Radler, sondern auch ein Gulasch mit Semmelknödel. Im Gespräch mit den Hüttenwirten  erfahre ich, dass man das nach Lenggries schon an einem Tag hätte schaffen können. Nach Brauneck seien es nun noch drei Stunden und dann nach Lenggries runter noch eine Stunde. Dann wäre ich aber zehn Stunden unterwegs und bisher haben mir acht Stunden immer völlig gereicht. Ist schon gut, dass ich hier untergekommen bin. Die Tageswanderer und -biker verschwinden nach und nach und es treffen unzählige München-Venedig-Wanderer ein, die heute von Lenggries her ihre dritte Etappe haben. Ihre erste Bergetappe. In den nächsten Tagen wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Einige jammern schon, aber da muss man durch. Man kommt ins Quatschen unter Gleichgesinnten, man hat sich schon auf die einfachen und wichtigen Dinge reduziert: Essen, Ausrüstung, Unterkünfte, Wege, Wetter. Es tut mir gut einmal eine so kurze Etappe zu haben. Es ist ein schöner Abend und eine erholsame Nacht, denn wieder schnarcht keiner. Nur einer setzt immer wieder einmal dazu an und hört auch schon wieder auf, weil er vermutlich von der Frau jedes Mal einen Stoß in die Rippen bekommt. Sie hat dann wohl keine ruhige Nacht, aber vielleicht ist das bei ihr schon eine Routine, die sie im Schlaf ausführt. Morgen gibt es zwei Varianten: unten an der Wand entlang oder oben über die Achsköpfe, aber dort oben ist es noch viel zu nass, warnen die Hüttenwirte und einer der Venedigwanderer hat dort oben heute einen Hagelschauer erlebt. Eine andere Wanderin ist dort oben ausgerutscht und hatte böse blutige Schrammen am Bein. Offizielle Variante des Maximilianwegs ist unten an der Wand entlang und da werde ich auch laufen.

Samstag, 14.06.14
Um sieben Uhr gibt’s Frühstück und nicht nur ich, sondern auch alle Venedigwanderer sind schon da. Eine halbe Stunde später brechen die meisten auf.
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Kaum das ich zur anderen Seite hinüberblicken kann, sehe ich eine Herde Steinböcke, die direkt oben am Sattel und damit direkt vor mir liegen. Sie lassen sich auch gar nicht von mir stören, sind vermutlich noch viel zu verschlafen, denn sie haben hier vermutlich die Nacht verbracht. Wesen in leuchtend orangen T-Shirts muss man scheinbar nicht ernst nehmen, aber mein Weg führt direkt durch die Herde durch. Ihre Hörner sind beeindruckend. Hatte ich gesagt, dass ich noch nie in meinem Leben auch nur einem einzigen Steinbock in freier Wildbahn begegnet bin.Die Venedigwanderer über den Grat, über den ich gestern gekommen bin. Ich in die entgegengesetzte Richtung. Am Morgen war der Himmel noch blau, doch nun ziehen schon Wolken auf, die mich und die Wand oftmals verhüllen. Es ist frisch geworden. Mein Weg verläuft unten an der Wand entlang und am Ende zu einem schmalen Sattel hinauf.
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Laufen die nun davon, oder senken die irgendwann die Hörner zum Angriff. Also davon laufen tut hier keiner, auch ich nicht, denn ein Blick in die treuherzigen Kulleraugen sagen mir, hier ist nichts gefährlich. Denken sich scheinbar auch die Steinböcke. Nur der eine, der direkt auf dem Weg steht springt zur Seite als ich mich ihm bis auf zwei Meter nähere, schaut mich weiterhin treuherzig an, pfeift aber, wie die das bei Gefahr tun. Davon lassen sich die anderen aber nun überhaupt nicht beeindrucken. Also gehen wir alle unserer Wege und werden bis auf weiteres den Eindruck bewahren, dass wir es mit friedlichen Wesen zu tun hatten. Weiter geht es mal hinauf mal hinunter über anspruchsvolle und immer noch nasse Wege und ich bin froh, dass ich das heute ganz entspannt angehen kann und nicht noch gestern laufen musste. Plötzlich kommen mir Wanderer entgegen und es werden immer mehr. Ich nähere mich also Brauneck und der Seilbahn. Nun sieht man eigentlich nichts mehr vor lauter wolken und Nebel und wer heute den stolzen Preis einer Seilbahnfahrt bezahlt hat, der ist nun sicherlich enttäuscht. Nach der Bergstation führt ein sehr steiler breiter Schotterweg, der vermutlich mehr als Schipiste genutzt wird hinunter nach Lenggries. Die Wirtin der Tutzinger Hütte hat von der Lenggrieser Hütte als nächste Übernachtungsmöglichkeit gesprochen. Da es noch früh am Tage ist und ich noch weiterlaufen könnte, suche ich sie auf der Landkarte. Auf meiner Liste möglicher Unterkünfte steht sie nicht. In einer Konditorei bei Kaffee und Kuchen entdecke ich die Hütte endlich auf der Karte. Das ist ja überhaupt nicht meine Richtung und in meiner Richtung ist weit und breit keine Hütte mehr. Also muss ich hier bleiben. In der Jugendherberge kann ich erst ab fünf Uhr nachmittags jemanden erreichen, aber der Knabe vom Buchungsservice der bayrischen Jugendherbergen sagt mir, dass ich beruhigt warten kann, denn da wären noch massenhaft Betten frei. Auf dem Weg hinaus zur Jugendherberge finde ich auch noch einen Supermarkt und kaufe mir eine Salatbox und lecker aussehende Minibananan, die aber dann gar nicht so lecker sind. Zumindest kann ich mir die Zeit bis zur Öffnung der Herberge vertreiben und es hat fast nicht geregnet. Gäste haben die wirklich kaum. Lenggries ist vermutlich eher ein Winterort. Überall sind Lifte und Pisten und auch die Jugendherberge ist voll auf Schifahrer eingerichtet.

Sonntag. 15.06.14
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Am Morgen geht es nur mal steil hinauf zum Geierstein und hinüber zum Fockenstein, der scheinbar ein bevorzugter Frauenberg ist. Drei einzeln wanderende Frauen sind schon oben und der einzige Mann tritt die Flucht an, als ich als vierte erscheine.
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Beim hinunterlaufen, kommen mir fast nur Frauen entgegen. Was ist denn das? Schnell bin ich in Wiesee und laufe zum Hafen, weil ich heute ganz offiziell mit dem Schiffchen hinüber nach Tegersee fahren darf. Ich bin ja eigentlich ein Bergmensch und Seen begeistern mich eher weniger, aber auf diese Fahrt freue ich mich schon seit Tagen.
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Unten am See ist es aber empfindlich kalt und ich brauche auf dem Schiff das erste Mal eine Jacke. In Tegersee ist die touristische Hölle los. Das ist mir nach den ganzen einsamen Tagen einfach zu viel und ich verlasse fluchtartig den Ort des Schreckens. Es geht wieder hinauf zum Neureuth Haus und dann oben ewig flach dahin bis zum langgedehnten Abstieg nach Schliersee.  Man merkt aber, dass die Gegend um die Seen touristisch voll erschlossen ist und jeder Wanderweg, egal wohin, ist so planiert, dass auch ein Kinderwagen hinaufgeschoben werden kann. Im Gegenzug wird das Personal auf den Hütten professionell unfreundlich, aber ich habe wieder einmal eine leckere Rabarbarschorle bekommen. Die Jugendherberge liegt am anderen Ende des Sees. Da sie so weit abseits liegt, steht sie auch nicht auf meiner Liste und heute Morgen in Lenggries habe ich vergessen nach der Telefonnummer zu fragen. Ich bin zu spät dran, um einfach mal hinzuschauen, denn die Rezeption schließt meistens um sieben Uhr abends. Also stelle ich mich auf eine kostspielige Übernachtung in Schliersee ein.
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Noch einmal weiter auf den nächsten Berg will ich nicht. Die Tour war heute lange genug. Außerdem habe ich auch keine Hütte in absehbarer Nähe. Gelandet bin ich dann im Hotel Terofal, benannte nach einem bayrischen Schauspieler, ganz nach dem Moto die ältesten Gasthäuser sind immer in der Nähe der Kirche. Die Wirtin ist professionell freundlich. Hier kann man sich wohlfühlen. Eigentlich will ich noch was im Restaurant essen, bin dann aber doch ziemlich plötzlich eingeschlafen.

Montag 16.06.14
Das Frühstück ist so edel, wie ich es in einem guten Hotel erwarte. Obwohl ich vermute, dass sie gar nicht so viele Gäste hatte, ist am Buffet alles in Minimengen vorhanden und sie hat es auf besonderen Wunsch früher richten lassen oder sogar selber gerichtet als üblich. Dann hat sie mir auch noch beschrieben, wo ich lang muss und das ist auch gut so. Im nächsten Dorf steht sie auf einmal wieder vor mir und fragt, ob ich vielleicht noch den Zimmerschlüssel einstecken habe. Himmel, ja, das habe ich. Kein Problem meint sie, ich wusste ja wo sie langlaufen. Peinlich. Erst geht es auf breiten aber durchaus steilen Wegen hinauf auf die Auracher Köpfl und dann wieder hinunter nach Fischbachau, hinüber nach Birkenstein und dann hinauf auf den Wendelstein.
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Erste Rast und Radler gibt’s auf der Kesselalm, von dort weiter bis unter die Wendelsteinspitze. Unter dem Gipfelmassiv höre ich schon von Weitem ein Fluchen. Vor dem Massiv und auch danach wieder ist der Weg autobahnmäßig planiert, nur unterhalb wird es felsiger. Dort hängen zwei junge Mountenbiker und tragen ihre Räder. „Is des jetzt der neie Sport Radltrogn?“ rufe ich ihnen zu und kann ein Lachen nicht unterdrücken. „Na;“ meint er „manchmal fah ma a!“
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Gestern habe ich auf meiner Wanderkarte gesehen, dass es auf den Wendelstein von Brannenburg aus nicht nur eine Seilbahn gibt, sondern auch eine Zahnradbahn. Da kommen Kindheitserinnerungen auf und ich will unbedingt ein Stück mitfahren. Es gibt so etwas wie eine Mittelstation bei Aibl und dort warte ich auf die Bahn.
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So wie in meiner Kindheit sieht die zwar nicht mehr aus, gelb und Leichtbauweise statt schwarz und Gusseisen, aber egal. Dafür laufe ich unten in Brannenburg gleich hinüber nach Nußdorf, ist sowieso alles Teerstraße, dann muss ich das morgen schon nicht mehr laufen. Allerdings ist es gar nicht so einfach in Nußdorf eine Bleibe zu finden. Der Wirt hat Ruhetag und die Bauernhöfe, die Zimmer anbieten sind gut voll. Ich frage an einem und die Bäuerin telefoniert so lange bei den Kolleginnen rum, bis sie noch was für mich findet. Das ist doch ein Service.

Dienstag, 17.06.14
Die Oma ist verantwortlich für das Frühstück und das gibt es auf Wunsch schon um sieben Uhr. Dann laufe ich lange zehn Kilometer auf Teerstraßen weiter um den Heuberg herum. So war das gar nicht auf meiner Karte zu erkennen. Als ich schon denke, die Teerstraße führt auch noch hinauf auf den Hochries  wird es doch noch ein Schotterweg und zum Steig, so wie es sein soll.
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Im Hintergrund der Zahme und der Wilde Kaiser, ein Gebirge, dass mich schon seit meiner Kindheit faziniert.
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Kurz vor dem Hochrieshaus sieht der Weg aus, als wäre er von den Römern gebaut. Die mussten ja auch irgendwo über die Alpen. Oben auf dem Gipfel ist es nebelig und ziemlich frisch und windig. Ein Fall für eine Jacke. Hinunter geht es durch das Riesental und schon bin ich wieder auf einem breiten Schotterweg, der sich in ewigen Serpentinen bis nach Hohenaschau hinunter schlängelt. Eigentlich hatte ich die Frasdorfer Hütte als Unterkunft eingeplant, aber ich bin dann doch noch weiter hinunter nach Hohenaschau gelaufen, es ist ja noch so früh am Tag.
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Der Gasthof dort ist gut und gar nicht mal so teuer. Nur die Kühlanlage stört, die die ganze Nacht unter meinem Fenster läuft.

Mittwoch, 18.06.14
Heute bin ich schnell am Berg und ein Waldbauer beschreibt mir den alten Kampenwandweg. Genau den will ich gehen. Der Weg ist kein Schotterweg, aber trotzdem ziemlich breit, aber steil. Gleich am Anfang treffe ich auf einen Tageswanderer und wir laufen gemeinsam hinauf.
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Blick von der Kampenwand auf den Chiemsee

Der Gipfel ist dann anspruchsvoll zu besteigen und ich denke mir, endlich mal ein oberbayrischer Gipfel, der mal etwas anspruchsvoller ist. Oben am Gipfelkreuz halte ich mich nur kurz auf. Es ist kalt und ich muss ja noch ein Stück weiter. Der Weg hinüber zur Hochplatte geht einfach auf der anderen Seite wieder herunter.
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Vom Gipfel aus sieht der Abstieg gar nicht so schlimm aus

Es wird steil, meine Stöcke werden überflüssig, ich brauche auch die Hände um mich in die Felswand zu krallen. Es sind Drahtseile gespannt. Doch dann komme ich an den Punkt, an dem ich merke dass meine Arme und Beine schlicht und ergreifend zu kurz sind, um die nächste Stelle zu erreichen, auf die ich einen Fuß setzen kann. Ich weiß nicht mehr weiter, nach unten geht’s nicht nach oben auch nicht mehr. Der Weg, der dann unten weiter verläuft ist nur ein schmaler Felsvorsprung in der Wand. Unter mir das Nichts, über mir auch. In meinem Kopf fängt eine Stimme an zu rufen, erst leise dann immer lauter: Ich will hier weg! Panik. Ganz ruhig bleiben. Eine Hand am Drahtseil, einen Fuß in einer Spalte, das ist kein sicherer Stand mehr, aber da muss ich jetzt durch. Mit der freien Hand kann ich mich an einem Felsen festkrallen, mein Schwerpunkt ist irgendwo in der Schwebe, aber ich muss jetzt mit dem andern Fuß so weit nach unten kommen, dass ich wenigstens auf einem kleinen zentimeterbreiten Vorsprung zum Stehen komme und das Drahtseil muss ich jetzt loslassen. Und schon wird mir leicht schwindelig. Aber der Vorsprung ist erreicht, meine Hand findet wieder das Drahtseil. Der zweite Fuß findet auch einen Minifelsvorsprung und noch einen riesen Schritt nach unten und ich stehe auf dem dreißig Zentimeter breiten Vorsprung, der der Weg ist und nun waagrecht zur Seite führt, noch drei Meter und ich habe wieder einen Fels zu beiden Seiten. Geschafft, meine Beine zittern, aber ich will da nur noch weg. Unten an der untern Kante der Gipfelformation steht ein Schild für die, die nach oben wollen ‚Achtung sehr steil! Begehen auf eigene Gefahr!‘ Warum steht das nicht oben? Und die nächste Frage ist, hätte ich mich davon abhalten lassen?
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Die Spitze rechts ist der Geigelstein

Auf der nächsten Alm treffe ich auf einen, der den Maximilianweg auch schon einmal, allerdings in Etappen gelaufen ist. Wir kommen ins Gespräch, weil wir beide vor einer Buttermilch sitzen. Wir quatschen über dies und das und ich werde wieder ruhiger. Ich erzähle ihm, dass ich gerade etwas blöd in der Wand hing. Ja, er kennt das Stück, das ist nicht schön.
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Die Hochplatte, aber da muss ich nur dran vorbei
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Noch mal einen Blick zurück auf die Kampenwand

Der restliche Weg nach Marquartstein hinunter ist geradezu entspannend. Unten laufe ich zuerst an dem Internat vorbei,  in dem hunderte meiner Briefe aus Kindheit und Jugendzeit an meine Cousine gelandet sind. Ohne lange zu suchen laufe ich gerade auf den auserwählten Gasthof auf meiner Liste zu und sie haben noch ein Zimmer frei. Hier gibt es wieder einmal Kasspatzen und als Nachtisch zwei Tafel Schokolade aus dem Supermarkt. Mein Körper soll auch mal wieder wissen, wie man Kalorien einlagert.


Donnerstag, 19.06.14
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Fronleichnam in Marquartstein

Letzter Tag! Ich habe mir vorgenommen hier aufzuhören, damit ich das Wochenende habe, um Zuhause auch geistig wieder runter zu kommen. Irgendwie muss ich ja auch wieder in der Lage sein, acht Stunden am Schreibtisch zu sitzen und nur noch die zwei Finger an der Maus zu bewegen. Und heute muss ich nur noch auf den Hochgern rauf, schnell zum Hochfelln rüber und dann hinunter nach Rupolding.
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So dachte ich. Auf den Hochgern rauf ist noch so wie nach meiner Vorstellung, aber dass ich wieder ziemlich weit runter muss, um zum Hochfelln rüber zu kommen und dass der Hochfelln der schroffere und steilere der beiden Gipfel ist, dass hatte ich mir auch nicht so gedacht.
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Endlich auf dem Hochfelln, schon völlig kraftlos, steht da ein Schild, dass es noch viereinhalb Stunden hinunter nach Rupolding sind und es ist schon drei.
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So lange war ich ja noch nie unterwegs. Es geht dann doch schneller und es ist erst sechs Uhr als ich unten ankomme, aber ich bin trotzdem froh endlich da zu sein. Mein erster Weg führt mich zum Bahnhof, denn da morgen Kusinchen herschauen will muss ich ja wissen, wie viel Zeit ich habe, um dann noch vor Mitternacht wieder zu Hause zu sein. Aber dieser Bahnhof hat keinen Automaten, das es so etwas noch gibt. Der Schalter ist erst ab morgen wieder besetzt. Ich suche mir eine Bleibe und wähle den Rupoldinger Hof aus. Das ist ein Glücksgriff, denn als die WLAN-Verbindung nicht funktioniert,  buche ich mit der netten Dame an der Rezeption meine Verbindung und mein Ticket online auf der Bahnseite auf ihrem Computer und meiner VISA-Karte und alles ist bestens. Oben breite ich erst einmal alle meine Sachen aus dem Rucksack aus, damit über Nacht auch alles trocken wird, sortiere aus, was ich morgen anziehe und was wieder in den Rucksack muss. Morgen habe ich Zeit. Kusinchen kommt erst um zehn. Frisch geduscht schenke ich mir wie fast jeden Abend einen Single Malt ein und lasse die Tour Revue passieren. Ich hab‘s geschafft. Ich hab‘s geschafft. Und ich bin stolz. Ich bin richtig stolz auf mich. Ich habe in den letzten vierzehn Tagen alle relevanten bayrischen Alpengipfel erklommen, zumindest die, die unser König Maximilian als relevant betrachtet hat. Andere verteilen das auf ihr ganzes Leben und sind dann vielleicht etwas ausführlicher. Ich hab‘s halt in vierzehn Tagen gemacht. Es waren echt beeindruckende Tage.

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